KIMA - Karen Paulina Biswell und Maria Amilbia Siagama Siagamas —wildpalms

Kunst kennt keine Grenzen – ja, so sollte es eigentlich sein, obwohl dieser Satz bereits etwas abgenutzt klingt. Denn obwohl Postkolonialismus, Feminismus und andere Bewegungen sich seit ein paar Jahren zunehmend in der Kunstwelt durchsetzen, sind Beispiele einer wirklich grenzüberschreitenden Kunst immer noch selten. Wer wo was mit wem macht – diese Kriterien sind nach wie vor wahnsinnig wichtig in einem größtenteils westlich zentriertem Kunstfeld. Zwei Frauen aus Kolumbien, die franzöisch-kolumbianische Fotografin Karen Paulina Biswell und Maria Amilbia Siagama Siagamas vom indigenen Volk der Emberá, deren Werke zur Zeit in der wildpalms Galerie in Düsseldorf zu sehen sind, setzen sich in einem gemeinsamen Projekt über all diese Widrigkeiten hinweg, so als würden sie gar nicht existieren. In einer künstlerischen Synthese ihrer völlig unterschiedlichen Weltsichten und kulturellen Prägungen haben beide Frauen eine neue Mitte geschaffen. Diese Annäherung nimmt einen durch ihre mystischen Zauber in den Bann, verwischt die Grenzen aber auch nicht, die sie hinter sich lässt.

Der Ort, an dem die künstlerische Begegnung zwischen Karen und Maria Amilbia stattfindet, ist das kolumbianische Bergland von Risaralda. In dieser nebelverhangenen, von tiefem Urwald bedeckten Gegend lebt das Volk der Emberá, das zum Teil noch der überlieferten Lebensweise seiner Ahnen folgt. Maria Amilbia hat als Großmutter, Heilerin und Hebamme eine wichtige Stellung in der Gemeinschaft. Denn der Zugang zu der Welt der Geister spielt eine bedeutende Rolle für die Identität der Emberá. Über diesen Aspekt des Spirituellen und der Vision beginnt die Kommunikation zwischen beiden Welten. In der Ausstellung KIMA (Kima bedeutet „Vereinigung“ in der Sprache der Emberá) bildet eine großformatige Fotografie der rosa trompetenförmigen Blüte der Stechapfelblume, eine rankende Pflanze, das Zentrum der Kreise, in denen sich die Fotografin Karen und die Heilerin Maria Amilbia aufeinander zubewegen. Für die Jaibanas, deren Rolle bei den Emberá der von Schamanen gleicht, hat diese Pflanze, die in ihrer Sprache den Namen Iguaka trägt, eine große spirituelle Bedeutung. Denn ihr wird die Kraft zugeordnet, beim Menschen hellseherische Fähigkeiten hervorzubringen und den Kontakt zu den Geistern der Ahnen zu ermöglichen.

In Karens Fotografie dieser Blüte, welche die geistigen Überzeugungen der Emberá symbolisiert, zeigt sich damit auch das Prinzip, nach dem sie mit Maria Amilbia interagiert. Denn Karen bleibt mit der Fotografie in einem Medium, das zu ihrem westlichen Umfeld gehört und mit dem sie sich von Außen an die Welt der Emberá annähert. Mit Nahaufnahmen der Iguaka Blüte und anderen Pflanzen, wie etwa einem großen durchlöcherten Palmenblatt hält sie Dinge fest, die westliche Betrachter*innen wahrscheinlich genau so sehen würde. Und doch besteht auch bei diesen geheimnisvollen Bildern teils betörender Botanik eine scheinbare unüberwindbare Kluft zu der Lebenswelt und den Weisheiten der Emberá. In ihrer individuellen Art, sich auszudrücken, schließt Maria Amilbia diese Lücke.

An zwei gegenüberliegenden Wänden in dem großen, hallenartigen Hauptraum des wildpalms lässt die Ausstellung diesen Dialog zwischen den Künstlerinnen entstehen. Eine freie, assoziative Werkscollage zwischen Werken von Karen und Maria Amilbia lässt die Wirkung der Bilder frei zirkulieren.  Konkrete sowie abstrakte botanische Motive, die eine teils mystische, teils bewusstseinserweiternde Aura mitbringen, spielen bei beiden Positionen eine zentrale Rolle. Im Rahmen dieser Kooperation sind das erste Mal in einem Kunstkontext Zeichnungen von Maria Amilbia zu sehen, in denen sie die übersinnlich belebte Tier- und Pflanzenwelt, welche die Emberá umgibt, in klaren, schwarzen Linien abstrahiert zum Ausdruck bringt. Der ästhetisch harmonische Eindruck, der zwischen den Werken beider Frauen entsteht, mag davon ablenken, dass das Projekt zwischen Karen und Maria Amilbia nicht in einem flüchtigen Workshop entstanden sind, sondern auf einer vierzehn-jährigen Zusammenarbeit von der in Paris lebenden Künstlerin mit den Emberá beruht.

Die Motive, die Maria Amilbia seit 2015 auf Papier festhält, entspringen ihrem Blick auf die Natur und ihrer persönlichen Erfahrung, die durch die Lebensweise und die Weisheiten der Emberá geprägt ist, eines Volkes, das nicht auf die gleiche Weise zwischen Mensch und Natur unterscheidet, wie wir es im Westen tun. Ihre Zeichnungen sind einerseits konkret, sie zeigen Palmblätter, Baumringe und Pflanzen. In anderen Bildern arrangieren sich die Linien zu stringenten, minimalistischen Mustern und Strukturen, die sich von der Darstellung eines spezifischen Objektes abgelöst haben und nun von einer höheren Ebene über der materiell erkennbaren Welt berichten zu scheinen. Es ist dieses mühelose Oszillieren zwischen Gegenständlichkeit und Abstraktion, reiner Abbildung und spiritueller Aufladung, die Maria Amilbias Zeichnungen so faszinierend machen. Ihre Bilder interagieren auf interessante Weise mit Karens Fotografien. So sind vier ihrer Werke gemeinsam mit der großformatigen Fotografie eines Palmenblatts gehängt. Die skulpturale, geometrische Qualität dieses Blattes wiederholt sich in den Zeichnungen, so als würden beide Künstlerinnen etwas Ähnliches sehen.

Zwar ist die Herangehensweisen beider Frauen sichtlich verschieden. Und dennoch gibt es, wenn man genauer hinschaut, Gemeinsamkeiten.  So hat Karen eine Strategie entwickelt, sich vom Gegenständlichen der Fotografie zu lösen und in jenen Bereich der Vision und des Magischen vorzudringen, indem sie Fotogramme angefertigt hat. Fotogramme entstehen ohne das Einsetzen einer Kamera in der Dunkelkammer. Gegenstände werden auf Fotopapier gelegt und belichtet, wodurch sich die Konturen dieser Dinge wie ein Schatten in das Trägermaterial einbrennen. Wiederkehrendes Motiv in diesen Werken ist das Chakana, das siebenfarbige Emblem der Andenvölker. Vor dem Hintergrund dieses polychromen, graphischen Musters erscheinen nun Blüten der Iguaka Pflanze. Anhand des Einsatzes „magischer“ fotografischer Technik formuliert Karen hier einen künstlerischen Beitrag, der über die reine Abbildung hinausgeht, indem sie mit den Fotogrammen das Wissen und die Heilkraft der indigenen Völker der Andenregion und ihrer einzigartigen tiefen Verbundenheit in die Ausstellung miteinbezieht.

KIMA spricht von Frieden und Harmonie, aber auch von Widerstand. Denn wie viele indigene Gemeinschaften sind die Emberá in ihrer Existenz bedroht. Das Leben auf ihrem Territorium ist ein ständiger Kampf um Anerkennung und Daseinsrechte. Die tiefe Verbindung zu der Natur, die wir als westliche Betrachter*innen in Maria Amilbias Werken manchmal auf verklärte Weise sehen, macht tatsächlich nur einen kleinen Teil der Realität der Emberá aus, die das Erbe einer leidvollen Vergangenheit, Unterwerfung, Verfolgung und Erniedrigung mit sich tragen. In den Neunzigerjahren wurden die Indigenen genauso wie weite Teile der Landbevölkerung von marodierenden paramilitärischen Einheiten vertrieben, die während des kolumbianischen Bürgerkrieges unter dem Ministerpräsidenten Álvaro Uribe im Kampf gegen die FARC-Rebellen gegründet worden waren. Die  Über Jahre mussten die Emberá daher unter erbärmlichen Umständen in Bogota leben. Durch eine fotografische Serie, die Karen in 2015 in Zusammenarbeit mit den Frauen des Volkes angefertigt hat, tritt diese schmerzhafte Geschichte in KIMA an die Oberfläche. Die Serie besteht aus Porträts von Frauen und jungen Mädchen in ihrer gerüschten, bunten Tracht (die ihnen ursprünglich von den spanischen Eroberern gegen ihre Nacktheit auferlegt wurde) und mit Gesichtsbemalungen. In den entschlossenen Blicken der Frauen spiegeln sich gleichzeitig Stolz wie auch eine stumme Wut. Dieses ausdrucksvolle Schweigen hinter ihren Augen macht die Stärke dieser Bilder aus.

Die Ausdrucksweise, die Maria Amilbia persönlich für das Leid, das ihr Volk erfahren hat, gewählt hat, ist beeindruckend. Die Heilerin hat Buchseiten spanischer kolonialer und rassistischer Literatur mit Symbolen versehen, die ein wenig an stilisierte Pflanzenzeichnungen erinnern, aber in der Funktion Hieroglyphen ähnlich sind, die neben dem Laut auch immer eine spirituelle Bedeutung mitbringen. Diese Zeichen scheinen die negativen Inhalte dieser Seiten zu neutralisieren, wo nun eine neue Erzählung, ein Weg der Heilung der Vergangenheit beginnt. Die überzeichneten Bücher sind auf einem Altar abgelegt, auf dem sich persönliche Gegenstände sowohl von den Emberá als auch von Karen befinden. Obstteller, Federn, Perlenarmbänder und Holzschalen lassen an Opfergaben und schamanistische Rituale denken, doch tatsächlich ist keine spezielle Kultur oder Religion mit der Nische gemeint. Das Arrangement ist eher als gemeinsamer Repräsentant von Dingen und Glaubenssätzen gemeint, die beiden Frauen wichtig sind. Er bildet zudem den Rahmen für einen Kurzfilm eines Rituals der Jaibana in einem Haus ihrer Siedlung in Risaralda, den Karen mit einer analogen Kamera gedreht hat. Das in einem Trancezustand durchgeführte Jaibana-Ritual ist als Bewältigung der Unterdrückung der indigenen Völker angelegt. Die Auslegung der übermalten Buchseiten von Maria Amilbia sind dabei wichtiger Bestandteil der rituellen Handlungen.

Stolz, Kraft und die universelle Verbundenheit, die das Göttliche zwischen den Menschen schafft – KIMA erzählt von so vielen Dingen, lässt dabei aber auch den Schmerz nicht aus, der auf dem Weg überwunden werden muss. In einem respektvollen Spiel aus Nähe und Distanz eröffnet sich eine neue magische Welt, die einen wagen lässt zu träumen und in neue Sphären einzutreten. Doch diese Welt ist sich ihrer inneren Trennungslinien bewusst. Was wir sehen, bleibt, wie die Kuratorinnen Alexandra Meffert, Jorge Sanguino und Karen Paulina Biswell betonen, eine Fiktion. Brauchen wir also überhaupt eine Kunst, „die keine Grenzen kennt“? Die Aussicht auf ein Kunstschaffen, das in einem übereilten Gleichheitssinn jegliche Unterschiede ausmerzt, erschaudert eher. Es sollte stattdessen mehr Plattformen geben, auf denen Künstler*innen, die nicht einem klassischen Kunstkontext entstammen, unter Einbringung ihrer jeweiligen Weltsichten und spirituellen Auffassungen mit anderen in einen gegenseitigen Dialog treten können. KIMA ist ein erstes Beispiel für so ein Projekt für Kunst jenseits und mit ihren eigenen Grenzen.

Die Ausstellung findet im Zusammenhang mit düsseldorf photo+ mit Unterstützung des Institut Français Düsseldorf statt. 

 

guaka. Karen Paulina Biswell. C Type analog print auf Kodak Endura Paper durch Diamantino Quintas, Paris. 140x115cm  |  © Die Künstlerin und wildpalms

KIMA. Ausstellungsansichten, wildpalms Mai 2022  |  © Die Künstlerinnen und wildpalms

KIMA. Ausstellungsansichten, wildpalms Mai 2022  |  © wildpalms und die Künstlerinnen

KIMA. Ausstellungsansichten, wildpalms Mai 2022  |  © Die Künstlerinnen und wildpalms

KIMA. Ausstellungsansichten, wildpalms Mai 2022  |  © Die Künstlerinnen und wildpalms

KIMA. Ausstellungsansichten, wildpalms Mai 2022  |  © Die Künstlerinnen und wildpalms

Jepa. Karen Paulina Biswell La boa mitica. 2015. Jeweils. 30 x 30 cm. C analog print auf Endura Kodak Papier.  |  © Die Künstlerin und wildpalms