In einer Gruppe Düsseldorfer und Kölner Gallerien geht es diesen Sommer etwas anders zu als sonst. Denn noch mehr als üblich steht in den Räumlichkeiten der insgesamt acht Ausstellungsorte das Schauen, das Entdecken, der hineingelockte, ja fast voyeuristische Blick im Zentrum. So zumindest lautet das Konzept, welches die beiden jungen, international aktiven Kuratoren Fatima Hellberg (Stuttgart) und Steven Cairns (ICA London) für ihre Fenster betitelten und unter der Programmnamen OKEY DOKEY III laufenden Gruppenausstellung formuliert haben. Als kollaboratives Projekt zwischen Kölner und Düsseldorfer Galerien, alle zusammen mit Schwerpunkt junger zeitgenössischer Kunst, lässt OKEY DOKEY Ideen und Positionen zu, die über das Profil der einzelnen Galerien hinausgehen, ohne deren Kontext dabei komplett zu verlassen. Ich folge der Einladung, mich in die Rolle des Schaufensterbummlers zu begeben und besuche die Fenster der nahegelegenen Düsseldorfer Ausstellungsorte Max Mayer, Kadel Willborn und Sies+Höke, um den von den Kuratoren angelegten Formen des Sehens und deren Rückstrahlen in den Werken vor Ort nachzuspüren.
Mit der Ausstellung des japanischen Künstlers Soshiro Matsubara bietet Max Mayer bereits beim Annähern an die Fensterfront der Galerie eine sehr eigentümliche Erfahrung. Denn der vordere, durch die Glasfront sichtbare Galerieraum ist nur sehr zurückhaltend bestückt, im linken Raumteil hängen drei eher kleinere Bilder, auf denen ein Paar sich küsst. Mit dem Eintreten durch die Glastür stößt man direkt auf einen ausgebleichten, lilanen Teppich, auf dem beschienen von einer runden milchigen Glaslampe, etwas auf einem Kissen arrangiert ist. Der Rest der Galerie liegt im Dunklen. Dieses Arrangement aus frech-erotisch herüberkommenden Bildern und einem drapierten Wohnraum-Ausschnitt schafft ein beinah intimes Szenario, in das man tatsächlich meint einzudringen. Aber es ist Alles für unseren Blick bestimmt, der durch eine ausgefallene Palette von fröhlichen Farben in Pink-, Rosa- und Lila-Nuancen, mal vergnügliche Lenkungen erfährt, doch in engerer Auseinandersetzung auch abstoßende oder sogar unheimliche Erfahrungen macht.
Matsubara zeichnet sich dadurch aus, Installationen zu schaffen, die auf den ersten Blick harmlos erscheinen, sich aber dann in eine nicht einfach erträgliche Richtung entwickeln – obwohl eigentlich alles humorvoll gemeint ist. So erscheint das im Gesichtsanschnitt gezeigte zungenküssenden Paar, das auf drei Bildern in minimal veränderter Mimik und Farbdekor wiedergegeben ist, irgendwie künstlich und fake. Wer küsst sich denn schon mit herausgestreckten Zungen und Dämmerblick in den Augen, die Nasen so ungeschickt miteinander verschränkt, dass sich die Münder vielleicht nie treffen werden? Das Ganze ist bunt und lustig, aber dann doch wieder kein erfreulicher Anblick, denn es ist eine penetrante Szene, auf die man hier stößt und an der man durch die schrille, das Romantische weit ausmalenden Ästhetik kleben bleibt. Irgendwas an diesem Paar ist nicht gesund.
Der Eindruck, in den Werken Matsubara’s etwas vielleicht nicht Schlimmem, aber irgendwie Ungesundem oder Obsessivem zu begegnen, setzt sich fort in der Installation mit dem Teppich, ,,Alma Mahler“, benannt nach der Frau des Komponisten Gustav Mahler. Wie man an diesem Zeitpunkt bereits entdeckt hat, liegt auf dem verblichenen Kissen der etwa faustgroße Kopf einer Frau, dessen rote Haare sich über das Kissen ergiessen. Die Gesichtszüge des Kopfes sind zu markant, die Haare zu gewaltig, als dass man hier von einem Puppenkopf sprechen könnte, der Kopf wirkt wirklich wie abgehackt. Die Arbeit ist inspiriert von einer nie ganz bewiesenen Geschichte, nach der Oskar Kokoshka dermaßen im Bann stand von seiner Geliebten Alma Mahler, dass er sich nach dem Ende der Beziehung eine lebensechte Puppe anfertigen ließ, mit der er dann weiter zusammenlebte. Der Kopf auf dem Kissen befeuert die Phantasie, wie unheimlich diese Liaison zwischen Puppe und Mensch im Innenleben ausgesehen haben möge. Die Arbeit steht als Idee für die obsessiven Seiten der Liebe, wo das Verlangen nach dem Partner so groß ist, dass die andere Person zum Objekt wird, ein Besitzverhältnis entsteht. Auch in ,,Alma Mahler“ kippt die Wirkung der zunächst kitschig erscheinenden Ästhetik schnell um, denn man merkt, dass das Arrangement auch in seiner pastösen Farbigkeit und floralen Musterung nicht wirklich schön ist, Teppich und Kissen sind abgewetzt, wirken ungewaschen, wie aus einer aufgelösten Wohnung mitgenommen, ein Schatten von Vergänglichkeit und Tod haftet daran.
So hat man schließlich den Eindruck, genug gesehen zu haben, mehr als ausreichend nahe herangetreten zu sein, als Kunst-Konsument alles aufgesogen zu haben, denn die in Fenster angelegte Rolle des Voyeurs will man doch nicht ganz für sich akzeptieren. Das Konzept von Hellberg und Cairns holt einen allmählich ein. Kadel Willborn ist die Galerie, zu der ich wechsele, und in der zwei Künstlerinnen ganz unterschiedlichen Hintergrundes im Dialog gezeigt werden, die im Medium Skulptur etablierte Schwedin Eva Löfdahl und die junge amerikanische Malerin Issy Wood. Beide sehr unterschiedlich in Medium und Ausdruck, ist es doch die in den Werken angelegte Merk-Würdigkeit, eine eigenartige Motivlogik, welche als einigendes Merkmal die Arbeiten beider Künstlerinnen konsequent durchzieht und eine eigene Wahrheit beanspruchen zu scheint, die man als Betrachter erspürt, hinter die man aber selbst nie kommt.
So begegnet man bei Löfdahl einem weißen, rundlichen Objekt, das Elemente von einem Hocker oder einem Pilz in sich zu tragen scheint, wie ein eigenständiges Wesen wirkt, aber tatsächlich, man erkennt es, in Form und Gestalt an das mathematische Symbol Pi angelegt ist. In seiner Fragilität besticht ein anatomisch korrekt nachgebildetes Beinpaar aus Fuß- und Unterschenkelknochen aus Holzspänen, das wie eingefroren sich in einer Gehbewegung befindet und durch diese angelegte Lebendigkeit als scheinbares Modell den Rest des Körpers vermissen lässt. An anderer Stelle ist ein metallener Ring aus gebürsteten Stahl an der Wand angebracht, der in der Form eine Funktion vorzugeben scheint, aber dann in seinem Sinn sich doch als völlig autark ausgibt – etwas hindurch zu werfen oder dranzuhängen kann in diesem Kontext sicher nicht die Absicht sein. So zeichnet die Arbeiten Löfdahl’s die Tatsache aus, dass man nie ganz bei der Idee der ,,Skulptur“ bei ihnen bleiben kann und anstatt dessen versucht, ihre Logik zu finden, die irgendwo zwischen den Bestandteilen Form, Material und Konzept angelegt zu sein scheint. Es sind die humorvollen Wiedersprüche, die hier anziehen, wie der Versuch, für eine unendliche mathematische Formell, die natürlich keine Materie besitzt, eine konkrete im Raum realisierbare Form zu finden, Knochen und Gelenke aus einem so zerbrechlichen Material zu formen, das es fast wehtut oder einen Eisenring genau da anzubringen, wo wir meinen, dass er Sinn macht.
Issy Wood’s im kleinen Format gehaltene Malereien erscheinen in ihren eigentümlichen Motiven und einem eher dunkel gehaltenen Farbspektrum so, als hätte man darin das Licht ausgeknipst, wie Bilder aus einem nicht unbedingt unheimlichen, sondern eher drolligen Albtraum. Durch dieses verdunkelte Licht in den Bildern muss man genauer herantreten, um das Abgebildete ganz zu erfassen. Wie in einem nicht kontrollierbaren Traum sind in den im ersten Moment naiv wirkenden Szenen düstere Wendungen angelegt. Vor pechschwarzem Hintergrund spielen zwei dicklich-barocke Hündchen miteinander, doch beobachtet man genau die Geste des hinteren Hundes, der von hinten auf den vorderen Hund springt, und die furchtvolle, beinahe menschlich-verzweifelte Mimik des vorderen Hundes, so ist man der Intention des anscheinend düster dreinblickenden Hundes nicht mehr sicher, Gewalt scheint im Spiel zu sein. Ähnlich ergeht es einem in einen Bild Wood’s, in dem ein Junge mit aufgeblasenen Backen in ein Haus aus Süßigkeiten bläst, obwohl das Motiv harmlos ist, weiß man nicht, in welche Richtung diese wie ein filmischer Ausschnitt wirkende Szene sich weiterentwickelt. Genau dieser Moment, wo das figürlich Erkennbare beginnt, ins Surreale zu kippen, ist auch in einem Bild veranlagt, in dem flach ausgesteckte, schwebende Hände übereinander im Bild gestaffelt sind, hinter denen man die Fratze eines Monsters meint zu erkennen. Wie auch in Löfdahl’s Skulpturen, versucht man Wood’s Bilder in eine Logik zu bringen, den ganzen Kontext zu finden, aus dem sie entstammen, auch wenn einem bewusst ist, dass man es mit einer Phantasiewelt zu tun hat, subtilen Erfahrungen, die, wie im Traum, sich in einer nur für den Träumenden verständlichen Sprache äußern.
Einen Werkskomplex mit unscharfen, fließenden Konturen begegnet man auch in den bei Sies+Höke ausgestellten Arbeiten des philippinisch-stämmigen, international renommierten Konzept- und Performancekunst Pioniers David Medalla. Das Prinzip des Unstetigen prägt seine Arbeiten, wie man es in seinen berühmten Schaummaschinen sieht, aus sich selbst heraus entwickelnde, weißen Schaum ,,speiende“ Skulpturen. Kinetic Art nennt sich die von Medalla seit den Sechziger Jahren mitentwickelte Richtung, von der man sich bei Sies+Höke anhand eines frühen Werkes, einer bewegliche Installation, in der ein Muschelband, das über eine fragile Draht-Stockkonstruktion, montiert auf einem Birkenstamm, durch eine Drehbewegung einen Kreis in ein Sandbett zieht, einen Eindruck machen kann (,,Sand Machine“ 1963/2017). Ansonsten bestimmen neben einer großformatigen Malerei eines Fischfängers vor allem jüngere Papierarbeiten die Ausstellung, in denen sphärische Kreise aus Wasserfarben in geschwungenen Bahnen und Schichtungen kleine Welten bilden, in denen nur schemenhaft mit Tinte gezeichnet, allerlei Fantastisches geschieht. Die Titel der Bilder mit ihren szenisch gesetzten Figuren, ,,Rhapsody in Quezon City“ (2018) oder ,,Chimes in Potala Palace Tibet“(2016) deuten eine biografische Tiefe der Bilder an, doch was immer in ihnen geschieht, manchmal kommentiert durch einen dünnen Schriftzug, bleibt im Verborgenen und zu leicht denkt man daran, ob hier vielleicht schamanistische Mythen seines insularen Heimatlandes in Medalla’s Bildern eine Rolle spielen könnten.
Dieser Eindruck des Mythischen durchzieht auch das Gemälde des ,,Fischers“, der auf einer Bootskannte sich gegen Meer hinbeugend ein fischähnliches Wesen fest mit beiden Händen packt und zum Gesicht führt. In dem komplett perspektivlos gehaltenen Bild, auf dem sich Alles in einer Ebene abspielt, kommt ein ganzer Schwarm fröhlich bunter Fische wie zum Begrüßen auf den Fischer zu, und es ist die einfache, optimistische Darstellungsweise dieser Fische, bei denen man an den Stil Marc Chagall’s denkt, den man bereits in den sphärischen Wasserfarbenbildern meint entdeckt zu haben. Der kontemplative, spirituelle Moment ist besonders stark in den Malereien, er durchzieht Medalla’s gesamtes Werk, das an einer Stelle immer zur inneren Einkehr bewegt, auch wenn manche Installationen spektakuläre Ausmaße annehmen. Medalla lebt sein Werk, ändert sich etwas in seinem Charakter, seiner Sichtweise der Dinge, so ändert sich auch sein Werk mit ihm. Die in alle Richtung reichende Ausdrucksweise ist nur ein Vehikel, kein stilistisch oder konzeptuell verfolgtes Ziel. Die Werke bei Sies+Höke sind nur ein kleiner Einblick in das Werk dieses außergewöhnlichen Künstlers, der zu den Antriebskräften der aus den 60ern sich entwickelnden internationalen Avantgarde zählt und bis heute unerschöpflich tätig ist.
Nachdem man bei Max Meyer ins Intime eingedrungen und im Galerieraum von Kadel Willborn einem labyrinthischen Werksdialog gefolgt ist, trifft man bei Sies+Höke auf eine Fenster-Situation, die ästhetisch offenherzig formuliert ist und eher auf verinnerlichende, meditative Betrachtung angelegt. So nimmt man bei Fenster (OKEY DOKEY III) als Besucher der Räume an jedem Ort einen anderen Blick ein, schaut bewusst hin. Als Ausstellung ist Fenster auch eine Reflexion über den Akt des Schauen selbst, der viel weniger flüchtig ist, als wir es in der gängigen, eher kurzweilig angelegte Situation eines Galeriebesuches meinen wahrzunehmen. ,,Okey Dokey“, heißt es oft beherzt, wenn man einer Sache zustimmt, bei der man erstmal tief durchatmen muss: ,,Ok, das machen wir jetzt, ich bin einverstanden“. In dem den diesjährigen Teil von OKEY DOKEY ausmachenden Akt, die Galerieräume gänzlich dem Plan der zwei jungen aufstrebenden Kuratoren Fatima Hellberg und Steven Cairns zu überlassen, habe ich genau den frischen Windhauch durch die Räume wehen verspürt, der, ohne Dinge direkt umzustürzen, eine leichte Abwechslung bringt, und den man im Sommer so oft vermisst. ,,Okey Dokey, so machen wir weiter“ – ich hoffe, dass nach diesem Motto diese vielversprechende Reihe auch im nächsten Jahr fortgesetzt wird.