Alex Wissel - Förderpreisträger der Landeshauptstadt Düsseldorf 2019—Kunstverein für die Rheinlande und Westfalen

Alex Wissel könnte ein großartiger Geschichtenerzähler sein. Nur entstammt die Welt aus germanischen Kulten und völkischen Geheimbünden, die er in seinem jüngsten Werk umkreist, keiner sagenhaften Überlieferung. Nationalistische Mythen über Jahrhunderte zurückverfolgend, zitiert Alex über ein zunächst loses und assoziatives Netz von in Rauminstallationen gebündelten Arbeiten aus dem kulturellem, ein nostalgisches Germanentum der Gründungsväter herauf beschwörendem Gedankengut der Neuen Rechten. Was in den historistisch angehauchten, photorealistisch-dokumentarischen Zeichnungen und Skulpturen auf den ersten Blick kurios erscheint, entpuppt sich allmählich als eine beunruhigende Botschaft. Fußt doch in diesem Feiern eines kultisch konstruierten Deutschtums eben jene rassistische Weltanschauung, die niemand haben will. Seine Rolle als Künstler um die Methodik der historischen Forschung erweiternd, stellen Alex‘ Werk eine Aufarbeitung solcher oft übersehenen feinen Nuancen dar, die als stille Katalysatoren gefährlicher Überzeugungen längst offen in der Gesellschaft zirkulieren.

Im Kunstverein für die Rheinlande und Westfalen Düsseldorf ist eine ortsspezifische Rauminstallation von Alex zu sehen, die sich mit der Geschichte des Standortes der Institution, dem Grabbeplatz, befasst. Heute bekannt als Tor zur Altstadt und geprägt durch die ihn säumenden Kunsthäuser, stellt sich innerhalb der allegorisch als ,,Die Pest“ benannten Arbeit heraus, dass  der Namensgeber des Ortes Christian Dietrich Grabbe (1801-1836) ein von den Nazis posthum gerühmter Autor war. Im Rahmen einer ganzen ,,Grabbe Woche“ wurde 1936 unter den Nationalsozialisten ihm zu Ehren sein deutschtümliches Stück ,,Die Hermannsschlacht“ im Schauspielhaus an der Stelle der heutigen Kunsthalle und des Kunstvereins aufgeführt. Der Grabbe-Platz, ein kranker Mann. In dem mit pastellfarbenen Wand-Zeichnungen und Pestbeulen aus Pappmarché spärlich ausgestatteten, durch seine Gliederung in szenenhaften Kapitel bühnenhaften Raum im Kunstverein, spinnt sich von dem konkreten Standort des Besuchers ausgehend dieses Motiv des Germanen-Mythos von seinem Aufkommen in der Deutschen Revolution im Neunzehnten Jahrhundert bis zum Erstarken des Rechten Flügels der AfD bis heute weiter.

Alex‘ Art, uns für solche komplexen historischen Diskurse zu fangen, ist der Humor. So kreist der Betrachter um ein in der Mitte des Raumes kopfüber angebrachtes Schild des Grabbeplatzes, vor dem er dieses Mal vielleicht das erste Mal wirkliche gezwungen ist, innezuhalten und sich mit seinem Namensgeber Christian Dietrich Grabbe zu beschäftigen. Die präzisen, in der Farbe schlicht gehaltenen Wandzeichnungen von Schwert haltenden Händen, nationale Hymnentexten, knienden Germanenmädchen und Bühnenbildern wirken wie spontane Aufzeichnungen aus einem größeren Skript, das allein der Künstler in der Hand hat. So isoliert wirken sie märchenhaft entrückt und befriedigen einen vordergründigen Schauspaß, von dem aus Alex den Betrachter aber bald in eine unerwartete Aktualität hinführt. Obwohl sich die einzelnen Arbeiten entlang eines weit gegriffenen Zeitstrahls von den ersten Nationalfeiern Mitte des Neuzehnten Jahrhunderts bis zu von den völkischen Vereinigungen der rechter Gruppierungen der AfD entwickeln, lässt sich jedes historische Fenster, das Alex in seinen Stationen aufmacht, auch wieder Richtung Gegenwart öffnen. Und es ist gerade diese Zeitlosigkeit der seit Mitte des Neunzehnten Jahrhunderts sich verdichtenden Phänomene, die erschüttert und dem Werk ,,Die Pest“ seine Brisanz verleiht.

Die Reihenfolge, in der der Betrachter sich den einzelnen Stationen nähert, ist offen angelegt. Eines der ersten Raumelemente, das ins Auge fällt, ist allein der Dimensionen halber eine wandfüllende Abschrift der Ankündigung der Aufführung des Stückes ,,Die Hermannsschlacht“ im Schauspielhaus Düsseldorf. Allein das Datum 1936 und das plötzliche Auftauchen des bisher unbefleckten Namens ,,Grabbe“ dieser Archivmaterial-Projektion geben einem zu denken, dass sich innerhalb des erzählerischen Ortes, den Alex für diesen Raum erschaffen hat, sich irgendetwas in einer Schieflage befindet. Von diesem Bildzitat aus der Zeit der Nationalsozialisten aus öffnet Alex mit einer Aquarellbuntstiftzeichnung einer anlässlich der National-Feiern zur deutschen Einheit 1848 errichteten Germania-Statue ein weiteres Fenster auf hin zu einer doch unerwarteten Verbindung zwischen nationalem Germanenkult und den Entwerfern dieser Statue, den Düsseldorfer Künstlern. Deren Aktivitäten als Gemeinschaft im Neunzehnten Jahrhundert hingen eng zusammen mit Nationalstaatsriten. Eine schemenhafte Abzeichnung eines Bühnenbildes des Stückes ,,Die Hermannsschlacht“ von 1936 verdeutlicht, wie schon früh kulturelles Gedankengut angeeignet und mit eigenen nationalistischen Vorstellungen überschrieben und instrumentalisiert wird.

Mit einer Zeichnung eines knienden Germanenmädchens aus einem früher die Wände der Düsseldorfer Kunsthalle zierenden Frieses der allegorischen Geschichte der Kunst von Carl Gehrts (1853-1898) dringt Alex weiter akribisch vor in diese seltsame Verschränkung aus Künstlerwesen und germanischen Kulten. Mit der Einspielung von Carls‚ prominenten Bruder Johannes Gehrts (1855-1921), Düsseldorfer Malkasten Mitglied und Germanenmaler – Ikone, den er mit einer kleinen Zeichnung der Gestalten Hermann und Thusnelda aus dem Germanen-Mythos heran zitiert, bringt Alex noch eine wesentlich schwerwiegendere Verschränkung zwischen der Geschichte der Düsseldorfer Künstler und der Förderung nationalistischer Mythen ans Licht. Johannes Gehrts entwarf für Bälle des jungen Malkasten Vereins zahlreich Kostüme für so genannte ,,Lebende Bilder“, also von Menschen nachgestellte historische Szenen. Seine Darstellungsformen der ,,Germanenzeit“, wie er sie interpretierte, finden vor allem in Rechtsnationalen Kreisen noch heute große Beleibtheit. Der ideologische Hexencocktail, in dem ein wachsender Anteil der Bevölkerung heute feststeckt, angebraut von Düsseldorfer Künstlern? Der nach einer neuen einigenden nationalen Erzählung suchende deutsche Staat unter Preussen war ein lukrativer Auftraggeber, nachdem die Fürstenhäuser wegfielen und Katalysator für neue kreative Prozesse. Obwohl Alex durch das ausschnitthafte, plakative an die Wand Malen von Fakten Irritationsmomente schafft, geht es ihm nicht um Provokation. Nicht das Sensations-Erlebnis steht im Zentrum, sondern die Entwicklung eines Gespürs für den Prozess der feinen Verwebungen von Ideen und Ideologien, für deren Nachvollziehung Alex diese Rauminstallation ,,Die Pest“ entworfen hat.

Drei auf verschiedenen Trägern realisierte Zeichnungen, zweimal auf die Wand und einmal gemäldegleich auf Alu-Dibond  gespannte Raufaser gezeichnet, spannen gemeinsam ein Netz von kulturhistorischen Verweisen, welches sich erstreckt bis zu den Rechten Kreisen der AfD. In sagenhaftem Grün ragt auf der Wand ritterlich ein Arm mit einem Schwert hervor, er stammt von der Hermannstatue in Detmold, besonderes Augenmerk ist gerichtet auf die Deutschland und seine Macht verherrlichenden Inschriften der Schwertklinge. Erneut trägt ein sonderlicher Bildausschnitt eine beunruhigende Hintergeschichte, denn mit dieser Schwerthand erzählt Alex auch von den so genannten ,,Hermannstreffen“ rechtsnationalen Gruppierungen in der Nähe des Denkmals. Das trügerisch modernistisch erscheinende Logo des diese Treffen organisierenden ,,Alternativen Kulturkongresses“ ist an der Wand gegenüber angebracht. Das am irritierendste Werk dieser in immer engeren Schlingen das nationalistische Gedankengut der AfD aufdeckenden Werksformation ist ein verschiedene Motive aus rechter Propaganda vermischendes Bild, benannt ,,Landolf Lading“ nach dem Pseudonym, unter dem AfD-Mitglied Björn Höcke antisemitische Texte verfasste. Ein Überkopf stehende Silhouette Barbarossas wird überblendet von den Händen Angela Merkels in der von ihr präferierten Rautenhaltung, hier ist es die ,,Raute-des-Grauens“ von einem Pegida Plakat. Daneben stimmt ein abgezeichneter Auszug aus der Partitur des ,,Germanenzuges“ zum Kaiserfest 1877 im Malkasten zum fröhlichen Singen an.

Die von Alex im Kunstverein für die Rheinlande und Westfalen entworfene Rauminstallation ,,Die Pest“ ist so zweierlei,  investigativer Entdeckungsparcours, aber auch eine unbequeme Aufdeckung unserer Unwissenheit. Rechte Bewegungen und Einstellungen lehnen wir ab, über die kulturellen Ausprägungen und Wurzeln des Ganzen wird aber oft hinweg geschaut. Alex‚ Herangehensweise, aus den kollektiven Vorstellungen und Selbstbildern der deutschen Gesellschaft  zitierend bis in den Raum ausbreitenden Zeichnungen zu entwickeln und Überlagerungen daraus zu schaffen, die eigentlich gar nichts Neues zeigen und dennoch einen irrsinnig brisanten Charakter tragen, stellt eigene Stilform in sich dar. Wenn Alex erzählt, meint man mit Anekdoten beschossen zu werden, seine Aufdeckungen erscheinen trotzt ihrer strengen Verankerung in historischen Fakten nicht selten satirisch. Ohne zu belehren oder zu politisieren legt Alex durch das Aufzeichnen der Verwebungen zwischen Hochkultur und deutschnationaler Ideologie eine blinde Stelle im gesellschaftlichen Geschichtsbewusstsein auf, die wir, so bleibt der Eindruck eigentlich hätten kennen müssen. Wie die Pestbeulen an den Wänden es andeuten, ist unsere Gesellschaft bereits infiziert von einem ein verqueres Deutschtum feierndem Gedankentum, das leider nicht naiv ist.  Wäre Alex Wissel bloß nur Geschichtenerzähler.

 

Alex Wissel – die Pest, Installationsansicht Kunstverein für die Rheinlande und Westfalen Düsseldorf (14. Dezember 2019 bis 26. Januar 2020)  |  Foto: Katja Illner

Alex Wissel – die Pest, Installationsansicht Kunstverein für die Rheinlande und Westfalen Düsseldorf (14. Dezember 2019 bis 26. Januar 2020)  |  Foto: Katja Illner

Alex Wissel – die Pest, ,,Landolf Ladig",Kunstverein für die Rheinlande und Westfalen Düsseldorf (14. Dezember 2019 bis 26. Januar 2020)  |  Foto: Marina Sammeck

Alex Wissel – die Pest, Werksansicht Logo des ,,Alternativen Kulturkongresses“,Kunstverein für die Rheinlande und Westfalen Düsseldorf (14. Dezember 2019 bis 26. Januar 2020)  |  Foto: Marina Sammeck