In der Kunstwelt haben Performances Konjunktur. Jeder möchte an diesen spektakulären Aktionen und eigentümlichen Handlungen teilhaben, während derer der Künstler vor Ort ,,Kunst“ erschafft. Und eine ganze Generation junger Künstler strebt danach, sich doch irgendwie als Performer zu verstehen und zu präsentieren. ,,Überall schleichen sich diese Performance People ein“ mokierte sich ein Freund des Künstlers der Ausstellung Ei Arakawa. Selbst Performace-Künstler, nahm sich Arakawa den zunächst abschätzigen Begriff ,,Performance People“ zum Programm, um einen neuen Blickwinkel auf das Medium einzunehmen: können wir ein ,,Wer“ für Performances entwerfen? Unter Rückriff auf modernste Verfahren der Astrologie hat Arakawa 15 Performances aus seinem persönlichen Inspirationsschatz, darunter Schlüsselwerke wie Yoko Ono’s ,,Cut Piece“ (1964) oder Andrea Frasers ,,May I help you?“, aber auch jüngere ikonische Performances wie ,,IBIZA – A Reading for ‚Flicker‘“ von Ian White (2006), nach ihrer Persönlichkeit befragt. Performance People , Arakawas erste Enizelausstellung, reflektiert diesen Prozess und entwirft ein Modell, im Rahmen dessen der Besucher den Performances ,,begegnen“ kann.
Datum, Uhrzeit, Ort: das sind die einzigen von Arakawa eingepflegten Performance-bezogenen Koordinaten, aus denen ein Astro-Dienst nach einem standarisierten Verfahren die individuellen Sternenkonstellationen der Performances zum Zeitpunkt ihrer Aufführung errechnet hat. In Form dieser astrologischen Charts, einmal als an die Wände geheftetes Postermaterial des Astro-Services und einmal als von Ei angefertigte Installationen, ,,begegnet“ man den Performances in der Ausstellung. Typisierte Diagramme des Sternenhimmels, zentrierte Kreise aus den Tierkreiszeichen mit inneren Ringen, in denen der Stand der Planeten eingetragen ist, geben über Symbole, graphische Linien und Tabellen die momentspezifischen Konstellationen jeder Performace zum exakten Zeitpunkt ihrer Darbietung wieder. Diese von Rechenprogramme generierten Sternencharts, eine Mischung aus Astronomie und Astrologie in ihrer eigenen rätselhaften Symbolsprache, stellen die erste Begegnungsstufe mit den Performances als Persönlichkeiten dar. In bunte Rahmen aus Batikstoff hat Ei riesige Kreise aus hunderten farbigen LED-Lämpchen eingespannt, die in Form blinkender Lichter diese Diagramme wiedergeben. Die im Himmel festgeschriebenen Performances begegnen uns so auf Erden. Durch das Summen der Server, das Blinken der Lämpchen und den stetigen Stromfluss performen die Lichtinstallationen sich selbst in der Ausstellung. Sie sind vergnüglich zu betrachten. Der humorvolle Aspekt von Arakawas sperrigen Unterfangen der Performnace-Persönlichkeitsdeutung scheint durch die bunten Skulpturen hindurch.
Genauer betrachtet ist Performance People eine Ausstellung, die aus drei Ebenen besteht und als Installation im Rahmen der konzeptuellen Kunst begriffen werden muss. Erstens ist die Ausstellung als dreimonatige durchgehende Performance konzipiert, während derer Arakawa und Chow, wobei letztere aus eigener künstlerischer Praxis das Expertenwissen besitzt, aus den Charts Horoskope lesen und die entstandenen Deutungen als Text Stück für Stück in der Ausstellung aushängen. Die Stelle der Aushängung ist eingerahmt durch einen Wandtext (,,Mercury Calendar“), der das performative Programm der Ausstellung wiedergibt, wie es anhand dem Kalender des Merkur eigens für den Zeitraum der Ausstellung erstellt wurde. Zum Zweiten handelt Performance People von Performances, repräsentiert eine historische Auswahl (die durch Schwerpunkte in der Queer Art, Civil Rights Movement, Feminist Art und japanischen Nachkriegsmoderne die Interessen des Künstlers widerspiegelt) und stößt durch die Thematisierung des ephermen Charakters jeder Performance grundlegende Fragen über das Medium an sich an. Drittens lässt sich die Ausstellung als Experiment verstehen, innerhalb dessen versucht wird, kunsthistorische und astrologische Daten in Einklang zu bringen. Durch diese in der Ausstellung nicht gleich erkennbare Verschränkung dieser Ebenen ist der Moment, wo das komplexe und für den Besuch nicht nachvollziehbare angeeignete Material zur künstlerischen Aussage wird, in Performance People nicht einfach herauszufinden.
Kohärent wird die in Performance People angefangene Erzählung durch die Lektüre der auf Basis der Sternencharts von Chow und Arakawa erstellten horoskopischen Persönlichkeitsprofile der 15 Performances. Die Horoskope sind eine Erweiterung der bereits in den blinkenden Objekten und Plakaten begegneten Idee einer astronomischen Kartierung der Performances am Sternenhimmel hin zu der konkreten Erfassung ihres Wesens. Die eigentliche Begegnung mit den People. Wir erfahren über die Persönlichkeit der Performances, wie die Sterne es bestimmt haben wie man es auch für Menschen formulieren würde, die wissen wollen, zu wem und was sie bestimmt sind. Ein zwischen genau und vage oszillierender Rahmen wird aufgespannt. Veranlagerungen, positive wie negative, und die Chancen, die sich daraus ergeben, werden beschrieben. Wesentliche vorbestimmte Charakterzüge werden offengelegt, in der Summe entsteht eine Voraussicht auf das gesamte Leben, eine Prognose, wie es anhand des durch die Sterne veranlagten individuellen Wesens vielleicht laufen wird. Diese Horoskope sind nicht, wie man es erwarten würde, nachträglich aus dem Inhalt der Performances abgeleitet wurden, sondern streng astro-wissenschaftlich erstellt. Sie sind eine Addition zu der Performance, nicht ihre Übersetzung.
,,You have a psychich sensivity to how the world views you. You know what to say to get what you want“, heißt es über die Performance-Persönlichkeit ,,Cut Piece“ (Yoko Ono, 1964). ,,Your future career has something to do with technology or social justice“ wird als Schicksal von ,,Boycott women“ (Lee Lozano, 1971) prognostiziert. ,,Without relationships you don’t really know who you are. You understand the world trough the give and take of sexual intimacy“ wird hinsichtlich der persönlichen Veranlagung von ,,Angels in America“ (Tony Kushner, 1989) festgestellt. Ausschnitte von im Text prominenten Prophezeiungen zeigen, dass die umfangreichen Persönlichkeitshoroskope in gewisser Weise in den Aussagerahmen der jeweiligen Performances passen. Durch die starke Personifizierung in Form der direkten Ansprache schaffen sie jedoch auch etwas Neuartiges, Fremdes, das weit über die Performance hinausgeht. Wo dieses so generierte Wesen eigenständig ist und wo es lediglich angelehnt an das ist, was man von der Performance allgemein kennt, bleibt der Deutung des Lesers überlassen.
Arakawas Befragung des Charakters der Performances und deren stoffliche Nachbildung ist an Akribie nicht zu überbieten. Doch gerade diese extreme wissenschaftliche Unterlegung gibt dem Unterfangen fast wieder eine komische Note. Wie ernst ist es dem Künstler damit, Performances mit ihren ,,specific emotions, intelligence, capacities, willpower“ erfahrbar zu machen? Oder ist alles nur ein Spiel mit unserem eigenem Begehren, Performances als heute schon wie in sich geschlossene Berühmtheiten wahrgenommen irgendwie festhalten und treffen zu können? Diese gewisse Leichtigkeit, ein Projekt technisch und methodisch konsequent bis zum Ende zu bringen und dann doch mit einem Augenzwinkern das Ergebnis zu vermitteln, ist ein typischer Wesenszug von Arakawas Werk. Subjektive – die eigene Versessenheit auf Performances als Schaffensbestandteil – und kollektive Fragestellungen – die Frage nach der Möglichkeit einer Fixierung der ephermen Performances – vermischen sich zu Gesamtsituationen, in denen sich der Betrachter überhaupt nicht und dann doch wiederfindet. Arakawa bringt das Erhabene an die Grenze des Banalen und andersherum.
Über den leicht spaßig erscheinenden Versuch, Performances zu treffen (es läuft eine Tonspur, in der Arakawa und Chow Performance-Persönlichkeiten interviewen und versuchen, ihnen intime Details zu entlocken) bearbeitet Arakawa eine grundsätzliche Frage, nämlich wie sich performative Kunst im Moment ihres Erscheinens festhalten lässt. Dabei geht es ihm nicht um die Aufzeichnung – im Zeitalter der digitalen Medien ist dies problemlos möglich. Arakawa liegt es an der Erfassung der Performance in ihrem Wesen, in dem, was sie eigentlich nur einmal ist. Im Firmament des Himmels hat der Künstler eine ewig andauernde Verankerung für diese Momente entdeckt, so wie in der Mythologie Jahrtausendealter Kulturen die großen Helden und Liebenden in Sternbildern ewig leben. So wie die LED-Kreis Installationen jedoch nach der Ausstellung erlöschen werden, kommt auch der schmerzliche Gedanke auf, das manche historischen Performances, über die es kaum oder nur aufwendig zu erhaltendes Videomaterial gibt, irgendwann verschwinden werden. Wie schräg Arakawas Idee der astrologischen Berechnung von Performance-Personen nun sein mag – Performance People lässt sich auch als ein beherzter Hinweis darauf hin lesen, den Dialog zu den Performances nicht abbrechen zu lassen, sie weiter zu befragen und in ihrer Individualität ernst zu nehmen, damit sie wie Personen, an denen uns etwas liegt, erhalten bleiben. Eine Aufforderung über die Metapher des Star Talk.