Ulrike Rosenbach Durch die Zeiten. Zwischen Körper und Geist —Galerie Gisela Clement

Es gibt Fragen, nach deren Beantwortung wir uns alle sehnen. Was kommt nach dem Tod? Welche Rolle haben wir auf der Erde? Gibt es höhere Kräfte, die unser Schicksal lenken? Während sich im Zuge postkolonialer und institutionskritischer Debatten das Kunstverständnis erweitert und außer-westliche Weltanschauungen wieder ein Revival erfahren, wurden solche existentiellen Themen bisher nur zaghaft von der zeitgenössischen Kunst behandelt. Woher stammt diese Zurückhaltung? Ist Spiritualität (immer noch) ein No-Go? Die bloße Existenz des Menschen und die Leerstelle, die entsteht, wenn man das menschliche Sein von allen wissenschaftlichen Erkenntnissen und gesellschaftlichen Besetzungen entfernt, ist das zentrale Thema von Ulrike Rosenbachs Lebenswerk.

Der Begriff des Existentiellen vereint die wesentlichen Motive im Werk der 80-jährigen Medienkunst-Pionierin, der das ZKM in Karlsruhe anlässlich ihres Jubiläums eine umfassende Ausstellung widmet. Er umfasst ihren feministischen Kampf, den sie in einer schonungslosen Auseinandersetzung mit überlieferten patriarchalischen Frauenbildern führte, ebenso wie ihre Konzeption eines ganzheitlichen Verständnisses von Mensch, Natur und Kosmos, das, ohne jemals eindeutige Antworten zu liefern, verschiedene Religionen und Mythen miteinander verflechtet. Die Kunstwissenschaft tut sich immer noch schwer damit, beide Aspekte gleichrangig zu betrachten. Die Ausstellung Durch die Zeiten. Zwischen Körper und Geist in der Galerie Gisela Clement, die den Fokus auf jene jüngere Arbeiten legt, in denen sich die Künstlerin mit Konflikten des menschlichen Seins beschäftigt, ist daher eine willkommene Ergänzung.

Im Zentrum der Ausstellung stehen insbesondere drei Installationen – Herkules – Herakles – King Kong, Schmelzprozesse und Über den Tod  – die allesamt auf bereits realisierten Werken basieren. Während die erstere Arbeit, die erstmals auf der Documenta 1977 gezeigt wurde, sich der Werksepoche zuordnen lässt, als Rosenbach ihre berühmten, feministisch ausgerichteten Performances und Video-Installationen entwickelte, sind die letzteren beiden Arbeiten Teil ihrer Erforschung des Themas Leben und Tod, das ab den Achtzigerjahren an einen immer stärkeren Ausdruck in ihren raumgreifenden Medien-Installationen fand. In den als Neukonstellationen gezeigten Werken von 1982 und 1995 lässt Rosenbach Referenzen zu verschiedenen mythischen und religiösen Weltanschauungen miteinander verschmelzen. So entsteht eine bildhafte Ausdrucksweise für Prozesse, durch die jeder Mensch geht, die sich aber weder beschreiben noch ergründen lassen.

Rosenbachs Übersetzungen solcher Aspekte wie Vergänglichkeit, Transformation und Wiedergeburt sind zum einen zutiefst persönlich, zum anderen rufen sie aber auch universelle Assoziationen wach. Wie bei der Erstrealisierung des Werkes führt Schmelzprozesse die Betrachter*innen in ein Labyrinth aus von der Decke hängenden, gelben Trauerbändern, die in Kränze eingeflochten werden. Ein einziges trägt ein massives Bronzeherz, das wie ein Pendel über einem Hügel aus weißen Marmorstaub zum Stillstand gekommen ist. Engelsgleiche Figuren aus flachem, schwarz gepulvertem Aluminium  flankieren das Bänderlabyrith an jeweils zwei Wänden, während im hinteren Teil, präsentiert auf einem hohen Sockel, ein Video einer schwarzen, schemenhaften Hand zu sehen ist, die auf einer orange-leuchtende Oberfläche aufgelegt ist, von der sie wie ein rohes Ei im Licht durchstrahlt wird.

Schmelzprozesse verweist, wie der Titel ankündigt, auf alchimistische Kräfte der Verwandlung, welche durch die im Video auftauchenden Materialien (Kupfer) und Gesten (Auflegen der Hand) sowie den Kegel aus weißem Staub, der Salz symbolisiert, in die Installation einfließen. Das über diesem Kegel hängende Bronzeherz geht auf die Installation Herzpendel – Energetisches Phänomen (1991) zurück. Wie das Salz ist auch das Bronzeherz ein wiederkehrendes Element in Rosenbachs medialen Installationen. Die Farbe Gelb (bzw. Gold) wird mit christlichen Grundsätzen wie Offenbarung und Unsterblichkeit assoziiert und ist außerdem die heilige Farbe des Buddhismus. Bis auf den Boden herabhängend, bilden die Bänder eine Verbindung zwischen oben und unten, Himmel und Erde. Die in Rosenbachs Werk ebenfalls wiederholt auftauchende geflügelte Figur stammt aus einem Fresko aus Pompeji, wo sie Teil eines vermutlich bacchischen Kultgelages ausnahmslos weiblicher Teilnehmerinnen ist.

Wie in vielen von Rosenbachs Installationen verbinden sich damit in Schmelzprozesse einfach lesbare Symbole mit Zeichen, die weitaus schwieriger in Zusammenhang zu setzen sind und deren endgültiger Sinn verborgen bleibt. Dennoch fügen sich alle Elemente zu einem Kontext – den Übergang zwischen Leben und Tod  – den man spürt und der sich so schwer greifen lässt, nicht weil er unzureichend artikuliert wäre, sondern weil das Danach, was Rosenbach hier als metaphysischen Raum nachbildet, einfach niemand kennt. Die Idee von Leben und Tod als transformativer Prozess bildet auch den konzeptuellen Hintergrund der Installation Über den Tod, die im rechten Raum des Obergeschosses zu sehen ist. Auf einer leicht gekippten, quer in eine Raumecke gesetzten Leinwand wird die Videoarbeit gezeigt, die 1995 zum ersten Mal in der St. Petri Kirche in Dortmund zu sehen war. Mittels einer Stahlkonstruktion schritten die Besucher*innen damals über sechzehn Bildschirme, auf denen der Video-Loop lief, der eine zutiefst ambigue Atmosphäre zwischen sphärisch und unheimlich ausstrahlt.

Stilistisch stellt Über den Tod eine Video-Collage aus unterschiedlichen, angeeigneten und Foto-basierten Symbolen dar, die mittels Bildbearbeitung verfremdet und synthetisiert, in einem schwindelerregenden Takt auftauchen, über den Bildschirm kreisen und wieder verschwinden. Im Hintergrund des Videos sieht man Trommelstäbe vor einem Tamburin, die aus der Performance und Medieninstallation Über die Engel (1984/2004) übernommen sind. Ihr monotoner Klang, begleitet durch eine flüsternde Stimme, durchdringt den Raum. Eine zentrale Symbolik der Arbeit bildet das Skelett einer sich in den Schwanz beißenden Schlange, die in Form einer 8 für Unendlichkeit steht. Ein zeitweilig erscheinender, einem schwarzen Loch ähnelnder Wirbel und ein rotierender Totenschädel offerieren gemeinsam mit dem jagenden Trommelklang eine schonungslose Konfrontation mit dem Thema Tod. Diese Gnadenlosigkeit setzt sich in der flüsternden Stimme fort, die Auszüge aus dem tibetanischen Totenbuch vorliest, welche die Verwesung des Leichnams beschreiben.

Die Botschaft, welche Über den Tod vermittelt, ist letztendlich schwer greifbar. Der Tod wird hier nicht als Ende, sondern als Übergangsprozess dargestellt. Dennoch bleibt der Ausgang des Weges, dessen Beginn Ulrike Rosenbach nachzeichnet, unklar. Neben der mystischen Botschaft stechen das ästhetische Vokabular hervor, dessen sich Rosenbach sowohl im Video als auch in den Videostills bedient. In diesen erscheint das Schlangenskelett als majestätische, klar durchleuchtete Struktur wie in einem Röntgenbild. Ulrike Rosenbach tritt hier ganz klar als eine Pionierin der Bild- und Videobearbeitung auf, deren Funktionsweise heute nur noch denjenigen klar ist, die zu einem recht frühen Zeitpunkt, den Neunzigerjahren, mit dieser bereits gearbeitet haben. Die Tatsache, dass diese Technik rasch durch effizientere Programme ersetzt wurde, lässt Rosenbachs Videoarbeiten heute auf technischer Ebene überholt erscheinen.

Dieses Urteil ist jedoch verfehlt. Denn solche Eindrücke blenden den zeitlichen Rahmen aus, in denen diese Werke entstanden sind und auf welche die kunsthistorische Interpretation von Ulrike Rosenbach ansonsten so sehr insistiert. Des Weiteren bringen mediale Installationen wie Über den Tod oder Zyklus die Organspenderin – Das künstliche Herz (2008), das in einem der Kabinette im Zwischengeschoss gezeigt wird, gerade durch die Irritation, welche die schwer einzuordnenden Bildmittel auslösen, einen eigenständigen ästhetischen Reiz mit, der die Wahrnehmung für die hinterliegende Botschaft öffnet.

In dem sich an den Primärfarben Rot und Blau orientierendem Video, das hinter einem transparenten Sockel, auf dem ein mit Vaseline beschmiertes Herzorgan aus Kunststoff liegt, auf die Wand gestrahlt wird, sieht man Rosenbachs Hände in medizinischen Handschuhen, die vorsichtig eine Kunststoffreplik des Herzens halten. Überblendet wird diese Sequenz von einer Collage aus Found Footage von medizinischen Apparaturen, schematischen medizinischen Abbildungen sowie Auszügen aus einer vintage-Krankenhaus-Serie. Zyklus die Organspenderin reiht sich wie die anderen beiden Installationen im Obergeschoss  in das Thema Leben und Tod ein. Sie erzeugt in teils einnehmenden, teils irritierenden Bildern eine gewisse Nervosität, sich vermeintlicher Sicherheiten – das Herz als funktionierende Maschine, die niemals nachlässt – nicht mehr ganz gewahr zu sein. Rosenbachs Werke lassen einen auf diese Weise jene Leerstelle unserer menschlichen Existenz erfahren, die entsteht, wenn man alle Gewissheiten entfernt.

Ein weiterer Schwerpunkt der Ausstellung liegt auf einem Werksteil, der bisher nur selten mit den medialen und installativen Arbeiten in Bezug gesetzt wurde und bis heute institutionell unterrepräsentiert bleibt: Rosenbachs Zeichnungen und Collagen. Teils auf Skizzenblöcken, teils im Großformat, fertigte Rosenbach im Laufe ihrer Karriere unzählige Zeichnungen auf Papier an.  Mit ihrer Hinwendung zu existentiellen Themen des Menschseins in den Achtziger- und Neunzigerjahren intensivierte sich diese Aktivität. Körperlichkeit und die Wirkung von Energien auf und durch den menschlichen (weiblichen) Körper scheinen ein durchgängiges Motiv in den Zeichnungen zu sein. In ihrer Farbigkeit und Linienführung unablässig zwischen hart und weich, konkret und abstrakt changierend, nehmen die Zeichnungen eine eigenständige Position in Rosenbachs Werk ein.

Die Initiative der Galerie Gisela Clement, diesen Werken großflächig Raum zu geben, stellt immer noch eine Sonderheit dar. Man wird den Eindruck nicht los, dass in der Rezeption von Ulrike Rosenbach die fließende, durch spirituelle Anschauungen inspirierte Ästhetik der Zeichnungen weiterhin gegen die klar-formulierte, reduzierte Bildästhetik ihrer feministisch gepolten Arbeiten kontrastierend abgewogen wird. Wobei hier ein Missverständnis entsteht, da Rosenbachs Performances und deren Aufzeichnungen ja ursprünglich nie schwarz-weiß waren beziehungsweise nur durch die damals verfügbaren Mittel der Aufzeichnung ihre „minimalisitische“ Ästhetik erhalten haben.

Begleitend zur großen Rückschau im ZKM, die am 23. Juni eröffnet, wirft Durch die Zeiten. Zwischen Körper und Geist anhand der Werksauswahl, die bewusst den Schwerpunkt auf vernachlässigte Aspekte von Rosenbachs Schaffen legt, die wichtige Frage auf, wie sich die Rezeption der Künstlerin unter Berücksichtigung ihres Gesamtwerkes neu gestallten lässt. Zuletzt drängt sich noch eine ganz andere Überlegung auf. Hat die Kunstgeschichte Rosenbach etwa nie verziehen, dass sie das „Schlachtfeld“ des Feminismus zu Gunsten spiritueller Themen verlassen hat? Wenn dies tatsächlich der Fall wäre, dann lässt die Rezeption Rosenbachs auch kein Reifen oder Altern zu – allesamt Prozesse, die völlig natürlich eine künstlerische Umorientierung mit sich bringen. Ein zutiefst misogyner Blick, der männlichen Künstlerkollegen seltsamerweise erspart bleibt.

Es wäre durchaus wünschenswert, dass Ulrike Rosenbachs Werk zum Zeitpunkt ihres 80-jährigen Geburtstages zukünftig mehr in seiner Ganzheit erfasst wird. Denn unabhängig seiner spezifischen Ästhetik oder bildnerischen Mittel betreffen ihre Arbeiten uns alle unabhängig von Herkunft, Geschlecht oder kulturellem Hintergrund. Jenseits der Pole Vergehen vs. Unendlichkeit, wie sie im Spannungsfeld von Wissenschaft und Religion oft gegeneinander antreten, weist Rosenbach in ihren erstmals in den Achtziger- und Neunzigerjahren realisierten Werken auf eine einfache Tatsache hin: wir alle befinden uns in Transformationsprozessen, die sich auf materieller Ebene weder erfassen noch beschreiben lassen.

https://www.galerie-clement.de/exhibitions/durch-die-zeiten-zwischen-koerper-und-geist

https://zkm.de/de/ausstellung/2023/06/ulrike-rosenbach-heute-ist-morgen

 

Ulrike Rosenbach, Herakles-Herkules-King Kong (Detail), 1977_2023  |  Galerie Gisela Clement und die Künstlerin, © Ulrike Rosenbach, VG Bild-Kunst Bonn (Foto: Mareike Tocha)

Ulrike Rosenbach, Schmelzprozesse, 1982_2023, Rauminstallation (Detail)  |  Galerie Gisela Clement und die Künstlerin, © Ulrike Rosenbach, VG Bild-Kunst Bonn

Ulrike Rosenbach, Zyklus die Organspenderin - Das künstliche Herz, 2008, Medieninstallation (Detail)  |  Galerie Gisela Clement und die Künstlerin, © Ulrike Rosenbach, VG Bild-Kunst Bonn (Foto: Mareike Tocha)

Ulrike Rosenbach, Über den Tod, 1996, Videostills  |  Galerie Gisela Clement und die Künstlerin, © Ulrike Rosenbach, VG Bild-Kunst Bonn (Foto: Mareike Tocha)

Ulrike Rosenbach, Über den Tod, 1996, Medieninstallation  |  Galerie Gisela Clement und die Künstlerin, © Ulrike Rosenbach, VG Bild-Kunst Bonn (Foto: Mareike Tocha)

Ulrike Rosnebach, o.T., 2008, Mischtechnik auf Papier  |  Galerie Gisela Clement und die Künstlerin, © Ulrike Rosenbach, VG Bild-Kunst Bonn (Foto: Mareike Tocha)