„1+1 = 3“. Anhand dieser Formel der Fluxuskünstlerin Mary Bauermeister (1934–2023) lässt sich gut das gemeinsame Ausstellungsprojekt der Klassen Prof. Sabrina Fritsch und Prof. Franka Hörnschemeyer beschreiben, das zur Zeit in der Sammlung Philara zu sehen ist. In Bauermeisters Lebensphilosophie ist das Tranzendente logischer Bestandteil der Welt; auf ähnliche Weise entsteht auch in What Is Steady Anyway? durch die Interaktion zweier grundsätzlich verschieden gelagerter Klassen – Malerei und Skulptur – ein neuer Kosmos. In der Begegnung mit Mitgliedern der jeweils anderen Klasse, unterschiedlichen Arbeitsweisen und Ansätzen, entwickeln die Studierenden und Absolvent*innen in ihren Werken neue Perspektiven. Auf diese Weise lässt sich ein reziproker Austausch beobachten, der das skulpturale und installative Arbeiten in den Vordergrund stellt.
Das Ausstellungsprojekt, das im Rahmen des 250-jährigen Jubiläums der Kunstakademie Düsseldorf stattfindet, ist eine Neuerung in der Hinsicht, dass die Ausstellung gemeinsam von der Direktorinnen der Philara Julika Bosch und Nele Kaczmarek, freie Kuratorin und stellvertretende Direktorin des benachbarten IMAI (Inter Media Art Institute) geplant wurde. Die zwei jungen Kuratorinnen, die weitgehend aus der selben Generation wie die Künstler*innen stammen, haben in langem zeitlichen Vorlauf in ausführlichen Gesprächen das Ausstellungskonzept mit den Studierenden entworfen. Eine Mühe, die sich mehr als ausgezahlt hat. Denn im Ergebnis merkt man, dass die Ausstellenden nicht nur souverän die weitläufigen Räumlichkeiten der alten Glasfabrik für sich erobert haben. Auch die Gegenüberstellung einzelner Positionen, die sich vorher vermutlich noch nie begegnet und stets gattungsübergreifend sind, funktioniert erstaunlich gut.
„Professionell“ – dieses Wort kommt einem direkt in dem Sinn, obwohl es hinsichtlich der heterogenen Gruppe der Ausstellenden – es handelt sich sowohl um Absolvent*innen als auch derzeit an der Kunstakademie Düsseldorf Studierende verschiedener Jahrgänge mit und ohne Ausstellungserfahrung – etwas vorgegriffen ist. Wie die Kurator*innen diese Professionalität, das heißt die hohe Qualität der einzelnen Positionen, die sich in einem harmonischen wie auch voneinander abgrenzenden Dialog begegnen, in Zusammenarbeit mit den Künstler*innen so zwanglos erreicht haben, bleibt ein Rätsel, was die Magie der Ausstellung ausmacht.
Der Parcours von What Is Steady Anyway? beginnt, etwas versteckt hinter den Trennwänden zum Café, im hinteren Teil der großen Eingangshalle. Von der Decke windet sich eine Skulptur aus einzelnen metallischen Gliedern von Marie Schubert herab, die an urzeitliche Krebs- oder Spinnentiere erinnern. Das Ensemble lässt an Sammelarmbänder denken, deren Motivfragmente Erinnerungen festhalten sollen. Gleichzeitig wiederholt sich in dem glänzenden, grob herausgeschnittenen (bzw. gestanzten) Material der einzelnen Kettenteile die stählerne Oberfläche des Bodens. In einer Ecke gegenüber steht ein monumentales gelbes Sofa, das mit blauen Ornamenten bemalt ist und von der Figur eines Stieres inspiriert ist. Philipp Krabbe weitet seine farbstarken Malereien auf Objekte und Mobiliar aus, mit der Arbeit STIER (Sofa), welche sich am Farbcode von IKEA orientiert, bespielt er eine Ecke, die gerne von Mitarbeiter*innen in der Pause aufgesucht wird.
In der Nähe der Räumlichkeiten, die rechts von der Eingangshalle abgehen, hat Erik Mikaia an der Decke beeindruckende Gebilde aus Stoff von gebrauchten Sonnenschirmen, wie sie in der Gastronomie verwendet werden, installiert. Die geisterhaften Strukturen zeugen von ungelösten Intimitätsversprechen. Anhand dieser schwebenden Leinwände, auf denen der Gebrauch Spuren hinterlassen hat, entwickelt der Schüler der Malerei-Klasse von Prof. Fritsch sein eigenes Malereiverständnis. Anna Shpak arbeitet ebenfalls mit vorgefundenen Strukturen, indem Sie anhand der Öffnung einer Bodenplatte, die nun einen Blick hinunter in einen Lagerraum der Philara erlaubt, ein gänzlich immaterielles Werk schafft. Die im Keller sauber aufgereihten Leuchtkästen mit den blauen Buchstaben der ehemaligen Glasfabrik Lennarz hinterlassen einen bleibenden Eindruck.
Überhaupt gehen die Studierenden mit ihren Arbeiten sehr sensibel auf die komplexe und ständig wechselnde architektonische Situation der Sammlung Philara ein. Sämtliche Werke wurden entweder für die Räume erschaffen oder unter Beachtung der spezifischen Umgebung ausgewählt. Das Stahlgerüst einer Treppe hat Anna Orlinski durch halbtransparentes Fiberglasgewebe ergänzt, womit die Installation die Optik der milchigen, gewellten Außenwände aufgreift. Dieser Eingriff bildet eine passende Umgebung für eine kinetische Malerei von Hendrik Plönes, in deren Rahmen sich unbehandelte Leinwandbahnen verschieben.
Der Titel What Is Steady Anyway? greift den transitorischen Charakter vieler der Werke auf, die entweder eine nicht fixierte, temporäre Natur haben, wie die erweiterbaren Kettenskulpturen von Marie Schubert, oder nur als momenthafte Eingriffe in ihrem jetzigen Umfeld ihren Sinn entfalten, wie man es bei Shpak und Orlinski sieht. Als aufgeworfene Frage berücksichtigt What is Steady Anyway? ebenso die prozessbasierte Arbeitsweise der Künstler*innen. Denn während der Erstellung des Konzeptes mit den Klassenmitgliedern haben die Kurator*innen eine überraschende Offenheit zur Transformation unter den Teilnehmenden festgestellt, sowohl in Bezug auf den eigenen Ansatz als auch in Hinsicht auf die Aufnahme fremder künstlerischer Impulse.
Auf die Kabinette mit niedriger Deckenhöhe reagieren die Künstler*innen mit spürbar intimeren Arbeiten, indem sie spekulative, teils rätselhafte Begegnungen entwerfen. Einen alchemistischen Anklang hat die Installation von Viktoria Feierabend aus schimmernden Specksteinen und anderen naturbelassenen Materialien, die auf eine Art Sideboard lagern und als Versuchsanordnung über die Verwandlung von Wasser zu Stein nachdenken. In Form einer Wandarbeit hat Rosa Weiland eine elaborierte Textilcollage erschaffen, in der sie mittels Textilfragmenten aus dem Bereich der Reiterei verschiedene persönliche Erfahrungen einflechtet. Einen Raum weiter besticht eine dynamische Wandmalerei in den Grundfarben Blau-, Rot und Grün von Hannah Malka Papendiek. Diese Farbstärke balanciert Hannah Lindens mit ihrer gegenüberliegenden Installation aus schwarz-weiß Fotografien von tänzerischen Gesten. Die Arbeit basiert auf einer Archivrecherche zum Thema Tanz und kombiniert gefundenes Material und eigene Fotografien, die sich in ihrer Zeitlichkeit gegenseitig aufheben.
Tiefer im Bauch der Philara hat Philipp Baumann aus Setzkästen aus Holz für Proben und Artefakte – ein heute fast vergessener Gegenstand – die mit 3D-Scans von Pflanzen dekoriert sind, ein Wolkenkratzer-gleiches Monument erschaffen. Ein eingelassener Videobildschirm zeigt als zirkulärer Rückverweis eine Aufnahme der Arbeit. Die Abhandlung über die Unterscheidbarkeit von Natur und Architektur wird ergänzt durch einen künstlichen Dachboden, den Fynn Bierik in einem Nebenraum eingerichtet hat. Mit einem Retro-Holzpferd, wie man es von alten Karussells kennt und das dort irgendwie unnatürlich halb schlafend, halb tot auf dem Boden liegt, hat Bierik ein ambigues Ambiente kreiert, das verborgene (Kindheits)ängste wachruft.
Immer wieder bemerkt man, wie souverän die Studierenden mit dem ständigen Wechsel von Raumdimensionen in der ehemaligen Glasfabrik umgehen. Dies ist auch der Fall in dem anschließenden Lagerraum mit fabrikähnlichen Ausmaßen, der hier erstmals für das Publikum geöffnet wird. Linda Skellington beansprucht die gewaltige Fläche als Stadium für ihr Redner*innenpult, mit dem Sie die Betrachter*innen dazu anregt, über die eigene Fähigkeit, sich Gehör zu verschaffen, nachzudenken. In einem Storage-Gitter für Kunstwerke präsentiert Christian Leicher seine Phone Drawings, expressive schwarze Linien auf weißem Grund, die auf Kritzeleien auf dem Smart-Phone beruhen. Die an verschlüsselte Codes erinnernden Bilder haben sich sozusagen heimlich in die Sammlung eingeschlichen.
Im oberen Teil der Räume nimmt Malerei einen größeren Teil der Präsentation ein, wobei auch immer wieder skulpturale Werke auffallen, die malerische Elemente integrieren. Der erste Raum im Obergeschoss präsentiert Malereien und Aquarelle von Nura Afnan-Samandari, Charlotte Hedwig Schönherr und Konstantin Holle, in denen innere und äußere Landschaften, die eigene Seelenumgebung und gesammelte Eindrücke aus dem Stadtraum, der Tier- und Pflanzenwelt miteinander verschmelzen. Als thematische Ergänzung erhebt Nil Zengin eine schlichte Apparatur aus Aluminium zur Trocknung von Pflanzen zur Skulptur. Mit Naturphänomenen beschäftigt sich auch Pauline Simon durch ihre Soundarbeit, indem sie Lautsprecher an einer Scheibe angebracht hat, die Regengeräusche simulieren, die spekulativ aus dem Außenraum der Philara stammen.
Die Undurchsichtigkeit der milchigen Außenwände und die durch das gedämpfte Licht entstehende geschützte Atmosphäre der Räume, scheint weitere Arbeiten beeinflusst zu haben. So ist Häuslichkeit ein wichtiges Thema bei der Installation von Sven Dirkmann, der ein mit Zitaten aus Horrorfilmen besticktes weißes Laken präsentiert, das auf einem Wäscheständer drapiert ist. Im anschließendem Raum präsentiert Sophia C. Aiona Weische einen Paravent, in den sie zarte Zeichnungen von Frauenfiguren in sanfter Interaktion auf Transparentpapier eingespannt hat. Auf die introspektive Arbeit antwortet Hyorim Kim mit einem subtilen Gewitter aus feinen Linien in Blau- und Grautönen, das eine abstrakte Landschaft darstellt, in der man meint, eine Reflektion des seelischen Innenleben zu entdecken.
Die Kurator*innen vermuten, dass die sich wiederholende Hinwendung zu Themen der Häuslichkeit und Einkehr die Erfahrung während der Pandemiejahre spiegelt, welche für die Studierenden eine unfreiwillige Isolation bedeutete. Diesen Eindrücken stehen Werke gegenüber, die sich kritisch mit der Institution des Ausstellungsraumes und gesellschaftlichen Themen auseinandersetzen. So hebt Lilli Lake die Grenzen des Sammlungsbaus auf baulicher Ebene auf, indem sie anhand eines Trichter aus Aluminium, durch den man Sand rieseln hört, einen Durchbruch zwischen den Etagen suggeriert. Sonja Heim dekoriert einen Sockel aus dem Bestand der Philara mit einem Netz aus schwarzen Perlen und untersucht so die Wertigkeit von DIY-Kultur im institutionellen Kontext. Mittels Sound und einer winzigen Videoarbeit, die wie eine Kameralinse in die Wand eingelassen ist und eine beliebte TikTok Challenge zeigt (das Schälen eines rohen Eies), schlägt Sonja Heim eine Brücke zu Social Media und dem Boom teilweiser absurder Selbstmach-Videos.
What Is Steady Anyway? eröffnet in einer Zeit sich immer weiter ausbreitender geopolitischer Konflikte, womit der Titel auf tragische Weise das Weltgeschehen mit kommentiert. Doch ist es nicht besser, Unstetigkeit anzunehmen, als Gewissheiten hinterher zu trauern? Anhand ihrer klassenübergreifenden Kooperation verschieben die Studierenden und Absolvent*innen der Klassen Prof. Sabrina Fritsch und Prof. Franka Hörnschemeyer Konstanten. Sie zeigen auf, dass es möglich ist, durch gegenseitigen Austausch über die eigenen Grenzen hinaus zuwachsen und sich auf unbekanntem Terrain zu behaupten. What Is Steady Anyway? ist daher nicht als pessimistischer Slogan (miss)zuverstehen; vielmehr beschreibt der Titelsatz die Realität einer neuen Generation selbstbewusster Künstler*innen – ein Code für die tiefere Essenz der Gegenwartskunst heute. „1 + 1 = 3“, in Mary Bauermeisters Worten.
* Dieser Artikel kann nur eine Auswahl der 49 ausstellenden Künstler*innen berücksichtigen. Die Auswahl stellt keine Bewertung dar*
Im Rahmen von What Is Steady Anyway? werden ab dem 8. Dezember weitere, neue Arbeiten und Konstellationen gezeigt.