on damp earths we wander —Lantz’scher Skulpturenpark

Im Lantz’schen Skulpturenpark in Düsseldorf sind diesen Sommer wieder künstlerische Arbeiten zu sehen, die zum erkundenden Wandern und Wundern einladen. Doch on damp earths we wander, gefördert von der Kunstkomission Düsseldorf und kuratiert von Lynhan Balatbat-Helbock, Lia Milanesio und Bilge Emir, ist mehr als nur irgendeine weitere Ausstellung in einem Park. Dezentral, dekolonial und sich gegen jede Art von Kategorisierung wendend, entwerfen die Kuratorinnen ein Präsentationsformat, das die historischen Verwicklungen europäischer Parkanlagen in koloniale Ausbeutungssysteme zum Ausgangspunkt nimmt, sich von diesem Erbe aber weder beeindrucken noch einschränken lässt. Anstelle der klassischen „Auseinandersetzung“ sind die mehrheitlich aus Ländern des globalen Süden stammenden Künstler*innen dazu eingeladen, aus ihrer Perspektive die grüne Umgebung mit ihren Monumenten zu kommentieren. Durch diese fantasievolle Invasion werden die etablierten Strukturen des Parks aufgebrochen und Raum für Stimmen geschaffen, auf die man sonst nicht treffen würde.

Der kritische Umgang mit Ausstellungspraxen und Mechanismen der Kanonisierung steht im engen Zusammenhang mit den persönlichen Laufbahnen der Kuartorinnen. Diese kreuzen sich alle bei SAVVY CONTEMPORARY, einer Institution, die sich ihrem Direktor Bonaventure Soh Bejeng Ndikung zufolge „at the threshold of notions and constructs of the West and non-West“ positioniert, „primarily to understand and negotiate between, and obviously to deconstruct the ideologies and connotations eminent to such constructs“*. Diese Worte beim Parkrundgang im Hinterkopf zu bewahren, ist sehr erhellend, denn sie erklären viele kuratorische Entscheidungen von on damp earths we wander**, die zunächst eher ungewöhnlich wirken. Die Künstler*innen schaffen hauptsächlich in außer-westlichen Kontexten. Daneben hat das Projekt ein Präsentationsformat entwickelt, das anstelle einer konsekutiven Reihenfolge von Positionen auf lose Narratologie setzt. Sprache und auditive Stationen sowie die Verwendung von Natur-Symbolen spielen als Mittel der Gliederung eine zentrale Rolle.

Ein weiterer Baustein des Konzeptes ist Partizipation, die Besucher*innen werden hier nicht durch eine „belehrende“ Kunst bevormundet, vielmehr wird man ermächtigt, in Begegnung mit den Arbeiten, die als lebendige „Geschichten“ gedacht sind, die Perspektiven der Erzählenden (Künstler*innen) auf sich wirken zu lassen und selbst Neues anzustoßen. Bewegung, Austausch und eine  Erfahrung der Umgebung, die von den üblichen Stereotypen eines „Parkspaziergangs“ und „Kunst im öffentlichen Raum“ befreit ist, bilden zentrale Elemente der Vermittlung. Eine Karte im Booklet, in der die einzelnen Kapitel mittels Tier, Pflanzen und Struktursymbolen eingetragen sind und die ein wenig an ein Spielbrett erinnert, verschafft einen Überblick ohne eine zwingende Route vorzugeben.

An der Stelle, wo die Wegführung tiefer in den Park führt, hängt in einer Kiefer eine Kette aus gewebten Korbformen, die in unterschiedlichen, natürlichen Farben gefärbt sind [cuento I: el roble (die Eiche)]. Die in einem breiten Spektrum von Medien arbeitende ghanaische Künstlerin Theresah Ankomah beschäftigt sich aktuell mit gewebten Gebrauchsmaterialien wie Körben oder Juteseilen, deren verborgene Geschichten sie untersucht. Untitled (2016), eine „invasive“ Spezies, welche Theresah Ankomah aus der bestehenden Werksserie Invasion ausgehend von ihrer Interpretation des Parks als Ort der Zusammenkunft ausgewählt hat, verkörpert das transzendente Prinzip aus Aufstieg, Fall und Wandel. Indem die textile Arbeit eine andere, dezentrale Art von Wissen vermittelt, entstehen erneut Parallelen zwischen dem kuratorischen Konzept und dem Standpunkt von SAVVY CONTEMPORARY. Denn deren Mission besteht darin, „to produce antidotes to the epistemicidal activities that have been practiced all over the globe, by accommodating and celebrating knowledges and epistemic systems from Africa and the African diaspora, Asia-Pacific, Latin America, but also Europe and North America“*.

Diese Vielfalt von Wissensformen zur Sprache kommen zu lassen, ist auch eine wesentliche Intention von on damps earths we wander. Als Mittel zur Dekolonialisierung von Wissen wird der „wissenschaftliche“ Blick, durch den westliche Systeme lange behauptet haben, das „Andere“ erkennen zu können, abgelenkt und zurückgespiegelt.  „Dekolonisieren“ bedeutet in diesem Zusammenhang auch, sich jenseits hierarchischer (Wissens)Strukturen zu bewegen und zu zeigen, dass es eine Realität außerhalb des westlichen kanonischen Kunstverständnisses gibt, welche – und das ist ein entscheidender Punkt – diesen Kanon auch nicht braucht, um zu existieren.

Diese Unabhängigkeit von westlich-zentrierten Auffassungen von Kunst erkennt man auch in den Werke von Barthélémy Toguo (Balades nautiques, 2023), Antoinette Yetunde Bintu Oni (Ayo Ayo Ayo 2023) und in der Malerei von Bilge Emir wieder. Während Barthélémy naturalistische Bronzeskulpturen von Welsen angefertigt hat, die nun auf dem imaginierten Grund der künstlichen Grotte unterhalb der Kapelle schwimmen, lädt Antoinette anhand eines 3D-Nachdruckes eines Brettspieles der Yoruba (Ayo, Ayo, Ayo), das man auch als Skulptur verstehen könnte, zum Verweilen und Spielen ein. Die Co-Kuratorin und Entwicklerin des illustrativen Konzeptes Bilge Emir hat eine Landschaft gemalt, die zwischen Unterwasser, Himmel, auf und unter der Erde changiert und die sich keinem spezifischen Naturverständnis unterordnet. Alle diese Positionen durchkreuzen klassische Kategorien. Anstatt des Blicks von Außen zählt die Stimme von innen, das spezifische Umfeld, in denen die Künstler*innen schaffen. Gegenüber der Kunstgeschichte und ihren „Traditionen“ strahlen diese Werke ein gesundes Desinteresse aus.

In ihren Erzählungen gehen die einzelnen Positionen genau auf die Gegebenheiten des Parks ein, dessen „Unschuld“ als Ort der Erholung sie hinterfragen. Botanische Gärten werden in das System des Kolonialismus und Sklavenhandels eingeordnet und als Überlegenheitsgebaren der westlichen Kultur enttarnt. Anne Duk Hee Jordan (*1978 in Korea) hat den Kopf einer Statue des Perseus unter einem pflanzlichen Geflecht verborgen. Mit Unmonument the Monument (2023) verleiht die Künstlerin der Geschichte um den triumphierenden Heroen mit dem Haupt der Medusa in der Hand damit eine neue Wendung [cuento IX: mycelium (der Pilz)]. Durch eine Galerie aus eisernen Toren, die wie Standarten über den Köpfen der Besucher*innen an den Stämmen einer Baum-Allee angebracht sind, lässt der ghanaische Künstler Al Hassan Issah die Besucher*innen schreiten [cuento III: puerta de entrada al cielo (Tor zum Himmel)]. Die kunstvoll geschmiedeten Gitter The Wind’s Eyes (2022) orientieren sich an Strukturen der Trennung, wie sie im städtischen Umfeld eingesetzt werden um Besitz, Statusunterschied, Macht oder Klasse zu repräsentieren. Mit den „Windaugen“, die wie alle Tore zwei Seiten haben, verweist Al Hassan auf die Einschreibung kolonialer Dominanz und die Gewalt des versklavenden Systems in bauliche Formationen.

Klassische Embleme der westlichen Kunst- und Gartengeschichte, eine griechische Statue, eine Allee oder – wie in der Videoinstallation the meaning of style (2011) von Phil Collins, eine neo-byzantinische Kapelle – werden so stets durch alternative Erzählungen aufgebrochen und abgelöst, indem Akteur*innen zu Wort kommen, für die „unser“ Kulturbild nicht das zentrale ist. Phil Collins‘ poetische Videoarbeit verfolgt eine malaiische Skinhead-Gruppe durch ein Viertel, das noch von der britischen Kolonialzeit geprägt ist, wo sie an unterschiedlichen Orten innehält [cuento V: la ardilla (der Schmetterling)]. Der Künstler spürt den Einflüssen britischer und ursprünglich linker Skinhead-Kultur auf malaiische Subkulturen nach, deren junge Mitglieder in den ruhigen, erhabenen Bildern wie ein Mönchsorden wirken.

Ein weiterer Schwerpunkt von on damp earths we wander ist die Partizipation in gesellschaftlichen Themen, zu denen insbesondere Migration und Rassismus zählen. Spielerische Impulse und experimentelle Formate laden zum Nach- und Mitdenken ein, wie zum Beispiel der Wortlaut oh (2021) von Farkhondeh Shahroudi, genäht aus schwarzem Kunstleder und an einem Baum angelehnt. Wie dieses „oh“ in allen Sprachen der Welt verstanden werden kann, jedoch sehr unterschiedliche Nuancen mit sich bringt, bindet auch Pedro Oliveira ambivalente Alltagserfahrungen in seine Soundinstallation ein (Fortbestehend (I have carried them with me), 2023). Das langgezogene, monotone Dauerklangstück hat Pedro aus dem Rufton der Ausländerbehörde erstellt, mit dem wartende Antragssteller*innen aufgerufen werden und der für ihn selbst eine unauslöschbare Erinnerung darstellt. Diesen Ansatz des partizipativen Zuhörens verfolgen auch Monai de Paula Antun & Niko de Paula Lefort mit der Kreation eines „Übertragungsökosystems“, eines lokalen Frequenzraumes. Via Funkempfänger kann man einem Klangstück lauschen, das von einem kybernetischen Radionetzwerk aus Brasilen erzählt. Ein weiteres, über einen QR Code abrufbares Hörstück Refuge Worldwide Park FM von Shayan Navab das von den Erzählungen verschiedener Charakteren eines Parks geleitet wird, wurde von Refuge Worldwide aufgenommen. Als Radiostation und Fundraising-Platform arbeitet Refuge Worlwide in Berlin mit verschiedenen gemeinnützigen Organisationen für Bedürftige und Schutzsuchende zusammen.

Als Ganzes bilden die verschiedenen Erzählungen eine zweite Park-Landschaft, die sich über das Gelände des Lantz’schen Parks legt. Innerhalb einer verblassten historischen Kulisse werden Geschehnisse und Stimmen lebendig, welche die Gegenwart prägen, die jedoch oft ungehört bleiben, da wir uns weiterhin an die romantische Hinterlassenschaften einer westlichen kulturellen Hegemonie klammern. Die Positionen von on damp earth we wander machen darauf aufmerksam, dass die sich weiter fortsetzende Reaktivierung des Lantz’schen Parks als Erholungsort und Paradebeispiel für klassische Gartenarchitektur Implikationen hat, die das Verständnis nicht-westlicher Kulturen und Kontexte, in denen Kunst entsteht, beeinflussen. Das Auftauchen einer Vielfalt von künstlerischen Perspektiven und Erfahrungen des Globalen Südens zweifelt diese Lesart der Parkumgebung an. Ohne zu belehren oder das sie umgebende Umfeld zu entzaubern, regen die Künstler*innen dazu an, die Glaubhaftigkeit der bisherigen Nutzung der Anlage in Frage zu stellen. Der Kunst wird hier die besondere Rolle zu Teil, ein neues Territorium zu schaffen. damp earths, die uns vielmehr als eigenständige Akteure entgegenkommen, als das wir sie betreten.

*Quelle: https://www.savvy-contemporary.com/en/about/concept/

**on damp earth we wander – A journey of ten stories in the sonic garden of Kerima Tariman. Kerima Lorena Tariman war eine philippinische Dichterin, Akademikerin und Aktivistin im kommunistischen Widerstand gegen das Regime von Präsident Rodrigo Duterte. Sie wurde 2021 bei der Eroberung einer Rebellensiedlung durch die philippinische Armee erschossen.

Das Werk "mycelium (der Pilz)" das die schon im Park vorhandene Figur nutzt und der Figur durch die künstlerische Ergänzung eine Neue Wirkung und Bedeutung gibt  |  © Landeshauptstadt Düsseldorf/Ingo Lammert

"puerta de entrada al cielo (Tor zum Himmel)" von Al Hassan Issah zeigt kleine Tore, die an den gegenüberliegenden Bäumen einer Allee angebracht sind und so einen Weg bilden  |  © Landeshauptstadt Düsseldorf/Ingo Lammert

cuento V: la ardilla (der Schmetterling). Phil Collins, the meaning of style, 2011, Videoinstallation  |  Foto: Marina Sammeck

Die Kuratorin Lynhan Balatbat-Helbock (r.) mit ihren Co-Kuratorinnen Bilge Emir (l.) und Lia Milanesio vor dem grafischen Design der Ausstellung "on damp earth we wander“  |  © Landeshauptstadt Düsseldorf/Ingo Lammert

cuento I: el roble (die Eiche). Theresah Ankomah, Untitled, 2021, Installation  |  Foto: Marina Sammeck

cuento X: el pulpo (der Tintenfisch). Monai de Paula Antun & Niko de Paula Lefort, Radio Gardening - the story of a cybernated radio network, 2023, Klang-Übertragungsumgebung & Installation  |  Foto: Marina Sammeck

cuento VIII: la hembra (die Kuh). Antoinette Yetunde Bintu Oni, Ayo Ayo Ayo, 2023, 3D-gedruckte Skulptur  |  Foto: Marina Sammeck