Tür an Tür findet zur Zeit zwischen dem Kunstverein Düsseldorf und der in die Räume des benachbarten Schmela Hauses eingezogenen Galerie Max Mayer ein interessantes Zwischenspiel statt. So zeigt Max Mayer neuste Arbeiten des in Japan geborenen Künstlers Ei Arakawa, der im Sommer 2018 mit ,,Performance People“ im Kunstverein zu sehen war. Arakawa wiederum wirkte in seiner Frühzeit als Performance-Künstler bei einem Projekt eines Künstlers eine Generation über ihm mit, der nun seine erste große Einzelausstellung in Deutschland im Kunstverein hat – es handelt sich um den Schaffens-kritischen Josef Strau. Für den in Österreich geborenen und in den letzten Jahren zwischen Berlin, Köln und New York wechselnden Künstler steht der im freien Fluss verfasste Text im Zentrum seines Werkes, für das eine von ihm inszenierte Version seines Egos die Bühne bildet. In einem sich fortsetzenden Akt der Umgehung der Ökonomien der Kunstwelt bedient sich Strau nur bedingt Objekten in seiner Praxis, deren generierende Kraft die Selbstanalyse ist.
Josef Strau – Spirits and Objects…and How-Non-Productive Love is Sometimes Contained in Them…
In der Behauptung als Künstler ohne Produktion und durch das Unterlaufen der Idee des Kunstwerkes, ist Straus Schaffen zu einem großen Teil von einer herausfordernden, selbstkritischen wie humorvollen Auseinandersetzung mit den Konventionen des Kunstbetriebes gekennzeichnet. Seine auf dem geschriebenen Text basierende Praxis vereint dabei eine diffus erscheinende Menge von Komponenten, welche sich auf Postern oder in Drucken sammelnde Texten oder Textfragmenten mit zu ,,Textassistenten“ ausgebauten Lampen, Installationen aus Karton und anderen arrangierten hergestellten oder gefundenen Objekten kombiniert. Als Teil eines Leben und Schaffen überspannenden Selbstfindungsprozesses hat Strau eine Form von ungesteuertem und intuitivem Schreiben entdeckt, die er automatisches Schreiben nennt. In einem fließenden, teils tagebuchähnlichen, teils prosaischen Stil gibt der Künstler scheinbar beiläufige Erlebnisse oder Erfahrungen wieder. Um diesen Ausdruck mitzuteilen, ihn aber frei von dem folgenschweren Werksbegriff zu halten, stellt Strau ihn mit anderen Objekten wie etwa aufgefundenen, umgeformten Lampen aus, welche die ,,Werksfunktion“ übernehmen. Strau distanziert sich von einer linearen Werkserzählung. Scheitern oder Rückschläge thematisiert er offen und verwendet sie als regenerative Kraft. Obwohl seine Werke nicht autobiografisch sind, ist sein Werk eng an das Prinzip autobiografischer Erfahrungswiedergabe angelegt.
Die Ausstellung ,,Spirits and Objects“ (Abkürzung) im Kunstverein knüpft an dieses selbstreflexive und dennoch nicht selbstzentrierte Prinzip des Künstlers an, indem sie zwischen 1991 und 2020 entstandene Objekte befreit von ihrer eigenen Realität eines längst vergangenen Schaffens- und Ausstellungskontextes als Zeitlichkeit transzendierende Produkte anhaltender psychischer Zustände präsentiert. Diese Betrachtung der Vergangenheit der eigenen Produktion wird erweitert durch kommentarische Echos aus der Gegenwart von Strau sowie von weiteren Künstler*innen aus seinem Umkreis. Durch eine Atmosphäre des Unsteten und des Umbruchs entsteht im Kunstverein ein Raum, in dem der Zeitbezug der Werke für einen Moment aufgelöst ist. Zentrum der Exponate bilden drei den Buchstaben R, V und E nachempfundene, als Kinos dienende begehbare Kartonstrukturen, die den Raum fast komplett ausfüllen und in denen Verfilmungen von Texten Straus durch Freund*innen zu sehen sind. Frühere Werke sind an den Rand und in Randräume verlagert. Die sich um die dominanten Strukturen aus Karton stapelnden Umzugskartons, zu denen sich eine unzusammenhängenden Menge an Alltagsgegenständen und von Strau bearbeiteten Objekten reiht, vermitteln das Gefühl einer Ordnung, die sich gerade im Gang der Auflösung befindet. Während die Kinos Interpretationen von Straus Werk aus dem Jetzt bieten, scheinen um sie herum viele Objekte, die der/die Betrachter*in während eines Parcours aus verschachtelten Seiten- und Zwischenräumen entdeckt, nur einen vorübergehenden Platz gefunden zu haben.
Mit der Rezitation in den Filmen im Herzen der Ausstellung bilden in ,,Spirits and Objects“ Straus Texte wie in vorherigen Ausstellungen den Ausgangspunkt. In den drei kurzen Arbeiten, die durch ihre Knappheit in gewisser Weise an den anekdotenhaften Stil Straus anknüpfen, werden seine Texte teils filmisch und mit Ton untermalt rezitiert, teils eher stumm und durch poetische Bildmomente oder Soundtrack begleitete Kamerafahrten wiedergegeben. Keren Cytters Filmarbeit ,,Life Number Three“, die auf dem Straus selbstanalytischen Text ,,Bohemian in the Mirror“ basiert, erweckt schauspielerisch einen Schlüsselmomenten aus dem Schriftwerk des Künstlers, das Teilen von Futter mit einer Katze an einem betrunkenen und desorientierten Abend in der Weihnachtszeit. Bernadette Van-Huy’s Filminterpretation wiederum findet mit der Begleitung einer jungen Frau auf ihrem Sofa mit Figuren spielend oder vor einer Malerei stehend eine eigene Erzählung zu dem zu Grunde liegendem Text, der zuletzt von einem blonden und mit Rosen im Gesicht geschminkten Mädchen unhörbar in einer Naturszenerie abgelesen wird. Enzo Shaloms ,,Balalaika Moment“ wiederum gestaltet sich in erster Linie als monotone Kamerafahrt durch einen Autotunnel in einem unscharfem, bläulichem Licht.
Das Labyrinth aus Kinofilmen unter fremder Regie bildet eine eigene Welt in der Ausstellung, die mit dem retrospektiv angelegtem Außen früherer Werke im Kontrast steht. In diesem umgebenden Hinterland bilden sechzig sich an einer Wand aufreihende Textplakate mit Schriftstücken von Strau die auffälligste Installation. Mit der Fragmentierung des Textes in Kreis-, Tropfen- oder Blumenförmigen Abschnitten und dem collagenhaften Zusammenschnitt in verschiedenen Schrifttypen gehen Text und Form ineinander über. Zusammen bilden die Plakate eine theoretisch lesbare, aber praktisch in der Fülle kaum erfassbare Menge Text einer sich ewig sich weiterspinnenden Mastermind-Erzählung.
Strau setzte sich lange mit Theoretikern der Semiologie und Diskurstheorie auseinander. In der schriftlichen Wiedergabe scheinbar beiläufiger Erlebnisse fand er ein Vehikel, das angeeignete Theoretisch-Analytische in eine eigene Form zu fassen, die Erkenntnisse aus einer Innensicht wiedergibt. Vom Standpunkt des Alltäglich-Subjektiven gelingt es Strau so, die großen universellen Dinge anzusprechen. Manches davon nimmt die Dimension von Kurzgeschichten an, die Wiedergabe absurder Situationen wechselt sich ab mit philosophischen Überlegungen und Selbstreflexion. Die Begegnung mit den Textbildern ist im Grunde genommen immer durch die gleiche Erfahrung geprägt. Der/die Leser*in wird aus der Perspektive eines auktorialen Erzählers mitten in eine unmittelbar einsetzende Situation oder Überlegung hineingeführt, die sich über kurze, schnelle Sätze aufbaut, in denen die Spannung rasch steigt. Die eingespielten Entdeckungen, Gedanken und Empfindungen erscheinen speziell und eigenartig wie auch allgemein nachvollziehbar, authentisch und wahr. Wie seltsam auch immer die Szenarien erscheinen, Straus Texte wirken echt.
Während die Situierung der seinem Prinzip nach streng aus dem Kunstbetrieb herausgehaltenen Texte im Rahmen von Ausstellungen für Strau die Haupthandlung darstellt, dienen die Objekte als ,,Erdung“ der Texte im Raum, die in der Funktion des ,,Sponsorings“ auch als einzige Dinge als transferierbare Kunstwerke fungieren sollen. In manchen Werken verschmelzen gerahmte Drucke zusammen mit diese umgebenden Materialien und Leuchtkörpern zu kleinen Bühnen für Texte. Die Lampe oder der Lampenschirm, für Strau Kontakt aufbauende Textboten, bilden nur noch einen entfernten Ausgangspunkt. In den zwei auf Objekte konzentrierten Räumen an beiden Enden der Halle wird ein sehr dichtes Spektrum von Werken aus den letzten dreißig Jahren zusammengebracht. Mit den Lampenskulpturen kollidieren geradezu auf Alu-Dibond Platten gedruckte Fotografien von Textstücken mit einer Serie verdunkelter und unscharfer, angeeigneter schwarz-weiß Fotos von Außenräumen und Straßenzügen, 1998 als ,,Nazis of Suburbia“ entstanden.
Gleichförmig ausgeführte, silbern schimmernde Bilder von auf Leinwand applizierten Zinn, Lot, und Emaile, die zu einem Großteil als ,,Engel“ betitelt sind, dominieren den zweiten, am anderen Ende der Ausstellungsfläche liegenden retrospektiven Raum mit Objekten. Vom Metallüberzug freie, mit Markerlinien durchzogene Flächen bilden an Vögel oder Fantasiewesen erinnernde Gestalten in den Werken, die mehrheitlich im letzten Jahr entstanden sind. Die von Strau als frühe Form von psychoanalytischer Artikulation verstandene Figur des Engels bildet zusammen mit biblischen Akteuren wie Josef zentrale Motive in seinem Werk. Zusammen mit wenigen ausstellungsarchitektonisch fungierenden Lampenobjekten ist auch die Skulptur einer Schildkröte zu sehen, die zuletzt als Stellvertreter für einen von der Schnelligkeit des Modernen Lebens abgehängten, wenn auch würdevollen Flaneur in einer Ausstellung in Wien zum Einsatz kam.
Zurück im zentralen Raum der Ausstellung mit den begehbaren Kinos tauchen Objekte nur sehr vereinzelnd und unregelmäßig verteilt auf, sie erscheinen wie beiläufige Kommentare und treten häufig nur an Randorten in Erscheinung, um die Wände der Kinostrukturen herum verteilt. Eine den Zugang zum Raum mit den Zinn-Bildern verengende Ansammlung von gefunden, alten Lampen und anderen metallenen Objekten schafft eine irritierende Flohmarkt-Atmosphäre, die durch die Präsentation auf sowohl geschlossenen als auch ausgepackten Umzugskartons verstärkt wird.
,,Spirit and Objects“ ist eine Ausstellung, in der Straus Arbeiten außerhalb ihres gewohnten, konzeptuellen Taktes erscheinen. Künstlerische Neuinterpretationen und der durch Strukturen sanktionierte, sparsam mit Werken ausgestattete Raum stehen im Zentrum, in dem es, wie es viele sich stapelnde Kartons andeuten, vielleicht gar nicht alles zu sehen gibt. Befreit dieses Depot in seiner Veranlagung nun die alternden Werke durch die Zeit selbst von ihrer Realität als Objekt, wie der Ausstellungstext es ankündigt? Diese Frage ist vielleicht, wie die dem Depot im Ausstellungskonzept verliehene Natur selbst, nur auf metaphysischer Ebene zu klären. Dennoch trifft man in der Ausstellung auf einen Raum, in dem die Werke weniger an ihre eigene Zeit gekoppelt sind und für den Moment eine noch unklare Liaison eingehen, die weder alt noch neu ist. Ganz wie diese Stimmung des stillstehenden Aufbruchs, welche die Kartons und Kinocontainer wachrufen, wenn ein ganzes Leben, vorübergehend in Umzugskisten verpackt, weder weg noch da ist.
Ei Arakawa – Fees & Nerf
Zu Arakawas künstlerischer Herkunft als Performancekünstler ist Josef Strau die Verbindung. In den frühen 2000ern führte Arakawa in verschiedenen zeitbasierten Handlungen Texte von Strau in dessen temporär errichtetem Glaspavillon und Aktionsraum an der Berliner Volksbühne auf. Wie eine der letzten großen Ausstellungen von Ei Arakawa im Kunstverein Düsseldorf ,,Performance People“ zeigt, spielt die Performancekunst weiter eine zentrale Rolle in seinem Werk, verlagert sich jedoch vom eigentlichem Akt der Aufführung in eine Form der kritischen Befragung der Geschichte, Potentiale und Schwächen dieser zeitbasierten Kunstform und nimmt so indirekte Formen der Repräsentationen an. In ,,Performance People“ – der Titel spielt auf ein Kommentar eines befreundeten Künstlers an, der sich über die Omnipräsenz von Performancekunst mokierte – setzte sich Arakawa mit dem Problem der Flüchtigkeit von Performances auseinander, indem er in Kollaboration mit einer Astrologin aus den exakten Zeitdaten historischer Performances Horoskope herauslas. In der Ausstellung waren so die Performances durch ausführliche Persönlichkeitsbeschreibungen, komplexe astrologische Charts und Tabellen und ,,Interviews“ repräsentiert, anhand derer man den ,,Performance People“ begegnen konnte. Repräsentiert von in Batikstoffen eingewobenen, blinkenden Sternenkarten aus LED Blinklichtern, erhielten die in Horoskope übersetzten Performances selbst eine performende Präsenz.
Es ist dieses Prinzip der performenden Bilder, der Performances in Abwesenheit, die in Blinklichtern in materieller Form präsent gehalten werden, welches auch die Grundlage der in der Galerie Max Mayer zu sehenden Werke bildet. Auseinandersetzungen mit den Formen und Bedingungen des künstlerischen Arbeitens, die ein durchgehendes Motiv in Arakawas Werk bilden, haben durch die akuten Auswirkungen von Covid-19 eine bisher nie dagewesene Brisanz eingenommen. Vor dem Hintergrund seiner eingeschränkten Aktivität als Performance-Künstler hat Arakawa Münzen darstellende LED Malereien entworfen, welche Reaktivierungen seiner Performances aus den letzten Jahren an Orten wie der Berlin Biennale, im MoMa oder der Tate Modern darstellen. In der Landeswährung des jeweiligen Performance-Ortes geben die Münzen durch die Blinklichter in 1-minütigen Animationen den Wert wieder, den Arakawa als Honorar für die jeweilige Performance erhalten hat. Den/die Betrachter*in erwartet eine Reihe von blinkenden, im Typ changierenden Münzen in Währungen des Euros, des Britischen Pfundes oder des Yen. In riesenhaften Dimension von etwa dreißig Zentimeter Durchmesser sind die Münzen als runde Teppiche aus LED-Lichtern mit Kabeln, Drähten und Prozessoren verkabelt wie Leuchtreklame an den Wänden aber auch am Boden der Galerie montiert.
In ihren changierenden und blitzenden Profilen haben die mit gelblichen, rötlichen oder weißen Licht die Optik schimmernder Münzen wiedergebenden LED Werke eine starke Anziehungskraft, so wie Abbildungen von Geld irgendwie immer anziehend wirken. Das grelle Funkeln und die im Detail auftauchenden Wappen der Münzen – Löwen, Köpfe und Pflanzen – lassen für einen Moment die faszinierende Welt von Vintage Videospielen anklingen. Mit dieser vergnüglichen Ästhetik hat Arakawa jedoch ein prekäres Casino gebaut. Die fragile Repräsentanz der Währungen anhand von sich immer wieder ändernden und schwindenden Lichtern weist auf die grundsätzliche Instabilität von Wert hin, der im Währungssystem genauso wie im Kunstsystem vom Vertrauen in übergeordnete, funktionierende Institutionen abhängt ist. Zwei Münzen mit minimalen Bildstörungen, welche als Performer zweier in Kollaboration für ,,Fees & Nerfs“ entstandener, das Thema Geldnot aufgreifender Songs fungieren, symbolisieren diese schwelende Problematik der Verletzbarkeit von vertrauensbasierten Wertsystemen wie dem Geld. Indem einer dieser Songs aus der Perspektive einer Münze die Insolvenz von dem Familienbetrieb der Familie Arakawa erzählt und der andere vor Ort aus Interviews des Künstlers mit japanischen Künstler*innen über das Thema Geld entstanden ist, bringen beide diese Münzwerke in ihrem Blinken sehr persönlichen Aspekten aus dem Leben des Künstlers in die Ausstellung ein.
Instabilität, Prekarität und die Abhängigkeit von Werten und Bedeutungen, wie es auch eine ortsspezifische, ephemere Arbeit signalisiert, in der Arakawa seinen Namen in Münzen ausgelegt hat, sind nicht nur in der Kunstwelt zur Zeit überall spürbare und schwelende Themen. Von der oberflächlichen Präsenz blinkender Lichter aus klingen viel tieferlegende Fragen in den Werken an. Wie kann man Performance als Kunstform mit ihren Bedeutungen und Zielen in Zeiten von Auftrittseinschränkungen wach halten? Was macht den Wert von Kunst aus, die nicht präsent ist? Worum geht es eigentlich gerade? Trotzt der scheinbar alles ersetzbaren Kraft des Geldes lässt die Präsenz der Münzen in den LED Malereien eine Leere in der Ausstellung spüren. Als paradoxe Verkörperungen der Abwesenheit der ihnen zu Grunde liegenden künstlerischen Praxis stehen sie für eine Situation ein, in der viele Werte und Systeme in Frage stehen. Mit ,,Fees & Nerf “ gelingt es Arakawa diese Unwissenheit auf eine reizvolle wie subtile Weise einzubinden und zuzulassen – als einen ersten Schritt der Bewältigung.