Alex Grein - d a u e r —Galerie Gisela Clement

,,dauer“, dieser Begriff weist normalerweise auf einen Zeitraum mit Anfang und Ende hin. Wie es sich anfühlt, wenn ein Zustand scheinbar endlos andauert, zählt mittlerweile zu einer kollektiven Erfahrung. Sich berufend auf die Idee der subjektiven Zeitwahrnehmung des französischen Philosophen Henri Bergson (1859-1941), sieht die im Medium der Fotografie beheimatete Künstlerin Alex Grein in dieser Ausnahmesituation auch eine Chance, den Gedanken der Zeit neu zu erforschen. In einer Gruppe eigens für die Ausstellung in der Galerie Gisela Clement entwickelter, die Grenzen des Mediums der Fotografie austestender Arbeiten untersucht Alex Grein in d a u e r verschiedene Konzepte von Zeit und Raum. Dabei hinterfragt die Künstlerin übliche Wahrnehmungsmuster, die mit dem Medium Bild und dessen Verbindung zum Zeitlichen einhergehen und stellt die technischen Anwendungen im Hintergrund dieser Phänomene auf die Probe.

Die erste Werksgruppe, die einem auf der Treppe ausgelegt begegnet, sind wahre Eye-Catcher. Es handelt sich um wie Displays anmutende, die Treppe oder Wand scheinbar herunterfließende Bilder, in denen Fotografien hinter Plexiglas in gebogener Form eingerahmt sind. ,,Fotografische Skulpturen“, ist der Begriff, den die Künstlerin für dieses neuartige Konzept der Präsentation benutzt. Der Hintergrund der Arbeiten ist durchaus philosophisch. Den leeren, menschenlosen Ausstellungsraum vor Augen, hat sich Alex Grein vorgestellt, wie die Bilder von den Wänden fließen und ein Eigenleben entwicklen, jetzt wo niemand mehr vor den Mauern der Galerieräume steht. In diesem Zusammenhang verweist die Skulptur ,,Zeiten“ mit einem Screenshot der persönlichen Uhrzeit/Orte Liste vom Smartphone der Künstlerin auf besondere Weise auf unser individuelles Verhältnis zum Zeitlichen: der scheinbar persönliche Lebensstil simuliert durch eine universelle Anwendung. ,,Zeiten“ hat mit der Anlehnung an die fließenden Zifferblätter aus Salvador Dalis ,,Die Beständigkeit der Erinnerung“ (1931) auch eine Referenz zu einem ikonischen Werk der Kunstgeschichte.

Im Herabfließen eingefroren zwischen Wand und Fußbodenkante zeigt ,,Kerze“ vor tiefgrünen Hintergrund eine grüne schlanke ausgeblasene Kerze. Die fotografische Skulptur ist angelehnt an im allgemeinen Bildgedächtnis geteilter Darstellungen üblicherweise brennender Kerzen, überlässt die Deutung jedoch dem/r Betrachter*in. Die Kerze ist auf eine seltsame Weise verbogen, bei der man auf den ersten Blick den Eindruck hat, der Knick in der Bildfläche der Skulptur würde diese Optik  entstehen lassen. Tatsächlich hat Alex Grein die Kerze selbst in diese Form gebracht, einen Eingriff, den man wie bei so vielen von ihren Werken gar nicht vermutet und aufgrund der Perfektion der Verfremdungen in den Bildern eher auf ein Bildbearbeitungsprogramm schließt. Diese kaum sich also solche verratenden ,,händischen“ Manipulationen eigenen digitalen Bildmaterials sind jedoch ein ganz charakteristischer Wesenszug in Alex Greins Werk, der auch in der letzten Foto-Skulptur ,,Clouds“ zur Geltung kommt. ,,Clouds“ ist ein eingerahmtes Bild aus der Serie ,,Pictures on a Screen“, bei denen die Künstlerin auf dem Bildschirm ihres Smartphones über eigenen oder angeeigneten Fotografien Objekte platziert hat. Durch eine erneute Aufnahme der Konstellation werden diese nun scheinbar Teil des Bildes, wie hier aufgebrachte Wassertropfen auf einer Fotografie eines blauen Himmels, der sich in einer glänzenden Autokarosserie spiegelt.

In einer fein justierten Kombination von ,,High-Tech“ und ,,Low-Tech“ bedient sich Alex Grein so einem ganz eigenem, fast im buchstäblichen Sinne zu deutendem Ansatz der Fotomontage, ein Begriff, der durch die sich immer weiter rasant entwickelnden digitalen Techniken der Bildbearbeitung  schon wie aus einer anderen Zeit klingt. Dieser Aspekt der Überprüfung der Dimensionen, welche die digitale Fotografie nicht nur für Alex Grein als Künstlerin sondern allgemein im Alltag mitbringt, ist auch die Grundlage der Installation ,,Speicher“. Die aus verschiedenen Modulen bestehende Arbeit basiert auf dem Konzept des ,,fluiden Bildes“, welches zusammengefasst den arbiträren Status millionenfach zirkulierender Bilder im digitalen Raum beschreibt. Angelehnt an Alex‘ Eindruck, selbst kaum Herrin ihres weiten digitalen Bildarchivs zu sein, hat die Künstlerin mit ,,Speicher“ ein prozessuales Labor aufgebaut. In diesem werden  in Eisblöcke eingefrorene Ausdrucke von Bildern aus ihrem Fundus einem Eisschrank entnommen und in Smartphone-Halterungen eingeklemmt, welche über tischförmigen Edelstahlauffangbecken montiert sind. Die Eisblöcke schmelzen dann mit der Zeit und geben so Stück für Stück die Fotografien preis, die jedoch mit dem schmelzenden Eis bereits beginnen sich aufzulösen und so nur begrenzt für den/die Betrachter*in erkennbar sind. Der Vorgang ist abgeschlossen mit dem Aufsammeln des Schmelzwassers aus den Edelstahlbecken und den darin aufgelösten Fotopapier in Kanistern.

Am Ende ist von den mit Sorgfalt für diesen Prozess ausgewählten Fotografien, unter denen man schon etwas verschwommen eine Nahaufnahme eines Plastik-Coins für einen Einkaufswagen der Supermarktkette Real, eine Hausecke aus dem städtischen Raum und die Aufnahme eines I-Pad Displays mit einem Gesicht erkennt, nichts mehr übrig. Doch diese scheinbar ,,überflüssige“ Prozedur funktioniert wie eine Metapher für den stetigen Fluss und das Verschwinden von digitalen Bildern in einer Masse, die für niemanden mehr greifbar ist. Alex Greins Prozessaufbau erscheint wie ein Versuch, das in der Menge der Daten aus dem Zugriff Entschwundene wieder fassbar zu machen, indem der Kühlschrank mit den selektierten eingefrorenen Fotografien wie ein Speicher fungiert. Einige wenige auf Papier gebannte Fotografien aus vielen tausenden Aufnahmen erhalten durch die zeitweise Erscheinung über und in den Becken einen neuen wenn auch begrenzten Moment. Das Digitale erhält hier für eine bestimmte Zeit eine Materialität, die eine Vergänglichkeit in Erinnerung ruft, wie sie normalerweise nicht mit solchen durch wenige Clicks entstehende Bilder empfunden wird.

Die visuell eindrucksvollste Arbeit in d a u er besteht aus vier riesigen, einen kompletten Raum einnehmenden flirrenden LED Displays und ist nach den lateinischen Namen von Schmetterlingen benannt. Deren inmitten aller dieser Videoarbeiten thronende Abbilder scheinen über sich immer wieder drehende und im Ausschnitt verändernde Kartenansichten des Programms Google Earth zu fliegen. Große Themen wie Klimawandel und den Eingriff des Menschen in das Leben auf dem Planeten im Bewusstsein, hat Alex Grein sich auf die Spuren des wissenschaftlichen Kolonialismus gemacht und Schmetterling-Präparate aus dem Archiv des Naturkundemuseums Koenig in Bonn ausgesucht. Platziert auf I-pad Displays sind die so perfekt und komplett konturlos sich in die Erdaufnahmen einfügenden Falter tatsächlich von oben abgefilmt. Das wie ein Videospiel erscheinende Fluggeschehen in einer Anwendung aus dem Alltag, die in diesen Dimensionen und den vielen Wendungen und Überraschungen auf einmal völlig  erstaunt, wird gelenkt durch das händische Scrollen der Künstlerin auf der I-Pad Oberfläche.  Der dem ,,Flug“ des Schmetterlings folgende Blick des Betrachters entdeckt auch das, was Alex‘ Neugierde im Programm angezogen hat: eine in den Satellitenaufnahmen erkennbare weiße Fläche in Südspanien, die sich als gigantisches Gebiet sich aneinander reihender Plastikgewächshäuser entpuppt, eine verpixelte Fläche eines französischen Atomkraftwerkes, Flussläufe, Wüsten und Gebirge, aber auch das Stadtzentrum von Paris mit dem Louvre und der riesige Containerterminal im Hafen von Antwerpen.

Während der Schmetterling immer dem gleichen Routenprinzip folgt, stets beginnend von einem zufällig durch das Starten von Google Earth generierten Punkt und dann über eine dem Interesse der Künstlerin folgenden Route zurück in sein angestammtes Heimatgebiet, entwickelt sich die fließend den Modus zwischen 2D und 3D wechselnde Erkundung des Programms aus   Satellitenaufnahmen, die von Bildlogarithmen zusammengefügt werden, zu einer Art Reflexion über die Unterwerfung der Erde unter ein menschengemachtes System der Bilderfassung. Die Logik der engen Entsprechung zwischen Abbild und Realität, auf deren Basis Google Earth eine Ansicht der gesamten Erde vom Globus bis zum einzelnen Baum oder Auto vorgaukelt, wird während der Flüge als gescheitert entmantelt. Seltsam verzogene Kanten innerhalb der Aufnahmen der stufenförmigen Förderschichten des Braunkohle-Tagebaus Garzweiler verraten das Wirken des Logarithmus, der Aufnahmen von verschiedenen Zeitpunkten zusammengesetzt hat, während derer sich die Tiefe der Stufe durch die Bagger bereits verändert hatte. Bei einem Containerschiff zoomt der Bildausschnitt mit dem Schmetterling so schmerzlich nah ran, dass das komplexe Geflecht rötlicher Stahlrohre auf der  Oberfläche des Decks schließlich in ein konturloses Gewirr von flammenartigen Schichten verschwimmt.

Auf Ebene der Bilder zeigt die Videoserie den teils gravierenden Eingriff des Menschen in natürliche Lebensräume und stellt infrage, ob die Schmetterlinge ihre Heimat überhaupt noch auffinden. Die Arbeit ist aber auch Teil einer in Alex Greins Werk und insbesondere in d a u e r auf neue Art an die Oberfläche gebrachten, weiter gefassten Betrachtung von Zeitlichkeit und der daran gebundenen Wahrnehmungsprozesse und Technologien, anhand derer wir versuchen unsere Umgebung zu erfassen. Kann das fotografische Bild überhaupt Realität darstellen? Über diese Frage bin ich mit Alex Grein bei unserer ersten Begegnung ins Gespräch gekommen. Die Werke in d a u e r referieren auf die unendlichen Möglichkeiten der digitalen Bildtechnologien, immer und überall gleichzeitig zu sein. Bleibt die Zeit einmal scheinbar stehen wie gerade jetzt, wird die Auseinandersetzung mit der Frage, wo wir uns tatsächlich befinden, daher umso akuter. Entspannt schaut man hingegen gemeinsam mit Alex zu, wie sich ihre Bilder in Wasser auflösen. Vergänglichkeit wird zur Meditation, und dieses innehalten vor den Bildern eine Anregung für uns alle, unseren persönlichen Ankerpunkt zu finden.

 

 

 

d a u e r, Alex Grein 2021. Ausstellungsansicht Galerie Gisela Clement  |  Foto: Mareike Tocha

d a u e r, Alex Grein 2021. Ausstellungsansicht Galerie Gisela Clement  |  

d a u e r, Alex Grein 2021. Ausstellungsansicht Galerie Gisela Clement  |  Foto: Mareike Tocha

d a u e r, Alex Grein 2021. Ausstellungsansicht Galerie Gisela Clement  |  Foto: Mareike Tocha

d a u e r, Alex Grein 2021. Ausstellungsansicht Galerie Gisela Clement  |  Foto: Mareike Tocha