Meeting the Universe Halfway—KIT Düsseldorf

Unser menschliches Universum ist ein Universum der Dinge. Der Bereich, den wir für uns abgesteckt haben, hat eine von uns festgelegte Ordnung und diese Ordnung zeigt sich in einer Relation von Objekten, zu denen wir eine festgelegte Beziehung haben, die eine von uns bestimmte Funktion haben, ihren festen Platz im Universum. Was aber, wenn Mittelpunkt dieses Universums der Dinge nicht mehr der Mensch ist? Wenn es weiterhin Dinge gibt, aber diese Ordnung aufgehoben ist? Wenn auf einmal ein fremdes Prinzip übernimmt? In Anlehnung an die Gedanken der Quanten-Pysikerin und Philosophin Karen Barad, die in ihrem Buch ,,Meeting the Universe halfway“ die Idee eines Universums aufbaut, in der sich der Schwerpunkt von Menschen als Maß aller Dinge auf Objekte verlagert und die beständige Interaktion zwischen Menschen und Dinge, möchte die Ausstellung Meeting the Universe halfway im KIT Düsseldorf dazu anregen, das Verhältnis zwischen Mensch und Objekt neu denken – und hat sich den Titel des gleichnamigen Buches Barads, zum Titel und Programm der Ausstellung genommen.

In den Werken der KünstlerInnen erwachen Objekte zu einem für uns fremden Eigenleben – das Maß ist abhanden gekommen. Wir begegnen Dingen, die unheimlich wirken, obwohl sie nichts bedeuten; Szenen von Dingen, die ohne Menschen funktionieren und/oder nicht den Menschen unterworfen sind; Dinge, die ihre eigenen Geschichten erzählen, die autonom und von jeder menschlichen Ordnung losgelöst existieren. Wir erfahren, wie Dinge aus sich selbst heraus, eine neue, eigene Ordnung formulieren, in der wir nur Teil sind wie Partikel. KIT Projektleiterin Gertrud Peters und Kunstakademie Dozentin Yesim Akdeniz haben Künstler eingeladen, die sich mit dieser komplexen Beziehung zwischen Menschen und materiellen Dingen beschäftigen.

Ceel Mogami de Haas konfrontiert uns gleich an Anfang mit einer witzigen Idee: in seiner Videoarbeit ,,The hollow Pens“ erweckt er auf 4 Bildschirmen 4 Stifte zum Leben. Gegenstände, die für uns nur ein Werkzeug zum Ausdruck sind, drücken in einem Gespräch auf einmal ihre eigene Natur aus. Der Textmarker ist ein bisschen eingeschnappt, da sie (es ist eine ,,sie“) alle möglichen Zitate aufnimmt, über die sie sich definiert während ein Stift mit 4-Farben Aufsatz in einer Existenzkrise ist: welche Farbe ist sein ,,ich“? Gleichzeitig ist jeder auf sich selbst fixiert und überzeugt von seiner Individualität – wie Menschen.

Die Kuratorin Yezim Akdeniz hat ein Bild und zwei Skulpturen für die Ausstellung geschaffen. Das Bild (,,he called my name and my heart stood still“) wirkt zunächst wie eine harmonische Komposition verschiedener Einrichtungsgegenstände in der Tradition des Stilleben. Nur rückt hier der Mensch völlig zurück, denn die Gegenstände – ein Sessel im Zentrum, rechts ein Beistelltisch mit einer Steinfigur (bzw. was daran erinnert), ein dunkles Bild links im Hintergrund (oder ist es das Auge einer Galaxie?) – repräsentieren ihn nicht. Es sieht aus als, hätten sie sich für sich selbst getroffen, sie sind nicht für uns da, sondern haben einen eigenen Plan. Akdeniz stellt damit unsere Wahrnehmungsgewohnheit aus dem Kopf, Dinge als etwas uns repräsentierendes, als etwas gänzlich an uns gebundenes anzusehen. Was aber, wenn es kein Gesetz im Universum gibt, das diese Ordnung der Dinge als unterworfen vorschreibt? Die beiden Skulpturen sind gestaltet wie Quader, das eine (,,Submission“) ein weißer Schlitten von dem kleine bauliche Erweiterungen ausgehen, die an ein Gebäude erinnern, das andere mit blauem Stoff bezogen (,,Europe“) erinnert an einen Schreibtisch mit einem Aufbau, alles auf Rollen. Beide Objekte sind in gewisser maßen eigenständig, da sie auf eine kollektive Geschichten hinweisen (Eine Moschee die im 13. Jahrhundert von einem Sultan gemeinsam mit seiner Frau entworfen wurde + die Reise des Schreibtisches von Martin Gropius ins Exil in Amerika) und gleichzeitig die Möglichkeit der Fortführung (Beweglichkeit) andeuten, deren Verlauf wir noch nicht kennen – die Entwicklung des Verhältnisses von Europa zu der Türkei. Wir folgen nur der Bewegung der Objekte – wieder sind wir als Mensch in unserem Eingriff in eine universelle Ordnung beschränkt.

Kubilay Mert Ural ist so etwas wie das Enfant terrible der Ausstellung. Seine Werke, ein Photo-Druck, Malereien und eine Videoarbeit schwanken in ihrem Ausdruck zwischen Naivität und kindlicher Ästhetik auf der einen Seite, verstörender Surrealität und grausamen Humor auf der Anderen. Auf seinen bunten Bildern erscheinen die Gestalten und Wesen nur auf den ersten Blick harmlos: was kann einem schon eine Flugzeugrolltreppe mit unschuldig schauenden Hunden auf den Stufen vor einem Grundschulfarbenpaletten-Blau als Hintergrundfarbe an? Doch die Tierchen steigen zu einer bedrohlichen schwarzen Sonne hinauf, die sich in eine Art Lack gemalt von der Bildfläche abhebt. Daneben: ein kanonenförmiges Gebilde in pinkem Leopardenmuster, das for der Eruption steht – oder ist es ein riesiger ejakulierender Penis? So hält auf dem Schleichweg des Niedlichen das Abstoßende Einzug in Urals farbenfrohe Bilderwelten. Taucht der Mensch auf, so hat er in diesen Bildern kein zu Hause, die Räume haben keine Grenzen und scheinen in ein fremdes Universum überzugehen, er muss (sexuelle) Gewalt erdulden oder steht unter der Herrschaft von fremden, scheinbar gnadenlosen Wesen wie einer übermenschlichen Katze. Auch Urals Videoarbeit ,,dreaming shit“ zeigt uns durch ihre ambivalente Ästhetik, das es eben keine durch uns festgelegte Relation zu den Dingen in ,,unserem“ Universum gibt, das Bekanntes und Harmloses nah am Seltsamen und Ekelerregenden sein kann. In seinem Video begegnen wir einer Sequenz scheinbar willkürlich zusammengeschnittener Szenen von wenigen Sekunden, die mal Personen und Handlungen zeigen, mal Objekte in einer schummrigen Auflösung. Alles wirkt bedeutungshaltig und dennoch sinnfrei, mit keiner Erzählung verknüpft. Und doch stoßen uns manche Sequenzen instinktiv ab: Zähne in einer sich öffnenden Handfläche in einem blauem Handschuh, eine Gummipuppe, die aus einem Stockwerk hinabgleitet, ein die Straße langrollender Rollstuhl, ein in der Landschaft schwebendes weißes Kreuz, ein Wasserstrahl spritzt quer auf einen Körper, eine schlanke Person im Minirock kommt uns entgegen, erst als sie nahe ist sieht man umrahmt von langen Haaren ein verschmitztes Lächeln, Bartstoppeln? Obwohl hier nicht geschieht, was nicht irgendwie schon mal so geschehen ist, irritiert dieser Kosmos mit seiner abscheulichen Un-Ordnung. Warum erwarten wir ein ordnendes Prinzip überhaupt, wenn wir bestimmte Dinge sehen? Auch diese Frage stößt Ural in seinen Arbeiten an.

Christoph Westermeier beschäftigt sich in seiner Arbeit ,,Passagenmajestät“, eine begehbare Photo-Installation, ebenfalls mit Perspektiven, wie wir sie auf Objekte in unser Umgebung richten, die nach dem Prinzip einer eindeutigen, bereits festgelegten Relation zu dem Objekt funktionieren. Durch seine Fotografie möchte er diesen Mechanismus der Unterordnung stören: durch den gewählten Bildausschnitt und Dekontextualisierung erscheinen die Objekte zweideutig, als würden sie die Perspektive aus sich selbst heraus lenken. Alles wirkt bekannt und trotzdem fremd: ein Close-Up von einem Autospiegel, aber alles spiegelt sich in dem bläulichen Lack, es erinnert nicht an ein Autoteil, sonder eine Skulptur ohne erkennbare Dimensionen; die Brust von einer Bronzeskulptur ist angeschnitten im Bild, doch die Größe der Figur, ihre Umgebung, bleibt im Unklaren. Eher sieht es so aus, als würde ein Herz in dieser Brust schlagen. Auf einmal wird das Zugängliche unzugänglich, erscheint nicht mehr einordbar, dies unterstützten die Sichtbarrieren in Augenhöhe, die die im Posterformat abgezogenen, plakativen Bilder umgeben. In Westermeiers Bildern hat das Objekt den Blick übernommen.

In ihrer Videoarbeit ,,Pink Slime Ceasar Shift“ zeigt die chinesische Künstlerin Jen Liu  in einer pinkfarbenen Ästhetik in abwechselnden gefilmten Sequenzen und Animationen die grausamen, das Menschliche ausschließenden Aspekte von Arbeit, Produktion, Konsum und der Gentechnik. Es geht im Kern um ein Labor, in dem verschlüsselte Botschaften in Hamburger injiziert werden aus herangezüchteten Fleisch. Dann zerfliegt wieder alles in eine Art Computerspiel, in der milchige Meere die wie Spielzeuge wirkenden puppenartigen Labormitarbeiter, Autos und Kühlschränke verschlucken, rohes Hackfleisch die Leinwand übernimmt, die Buchstaben der DNA G,T,C und A werden in den Schluchten eines düsteren Gebirges von Gesichtern ausgespuckt. Liu hat sich mit der Unterdrückung von Arbeitsaktivsitinnen in China und deren Unmöglichkeit sich zu artikulieren auseinandergesetzt. Die Botschaften in den Hamburgern sollen ein Mittel der Kommunikation darstellen, Liu produziert diese Botschaften real. Biotechnologie impliziert jedoch nicht nur eine Lösung. Laut der Künstlerin ist Gentechnik ,,just the mechanism I use to present their realities“. So werden die in dem Video gezeigten Arbeiterinnen selbst zu dem synthetischen Material. Sie befinden sich in einer Dystopie, in der sie seelenlose Produktionskräfte sind, alles kann herangezüchtet, hergestellt, aber auch wieder vernichtet werden. Dieser gesellschaftspolitische Aspekt wird durch die eingespielten Stimmen verstärkt, die aus Ausbildungsmaterial, Berichte von Industrievergiftungen und Biotech-Broschüren in perversen Optimismus oder erschütternder Realität zitiert. Lius Barbiepuppenwelt ist ein Computerspiel, in dem der Mensch nicht gewinnen kann. Doch egal wie surreal alles erscheint: diese Welt ist eng mit unserer verbunden.

Francois Dey hat aus der Situation des KIT heraus – die Umgebung von ständigem Autoverkehr – eine Aktion entwickelt, die eine Transformation von Mensch zu Ding darstellt. Er engagierte 6 Personen dazu, ein Auto darzustellen und sich als solches durch die Stadt zu bewegen. Dafür stellte er Paneele aus Pappmaschee her, unter der sich die Träger verbergen mussten und zusammen in einer Formation zusammenfinden, um ein ,,Auto“ zu bilden. Doch schaut man sich das Video an, was die Arbeit dokumentiert, erscheint alles ein bisschen ungeschickt, was entsteht, ist eher ein klobiges Objekt, der Versuch ein Auto darzustellen, gelingt gerade so. Das plötzliche Formieren der Personen wirkt komisch. Dennoch: in Deys Arbeit unterwirft der Mensch sich gänzlich einem Objekt, oder zumindest der Idee davon, lässt sich auf Umständlichkeiten und Peinlichkeiten ein, wie das verstecken unter den Paneelen in der Öffentlichkeit. Obwohl wie in einem Universum der Dinge leben, gelingt es uns selbst nicht, diese darzustellen.

Müge Yilmaz hat in der Ausstellung 3 Figuren platziert, die an fremdartige Wesen erinnern, sie sind vollständig bedeckt von eine Art Pelz, der aus feinen Fäden besteht. Weder Mensch noch Tier sind es vielleicht Wesen, doch ihr wahres Antlitz, an dem man sie vielleicht erkennen könnte, ist unter dem Pelz verdeckt. Die Gestalten sind versteckt, obwohl sie sichtbar sind. Mit dieser Idee der Unsichtbarkeit arbeitet Yilmaz hier: Tiere nutzen diese Eigenschaft ganz natürlich, sie schützt sie aber sie ermöglicht ihnen auch den Angriff. Für den Menschen ist es schwieriger sich unsichtbar zu machen, sobald er physisch präsent in einer Umgebung ist. Zumindest ein Gefühl der Unsichtbarkeit ist möglich, wie es Yilamz selbst als Ausländerin während längerer Aufenthalte in Rom und Amsterdam erfahren hat. So drücken Yilmaz Figuren, die sich so locker im Ausstellungsraum fläzen, als Dinge uns eine Überlegenheit aus. Sie können sich tarnen obwohl sie sichtbar sind. Wieder ist der Mensch nicht das Maß aller Dinge.

In Meeting the Universe halfway ist der meta-physisch/philosophische Ansatz einer Ding-bestimmten Ordnung nicht immer leicht aus den Werken und ihrer ästhetischen Erscheinung heraus lesbar ist. Auch bleibt das Gefühl, dass die Positionen keine stringente Dynamik untereinander entwickeln, so dass man sich in der Werksfolge der Ausstellung immer von neuem auf die übergeordnete Aussage einlassen muss. Doch überwiegt der Eindruck, dass Meeting the Universe halfway gekonnt und auf humorvolle Weise einen bisher unberührten, aber zentralen Aspekt des menschlichen Daseins in den Fokus rückt. Wieder zeigt das KIT – Team, mit einer versprechenden Auswahl junger KünstlerInnen seine Kompetenz,  für unsere gegenwärtige Erlebniswelt relevante Positionen zusammenzubringen.

Ausstellungsansicht  |  © KIT Düsseldorf