Andreas Steinbrecher —ARARAT

Was ist die Schöpfung? Der Entstehungsweg aller Lebewesen ist durch die Evolutionstheorie lückenlos dokumentiert. Dennoch haben göttliche Schöpfungsgeschichten, in denen Pflanzen, Tiere und Menschen in einer bewussten, selektiven Reihenfolge erschaffen werden, bis heute nicht an Zauber verloren. Ist es die Sehnsucht nach einer höheren, wohlgemeinten Ordnung, die religiöse Versionen der Erschaffung der Welt weiterhin so verlockend machen? Andreas Steinbrechers Malereien erzählen anhand ihrer unbändigen Konstellationen von Tieren und Formen eine eigene Schöpfungsgeschichte. Sowohl sympathisch als auch unheimlich wirkende Wesen, die ihren eigenen Willen besitzen, bevölkern auf verschwörerische Weise die Leinwände. Steinerne Fragmente antiker Statuen bilden in diesem Kosmos die einzige Referenz auf den Menschen.

Andreas Steinreicher beendigt im Frühjahr nächsten Jahres (Februar 2023) sein Studium bei Prof. Thomas Scheibitz an der Kunstakademie Düsseldorf. Seine Serie ARARAT, die er zur Zeit als Stipendiat der BEST GRUPPE 2022/23 in deren Unternehmenssitz in Düsseldorf präsentiert, ist an die biblische Geschichte von Noah und der Arche angelehnt. Der Überlieferung nach handelt es sich bei dem Gipfel, auf dem das Schiff nach der Sintflut strandete, um den Berg Ararat im Osten der Türkei. Der radikale Neustart, welcher der Welt damals durch göttlichen Willen verordnet wurde, nimmt Andreas Steinbrecher als Ausgangspunkt, um eine eigene Ordnung des Lebens zu erschaffen. Diese Anlehnung an Erzählungen der Genesis sticht in seinen Werken in den Momenten hervor, in denen griechische Statuen Angehörige von Noahs Familie symbolisieren („JAFET“, „HAM“, Öl auf Baumwolle, jeweils 170 x 120 cm). Abseits davon bleibt die Botschaft der Interaktionen, die sich zwischen den Lebewesen abspielen, im Verborgenen. Die Erkenntnis, dass in den Bildern lediglich Tiere und Statuen dargestellt werden, wird den Werken genauso wenig gerecht, wie die Extraktion einer überhöhten, symbolischen Bedeutung. Stattdessen ist man mit einer großen Leere in den Bildern konfrontiert. Alles geht aus einem blanken Hintergrund hervor, der mal blau, mal grau ist, aber ansonsten nichts über denn Sinn der Abbildungen verrät.

Die Malereien folgen einem regelmäßigen System, das sich in wiederkehrenden Konstellationen einzelner Bildelemente äußert und im engen Zusammenhang mit dem Ausbildungshintergrund des Künstlers steht. Andreas Steinbrecher studierte Illustration, bevor er an die Kunstakademie wechselte und mit der Malerei begann. Die intensive Ausbildung in der Typografie bezeichnet der Künstler heute als Ursprung seines Interesses an der Zeichenhaftigkeit von Malerei. Die Fragen, wann ein Schriftzeichen zum Bild wird, unter welchen Bedingungen eine Darstellung generell lesbar wird und ab welchem Punkt sich diese Eindeutigkeit wieder auflöst, beschäftigen Andreas Steinbrecher seitdem und prägen seine künstlerische Herangehensweise. Wie man es manchmal an den bestechend stimmigen Kompositionen erkennt, die sich wie durch das Übereinanderlegen verschiedener Ebenen in einem Bildbearbeitungsprogramm ergänzen, eröffnet die Beherrschung typografischer und illustrativer Gestaltungsprinzipien neue Möglichkeiten. Gleichzeitig betrachtet Andreas Steinbrecher diese Fähigkeit, Dinge wie Buchstaben ins Bild setzen zu können, auch als Last, von der er sich ständig befreien muss.

Es ist dieser innere Zwiespalt, aus dem Andreas Steinbrechers Malereien in ihrer Einzigartigkeit hervorgehen. In seinen Bildern verselbständigen sich Zeichen und werden zu eigenständigen Zeichnungen. Tierwesen erscheinen dadurch in verschiedenen Modi, einmal in naturalistischer Gestalt, des Weiteren als barocke Darstellungen, die sich ihrerseits an bereits existierende Abbilder anlehnen und schließlich auch in reduzierter schwarzer Form, die Schablonen ähneln. Diese verschiedenen Wesens-Ebenen tauchen in den Werken dann in unterschiedlichen Kombinationen auf.  Dabei entstehen Zusammenstöße, deren Dramatik einen fesselt, wie etwa in dem Werkspaar „JAFET“ und „HAM“. Kopf- und gliederlose  Statuen werden von schwarzen Tierköpfen mit blitzenden Augen umringt, welche die Zähne fletschen, als befänden sie sich im Kampf. Und dennoch hat man es mit zwei getrennten Bildebenen zu tun, die nicht wirklich interagieren.

Die schwarzen Tierköpfe, die in einer ganzen Reihe von Werken erscheinen, befinden sich in einem hybriden Zustand zwischen Schema und Abbildung. So taucht das Antlitz einer Katze, das manchmal stark abstrahiert als bloße Form erscheint und wie ein grafisches gestalterisches Element funktioniert, in mehreren Bildern auf. Für Andreas Steinbrecher ist die Katze eine Art Alter Ego, das er einsetzt, um Dinge zu wagen, die er im Bildaufbau als riskant empfindet. Damit meint er insbesondere das Austesten der Grenze zwischen Figuration und Abstraktion mittels der Verwendung von Zeichen. Auf diese Weise werden Katzen- und Eulenköpfe als Schablonen in den den Bildhintergrund eingeschoben, wo man ihre kreisrunden Augen aufblitzen sieht und die nun auf ein grafisches Muster reduziert sind. Mit weiten Pupillen, die den Linsen von Überwachungskameras gleichen, beobachten sich seine Bilder selbst.

Dieser Effekt zeigt sich auch in den Bildern „PHILIA“ und „INVIDIA“ (Öl auf Baumwolle, 100 x 95 und 110 x 75 cm). Mit einer Tierdarstellung im Vordergrund, die jeweils auf einer realen Figur beruht, und einem schwarzen schematisierten Tierkopf mit starrenden Augen als Silhouette im Hintergrund, sind beide Bilder nach dem gleichen Prinzip aufgebaut. Die Darstellung eines hockenden Affen, der mit fast menschlicher Hingabe einen Apfel in seiner Hand betrachtet, beruht auf einer alten Figur aus Meißenporzellan, die um ein vielfaches kleiner ist als in dieser Darstellung. Das Paar der hintereinander platzierten Hunde, bei dem der hintere dem vorderen mit der Pfote berührt und ins Ohr beißt, stammt hingegen aus den Vatikanischen Museen. Beiden Tierdarstellungen ist eine allegorische Vermenschlichung gemeinsam, die sie mit einer unheimlichen Autonomie ausstattet. Andreas Steinbrecher interessieren solche kunsthistorischen Tierabbildungen, die naturalistisch angelegt aber dennoch durch künstlerische Intention verfremdet sind. Indem er diese Darstellungen erneut malt und vor einem neuen Hintergrund setzt, verstärkt er die seltsame Schwebe, in der sich diese Motive befinden.

Es erfordert die Betrachtung mehrere Gemälde, um zu entdecken, wie sich Bild- und Formzitate zu einer Art Code verdichten, der anhand wiederkehrender Zeichen funktioniert und durch teils alphabetische Züge auf Schriftsysteme verweist. In dem ähnlich komponierten Bildern „SEM II“ und „HAIKAL I“ (Öl auf Baumwolle, jeweils 170 x 120 cm) stechen wieder die Schablonen gleichenden schwarzen Tierköpfe vor einem grau-nebligen Hintergrund mit blassen Farbakzenten hervor. In deren Mitte befinden sich schwarze Linien, die in ihrem abstrakten Verlauf an Striche erinnern, die ein digitaler Stift auf einem Bildschirm hinterlässt. Sobald man erfährt, dass diese Linien bei der Bildbearbeitung von Statuen-Fotografien am Computer entstanden sind und an Stelle der eigentlichen Statuen vom Künstler in die Bilder übernommen wurden, konzentriert man seine ganze Aufmerksamkeit auf diese Gebilde. Anhand der Verwendung von Linien sowie eines speziellen Schwarz-Pigmentes mit hoher Transparenz, das besonders prominent in den Tierköpfen zum Tragen kommt und stark an die Druckfärbung von Buchstaben erinnert, nähert sich Andreas Steinbrecher in diesen Werken erneut der Schrift an.

Betrachtet man die Malereien der Serie ARARAT als Gesamtes, dann befinden sich die Bilder in einem Schwebezustand, der durch die entgegengesetzten Intentionen, Dinge sowohl zeichenhaft als auch konkret darzustellen, definiert ist. Großformatige Tableaus wie „ORSO“ (Mischtechnik auf Baumwolle, 120 x 300 cm) scheinen durch die Vielfalt der abgebildeten Tierköpfe und Statuenfragmente vor einer auf dem Kopf stehenden Unterwasserlandschaft von dem Bedürfnis zu zeugen, Dinge als solche darzustellen. Doch auch hier bildet sich keine Kohärenz zwischen den einzelnen Elementen, in farbig-flächigen Tierantlitzen und abstrahierten Korallenfelsen kehrt stattdessen die Idee des Schemas wieder. Vor dem blauen Hintergrund, der vom Anime Evangelion inspiriert ist, wirken die einzelnen Bildelemente wie Sticker zufällig zusammengeklebt, als eine Möglichkeit der Artikulation unter Tausenden – womit sich die Darstellungen wieder dem Bereich der Zeichen annähern.

So wie der Sinn eines Textes erst durch Lücken entsteht, speist sich das Potential in Andreas Steinbrechers Malereien aus den Freiräumen, die zwischen Abbildungen einerseits und zeichenhaften Strukturen andererseits hervorgehen. In welche Richtung dieser Transformationsprozess in Zukunft führen wird, bleibt offen. Wird man den emblematischen Tier-Silhouetten wiederbegegnen oder werden andere Codes an ihre Stelle treten? Einen Ausblick bietet ein Werk, das sich in der Komposition stilistisch von den anderen Malereien abhebt. Verantwortlich dafür ist insbesondere die Dominanz grauer und stark vergrößerter, buchstabenähnlicher Zeichen vor einem Hintergrund aus farbigen Strichen. In „ARARAT I“ (Öl auf Baumwolle, 80 x 60 cm) hat der Künstler imaginäre Schriftzeichen vor einem variablen Bildraum übereinandergelegt. Im oberen Fünftel zeigt die Bildfläche eine Berglandschaft, die genauso wie die grafische, um die eigene Achse gedrehte Wolke zwischen den Buchstaben existierenden historischen Bildquellen entnommen ist. Indem Andreas Steinbrecher hier erprobt, bis zu welchem Grad sich Zeichenhaftigkeit äußern soll und welche Rolle Figuration spielen darf, verdichten sich in „ARARAT I“ die wesentlichen Fragen, die ihn als Künstler antreiben. Und hoffentlich löst sich der Konflikt zwischen typografischen und malerischen Prinzipien nicht so schnell auf. Denn es ist dieser innere Horizont, der ihn als Künstler so besonders macht. Als Quelle der Schöpfung, wie man auch sagen könnte.

Die Ausstellung ARARAT ist Teil des BEST GRUPPE Stipendiums, das in Kooperation mit der Kunstakademie Düsseldorf für das Jahr 2022/23 an Andreas Steinbrecher vergeben wurde. Die Ausstellung ist von Oktober 2022 bis September 2023 zu sehen. Anlässlich der Ausstellung erscheint ein Künstlerheft. Herausgeber ist die BEST GRUPPE in Kooperation mit der Kunstakademie Düsseldorf. © Andreas Steinbrecher

 

Andreas Steinbrecher. ARARAT, 2022. Atelieransicht  |  © Andreas Steinbrecher

Andreas Steinbrecher. ARARAT, 2022. AGON I, Öl auf Baumwolle 130 × 90 cm  |  © Andreas Steinbrecher

Andreas Steinbrecher. ARARAT, 2022. PHILIA, Öl auf Baumwolle 100 × 95 cm  |  © Andreas Steinbrecher

Andreas Steinbrecher. ARARAT, 2022. INVIDIA, Öl auf Baumwolle 110 × 75 cm  |  © Andreas Steinbrecher

Andreas Steinbrecher. ARARAT, 2022. ORSO, Mischtechnik auf Baumwolle 120 × 300 cm  |  © Andreas Steinbrecher

Andreas Steinbrecher, ARARAT 2022. ARARAT I, Öl auf Leinwand 210 × 150 cm  |  © Andreas Steinbrecher