SEE YOURSELF AS LOVERS SEE YOU —Sammlung Philara

Spiel, Spaß und Spannung – was heute integraler Teil der zeitgenössischen Kunst ist, mussten Künstler*innen vor rund sechzig Jahren erst mühsam verhandeln. Ein Kampf, der besonders hart geführt wurde, wenn sich diese Themenwelt auf Sexualität und Genderrollen bezog, was mitunter noch zensiert wurde. Die amerikanischen Künstler*innen William N. Copley (1919–1969) und Dorothy Iannone (1933–2022), die zur Zeit in einer bisher einzigartigen Gegenüberstellung in der Sammlung Philara zu sehen sind, gehörten jener Riege an, die sich für ein neues Freiheitsverständnis in der zeitgenössischen Kunst auf stilistischer und inhaltlicher Ebene einsetzte. Obwohl es zahlreiche Parallelen zwischen den beiden Autodidakt*innen gibt, wie eine stark figürliche und symbolische Bildsprache, humorvolle, teils ekstatische Clashs von Männer- und Frauenrollen sowie das unterwandern konservativer gesellschaftlicher Normen, war die Aufmerksamkeit der Kunstwelt lange sehr ungleich auf Copley und Iannone verteilt.

Unter den Aspekten Freiheit, Selbstbestimmung und die Ekstase körperlicher Liebe spürt die Kuratorin der Ausstellung Julika Bosch in SEE YOURSELF AS LOVERS SEE YOU den thematischen und visuellen Überschneidungen in den Werken von William N. Copley und Dorothy Iannone nach, zeichnet aber auch die Unterschiede zwischen den beiden Positionen heraus. Denn getrennte Wege gingen die beiden Sonderlinge spätestens in der Rezeption. Während Copleys Werk bereits seit den Fünfzigerjahren sehr präsent war und stark auf dem Kunstmarkt nachgefragt wurde, bekam Dorothy Iannone erst in den 2000ern mit ihrer Teilnahme an der Berlin Beauties Biennale (2006) und er Whitney Biennale (2007) eine nachhaltige Aufmerksamkeit. Anhand einer sensiblen Auswahl von Werken, die von archivarischen Materialien ergänzt wird und auf spektakuläre Weise die gesamte Architektur der Philara mit einbezieht, geht SEE YOURSELF AS LOVERS SEE YOU auch der Frage nach, ob die sehr unterschiedliche Akzeptanz beider Künstler*innen durch deren Biografie bedingt ist, oder andere Gründe hat.

In der großen Eingangshalle begegnet man den ersten ikonischen Werken der beiden Künstler*innen, welche unmittelbar zum vergleichendem Sehen anregen. Von Dorothy Iannone sind zwei ihrer My Liberties an die Wand gemalt, riesige Exemplare der berühmten Freiheitsstatue von New York, welche die Künstlerin in originaler Pose und mit authentischen Attributen, aber doch auf sehr persönliche Weise interpretiert hat. Gekleidet in bunte gemusterte Gewänder, mit (beinahe) freien Brüsten und selbstsicherem Antlitz, das nur von einer kleinen Träne getrübt wird, sind diese Freiheitsstatuen ein recht junger Teil ihres Werkes. Die Figuren, die sich durch Schablonen multiplizieren lassen, waren das erste Mal 2018 auf einer Hausfassade gegenüber der High Line in New York angebracht. In Zeiten der Trump-Popularität und fortschreitender diskriminierender Akte gegen LGTBQ-Personen, Frauen und People of Color, verkörpern diese farbenfrohen Figuren, die mit Stolz jede Art von Unterdrückung abwehren, auf eine inklusive Art und Weise Zuversicht aus.

Um Frauenrechte und die sehr amerikanische Situation um diese geht es auch William Copley in seiner Serie Untitled (Lady’s Lib), die mit anderen Arbeiten in einer Raumnische gehängt ist, die komplett wie ein Schachbrett gestaltetet ist. In mittelformatigen Zeichnungen entwickelt Copley aus seinem typischen wiederkehrendem Bildrepertoire – stilisierte Körper ohne Gesichter, die in geschwungene Linien dynamisch den Bildraum füllen – eine Art Comic, der sich mit den Errungenschaften der Frauenrechtsbewegung in den USA beschäftigt. In einem Bild sind wie Tattoos auf und um den Körper einer weiblichen Figur Namen von emanzipierten prominenten Frauen geschrieben, viele von Ihnen kannte er persönlich. Die Beziehung zwischen Mann und Frau, wie sie sich noch ausführlicher in Dorothy Iannones Werk entwickelt, ist ein essentielles Motiv in Copleys Arbeiten.

In farbkräftigen Szenarien, die in ihrer Intensität Wimmelbildern gleichen, sind bei William N. Copley die gesichtslosen Frauen- und Männerfiguren in ruhelose, teils absurde Handlungen miteinander involviert. Trotzt der Vielfalt an sich teils ergänzenden, teils gegeneinander spielenden Tätigkeiten der Geschlechter herrscht eine fast militärische Strenge in der Gestalt und Kleindung vor. In den hier zu sehenden Bildern sind Frauen oft spärlich bekleidet, tragen enge Kleider oder eine Art Bikini während Männer ausnahmslos im dandyhaften Anzug mit Melone auftreten. Dorothy Iannones Figuren tragen dagegen  individuelle Züge, stellen zum Teil konkrete Personen dar, wie die Künstlerin selbst und ihren Lebensgefährten Dieter Roth, oder sie scheinen von realen Vorbildern inspiriert. Auch wenn Iannones Männer und Frauen mit ihren großen, sinnlich blickenden Augen und voluminösen Lippen einem bestimmten, einheitlichen Stil folgen, legt die Künstlerin Sorgfalt auf Unterscheidbarkeit, etwa durch individuelle erotische Kleidung und Accessoires.

Die Anonymität in William N. Copleys Malereien irritiert; sie ist das komplette Gegenteil der intimen Zusammenkünfte in Dorothy Iannones Bildern. Der Kampf für sexuelle Freiheit und gleichberechtigte Entfaltungsmöglichkeiten, wie er mit Iannones Werk verbunden wird, funktioniert normalerweise über Individualität, über konkrete menschliche Schicksale. Weil diese Elemente in den hier gezeigten Arbeiten von Copley gänzlich fehlen, fragt man sich, ob diese Anliegen in seinem Werk überhaupt vorhanden sind. Doch der etwas ältere Copley entstammt einem anderen Umfeld als Iannone, er gehört den späten Surrealisten an und orientierte sich an Stilmitteln der Pop-Art. Seine überzeichnete Darstellung der Geschlechterrollen kann man als humorvollen Kommentar auf die zu seinen Lebzeiten populären Diskurse und Gegendiskurse über Emanzipation und Gleichberechtigung lesen, in denen gewisse Stereotype immer wieder zur Sprache kommen. Bei Copley gibt es nur die eine und die andere Figur, aber sie sind, auch wenn sie leere Zeichen sind, nichts ohne ihren Gegenpart.

In der Dualität der Geschlechter(figuren) gibt es also Parallelen zwischen Copley und Iannone. Die Malerei Outrageous Black and White, die wirkungsstark im Schachbrettmuster–Kabinett der Eingangshalle gehängt ist und jeweils eine scherenschnitt-artige weibliche und männliche Figur in schwarz und weiß vor konträrem Hintergrund zeigt, die sich an den Händen halten, steht emblematisch für seine spezielle Ausarbeitung eines komplementären wie auch antagonistischen Verhältnisses der Geschlechter. Im Gegensatz zu Copley ist Dorothy Iannone in ihrer Auseinandersetzung mit Gender-Rollen konkret. In ihrem Frühwerk, das zum Teil noch stärker mit abstrakten Mustern und Text arbeitet als ihre figürlichen Arbeiten, formuliert sie ihr Verständnis von weiblicher Autonomie und Freiheit klar aus. „Some [women] have not forgotten how to steal your heart and soul and balls (Eier)“ liest man in Unusual Report On The American Woman (1977) vor einem bunt gestreiften Hintergrund.

William N. Copleys Startbedingungen in der Kunstwelt waren ganz andere als die von Dorothy Iannone. Als männlicher Künstler und Abkömmling einer reichen Familie verfügte er über nützliche Kontakte, kannte Marcel Duchamp und Man Ray. Er war zudem als Journalist, Verleger, Besitzer und Kunstsammler weit vernetzt. Dorothy Iannone hatte es als figürlich malende Künstlerin deutlich schwerer, vor allem weil sie Nacktheit und erotische Szenen malte, die als pornografisch empfunden und bis in die Neunzigerjahre zensiert oder ganz von Ausstellungen ausgeschlossen wurden. Copleys erotische Darstellungen, wie etwa die Serie X-Rated, wurden hingegen nie im gleichen Maße reglementiert.

Die Ausstellung wirft somit auch ein Licht auf die ungleiche Ausgangslage zwischen Künstlern und Künstlerinnen in den Sechziger- und Siebzigerjahren. In der gleichen Zeit, wie William N. Copley von der Kunstwelt entdeckt wurde, wurde Dorothy Iannone von dieser abgelehnt. Jahrelang führte sie als Partnerin von Dieter Roth ein Nomadenleben, das sich auch nach der Trennung fortsetzte, bis sie 1976 durch ein DAAD-Stipendium nach Berlin kam. Obwohl sowohl Iannone als auch Copley mit dem Entwurf einer figürlichen, symbolischen Bildsprache, Verschränkungen von Bild und Text und die Einbindung einer tüchtigen Prise Humor ähnliche Strategien verfolgten, nahm man das „Augenzwinkern“, was beide in Hinsicht auf Geschlechterrollen und deren bisherigen Erscheinung in der Kunstgeschichte formulierten, nicht mit gleicher Offenheit an.

Archivmaterial, das anhand eines Publikationsprojektes die Verbindungen zwischen beiden darlegt, verdeutlicht, wie irritierend die Tatsache der lange andauernden Ungleichbehandlung der Künstler*innen rückblickend ist. William N. Copley lud Dorothy Iannone ein, an einer Ausgabe seiner Publikationsreihe Shit Must Stop (S.M.S) mitzuwirken, nachdem er 1968 bereits mit ihrem Partner Dieter Roth in einer Edition kooperiert hatte. Die Reihe wurde jedoch vorzeitig eingestellt und die Papierfigur des US-Präsidenten Lyndon B. Johnson mit schrumpeligen Penis, die Iannone angefertigt hatte, nie veröffentlicht. SEE YOURSELF AS LOVERS SEE YOU zeigt somit auf, dass Copley und Iannone vielleicht keine engen Freund*innen waren, doch sie kannten sich und verkehrten in ähnlichen Kreisen.

Während die Präsentation von Copleys Werk in der Philara an bereits größere institutionelle Ausstellungen, wie zuletzt 2016/2017 in der Fondazione Prada in Mailand, anknüpft, scheint der Auftritt von Dorothy Iannone die wirkliche – wenn nicht sogar deutlich spannendere – Neuentdeckung zu sein. Ihr Werk, das erst kürzlich in bedeutenden Institutionen wie 2019 im Centre Pompidou in Paris ausgestellt wurde, hat in seinem konsequenten Eintritt für sexueller Freiheit und dem lauten Appell für eine autonome, selbstbewusste weibliche Lust eine brisante Aktualität. In vielen konservativen Ländern wird die weibliche Sexualität weiterhin durch patriarchalische, femo-phobe Systeme unterdrückt und negiert. Eine Schreckenslage, von der europäische Länder und große Teile der USA nicht ausgenommen sind. Junge Kurator*innen identifizieren sich heute mit Iannones Kampf für freie Liebe, sie schätzen sehr die Resilienz der Künstlerin, die sich trotzt Ablehnung nie in ihrem Stil beirren ließ.

Dorothy Iannone tritt in diesem Kontext als Pionierin einer Welt hervor, wie sie heute vielen selbstverständlich erscheint, zumindest in der Hinsicht, dass ihre Bilder vom breiten Kunstbetrieb nicht mehr als Pornografie empfunden werden. Manchmal wirkt es so, als seien ihre Darstellungen von (weiblicher) Sexualität der heutigen Zeit sogar in manchen Dingen voraus. So gibt es eine enge Verbindung von sexueller Lust und Spiritualität, jedes Paar ist auch gleichzeitig das kosmische Paar, das im Geschlechtsverkehr die Welt aufrechterhält. Diese Sichtweise findet sich etwa in einem Bild wieder, das eine Oralsex-Szene andeutet. „The Progress of Civilization was held because of my ungovernable Sex Urge“ steht in Großbuchstaben auf dem Rücken der breitbeinig über ihrem Partner positionierten Frau, deren Rückseite den Betrachter*innen zugewandt ist. Löwengesichter und Sexszenen zwischen Dorothy Iannone und Dieter Roth, die in comic-ähnlichen kreisförmigen Panels festgehalten sind, sieht man in For Dieter Rot The Present Lion Master (1971). In einem paradiesischem Garten zähmt das Paar die Tiere mit Musikinstrumenten.

Florale Ornamentik und Tiere spielen immer wieder eine zentrale Rolle in den Bildern, es ist eine mit Energien des Lebendigen aufgeladene, mystische Welt, die in vielen Teilen rätselhaft bleibt. Das hohe Gewicht, das die Künstlerin auf Gleichberechtigung legt, kehrt in den Darstellungen der intimen Akte wider, in denen es keine einseitige Unterordnung gibt. Auch auf Ebene der dominant gemalten Geschlechtsteile regiert diese Gleichheit. Korrespondierend zum erigierten Penis sind die Schamlippen der Frau stark angeschwellt, erinnern in ihren Maßen fast an Hoden und lassen einen unsicher darüber, ob Iannone hier nicht sogar Transsexualität suggeriert.

Blickt man zurück auf die Gegenüberstellung Copley–Iannone, dann ist es der hohe biografische Bezug von Dorothy Iannones Werk, der die Künstler*innen vielleicht am meisten voneinander unterscheidet. Während William N. Copley in der Tradition der Surrealisten hier kryptisch verbleibt, lesen sich viele von Iannones Werken wie ein Tagebuch. Ihre häufig um Schrift ergänzten Bilder und Bildergeschichten sind ein direkter und spontaner Ausdruck ihrer intimen Sehnsüchte und Gefühle. Dorothy Iannone schreckt jedoch nicht zurück, ihre Empfindungen schonungslos öffentlich zu machen, um über das Medium der Sexualität gesellschaftliche Freiheit und Toleranz einzufordern – ganz nach dem Motto „the private is political“.

Trotz aller Unterschiede zwischen den Positionen legt SEE YOURSELF AS LOVERS SEE YOU dar, wie die Verfolgung eines eigenen Weges außerhalb breiter Trends sowohl bei Dorothy Iannone als auch bei William N. Copley von der Kunstszene sehr unterschiedlich bewertet wurde. Surrealismus, Expressionismus, Minimalismus, Pop-Art, Fluxus – allen diesen vorherrschenden Richtungen entzogen sich beide Künstler*innen auf die ein oder andere Weise. Warum aber wurde Dorothy Iannone so lange ignoriert? Liegt es auch daran, dass sie eine – äußerst selbstbewusste, aneckende – Frau war? Diese Frage bleibt offen und begleitet einen noch lange nach Verlassen der Ausstellung. Dass ein Wandel längst eingetreten ist, beweist der Sammler der Philara Gil Bronner. Zu den bereits vorhandenen Werken von William N. Copley sind jüngst auch Arbeiten von Dorothy Iannone zur Sammlung hinzugetreten.

 

Dorothy Iannone My Liberties (Blue) 2019 (2023)  |  © The Estate of Dorothy Iannone Courtesy of Peres Projects and Air de Paris Photo: Kai Werner Schmidt, Sammlung Philara

William N. Copley Untitled (Think / Flag) 1967  |  Courtesy of Galerie Friese © VG Bild-Kunst, Bonn

Dorothy Iannone See Yourself as Lovers See You Installation View, Sammlung Philara  |  © The Estate of Dorothy Iannone Photo: Kai Werner Schmidt

Dorothy Iannone Danger In Düsseldorf 1973  |  © The Estate of Dorothy Iannone Courtesy of Sammlung Philara, Düsseldorf

William N. Copley See Yourself as Lovers See You 1987  |  Courtesy of Galerie Friese © VG Bild-Kunst, Bonn Photo: Eric Tschernow, Berlin

William N. Copley See Yourself as Lovers See You Installation View, Sammlung Philara  |  © VG Bild-Kunst, Bonn Photo: Kai Werner Schmidt