Mensch, Natur, Welt – wir sind der Überzeugung, dass wir diese Begriffe heute ,,rational“, das heißt frei von ihren mythischen Konnotationen benutzen können. Wie wenig weit wir in der Abstreifung dieser ,,vormodernen“ Altlast bisher gekommen sind und dass ganz im Gegenteil das Mythische immer noch fester Teil unserer Erfahrungswelt ist, diesen Hinweis wagt eine Gruppenausstellung in der Temporary Gallery in Köln. Im Zentrum der insgesamt acht Positionen umfassenden Ausstellung mit einem eigenen Raumkonzept aus knallgrünen Wänden und pinken Teppich stehen die Malereien des jungen belgischen Künstlers Bram Demunter mit ihrer phantastischen Motivwelt aus in einer eigenartigen alchemistischen Ordnung gestaffelten Menschen, Planzen und Tieren. Aller Abgerücktheit der Darstellungen zum Trotz scheinen die Werke Lösungsvorschläge für das zersplitterte Menschliche der Gegenwart zu entwerfen. An die Demunters Werk inhärenten Sehnsucht nach einer Annäherung an die Natur und der Aufgabe eines objektiven Standpunktes dieser gegenüber knüpfen die Werke der anderen Positionen mit ihrem ebenfalls dezentriertem, nicht anthropomorphen Blick und schaffen eine Erweiterung in die gesellschaftliche Themenbereiche der Inklusion und Exklusion.
Demunters in vielfachen Farbreliefs von Türkis, Tiefgrün bis Ockergelb schillernde Gemälde strahlen zunächst den Schein einer großen, gerechten kosmologischen Ordnung aus. Alle Lebewesen finden hierarchielos in ihnen Platz, weder Menschen, noch Pflanzen, noch Tiere scheinen eine vorherrschende Stellung zu beanspruchen. Durch farbige Flächen, die teils dahinter liegende Motive verdecken, entstehen Ordnungsbereiche, in und um ihnen spielt sich alles gleichzeitig ab: feine weiß gezeichnete Löwen schreiten einen Kreis, Menschen verschiedener Hautfarben agieren miteinander, Mischwesen aus Mensch und Tier bilden geheimnisvolle Koalitionen, umrankt von Bäumen (,,17 lions in the garden“, 2018). Hinter der Kreisfläche befinden sich schemenhaft durchschimmernde Gesichter, viele davon haben die Augen geschlossen. Das kosmische Geschehen scheint einen zweiten, verborgenen Schauplatz zu beinhalten.
Ein weiteres Bild zeigt in gleicher Kreis-Flächengeografie einen paradiesischen Garten, dessen zahlreiche mit unglaublicher Feinheit gezeichnete Bäume verschiedener botanischer Sorten und seltsam agierende prachtvolle Vogelarten (sie beißen Menschen in die Zungen) motivistisch beinahe die sich dort versammelten Menschen in den Schatten stellen (,,Finding the bird“, 2019). Die Menschen, wiederum durch verschiedene Gesichtsfarben und -merkmale angedeutet eine ethnische Vielfalt repräsentierend, sind hier das eigentliche Rätsel. Manche von Ihnen sind nackt, die Mienen der überproportional großen Köpfe erscheinen ernst, sie sind versunken in irgendetwas, die Personen betreiben ein rätselhaftes Reihen. An der Spitze des Gartens sieht man ein Paar, das an Adam und Eva erinnert. Ein anderes Bild zeigt vor einer schwebenden Insel einen Exodus in Booten gepferchter Menschen, beziehungsweise sind es die übergroßen flehend-träumenden Gesichter, die sich hier anhäufen, während die Insel von einem halbmenschlichem Wesen mit Totenkopfhaupt regiert ist, das hinter der Farbfläche liegt und ein schlechtes Omen zu sein scheint (,,Returning to John“, 2018). Himmel, Erde und Meer bilden eine Fläche in einer vor-galileischen, die Menschen in der Schwebe lassenden Welt, die sich jeglicher kategorischer Unterteilung entzieht.
Mit ihren Hybridisierungen von zoologisch-botanischen, biblischen und anthropologisch-mystischen Elementen erinnern Demunters Bilder an mittelalterliche Buchillustrationen, in der eine göttliche Ordnung die Koexistenz aller Wesen nach den Gesetzten der Kosmologie und Alchemie erlaubt. Es ist eine Ordnung, die fremdartiger nicht sein könnte und trotzdem zögert man vor Demunters epischen Szenen, in der sich das Herz eines Krokodils über einer einen Teich umvölkernden, mit Krokodilen Seite an Seite, in Meditation versunkend lebenden Gemeinschaft ergießt (,,Heart of an old crocodile exploding over a small town“, 2019), von ,,wahr“ oder ,,falsch“ zu sprechen. Die Art, wie die Menschen buntgemischter Gruppen hier zueinander finden und zueinander halten, umgarnt von Pflanzen und Tieren, einem durch eine fremde Kraft gesteuerten Schicksal folgend, hat, hinsichtlich der Komplexität von Inklusions- und Identitätsbehauptungsprozessen unserer Gegenwart eine tröstliche Seite. Und nur angesichts der völligen Utopie empfinden wir, wie einst Mönche vor den fabelhaften Buchmalereien, den Impuls das Universum zu verstehen und eine bessere Welt für uns zu erschaffen.
Die Umkehr des Herrscherverhältnisses zwischen dem Subjekt Mensch und dem passiven, schutzlosen Objekt Natur steht auch im Zentrum zweier Installationen von Diana Lelonek. Formal befinden sich die Werke ,,Zoe Therapy“ und ,,Center for the Living Things“ nah an den klassischen Medien Skulptur und Malerei, nur dass der Erschaffer hier die Natur selbst ist und dieses mal der Mensch der bloße Materiallieferant. Auf dem Boden in einem Glaskasten liegt in Posterform ein barockes Gemälde aus, in der das hierarchische und philosophische menschliche Geschichtsbild mit seinen dualistischen Konzepten sichtbar ist: eine reich gedeckte Tafel mit prachtvollen Herrschaften vor dem Hintergrund eines Palastes, gejagte Tiere dienen als Dekoration oder werden in der Küche hängend bald verarbeitet. Doch diese Szene des klassischen Weltbildes ist dabei sich aufzulösen, wie eine charmante Patina bedecken lauter braune Flecken das Bild, doch es handelt sich um von der Künstlern aufgetragene Pilz- und Bakterienkulturen, die allmählich das Bild aufessen. Für die Künstlerin ist dies eine ,,metaphorische Rache“ an dem Privileg der weißen europäischen Klasse, andere schwächere und minderwertige Spezies zu unterwerfen.
,,Center for Living Things“, zwei Glasvitrinen, die in sich beinahe kunstvoll erscheinenden, von Moosen und Pilzen bewachsene Gegenstände aus Mülldeponien beinhalten, ist ein weiters Werk Leloneks, welches die Prozesse der Natur vor den kapitalistischen Produktions- und Konsumprozessen positionieren soll. In der Präsentation der wie kleine Skulpturen sorgsam platzierten Gegenstände, Sportschuhe, Verpackungen oder Plastikkanister, überschneiden sich eine wissenschaftliche Ebene – das Sammeln der Proben, das Beobachten und Klassifizieren der hybriden Objekte – und eine symbolische Ebene. Denn die von der Natur ,,eroberten“ Objekte signalisieren die Vergänglichkeit unser auf Konsumprodukten gestützten Zivilisation. In einem fast postakopalyptischen Gestus wird hier die Illusion der erhaltenden Kraft von Dingen offengelegt, doch weder der Abstand, den der ästhetische Charakter schafft, noch die minuziösen Beschriftungen können von dem Fakt ablenken, dass die Natur alles Menschliche und Menschengemachte überdauern wird.
In ,,Weekly“ (2014 – weiterführend) tritt erneut der Mensch als Bestimmer über alles Lebende und Unbelebte in den Hintergrund. Zu sehen sind Fotografien dreier Ausgaben des Zeit-Magazins, die alle eine Seite ins Zentrum nehmen, die allerdings wie durch zerstörerische Bearbeitung an großen Stellen durchlöchert und zerrissen ist. Steckt eine Absicht dahinter, dass das Gesicht der sympathischen Tierschutz-Ikone Jane Goodall fragmentiert ist oder wir das Gesicht einer wohl mit dem Krebs kämpfenden Frau, die sich auf einen Rollator stützt, nicht erkennen? Nein, es steckt keine klare Intention dahinter, zumindest ist diese nicht einfach auf eine Partei zurückzuführen, denn die Magazine wurden von dem CMUK interspecies collective von Künstlermitgliedern zwei Papageien zur ,,kreativen Bearbeitung“ vorgelegt, die hier virtuos mit Schnäbeln und Krallen tätig wurden. Die Arbeit dokumentiert so, dass Tiere auch eine Art Handlungsmacht besitzen, die in unser Leben hineinreicht und dass was sich in ihm befindet, souverän umgestalten. Schließlich sind wir wieder diejenigen, die versuchen, das Geschehene als unserem Bereich zugehörig zu klassifizieren – sei es als Kunst.
Die Ausstellung entwickelt sich ausgehend von Demunters Werken dialogisch in weiteren Werken weiter, wo immer wieder versucht wird, das menschenzentrierte Zivilisationsmodell zu destabilisieren, zu ergänzen, umzuwandeln. Sei es mit einer kindlich-naiv gezeichneten Reihe von frech lachenden Sonnenbildern (,,Sonnen“2019, Bärbel Lange), einem den Geruch einer kürzlichen Explosion simulierendem Raumduft (,,Smell“ 2014, Janek Simon und Laurent-David Garnier) oder in Form einer Videoarbeit, in der die letzten, gewaltige Schafherden durch das raue Gelände des bergigen Montanas treibende Cowboys in einer Lebensform begleitet werden, in der die Gewalt des Menschen und die der Natur untrennbar ineinanderfließen (,,Sweetgrass“ 2009, Ilisa Barbash und Lucien C. -Taylor). Durch ihre schrille Art sticht die Videoarbeit ,,The Mermaids“ (2018, Karrabing Film Collective) hervor, die eine entvölkerte, vom Kapitalismus vergiftete Welt zeigt, in der Angehörige der Indigenen die einzigen sind, die sich noch in der vertrockneten und mit Gift verseuchten Wildnis bewegen können, begleitet vom schreienden Gesang der hexenähnlichen Frauen ihres Volkes, die Zauberkräfte besitzen und den Weißen Tod bringen. Wie Demunters Werke geht auch dieser Film von den hierarchisierten Elementen unser Umgebung Mensch, Natur und Mythos aus, ordnet diese jedoch zu einer völlig neuen Erzählung an, die wir nicht mehr dominieren, so dass eine völlig neue Sprache und Ordnung entsteht.
,,Heart of a Crocodile“ ist eine gelungene Initiative, ein sehr tief gehendes und theoretisch komplexes Thema – die post-anthroprozentische Erfahrung (der wohl noch der epistemiologische Ansatz fehlt) – auf eine humorvolle Weise zu vermitteln. Wir fühlen uns angesprochen, ohne die Schwere der Botschaft direkt tragen zu müssen. Bei dem psychedelischem Raumgefühl der grünen Wände und dem pinken Teppich, dem Schmunzeln über das grinsende Krokodil auf dem Vorhang darf es auch bleiben. Diesen anregenden und offenen Zwischenraum für eine andere Ordnung zu schaffen gelingt der Temporary Gallery.