Cao Fei—K21

Können wir die Wirklichkeit erst dann begreifen, wenn sie uns als etwas Unwirkliches präsentiert wird? Ich frage mich, ob es diese Frage ist, die Cao Fei anregen möchte, wie ich mich durch die Ausstellung im K21bewege. Eingeladen in Plastik-Parks und Animationen, umzingelt von sich überlagernden Geräuschkulissen und hin und her gestoßen zwischen flirrenden Bildern auf Leinwänden und Monitoren, fühlt man sich in Cao Feis Welt wie in einem Flipper Automaten. Bis man herausfindet, wo die Künstlerin damit hin will, in einem Getümmel überdreht erscheinender Akteure – Menschen, Avatars, Figuren – in eigentümlichen Orten auftretend, unterlegt mit dem Gedudel von Fernsehspots, braucht es einen Prozess der Auseinandersetzung, ein Eindringen unter die Oberfläche des Spielerischen. Denn das Werk der Künstlerin ist durch zwei zunächst gegensätzliche, aber doch eng miteinander verschränkte Aspekte gekennzeichnet: einen scharfen Humor und ironische Darstellungen auf der einen Seite, einen analytischen, tief gehenden Blick auf der anderen Seite, der durch gekonnte Anspielungen in dokumentarischer Schonungslosigkeit den psychologischen Zustand einer gesamten Gesellschaft, wenn nicht Epoche freilegt.

Die Grundlage, von der aus sich jedes ihrer Werke entfaltet, ist ein utopisches Szenario, das auf den ersten Blick grotesk und fremdartig erscheint. Junge Cosplay-Fans tragen in den Zwischenräumen einer Großstadttristesse mit großer Ernsthaftigkeit ihre Kämpfe aus (COSplayers 2004). Zwischen den Produktionsreihen einer Osram-Fabrik schreitet glückselig ein Arbeiter Tai-Chi vorführend herum (Whose Utopia ? 2006). In dem Wohlstand und Annehmlichkeiten der aufgestiegenen neuen Mittelschicht badende Bewohner eines Hochhaus-Compounds sind so im eigenen Verdruss versunken, dass sie nicht einmal die Ankunft von Zombies bemerken (Haze and Fog 2013). Über eine Welt aufgebaut aus winzigen Spielzeugfiguren, inszeniert in allerlei alltäglichen und nicht so alltäglichen Situationen, brechen vernichtende Katastrophen herein (La Town 2014). Virtuelle Welten, wie eine nimmer ruhende Phantasie-Stadt, umkreist im Dauerflug auf und in all ihren Ebenen, oder eine Dating-Platform, in der das glückselige Treiben von bildschönen und ewig jungen Avataren verfolgt wird, laden den Betrachter ein, sich verschlingen zu lassen (RMB City 2007-2009/iMirror 2006-2007).

Und doch sind diese Bilder nicht absurd. Denn das Gezeigte ist irgendwie nicht gänzlich komisch, etwas Unbequemes steckt dahinter: es ist die Erkenntnis, das diese Schauplätze und das sich dort abspielende nicht rein fiktional sind, sondern reale Begebenheiten unserer Gegenwart widerspiegeln. Einmal wiedererkannt, zeigt sich diese Gegenwart nun als ein Ort gescheiterter Utopien, ausgekauter Hypes des globalen Kapitalismus, in Beton verewigte Illusionen, in der sich Menschen zwischen Hochhausfluchten und verödeter Umwelt wie vorprogrammiert durch ein fremdes System bewegen. So ist es nicht die beeindruckende Verkleidung und präzisen Kampfbewegungen, mit der sich die Teenager in ihre Charaktere verwandeln, die in COSplayers die Aufmerksamkeit des Betrachters weckt. Was vereinnahmt, sind die weltfremden und doch realen Schauplätze ihrer bunten Performances, triste menschenleere Großstadtwüsten, brachliegende Flächen, Bauruinen eines Freizeitparks, betonierte Wasserläufe. Es scheint, als wollten Sie dieser Einöde durch ihre Kämpfe neues Leben einhauchen, denn wenn alles so leer und sinnlos ist, macht es die Umgebung ein wenig erträglicher, wenn man sie als Kulisse benutzt, die so unwirklich wie ihre Charaktere erscheint? In  Cao Feis Werk korrespondiert das fiktionale, groteske Szenario stets mit der realen Umgebung.

Cao Fei ist in der Südchinesischen Region Guangzhou, dem Epizentrum der rasanten Industrialisierung Chinas aufgewachsen und war schon früh mit der damals einsetzenden überwältigenden Flut von Medien einer westlich geprägten Pop-Kultur konfrontiert. Die Künstlerin verfolgt Individuen und ihren mühsamen Kampf im Alltagsleben in einer post-kapitalistischen Welt, in einem System, in dem irgendetwas zu groß geworden ist und der Mensch nicht mehr hinterher kommt. Dieser besondere Blick ist oft von Ambiguität geprägt. Diese Herangehensweise, Verhältnisse nicht auf eine bestimmte Perspektive zielend darzustellen, zeigt sich in der Arbeit Whose Utopia ?, die in einer Fabrik des Osrams Konzerns entstand. Die Künstlerin heuerte dort selbst als Arbeiterin an und hielt Workshops mit den Arbeitern ab, in denen diese von ihren eigenen utopischen Träumen erzählen sollten. In drei Akten fängt der Film die beklemmende Realität dieser Fabrik ein – vom automatisierten Herstellungsprozess der Glühbirnen in brachialen Maschinen und Bildern der in Reihen sitzenden Arbeiter, die per Hand sortieren und zusammensetzten, was Maschinen noch nicht können. Für einen kurzen Moment übernimmt die Fantasie der Arbeiter den Ort, personifiziert in einem tanzenden Ballerina-Engel, einem Gitarre spielenden Mitarbeiter und dem selig schreitenden alten Herren. Schließlich folgen stille Aufnahmen von jungen ArbeiterInnen an ihrem Arbeitsplatz, die schmerzvoll lange den Blick in die Kamera richten. Zum Schluss schwenkt die Kamera über ein grau verhangenes Fabrikgelände, Blechdächer, die kein Ende nehmen. Ob Leichtigkeit und Freude zur Realität dieser Menschen zählen oder ob die Inszenierung gerade das Gegenteil aufzeigen soll – diese Frage bleibt offen. 

Fiktion und Humor ist die Linse die Cao Fei wählt, um auf die Abgründe hinzuweisen, die Technologisierung und Fortschritt mitten in unsere Gesellschaft gerissen haben und die wir immer noch meinen bequem umschiffen zu können, so lange wir uns das Scheitern nicht eingestehen. Cao Fei macht darauf aufmerksam, dass es eine Grenze gibt. Besonders drastisch erscheint dieser schleichende Übergang zum Zerfall in der filmischen Videoarbeit Haze and Fog. Golfplatzgrüne Parkanlagen, barocke Wasserläufe, Wohnungen mit stylischem Interieur, der weite Blick durch große Scheiben und ein rundlos sorgloses Leben mit nimmermüder Putzkollone, Sicherheitsservice und Paketdienst – alles das kann die Bewohner*innen nicht aus ihrer inneren Leere befreien. Wie in einem unendlichen Ennui gefangen geht das Leben an ihnen vorbei. Eine als Krankenschwester verkleidete Stripperin tanzt vor einem Paar auf einem Wohnzimmertisch, im Hintergrund plänkelt der Fernseher mit Ausschnitten einer kitschig-sentimentalen Show. Nichts davon wird wahrgenommen. Der Film ist voll von solchen dekadenten Bildern einer grassierenden Untergangsstimmung, vor deren Hintergrund die Verwandlung in Zombies wie eine Erlösung erscheint, die alle Spaltungen überwindet – zwischen einer grünen neuen Welt und der versmogten Umgebung, zwischen arm und reich, zwischen dem Ideal privaten Lebens und eigentlicher Isolation. Das Parademodell eines globalen glücksversprechenden Lebensstils ist eine Sackgasse ist.

So gilt in Cao Feis Arbeiten alles als post: post-modern, post-kapitalistisch, post-digital, post-Internet, eine Deutung, die erstaunlich ist, wenn man sich daran erinnert, das das Gros dieser ,,Post-Werke“ in einer Zeit entstanden ist, in der die Manie einer sich immer weiter ausbreitenden Modernisierung noch voll im Gange war. So ahmen in frühen Werken wie HipHop (2003) einfache Menschen in den Straßen eines ärmlichen Viertels mit ungelenken Gesten das Gehabe von Hip-Hoppern nach, die aus ihrem sonstigen Leben herausgeschnittenen Personen persiflieren bereits die egalitären Versprechen eine globale Pop-Kultur bevor sie überhaupt angekommen ist. In Milkman (2005) spielt sich das Leben nur vor dem Flimmern des Fernsehers in einer abgedunkelten Wohnung ab. Doch das Geplänkel einer medialen Welt ist nicht mehr als eine Droge, die es auch nicht schafft von der Trostlosigkeit des Lebens und den Mühen des Alltags abzulenken, den Folgen des kapitalistischen Wandels.

Ihre in der virtuellen Realität des Onlinespiels Second Life situierten Arbeiten RMB City (2007-2009)und iMirror (2006-2007) spinnen die in Cao Feis post-Welt bereits untergegangene Vision einer utopischen Zukunft weiter. Diese Arbeiten basieren offen auf der Prämisse, dass sie Illusionen sind. Gemeinsam erscheinen sie wie ein in Bon-Bon Papier schmackhaft gemachter Auswegsentwurf zu den ganzen Wirren, die die Künstlerin in ihren Videoarbeiten herauszeichnet. RMB City ist eine auf einer Insel künstlich erzeugte abgedrehte Welt, denn tatsächlich ist hier alles ständig in Bewegung. Hochhäuser, Highways, überflutete Plattformen und schwebende Ballons bauen sich auf, der Betrachter umfliegt diese verschachtelte kunterbunte Welt wie aus der Perspektive einer Drohne. Und obwohl es schwer vorstellbar ist, in dieser verrückten virtuellen Welt zu leben, beruhigt uns der manische Optimismus der Insel irgendwie, alles ist hier im Fluss, dreht sich unendlich, es gibt kein negatives Wachstum in RMB City wie in der gegenwärtigen Welt. Diese selbe einnehmende utopische Idee einer alternativen Welt, in der alles algorithmisch miteinander harmoniert, ist erkennbar in iMirror, ein Ausschnitt aus dem Dating-Leben von Second Life, der das Streben nach virtuellen Liebesglück des Avatars ,,China Tracy“ von Cao Fei verfolgt. Die dortigen unbegrenzten Möglichkeiten, sich als ein engelsgleich schöner und glänzend sexy Avatar zu realisieren und in einer sich endlos erweiternden Phantasie-Welt von Bars, Clubs und Villen mit seinesgleichen zu verkehren, überfordern die Wahrnehmung. Und doch zieht uns die Idee der ungetrübten Glückseligkeit der ewigen Jugend an. Cao Feis Gegenentwürfe einer virtuellen Welt machen auf einen blinden Fleck in unser Seele aufmerksam, eine tiefe Sehnsucht, der Gegenwart zu entfliehen, die dafür sorgt, dass wir uns alle so etwas wie die Möglichkeit eines ,,zweiten Lebens“ erträumen. Die buchstäbliche Utopie dieser virtuellen Arbeiten hält der Gegenwart den Spiegel vor und deckt die dort gescheiterten Versprechen auf.

Cao Feis Arbeiten moralisieren nicht. Es ist möglich, die Ausstellung zu verlassen und alles als absurd zu empfinden und nach all dem grellenTreiben froh zu sein, sich wieder in der realen Welt zu befinden. Doch es gibt Anlass, einen Moment inne zu halten. China hat maßgeblich die Entwicklung eines hypermodernen und konsumorientierten Lebensstil im Westen ermöglicht, von dem wir heute alle profitieren. Warum erscheinen dann die Auswüchse des rasanten Fortschritt in China selbst – Hochhaussiedlungen, betonierte Städte, weite und charakterlose Straßenzüge, brachiale Fabrikstädte, das niemals müde Rattern der Maschinen und die nach ihrem Takt arbeitenden Menschen, bald durch Automatisierung ersetzt – so fremdartig? Was erschreckt wirklich an dem Smog in der Luft und den verdreckten einbetonierten Flussläufen, dem Verschwinden der Natur? Warum erscheint die virtuelle Realität des Second Life bei aller Synthetik so tröstlich? Cao Fei macht auf eine unbequeme Wahrheit aufmerksam. Sie zeigt, dass die Frage, in welcher Welt wir eigentlich Leben, nicht eindeutig zu beantworten ist.

Cao Fei, My Future Is Not A Dream 03, 2006  |  Foto: © Cao Fei © Kunstsammlung NRW

Cao Fei, Haze and Fog 04, 2013  |  Foto: © Cao Fei © Kunstsammlung NRW

Cao Fei (SL: China Tracy), Live in RMB City, 2009, Filmstandbild  |  © Kunstsammlung NRW