Pop-Art Revival —Art Cologne N.55 /2022

Endlich wieder Art Cologne! Nachdem die Messe 2020 ganz ausfiel und die Stimmung letztes Jahr durch Corona-Beschränkungen spürbar gedämpft war, ist dieses Jahr der Enthusiasmus für Kunst wieder geweckt. Und dies umso mehr, hat man den Eindruck, wenn man sieht, wie intensiv wieder Begegnungen gesucht werden. Auf der größten deutschen Kunstmesse geht es eben nicht nur um Verkäufe, sondern auch um Kunstgenuss. Diesen Gedanken scheint die Leitung der Art Cologne unter Daniel Hug zu unterstützen, indem sie im Bereich der zeitgenössischen Kunst dieses Jahr verstärkt junge Galerien und junge Künstler*innen fördert und entschlossen inmitten der etablierten Galerien platziert. Und auch Institutionen, Kunstvereine und Off-Spaces, die in den letzten Jahren mal mehr und mal weniger sichtbar waren, haben die Möglichkeit, sich auf einer eigenen Etage zu präsentieren. Zudem sind auch Künstler*innen und eine Galerie (Voloshyn Galerie, Kiew) aus der Ukraine vertreten, womit die Art Cologne auch den Anschluss an das politische Geschehen sucht.

Neben den üblichen Features, für welche die Art Cologne bekannt ist – ein hochkarätiges Spektrum regionaler und internationaler, renommierter Aussteller (190 insgesamt) mit vielen Neuzugängen und prominenten Wiederkehrenden – die Leitung macht in diesem Zusammenhang insbesondere auf  internationale Schwergewichte wie Sprüth Magers, Thaddaeus Ropac, Karsten Greve, Hans Mayer, Michael Werner und nächst St. Stephan sowie die Neuzugänge und Wiederkehrer Albert Baronian, Ben Brown Fine Arts, Mehdi Chouakri, Max Hetzler, Rodolphe Janssen, Lelong und Kamel Mennour aufmerksam wird auf Vielfalt und Abwechslung gesetzt. Um dies zu erreichen, hat das Team von Daniel Hug das bisherige Präsentationskonzept überarbeitet und ein neues Schema eingeführt, das auf eine größere Variation setzt. Der durch ein farbiges Teppichsystem markierte Parcours, der bisher auf die einfache Erreichbarkeit bedeutender Aussteller ausgerichtete war, wird durch die Verschiebung von Flächen ein Stück „demokratisiert“. Zwischen Verkaufsständen bekannter Galerien findet man somit beispielsweise die „Newpositions“, junge Künstler*innen, die von einer Jury ausgewählt wurden, während weiße Teppiche auf den Sektor „Neumarkt“ aufmerksam machen. Auch in dieser Kategorie findet sich mit Efremidis, Berlin, Khoshbakht, Köln, Office Impart, Berlin, Parliament, Paris, Temnikova & Kasela, Tallinn, The Pit, Los Angeles/Palm Springs, Umrian, Bratislava/Paris, Voloshyn, Kiew, und Wonnerth Dejaco, Wien eine erstklassige Auswahl nationaler und internationaler Galerien.

Vielfalt und der damit eihergehende Anspruch, an aktuellen Kunstdiskursen teilzunehmen, ist im Sektor zeitgenössische Kunst in Halle 11.2  der diesjährigen Art Cologne somit kein zusätzliches Kapitel, sonder ein unübersehbarer, fester Bestandteil des Messekonzepts. Gestützt wird die Messe aber nicht nur durch große international agierende Galerien (von denen manche dieses Jahr übrigens nicht am Start sind) sondern auch durch die vielen Aussteller des sogenannten „Mittelfeldes“, die nicht nur unglaublich gute Künstler*innen zeigen, sondern auch mit visuell spannenden komponierten Präsentationen punkten. Zu diesen Akteuren zählen etwa die vielen Galerien für zeitgenössische Kunst aus dem Rheinland wie Gisela Capitan, Karsten Greve, Thomas Zander, Schönewald, Hans Mayer und Kadel Willborn sowie Jan Kaps, Drei und Max Mayer im Sektor Neumarkt. Als Rheinländerin ist es jedes Mal ein ganz besonderes Ereignis für mich, diese Galerien, deren Programm man das ganze Jahr lang verfolgt, nun hier mit ausgewählten Künstler*innen repräsentiert zu sehen.

Unabhängig vom Rang des Ausstellers – ein Kriterium, das die Messe dieses Mal etwas weniger in den Vordergrund stellt –  scheinen sich die Teilnehmer*innen alle anhand einer Kategorie von Werken zu profilieren. Es handelt sich um eine Flut bunter, figurativer Kunstwerke, die wahrhaft „instagramable“ sind. Das Präsentieren von Eyecatchern an den Stirnseiten der Kojen, welche die Besucher*innen in ihrem geschäftigen Vorbeiziehen für einen Moment anhalten sollen, ist als Strategie nicht neu. Doch noch nie war man mit derart vielen poppigen, farbenfrohen Stimmungsboostern konfrontiert wie auf der diesjährigen Art Cologne. Kalkulieren die Aussteller mittlerweile ein, dass heute alle auf der Jagd nach Fotos für ihre Social Media Accounts sind? Denn manche dieser Werke schreien einen nahezu an: fotografier mich! Solche Schwingungen sendet etwa eine weiße Givenchytasche auf zwei lässig gekreuzten langen dünnen Beinen von Erwin Wurm aus (Galerie König Berlin). Bei LEVY strahlt einen ein riesiger dickbäuchiger, glückseliger Buddha an, als Comicfigur in breiten Linien gemalt von  C.O. Paeffgen. Auf eine Malerei einer lächelnden Angela Merkel inmitten von Cosplayern, die in bunten Farben leuchten, trifft man bei Nagel Draxler (Christine Lang). Währenddessen setzt auch Thomas Zander auf große Effekte und zeigt ein Kristallglas auf einer schwarzen Marmorplatte, im Brillanten-Schein zigfacher Reflektionen, gemalt von James White. Und auch Größen wie Thomas Ruff, der von Sprüth Magers hier mit einem psychedelischen Druck aus Blüten-förmiger Muster, die sich endlos vervielfältigen, auf Velour-Teppich vertreten ist, werden mehrfach anhand optisch herausstechender Werke präsentiert.

Warum ist die Art Cologne dieses Mal so knallig? Versuchen die Galerien im zeitgenössischen Sektor einfach nur aufzufallen, um negativen Verkaufsprognosen etwas Positives entgegenzusetzen? Sehnt man sich nach mehreren Jahren unter Covid-Einschränkungen allgemein einfach mehr nach Farbe? Oder erleben wir gerade ein Comeback der Pop-Art? Ich habe mich auf Ebene 11.2 umgesehen, um der auffälligen Dominanz von knallbuntem Frohsinn auf dem Grund zu gehen. Insbesondere wollte ich herausfinden, ob man so etwas wie eine übergeordnete Tendenz feststellen kann, welche die Auswahl einer bestimmten Kategorie farbenfroher und visuell einnehmender Werken motiviert. Und tatsächlich finden sich einige Indizien, die meine These unterstützen, dass eine Art Trendumkehr stattfindet, die Figuration und Farblichkeit in den Mittelpunkt stellt. Denn zieht man die Kriterien heran, anhand derer die in den Fünfziger- und Sechzigerjahren florierende Pop-Art mit ihren Ikonen wie Andy Warhol oder Roy Lichtenstein definiert werden, um die Blickmagneten auf der Art Cologne zu analysieren, dann ergeben sich erstaunliche Schnittflächen.

Trivial, bunt, figurativ und angelehnt an Elemente der Konsum- und Populärkultur. Legt man die klassische Definition zu Grunde, dann qualifizieren sich Erwin Wurms Tasche auf Beinen, der glückselige Buddha von C.O. Paeffgen, das schimmernde Whiskeyglas von James White und Thomas Ruffs illusorisch-optischer Teppich als „Pop-Art“. Die Aussteller der diesjährigen Art-Cologne machen auf diese Weise die Auseinandersetzung mit Elementen der Populär- und und Konsumkultur erstmals seit langer Zeit wieder salonfähig. Die Liste der Werke, die zu diesem Pop-Art-Kreis zählen, lässt sich beliebig fortsetzen. So begegnet man in einem Triptychon von Alex Wissel einem Playmobilmännchen vor Magenta- und Cyanfarben, das sich selbst als Albrecht Dürer malt (Nagel Draxler). Van Horn zeigt einen amazonenhaften Akt vor schwarzem Hintergrund, dessen Körperteile aus einer Collage existierendem Bildmaterials bestehen, von Anys Reimann. Bei Schönewald trifft man auf ein unterhalb der Oberlippe abgeschnittenes, feenhaftes Antlitz aus weiß glasierter Bronze von Andreas Schmitten, das einer Figur aus einem Sci-Fi Comic gleicht. Und was, wenn nicht Pop-Art, ist eine Wandskulptur von Sylvie Fleury bei Lange + Pult, die anhand vier glitzernder Farbkreise, die aus einer schwarzen Platte herausragen, exakt die Gestalt einer Eyeshadow-Palette von Chanel nachempfindet? Darüber prangert „JOY“ in roten Neonbuchstaben, ebenfalls von Sylvie Fleury.

Unter den zeitgenössischen Positionen der Art Cologne lässt sich daher nicht nur einfach eine Dominanz bunter Werke feststellen, die einfach ausgewählt wurden, weil sie auffällig sind. Vielmehr deuten die Zeichen darauf hin, dass sich hier gerade eine Tür hin zu einer bestimmten Kategorie an Kunstwerken öffnet, denen bislang keine derart hohe Akzeptanz entgegengebracht wurde. Blickt man zurück, so waren lange abstrakte und visuell weniger zugängliche Positionen im Trend, die häufig  Gesellschaftskritik mitbrachten. Sammler*innen konnten sich mit der Fähigkeit brüsten, diese kontroversen Werke deuten zu können und mit dem Kauf an aktuelle Diskurse anzuschließen. Nicht zu Unrecht stellt die Frankfurter Allgemeine in ihrem Review der diesjährigen Art Cologne ein allgemein feststellbares Fehlen solcher „unbequemer“ Kunst fest. Feministisch, postkolonial, divers? Es ist sichtbar, dass die Galerist*innen sich dieses Jahr weniger verpflichtet fühlen, zu diesen Themenkomplexen Stellung zu nehmen.

Doch wie auch die Pop-Art durch die plakative Enthüllung von Konsum-Mythen immer gesellschaftskritisch war, so entpuppt sich auch der knallbunte Frohsinn vieler Positionen in Halle 11.2  als Zerrbild. In diesem verbirgt sich der nicht abzustreitende Fakt, dass die Realität anders aussieht. Die Durchdringung unserer Welt mit einem Überfluss an digitalen Bildern, welche die Art und Weise, in der wir uns artikulieren, verändern, thematisieren etwa die Bilder von Sayre Gomez (Nagel Draxler) und Brandon Lipchik (Robert Gruneberg). Sayre Gomez‘ Malerei eines leuchtenden Billboards vor der Skyline einer anonymen Stadt aus Wolkenkratzern hat trotzt jenes unmittelbaren Pop-Art Effekts (Highway, Streetlights, American Dream) eine verstörende Komponente. Denn der Künstler überlagert in seinen Bildern digital anmutende Elemente mit malerischen Kompositionen, um Stadtlandschaften zu schaffen, die nur scheinbar existieren. Brandon Lipchiks Malereien von Männergemeinschaften in homoerotischen Szenen wiederum bedienen sich anhand von bunten Farben, harten Kanten und zackigen Oberfläche einer Ästhetik, die scheinbar den Look eines groben Grafikprogramms aus den frühen 2000ern nachempfindet. Brandon Lipchik kreiert solche Störmomente, die einen sowohl über die Machart seiner Bilder als auch deren unstimmige Idylle rätseln lassen, sehr bewusst.

Eine Reihe von Kunstwerken auf der Art Cologne weist so durch ihren plakativen und farbenfrohen Charakter auf den Überfluss von Bildern in unserer heutigen Zeit hin, der wiederum die Erschaffung jedes neuen Bildes obsolet erscheinen lässt. In diesem Zusammenhang sind vor allem zwei Positionen bemerkenswert, welche die in New York und Los Angeles sitzende Galerie The Hole präsentiert. Es handelt sich einmal um plastische, in Ölfarbe gemalte Figuren von Peter Opheim, die ein bisschen an misslungene Teddybären aus bunter Knetmasse erinnern und tatsächlich auf Modellen aus Ton basieren, die der Künstler als Malvorbilder anfertigt. Mit seinem Universum aus Charakteren, die nicht wirklich sympathisch sind und auf subtile Weise Kindheitsängste hervorlocken, bedient sich Peter Opheims Werk eindeutig der Logik von Pop-Art. In einem Mix aus Bildzitaten von Surrealismus bis Hieronymus Bosch komponiert ein weiterer Künstler der Galerie, Matthew Hansel, Bilder jenseits der Zeit, in denen sich barockes Dekor mit menschlichen und nichtmenschlichen Protagonisten mischen. Mehr als konkrete Personen oder Ereignisse darzustellen, geht es dem Künstler anscheinend darum, übersteigerte Dinge zu malen, die optisch reizvoll sind. Ein Hut aus Käuzchen, ein grünes Fabelwesen, eine romantische Landschaft, ein geknüpfter Orientteppich, in dessen Falten sich Mini-Menschen tummeln. Einer von diesen verschwindet unter einem drapierten Schinken, in dem ein riesiges Messer steckt. Hieronymus Bosch meets Pop-Art, das ist eigentlich schon genial.

Aus dem Besuch der zeitgenössischen Positionen auf der Art Cologne dieses Jahr ergibt sich somit eine überraschende Erkenntnis: Neo-Pop ist im Trend. Mit Blick auf die weltpolitischen Lage wirkt diese Tendenz fehl am Platz. Ist die Art Cologne mit ihren Eye-Candys oberflächlich geworden? Ich sehe hier etwas Anderes. Denn zum einen muss man sich eingestehen, dass auf der Messe die Ära von Kunstwerken, die einem die Welt erklären, so oder so (vorerst) vorbei ist. Und dies aus verschiedenen Gründen, wobei einer sicher darin besteht, dass die großen Themen Feminismus/Diversität etc. in der Vergangenheit bereits aufgegriffen wurden. Zum anderen verschluckt man sich an diesen visuellen Pop-Art-Bonbons schnell. Denn die Hervorhebung von greller Farbe und  Konsumkultur lockt nicht nur auf maximale Weise das Interesse der Besucher*innen. Sie ist auch ein Spiegel unser kollektiven Stimmungslage. Froh, uns wieder der schönen Dinge erfreuen zu können, stehen wir dennoch am Abgrund. Das einzige Mittel, um diese Lage zu überbrücken, ist die neue Droge Neo-Pop.

 

 

 

Sylvie Fleury. Joy, 2021. Galerie Lange + Pult.  |  Foto: Marina Sammeck

Andreas Schmitten. Galerie Schönewald  |  Foto: Marina Sammeck

James White. The Large Glass 11, 2022. Galerie Thomas Zander  |  Foto: Marina Sammeck

Brandon Lipchik. Galerie Robert Gruneberg  |  Foto: Marina Sammeck

Cristine Wang. Gamescom, 2022. Galerie Nagel Draxler  |  Foto: Marina Sammeck

Matthew Hansel. The Hole Gallery  |  Foto: Marina Sammeck