RED IN TOOTH - Dala Nasser —Kölnischer Kunstverein

Wenn Menschen von ihrem Land sprechen, meinen Sie damit in erster Linie das nationalstaatliche oder gesellschaftliche Gebilde, dem sie sich zugehörig fühlen. Kaum jemand beruft sich jedoch auf das Terrain. Aber ist der Boden, auf dem man steht, nicht mehr als nur eine Fläche? Die libanesische Künstlerin Dala Nasser versucht in ihren installativen Arbeiten, die zur Zeit in ihrer ersten Einzelausstellung in Deutschland RED IN TOOTH im Kölnischen Kunstverein zu sehen sind, jene verlorengegangene Verbindung zur Erdoberfläche wiederherzustellen, über die wir mit unserem Heimatland verwurzelt sind. Für Nasser ist der Erdboden ein Reservoir von Erinnerungen und Kräften, das eng mit dem Schicksal eines Landes und seiner Bürger*innen verbunden ist. In der Rückkehr zur Erde und des Kontaktes zu ihren Elementen sieht die Künstlerin auch ein Mittel der Heilung für politische Konflikte, Verletzungen und Traumata, das ihr Herkunftsland Libanon durch den wirtschaftlichen Zusammenbruch in den letzten Jahren durchlebt hat. Nasser, die lange in London und den USA studiert und gelebt hat, hat eine einzigartige künstlerischen Methodik des Aufnehmens und der Kartografie entwickelt, mit der sie versucht, das von den Desastern unberührte Wesen der libanesischen Erde zu extrahieren. Es ist ein beharrlicher und körperintensiver Kampf gegen und mit dem kollektivem Schmerz des Identitätsverlustes, der das Land immer weiter auffressen zu droht.

Dala Nasser arbeitet in erster Linie mit gefundenen und gebrauchten Stoffen. Als künstlerisches Material ist das Medium Stoff nicht zufällig eng mit Identitätsfragen und -konflikten verbunden. Als Tracht, Flagge oder Banner transportiert Stoff Botschaften  entweder, oder nimmt diese, besonders im Gebrauch als Kleidungsstück, in sich auf. Diese beiden grundlegenden Funktionen von Textilien im künstlerischen Gebrauch kreuzen sich in den aus unterschiedlichen Stoffbahnen zusammengefügten Werken von Dala Nasser.Wie Bühnenbilder türmen sich diese Installationen aus großflächigen Textilfragmenten in Ocker- und Erdfarben im Ausstellungssaal auf, deren Oberfläche stark beansprucht und spröde erscheint. Bei genauerem Hinsehen entdeckt man, dass natürliche Verwitterungskräfte die gebleicht-rosa schimmernden Strukturen auf den Stoffen hinterlassen haben, die an Maserungen von Marmor und Granitfels erinnernden. Spuren von Erde, Staub und Asche verleihen eine teils plastische Anmutung. Silberne Klebstreifen, welche die Stoffe miteinander verbinden, verstärken den Eindruck, es handele sich nur um eine vorübergehende Konstellation aus Eindrücken und Nachrichten, die nun in den Stoffbahnen erstarrt sind und die selbst so verfremdet wirken, dass nichts mehr an ihren ursprünglichen Gebrauchskontext erinnert.

Durch die Verwischung ihrer ursprünglichen Funktion erscheinen Dala Nassers Stoffcollagen so einerseits dekontextualisiert, andererseits wirken sie gerade in ihrer Schroffheit tief beseelt von etwas, das nicht durch den Menschen bestimmt ist. Dieser fremdartige Geist wird durch sphärische Klänge und Hintergrundgeräusche aus der Natur, die der Architekt und Soundkünstler Mhamad Safa für die Installationen geschaffen hat, die durch den Raum hallen, verstärkt. Die Stoffstücke tragen in gewisser Weise das Wesen eines weitab von der Zivilisation gelegenen Gebietes im Südlibanon in sich, durch das der Fluss Wazzani führt. In diesem Territorium an der Grenze zu den palästinensischen Autonomiegebieten, zu dem nur ganz wenige Menschen Zugang haben, hat die Künstlerin ihre Arbeiten angefertigt, indem sie die gesammelten gebrauchten Textilien für mehrere Wochen in der Erde am Flussufer eingegraben und mit Salz- und Regenwasser gewaschen hat. In diesem Prozess, der stark rituelle Züge hat, haben die Tücher unter der Erde verborgene Stimmen aufgenommen, welche die Textilien nach der Extraktion nun zurück an die Erdoberfläche, in die Welt der Menschen bringen. Nassers eigenartige Herangehensweise ist dabei jedoch nicht nur bloß symbolisch. Die Erde und das Erdreich sind für sie reale Konstanten des Verbundenheitsempfindens zu einem Land. Als Materie spricht der Boden von (menschengemachten) Umweltveränderungen wie Erosion, Abtragung, Verschmutzung und Wasserverlust, genauso wie er durch Gewalt, Landraub und Kriege die Taten der Menschen erlebt und verzeichnet. Es ist eben dieser Erdboden, dem Leid und Hoffnungen überlassen werden und der daher aus der Sicht der Künstlerin untrennbar mit der Vergangenheit und Zukunft seiner Bewohner*innen verbunden ist.

Sich mit seinen Elementen, den Steinen und dem Staub auseinanderzusetzen, hat, wie Dala Nasser uns eindrucksvoll lehrt, also eine Bedeutung. Die Videoarbeit der Künstlerin, die abseits der Patchwork-Arbeiten im Studio des Kunstvereins gezeigt wird, besteht aus einem Roadtrip raus aus der Stadt in jene abgelegene Wildnis an der Grenze und kommt dennoch an keinem konkreten Ort an. Was hier mit tiefen, atmosphärischen Klängen untermalt präsentiert wird, ist keine Reise ins Paradies, sondern eine Folge teils banaler Bilder und Anblicke, die, aus dem Autofenster währen der Fahrt in einem von Ausfahrtsstraßen geprägten Gebiet, an einem vorbeirauschen. Zwar nimmt die Vegetation im Verlauf der Fahrt zu. Doch das Gesicht dieser Natur ist roh und grausam, mit überall herumliegenden Plastikmüll und den streunenden Hunden, die sie durchqueren. Ansichten eines riesigen Betonwalls, der sich durch die Hügel windet, zeugen von der Besetzung einer beeindruckenden und friedlichen Landschaft durch den Menschen.Ganz am Ende des Filmes dringt die Kamera tief in ein undurchdringliches Dickicht ein, das ein wenig an einen Zauberwald erinnert, kurz ist auch ein von Zweigen bedeckter rauschender Fluß zu sehnen. Ist dies der ersehnte Ort?

Sowohl in ihrer Filmarbeit als auch in den Installationen lässt Dala Nasser die Idee eines Refugiums einfließen, einer Art Heilstätte für kollektive Wunden, die, wie auch ihr Film zu vermitteln scheint, nirgendwo zu finden ist. Wie in dem Roadtrip in die Wildnis geht die Künstlerin in ihren Arbeiten von der gesellschaftlichen Realität ihres Landes aus. Leere Billboards, die durch die Wirtschaftskrise nicht mehr mit Werbung versehen werden, aber dafür eine umso stärkere Präsenz illusorischer Wahlwerbung für politische Führer sowie verwahrloste Landstriche deuten im Film auf die angespannte Lage im Libanon hin, aus der es kein Entkommen gibt.Und mit dieser Situation ist auch ihre Arbeit mit den Stoffen tief verbunden. Für die Künstlerin kann ein Ort erst Heilung bringen, wenn man ihn nicht von Außen erschließt. Der Erde zu folgen und zuzuhören vollendet in Nassers Philosophie einen Kreis zwischen den Menschen und ihrer Umgebung, an einer bisher unbekannten Stelle. Dieser Stelle eine Ausdrucksform zu verleihen, ist das Ziel ihrer Werke, mit der sie die Trauma wie auch die verborgenen Kräfte ihres Landes zu einer neuen Karte zusammenfügt.

Dala Nasser: Red in Tooth, 2020 – 2021 – 2022. Kölnischer Kunstverein, 2022  |  Courtesy: die Künstlerin und Deborah Schamoni. Foto: Mareike Tocha.

Dala Nasser: Red in Tooth, 2020 – 2021 – 2022 (detail). Kölnischer Kunstverein, 2022  |  Courtesy: die Künstlerin und Deborah Schamoni. Foto: Mareike Tocha.

Dala Nasser: Red in Tooth, 2020 – 2021 – 2022. Kölnischer Kunstverein, 2022  |  Courtesy: die Künstlerin und Deborah Schamoni. Foto: Mareike Tocha.

Dala Nasser: Red in Tooth, 2020 – 2021 – 2022 (detail). Kölnischer Kunstverein, 2022  |  Courtesy: die Künstlerin und Deborah Schamoni. Foto: Mareike Tocha.

Dala Nasser: Red in Tooth, 2020 – 2021 – 2022 (detail). Kölnischer Kunstverein, 2022  |  Courtesy: die Künstlerin und Deborah Schamoni. Foto: Mareike Tocha.

Dala Nasser: Red in Tooth, 2021. Kölnischer Kunstverein, 2022  |  Courtesy: die Künstlerin und Deborah Schamoni. Foto: Mareike Tocha.

Dala Nasser: Red in Tooth, 2021. Kölnischer Kunstverein, 2022  |  Courtesy: die Künstlerin und Deborah Schamoni. Foto: Mareike Tocha.