TWO RIVERS - Joachim Brohm, Alec Soth —NRW Forum

Die Beobachtung des Lebens der Menschen an den Flüssen begleitet die Geschichte unseres Daseins. Die großen Zivilisationen haben sich stets entlang der Wasserläufe entwickelt, wie sie auch an ihren Ufern wieder untergegangen sind. Das zur Zeit im NRW Forum Düsseldorf zu sehende Vorhaben zweier Fotografen, dem Deutschen Joachim Brohm (*1955) und dem Amerikaner Alec Soth (*1969), im Abstand von zwanzig Jahren die Menschen und die Landschaft entlang des Mississippi und, bei Brohm, der Ruhr zu dokumentieren, begleitet so von Anfang eine gewisse Bedeutungsschwere. Ausgehend von zwei unterschiedlicher Herangehensweisen an das Begegnete sprechen Brohms und Soth’s Fotografien doch gemeinsam von der Melancholie des Unstetigen, dieser Alles überdauernden Flusskraft, denen jede Gesellschaft und jeder Mensch versucht etwas entgegenzusetzen.

Auf die Bilder aus den Serien ,,Sleeping by the Missisippi“ (2000 – 2004) und ,,Ruhr“ (1980 – 1983) trifft man in der Ausstellung im Wechsel entlang einer hypnotisch blauen Wand gehängt. Unter allen anderen Werksausschnitten, für die für jeden Fotograf eigene Bereiche reserviert sind, nimmt diese Präsentation die prominenteste Position ein. Lässt man zum ersten Mal den Blick über die Motive schweifen, scheinen alle Bilder ein Werk zu bilden und weisen wenig Merkmale auf, nach denen man sie eindeutig Brohm oder Soth zuordnen könnte. Aufnahmen des Flusses und der durch die Spuren von Bevölkerung aufweisenden Landschaft bilden eine gemeinsame Welt. Alle sind sie durch eine gewisse Entrücktheit gekennzeichnet, irgendetwas erscheint fremdartig daran. Die Menschen, die in den Fotografien auftauchen, befinden sich wie hinter einem Nebel, man erkennt sie zwar, aber als fremde Population, zu der man lieber auf Distanz bleiben will. Dieses Gefühl, dass in den Bildern irgendetwas nicht stimmt, ist erstaunlich, vor allem wenn man zunächst Brohms Werke betrachtet, die, oft in der sommerlich grünen Natur, das Freizeitleben der frühen 80er Jahre entlang der Ruhr auf natürliche, fast dokumentarisch-neutrale Weise festhalten. Ein Blick auf einen Campingplatz von oben, eine Aufnahme von Familien auf einer Freibadwiese, ein Turnier von Kanufahrern auf der Ruhr, das Ufer des Baldeneysees, eine Caféterrasse, Schlittschuhfahrer auf einem gefrorenem Gewässer. Manche Bilder nehmen eine leichte Abkehr von diesen Ferienszenen, zeigen ein Gasometer, Straßenzüge zwischen Landschaft und Stadt, leere, noch im Bau befindliche abgesperrte Parkplätze, ein Bagger hebt eine Spur in einer Landschaft aus, einen Imbiss in einem Industriegebiet.

Die Motive sind alltäglich und obwohl es den Menschen in den Aufnhamen an nichts fehlt, will man sich mit diesen Szenen nicht recht identifizieren. Denn sie alle haben in ihrer Fülle diese Atmosphäre eines nicht erfüllten Versprechens. Es ist dieses seltsame Gefühl der inneren Leere, das gerade dann eintritt, wenn man meint, das Ziel des angestrebten Glücks erreicht zu haben. Aber diese Freibadwiese, auf der jeder Mensch seinen Sonnenplatz nur in Abgrenzung zu dem Gewimmel um ihn herum einnehmen kann, erscheint so banal. Der Campingplatz in der freien Natur durch die tiefen Fahrspuren in der Wiese verbraucht, obwohl noch so viel Platz ist. Es ist die Flachheit des Lebens der Wohlstandsgesellschaft, die aus Brohms Bildern strahlt und einen so unwohl zurücklässt. Der distanzierte Blick Brohms ist nur das Mittel einer Täuschung, die einen einfängt und entsetzt zurücklässt, während man lediglich versucht auszumachen, wie genau die Schwimmbadhalle beschaffen ist, an deren Glasfront Badegäste auf Liegen Platz genommen haben und den Blick auf einen dahinter liegendes, mit Parkbepflanzung gesäumtes Freibad genießen.

Während Brohms Bilder immer wieder zurückkehren können zu der Sachlichkeit von Gruppenstudien, lässt sich die in Soth’s Bildern angelegte Drastik nicht so einfach wieder auf die Form reduzieren. In den Bildern, die auf einer Skala zwischen den beiden Extremen der Distanz und Nähe oszillieren, beinahe entvölkerte Landschaften einerseits und intime Porträtaufnahmen andererseits, ist der Bruch, die Zerstörung, bereits geschehen, die Desillusionierung eingetreten. Man hat den Eindruck, Soth zieht aus, um diesen Zustand des Niedergangs festzuhalten, aber gleichzeitig die Würde dieser Menschen zu zeigen, die sich Mitten im Fall aufrecht halten. In den Landschafts- und Milieustudien Soth’s verschwindet die Idylle, an deren Anblick man durch Brohms Bilder gewöhnt ist, schnell. Eine Gruppe junger Menschen findet sich auf einer Wiese vor einem gewaltigen moosbehängtem Baum zusammen, an ihren Platz  grenzt hinter einem Zaun ein alter Friedhof an. In der Ferne markiert eine Wellblechhütte wieder die Grenze dieses paradiesischen Ortes, dessen Morbidität nicht geleugnet werden kann.

In Soth’s Landschaftsansichten ertönt ein düsteres Grollen. Unter einem dunklen Himmel blickt man über ein Feld hinaus zu einer Behausung aus Holz irgendwo im nirgendwo, in blendend weißer Schneelandschaft steht die mit Geweihen geschmückte Hütte eines Aussiedlers, ein Feld in gleißender Sonne, an dessen Horizont man eine Gruppe Häftlinge erkennt, bewacht von einem berittenen Sheriff. Eines der wenigen Bildern, die noch Zuversicht ausstrahlen, ist eine Aufnahme eines von Wildblumen überrankten bepflasterten Ufers in Memphis vor dem lila Abendhimmel. Melancholisch-ästhetisch wirken die Stilleben gleichenden Bilder, wie eine Fotografie von Resten fröhlicher Blumentapetenmustern in einer lange verlassenen Wohnung oder ein überwuchertes Stahlbettgestell im Flussschilf. Das stille Bild einer durchgelegenen, auf einer Terrasse abgestellten dreckigen Matratze wiederum haftet wieder diese unbequeme Direktheit an, Aufstieg und Verfall klammert Soth in seinen Bildern in einem Moment ein.

Die rettende Kraft der Illusion in einem Moment des Niederganges kennzeichnet viele von Soths Porträtaufnahmen. Man begegnet einem jungen Mädchen, das seine Arme ausstreckt, so dass man die vielen mit Filzstift auf ihren orangen Hoodie geschriebenen Bibelzitate sehen kann. Auch am T-Shirtkragen eines jungen Häftlings, der den Betrachter mit seinen eisblauen Augen beinahe durchbohrt, ist mit einem Zuversicht versprechendem Gott-Spruch geziert, eine alte Dame mit altmodisch hochgetürmten Haaren hält auf einem Sofa thronend stolz das goldgerahmte Bild eines ,,Engels“ in der Hand, eine Fotografie einer eigentümlichen Wolkenformation. Im krassen kontextuellen Gegensatz zu diesen von einer tiefen, unerschütterlichen Gläubigkeit sprechenden Bilder erscheinen die im zweiten Ausstellungsraum gezeigten Porträtbilder von Prostituierten. Da diese Aufnahmen so intim, so stark wirken, gerät dem gegenüber in den Hintergrund, um was für eine Gruppe es sich hier tatsächlich handelt.

Ein junges afro-amerikanische Mädchen, dass in einer einem Bikini gleichenden Unterwäsche auf einem Bett angelehnt liegt blickt selbstbewusst in die Kamera. Doch ihr Gesicht wirkt so müde, das Zimmer schäbig und unpersönlich, wer würde sich denn so kleiden, mit Goldkettchen und blauen Slippern an den Füßen? Ein mädchenhaft mit langem Kleid und Hut gekleideter Transmann mit blonden langen Haaren lebt in dem kitschig eingerichteten Zimmer mit einer Disneyprinzessinnendecke auf dem Bett auf dem er sitzt, wohl nicht seinen Kindheitstraum auf. Rätsel gibt das Foto zweier wie Mutter und Tochter erscheinender Frauen auf, die lässig in knappen Morgenmänteln gekleidet auf einem Sofa thronen und selbstbewusst in die Kamera blicken, als ob sie sich für nichts auf der Welt rechtfertigen müssten. Die durch ihre Intimität entstehende Eindringlichkeit all dieser Bilder zeugt von Soth’s enger Auseinandersetzung mit den abgebildeten Personen. Man merkt, wie tief sich Soth in das Milieu dieser Personen begeben hat – sei es in das Umfeld Glauben oder Prostitution. Es sind die tragischen Helden der Unterschicht, die Soth hier in ihrer ganzen Persönlichkeitsfülle zeigt, in ihrem alltäglichen  Kampf, nicht hinfortgespült zu werden. Es ist ein stiller Kampf, von dem nur die Entschlossenheit der Blicke zeugt und wo die Hoffnungslosigkeit der einzige Grund ist, weiterzumachen.

So zeigen sich entlang der Präsentation der Fotografien im zweiten Raum die deutlichen Unterschiede der Kunst beider Fotografen. In Brohms Bildern ist die Illusion des Paradieses noch aufrechterhalten. Alle Szenen zeugen von einer Wohlstandsgesellschaft und ihrer scheinbar ungebremsten Fortentwicklung. Soth’s Bilder entstehen aus dem Milieu der Misere heraus und suchen die Konfrontation mit dieser. Auch dem Entstehungskontext der beiden Serien nach – zeitlich, örtlich, gesellschaftlich – sind die Bilder nicht vergleichbar und so auch trotzt Überschneidungen die Motive grundverschieden. Der Grund des anfänglichen Eindruckes der Ähnlichkeit scheint immer mehr unklar. ,,Two Rivers“ geht jedoch über die beiden Pole der Gleichmachung und der Gegensatzbehauptung hinaus, denn die Verflechtung der Serien Brohms und Soth’s hat einen anderen Zweck: Sie ist die Einladung auf eine Reise, deren Erfahrungen im freien Fluss des Fortbewegens, die flüchtigen Eindrücke, mehr zählen als das eigentliche Ziel und während der die Gebundenheit an Zeit und Ort aufgehoben scheint.

Das bewegend-beklemmende Gefühl der Flussbilder findet man in anderen Werksserien Brohms und Soth’s wieder. Ein in den typischen und weniger typischen Milieus des American Dreams ein letztes Mal aufhüpfendes Amerika hat Soth in der Serie ,,Songbook“ (2012-2014) in schwarz-weiß Aufnahmen porträtiert. In ,,Niagara“ 2006 nähert sich Soth dem Klischee der Niagarafälle als romantischen Sehnsuchtsort an, dessen uneingelösten Versprechen er durch poetische Porträts hoffnungsloser Orte und der Menschen dort versucht nachzugehen. Der Roadtrip als Methode der Erörterung des Ungewissen ist auch Entstehungsprinzip verschiedener Werksgruppen Brohms, wie eine Untersuchung des für den Deutschen fremden städtischen amerikanischen Umfelds (,,Ohio“ 1983-84), zwischen Vorstadtboulervards und verfallenen Einöden. In der Serie ,,Culatra“ (2010) widmet er sich auf der portugiesischen Inselenklave scheinbar verwahrlosten Orten, die, teils behelfsmäßig zum Wohnen umgestaltet, im gleißenden vom weißen Sand reflektierten Licht doch eine charmante Armseligkeit und Würde ausstrahlen. So lässt sich der Titel ,,Two Rivers“ auch auf zwei fotografische Herangehensweisen der Dokumentation und Milieuerschließung erweitern, die sich ständig kreuzen, ohne je ihre methodisch-inhaltliche Distanz aufzugeben.

Joachim Brohm: Bochum 1982  |   © Joachim Brohm / VG Bild-Kunst, Bonn, 2019

Alec Soth. Frankie, Fort Jefferson Memorial Cross, Wickliffe, Kentucky  |  © Alec Soth / Magnum Photos

Ausstellungsansicht Two Rivers  |  © NRW-Forum Düsseldorf, Foto Katja Illner