Pizza is God—NRW Forum

Die Kuratoren des NRW Forums Düsseldorf haben richtig erkannt, dass die Pizza in den letzten zwei Jahrzehnten über ihren Status als italienisches Fast-Food zum popkulturellem Phänomen in Film und Serien aufgestiegen ist, das auch in der bildenden Kunst zitiert wird. Dem ,,Mythos-Pizza‘‘ in der zeitgenössischen Kunst, wie dieser Begriff in ,,Pizza is God‘‘ eingeführt wird, haben sie daher eine eigene Ausstellung gewidmet. In vielen der rund 30 Positionen eines breiten Spektrums internationaler Positionen, darunter viele junge KünstlerInnen, bleibt die popkulturelle Inspiration Pizza, die hier als einheitliches Schema illustriert werden soll, jedoch unklar. Die Werke, darunter Skulpturen, Photographien, Installationen, Malereien und Videos,  lassen zwar die angekündigten ,,Pizza-Bezüge‘‘ erkennen, doch diese lassen das bunte, optimistische, flashy popkulturelle Pizza Moment vermissen. Der Pizza als schimmerndes Zitat aus Filmen und Serien begegnen wir hier nicht.

Dies irritiert und mag manche Erwartungen nach einer aufregenden Pizza-Popkultur-Erfahrung enttäuschen, doch schlecht macht es die Ausstellung nicht. Ich sehe in Pizza is God ein anderes, verstecktes und subtileres Narrativ, dem Wert ist nachzugehen: die Pizza erscheint hier meinem Eindruck nach nicht als vereinigendes Kulturmoment, sondern weist gerade auf die heutige Unmöglichkeit einer positivistischen Popkultur in einem digitalen Zeitalter hin, in der viele künstlerische Praktiken beliebig werden, ihre Originalität verlieren und austauschbar werden. In den jüngeren Werken ist die Pizza das Zeichen dafür, dass eben nichts mehr so wie in der auf die Medien Film und Fernsehen beschränkten Vorphase des Internet funktioniert. Heute kann man digitale Medien nicht unreflektiert nutzen. Die Kunst heute entsteht auf dem Terrain einer Trashkultur, die sich ständig selbst überholt und den Wert jedes Schaffens in Frage stellt. In Pizza is God wird die Pizza zum Symbol  für diese Entzauberung der Welt und der Kunst, sie ist wie die Pizza persifliert, abgegessen, konsumiert und keine wahre Freude mehr. Es ist eine Pizza-Dystopie, von der die Ausstellung im Sub-Text erzählt.

Diesem Wandel der Pizza von der popkulturellen Ikone zum dystopischen Zeichen  ist angelegt in Uffe Isolottos Werk ,,PIXXA SPLICE‘‘ (2013), einem Photo-Bilddruck der etwas ungeschickt in einem beleuchteten Acryl-Rahmen montiert ist, hinter dem eine Art Butterbrotpapier geklemmt ist. Das Bild zeigt eine zunächst eindeutige Geste, eine geöffnete Handfläche mit einem Stück Pizza, das dem Betrachter wie in einer Geste des Anbietens demonstriert wird. Dieser natürliche Eindruck wird jedoch gestört: die Pizza sieht seltsam auf die Hand platziert aus, der Schinken auf der Pizza geht farblich nahtlos in die bläulich schimmernden Finger über, die Grasfläche bevor sich die Hand und ein Stück Pullover befinden, ist ganz klar kein natürlicher Hintergrund, sondern montiert. An diesem Bild, was zunächst zu einer geteilten Identität dazu gehört, der authentischen Geste, dem fröhlichen, vielleicht etwas kindlichen Moment, ist nichts Echtes. Uffe Isolotto thematisiert in seinen Bildern das Selbst und die Dimensionen seiner Erschaffung in sozialen Medien, viele der Werke erinnern an Selfies oder Selbstporträts. Das Pizzastück hier, obwohl positiv konnotierter Anknüpfungspunkt, erschafft ein fake-Bild ohne Charakter. Es weißt auf die Willkürlichkeit und Leere der Selbst-Präsentation in den Social Media hin. Die Pizza bei Uffe Isolotto bedeutet nichts Gutes.

Diese Verschiebung der Pizza vom Symbol einer positiven Kultur zum Zeichen der Inhaltsleere und Beliebigkeit wird weitergeführt in Simon M. Bendedicts Videoarbeit ,,Andy Warhol Eating a Hamburger, Macauly Culkin Eating a Slice of Pizza, and Simon M. Benedict Eating a Bag of Chips“ (2015). Schon der die Handlung eindeutig wiedergebende Titel – man sieht mittig auf einem Bildschirm Andy Warhol einen Hamburger essen, rechts davon Culkin ein Stück Pizza und links neben Warhol Benedict der eine Tüte Nachos verspeist – kündigt Wiederholung und Banalisierung an. Warhol gab als Pionier und Meister der Pop-Art der Popkultur einen ikonischen Anstrich, den er selbst mit der profanen Geste des Verspeisen eines Hamburgers als niederstes Glied der amerikanischen Popkultur wieder demontiert. Culkin entzaubert die noch rein anmutende Geste der ,,artistic essence of Andy Warhol in all its simplicity“ wiederum, indem er sich in gleicher Pose dabei filmen lässt wie er ein Stück Pizza verspeist, gleichsam als Hommage an seine temporäre Spaßband ,,The Pizza Underground“ und deren Pizza-Umdichtereien-Songs. Die endgültige Banalisierung des den ikonischen Status des eigenen Künstlerselbst profanisierenden Aktes Warhols und dessen inhaltslose Kopie Culkins tätigt schließlich der Künstler durch die Öffnung und Verspeisen einer Tüte Nachos. Alle drei sind gleich platziert vor der Kamera, tätigen simultan die gleichen Handlungen, blicken mal verstohlen in die Kamera, als wüßten sie selbst nicht so recht etwas mit ihrer eigenen Inszenierung anzufangen und verspürten es einfach als unangenehm, beim essen gefilmt zu werden. In diesem Werk ist die Pizza erneut das Symbol der Entzauberung des Authentischen, ein Hinweis auf Beliebigkeit von Gesten, deren künstlerischer Wert durch Wiederholung jederzeit entwertet werden kann.

In weiteren Werken wird deutlich, dass die Auseinandersetzung mit dem Sujet ,,Pizza“, fern davon eine Aussage oder einen Ausdruck in einer klaren Umgrenzung (dem Mythos Pizza) positiv zu fixieren, eher zur Zerstreuung und Demontierung des Werksbegriffes genutzt wird. So begegnen wir in der Arbeit ,,Pizza Boxes“ (2015) von Daniel van Straalen Türmen von gut zwei Meter hoch gestapelten leeren Pizzakartons, ein Werk das so konkret ist, das es sich nur schwer als skulpturales Gebilde auffassen lässt. Van Straalens Werk ist gekennzeichnet durch die Praxis der Appropriation, mit der er den Prozess des künstlerischen Schaffens analysiert. ,,Pizza Boxes“ soll auf die Randerscheinungen künstlerischer Prozesse hinweisen – ein exzessiver Konsum von Fastfood als Hinweis auf das achtloses Umgehen mit sich selbst, der oft einhergeht mit dem strapaziösen Schaffensprozess eines Kunstwerkes? Ob das Werk so gedacht ist, lässt sich nicht klären, klar ist jedoch, dass auch bei Van Straalen die Kartons nicht von einer Pizza-Party oder einem spaßigen Aufbau erzählen, sondern das Unbequeme, Verdrängte aufzeigen.

In seiner Installation ,,Untitled with Pizza Menus“ (2011), inkorporiert Torben Ribe über das Thema ,,Pizza“ die Trash-Aspekte der Konsumkultur, eine Strategie, die kennzeichnend für sein Werk ist, in dem er Malerei mit Produkten des alltäglichen Gebrauchs kombiniert. Zu sehen ist eine mit weißer Granitfarbe bemalte klobig wirkende Leinwand, hinter der Flyer von Bestelldiensten für italienisches oder indisches Essen klemmen. Teil der Position in der Ausstellung ist eine in einer lokalen Pizzeria gezeigte Videoarbeit, die für den Besucher daher zunächst unzugänglich bleibt. Auch in Ribes Werk sind die ,,Pizza-Bezüge“ nicht als positivistische Aspekte gedacht, die das Werk zum Ausdrucksträger einer identitätsbildenden Popkultur erheben. Die Flyer stehen gerade für die Minderwertigkeit der kulturellen Praxen, die uns definieren. Ribes Kunst verwendet auf humorvolle Weise das Material des Bodensatzes der Gesellschaft, unserer Wegwerf-Konsum Kultur um zu zeigen, dass sich auch der idealistische Kunstbegriff nicht mehr ganz von dieser Realität abheben kann.

Zwei weitere Videoarbeiten in der Ausstellung erzählen über das Sujet Pizza von den Parallelwelten, die im Internet entstehen. Pizza-Bilder funktionieren hier als Zeichen für den wachsenden Kontrollverlust über das Digitale, dessen für uns unfassbare Paradoxien und moralische Abgründe, die dennoch Auswirkungen auf die Realität haben. Sebastian Schmiegs Videoarbeit ,,I will say whatever you want in front of a Pizza“ (2017) ist eine Collage aus Webbildern, Animationen, Screenshots und Photos. Aus der Perspektive einer anonymen Person, die als Bot ein Pizza Bestellprogramm programmiert, wird eine Geschichte erzählt nach der diese Person-als-Bot im Web auf einen anderen weiblichen Bot stößt, der die Wahlkampagne von Trump mit Verschwörungstheorien stört. Der Pizza-Programmierer nimmt eine Chat-Beziehung mit diesem Hacker-Bot auf, die, gänzlich in der unbegrenzten Welt des Internets bestehend dem Programmierer das Gefühl gibt, gemeinsam mit der Hacker-Boterin alle Daten so manipulieren zu können, das beide Einfluss auf den Lauf der Welt nehmen könnten. Eines Tages wird ihr Account jedoch gelöscht. Dadurch wird dem Pizza-Programmierer die Beschränktheit der eigenen Macht im Internet wieder bewusst. Die einzigen Dienste die er anbieten kann, ist Web Design, das einzige Wissen was er hat, ist Pizza: ,,I will write your name, title or everything in Pizza letters“ lautet das tragisch-komische Statement. Schließlich findet der Pizza-Programmierer über einen Artikel-Post die menschliche, wenn auch anonyme Identität des Bots. In Schmiegs Arbeit ist die Pizza Teil einer dystopisch erscheinenden Welt, in der Menschen Softwareerweiterungen sind, die aber heute Teil einer digitalen Realität ist. In unser realen Welt ist Pizza eine gemeinsam geteilte Erfahrung, im Web nur ein disfunktionaler und beliebiger Code. Schmiegs Arbeit untersucht mit ihrer scheinbar banalen Erzählung, wie sich diese beiden Welten überschneiden und unsere Wahrnehmungsgewohnheiten auf den Kopf stellen.

Jennifer Chan wiederum thematisiert in ihrem Video ,,Young Money“ (2012) und den Photocollagen-Serie Big Sausage Pizza (2012) die männliche dominierten Sub-Kulturen, die sich im Internet breitmachen und die Konstruktionen von Weiblichkeit und Männlichkeit, die diese generieren. Die Pizza taucht in diesen grellen, teils leicht widerlichen Arbeiten als vereinigendes Moment dieser kleine-Jungs-Macho-Kultur auf, die über das Internet, Chatforen, Youtube und Onlineportale für Bestelldienste funktioniert – gefestigt wird diese Kultur durch die Möglichkeit, im geschlossenen Kreis zu kommunizieren und sich immer überall treffen zu können – mit einer schnell bestellten Pizza als Nahrung. Am Anfang schwimmt ein mit Pizza-Optik bedrucktes Hemd in einem Pool, darauf hin wird die Leinwand zu einem Computer Screenshot, der einen Chatverlauf von zwei Jungendlichen zeigt, ,,I want Pizza“ heißt es irgendwann und Pizza wird online bestellt. Bildsequenzen mit Animationen wechseln ab mit Schnitten von Partys und Jungsstreiche, Gegenstände dieser weiße männliche Jugendliche Lebenswelt fliegen durchs Bild, Red-Bull Dosen, Bongs, Dollar-Noten. Das Ganze ist unterspielt mit verzerrter Hip-Hop Musik. Und immer wieder wird Pizza gezeigt, junge Männer beim Verzehr. Zum Ende ejakuliert eine Person bei der Masturbation, die scheinbar online von zwei Pizza essenden eingeblendeten Personen verfolgt wird, auf das von ihr getragene Pizza T-Shirt, das dann im Pool landet. In Chans Arbeit wird die Pizza so zum Symbol einer männlich dominierten perversen Anti-Kultur, sie ist gleichzeitig das ernährende Grundlage und vereinigendes Ritual. Chan enttarnt, dass positiv besetzte und als universell gültig geltende Symbole der Popkultur wie die Pizza im Internet-Zeitalter eine Wandlung ins Gegenteil erfahren. Sie werden zu Zeichen für ausgrenzende und sexistische Subkulturen.

Pizza is God ist eine Ausstellung, die die Existenz von Pizza als positives Kulturmoment in der zeitgenössischen Kunst zeigen will.  Doch durch die Botschaften, die die Werke implizit versenden, widerlegt die Ausstellung, was sie eigentlich sagen will. Sie zeigt damit aber auch, dass wir uns unter Popkultur anscheinend etwas anderes vorstellen, als in der Ausstellung gezeigt wird. Sie bringt uns zum denken, ob bestimmte Aspekte formell vielleicht erkennbar sind (Pizza-Abbildungen), aber unter den heutigen gesellschaftlichen Verhältnissen eine andere Sprache sprechen. Die Pizza in Pizza is God ist nicht mehr als eindeutig und fröhlich besetzt. Was ist passiert, dass die Pizza in den Werken von Pizza is God nicht mehr als unsere Pizza rüberkommt? Dieser Eindruck, den die Ausstellung vermittelt, geht weit über den Pizza-Mythos hinaus und thematisiert die zentrale Fragestellung nach den Bedingungen der Kunst heute. Es ist diese Anregung zum Nachdenken und genaueren Beobachten, der Pizza is God wertvoll macht.

Ausstellungsansicht  |   © NRW-Forum Düsseldorf / Foto B. Babic