Man mag es kaum glauben, aber in der Kulturwelt zählt es immer noch zu einer echten Aufgabe, für ein ausgewogenes Repräsentationsverhältnis zwischen den Geschlechtern zu sorgen. Viele Kunsthäuser und Galerien dekorieren sich mittlerweile mit Namen junger aufstrebender Künstlerinnen. Doch schaut man genauer hin, berichten die Zahlen und Fakten immer noch von einer Dominanz männlicher weißer Künstler und Akteure im Ausstellungsbereich, ein ernüchternder Trend, dem sich die Akademien mit ihren meist von Männern besetzten Rektorate anschließen. Mit der Ausstellung ,,BEUYS & GIRLS“ im Düsseldorfer Nails Projectroom von Maren Knapp Voith wollen Angelika J. Trojnarski und Kasia Lorenc von Curated Affairs im Bewusstsein dieser immer noch frappierenden Ungleichgewichte ein Zeichen setzen für die Stärke der Frauen in der Kunstwelt und erinnern im Gedenkjahr Beuys 2021 auch einem anderen Jubiläum, das ein wenig durch den großen Künstler des Rheinlandes überschattet wird. Denn dieses Jahr vor genau 100 Jahren wurden Frauen das erste Mal an der Kunstakademie Düsseldorf zugelassen. In bewusster Aneignung des Namens Beuys behaupten die Kuratorinnen, dass Joseph Beuys selbst nichts dagegen hätte, seinen Gedenkplatz mit den drei Künstlerinnen der Ausstellung Magdalena Kita, Johanna Reich und Marleen Rothaus zu teilen. Die Forderung nach einer ausgeglichenen Repräsentanz weiblicher und diverser Positionen in der Kunstwelt wird so zum gemeinsamen Anliegen von Joseph Beuys und den drei Künstlerinnen. Beuys und seine Girls, warum eigentlich nicht?
Den ersten Eindruck von den Werken der Künstlerinnen, die sich alle auf jeweils eigene Weise für eine starke Präsenz weiblicher Künstlerinnen und Kulturschaffender in der Gesellschaft einsetzen und die Förderung eines weiteren, gegenseitigen Bewusstseins untereinander vorantreiben, gewinnt man schon im Schaufenster. Hier präsentiert die Absolventin der Kunstakademie Marleen Rothaus die Videodokumentation ,,So lange bleib ich Feminist:in“, Aufnahmen einer künstlerischen Protestaktion vom letzten Jahr, bei der sie zusammen mit Mitstreiter*innen als fröhlicher und bunter Demonstrationszug durch die Düsseldorfer Kunstakademie gezogen ist. Gegenstand des Protests war die immer noch viel zu geringe Vertretung weiblicher und diverser Künstler*innen und Kulturakteur*innen in Museen, dem Kunstmarkt und den akademischen Gremien, auf das die Künstlerin durch das Skandieren sich wiederholender Parolen beginnend mit ,,So lange nicht…“ auf eine positive und sehr direkte Weise aufmerksam machte.
Teil des Aktivismus von Marleen Rothaus sind auch als Protestbanner eingesetzte großflächige Ölmalereien, auf denen sich in blau-,pink- und lila-getönten Farben allerlei Magisches und Rätselhaftes abspielt und sich seltsame Wesen, halb Mensch, halb Dämon tummeln. Zu sehen im Ausstellungsraum von BEUYS & GIRLS ist ,,Coven“ (,,Zirkel“), eine fröhliche Zusammenkunft mächtiger Hexen diverser Herkunftshintergründe, die sich in regen Austausch um eine Tafel mit voodoo-ähnlichen Objekten tummeln. Sich inspirierend aus der Recherche historischer Quellen über die Hexenverfolgung und sogenannter ,,Hexen-Sabbate“, weist die Künstlerin mit der ,,Coven“ auf die historische Besessenheit der männlichen Obrigkeit hin, in Versammlungen von Frauen stets etwas Böses zu sehen und dämonische Kräfte am Werk zu ahnen. Eine absurde und tief sexistische Sicht, die in immer noch weit verbreiteten und abschätzigen Vorurteilen über den ,,Weibertratsch“ weiterlebt. Diese historischen Klischees eignet sich Marleen Rothaus nun an, indem sie unter dem Neonslogan ,,me and my girls*“ eine eigene Interpretation des Hexen-Sabbats versammelt, mit sowohl jungen als auch erfahrenen Frauen, die eine dem äußeren Blick unergründliche Weisheit teilen und so (vielleicht) zurecht gefürchtet sind.
Die polnische Künstlerin Magdalena Kita ist in der Ausstellung durch drei ihrer großformatigen, auf Handtüchern applizierten Siebdruckzeichnungen in knalligen Farben und teils ein wenig albern erscheinender Motive, inklusive einer auf einer Toilette sitzenden nackten Frau, repräsentiert. Magdalena Kita hat für ihr häufig durch Performances ergänztes, viele Medien miteinschließendes Werk, unter anderem Holzaltäre und Wildschweinfelle, eine eigene, an der ,,Bad-Art“ Bewegung der 1980er und 1990er angelehnte Ikonographie entwickelt, die ein wenig naiv wirkt und oft sexuell aufgeladen ist, aber auch mit religiöser und mythischer Symbolik spielt. Wie zu sehen anhand der nackten und frech schauenden Figuren in den Handtüchern, die übrigens während einer Performance von jungen ,,Beachboys“ im Museum of Contemporary Art San Diego 2015 präsentiert wurden, fordert Magdalena Kita ganz bewusst in ihrer Kunst das ästhetische Bewusstsein des Publikums heraus, indem sie Dinge an der Grenze des – vermeintlich – ,,Geschmacklosen“ oder ,,Pornographischen“ präsentiert. Mit ihrer ,,dreisten“ Kunst verfolgt die Künstlerin aber noch ein ganz anderes Ziel, nämlich das Aufbrechen in der Gesellschaft etablierter und häufig unbemerkter Hierarchien mit Blick auf Sexualität und Moral. Durch provokative aber stets auch lustige Aktionen, wie die Gründung einer ,,Geilen Magda Klasse“ während ihrer Zeit an der Kunstakademie und der Rekrutierung einer devoten männlichen ,,Fangemeinschaft“ ist Magdalena Kita als Aktivistin bekannt, die sich strikt gegen die gängigen Kategorien im Kulturbereich wendet.
Magdalena Kita und Marleen Rothaus kommunizieren beide ihre feministische Haltung durch eine optisch bestechende, beinahe plakativ operierende Motivwahl. Die Künstlerin Johanna Reich hingegen arbeitet mit ihrer auf den ersten Blick zurückhaltenden, dokumentarisch wirkenden Bildsprache ganz anders, bildet aber in Hinsicht auf die gemeinsame Aussage der drei Künstlerinnen – ein Appell für mehr weibliche und diverse Präsenz in der Kunstwelt – eine aus ihrer eigenen Perspektive sehr wichtige Position. ,,RESURFACE – Forgotten female artists of the 19./20. century“ (2012-2020) ist ein langjähriges, sich stetig weiter entwickelndes Projekt der Künstlerin, das im Ausstellungsraum durch mehrere nur ein paar Zentimeter messende Polaroidaufnahmen von archivarischen Fotografien von heute vergessenen weiblichen Künstlerinnen der letzten zwei vergangenen Jahrhunderte und ausschnitthaften Fotografien von sich auf diese Frauen beziehenden Wikipedia Einträgen repräsentiert ist. Der Clou an der Sache ist, dass Johanna Reich selbst auf Basis eigener Recherchen biografische Informationen zu diesen Künstlerinnen, von denen erschreckender Weise kein einziger Name heute bekannt ist, obwohl sie zur ihrer Lebenszeit erfolgreich und angesehen waren, erst in die Plattform Wikipedia eingespeist hat.
Der Blick huscht so über dutzende Bildchen von Portraits und Schrifttafeln, ohne irgendeine bekannte Person zu erkennen. Die Biografien sind bewusst unvollständig abfotografiert, um den unabgeschlossenen Status des hier präsentierten Wissens und auch die Notwendigkeit nach eigener Recherche zu betonen. Dennoch sind immer wieder einzelne historische Bezüge und Namen in den Texttafeln zu erkennen, die einen erstaunen lassen über die Leistungen und die weiten Netzwerke, in denen diese Künstlerinnen eingebunden waren. Besonders die in einem eigenen Raum präsentierte Videoarbeit ,,RESURFACE“, in der aus einem weißen strahlendem Licht im wandhohem Format einzelne Portraits der Frauen langsam wie aus dem Nichts erscheinen und dann wieder verschwinden – Johanna Reich hat hier den chemischen Entwicklungsprozess der Polaroidaufnahmen abgefilmt – werfen unbequeme Fragen auf. Wenn diese Künstlerinnen zu ihren Lebenszeiten berühmt waren, dann müssen vor gar nicht so weit entfernter Zeit Entscheidungen getroffen worden sein, sie aus der Erinnerung zu entfernen. Was Johanna Reichs Werksprojekt ,,RESURFACE“ damit so brillant macht, ist, dass es mit den Polaroid-Porträts missachteter Künstlerinnen nicht etwa nur Verborgenes aufdeckt, sondern den/die Betrachter*in selbst in diese Zusammenhänge mit einbezieht und so die eigene Rolle und Verantwortung der Geschichte marginalisierter Persönlichkeiten gegenüber bewusst macht.
100 Jahre Beuys, 100 Jahre Künstlerinnen an der Düsseldorfer Kunstakademie. Joseph Beuys ist heute auch vor allem dafür bekannt, den akademischen Betrieb von Grund auf revolutioniert und Eintrittsschranken in die Kunst abgebaut zu haben. Von daher gibt es doch mehr als eine anekdotische Programmatik, die ,,BEUYS & GIRLS“ im Titel gemeinsam haben. Denn was diese ,,GIRLS“ schließlich eint, ist neben einem starken Bewusstsein für die Missstände im Kunstbetrieb in Hinsicht auf die gleichwertige Repräsentation aller Geschlechteridentitäten vor allem auch eine strake Solidarität, diese Veränderungen gemeinsam und unter Einbezug aller Instanzen anzugehen. Beuys wäre stolz auf seine Girls.
Curated Affairs
Kasia Lorenc und Angelika J. Trojnarski planen und organisieren seit 2019 als Curated Affairs nicht-kommerzielle Ausstellungen. Das Besondere, was die Kulturmanagerin und Andreas Gursky Meisterschülerin (2013) vereint, ist zum einen die geteilte polnische Herkunft und zum anderen die Verbindung zur Kunstakademie. Ein wichtiges Prinzip ihrer oft in ausgewählten Themen aktuelle gesellschaftliche Fragestellungen behandelnden Ausstellungsprojekte ist daher die Einladung mindestens eine/r polnischen Künstler*in. Initialzündung für Curated Affairs war daher auch das Dreißigste Jubiläumsjahr der Städtepartnerschaft Düsseldorf-Warschau 2019 mit Ausstellungen junger zeitgenössischer Positionen aus beiden Städten. Das Programm des Kuratorinnen-Teams bewegt sich damit in einer interessanten Synthese aus einem Spezialbereich der Kunstwelt, spannende Nachwuchskünstler*innen aus der polnischen Szene und Künstler*innen der Düsseldorfer Akademie (u.A.), zusammengebracht unter aktuell kursierenden gesellschaftlichen Themen, die mit kluger Sorgfalt ausgewählt werden, um diese verschiedenen Aspekte gleichwertig zu berücksichtigen. Bringt man den Ansatz von Kasia und Angelika auf eine Formel, dann steht der Dialog zwischen den Positionen in jeder Ausstellung im Vordergrund. Verschieden Künstler*innen sollen Gelegenheit haben, ihre Werke in Verbindung mit anderen zur Geltung zu bringen und so vielleicht auch neue Aspekte zu entdecken. So macht Curated Affairs auch einen wichtigen Beitrag zum Aufbau der eigenen Laufbahn von jungen Absolvent*innen.
Begleitprogramm
Eine begleitende Panel-Diskussion erfolgt im Austausch mit Sammlung Philara. Anlässlich zur Ausstellung wird ein ,,Beuys-Stipendium“ als Forschungsstipendium an Künstler*innen aus Warschau vergeben.