I've Only Got Eyes for You – Neuerwerbungen der Sammlung —Sammlung Philara

Es liegt nun mal in der Natur der Sache, dass Sammler*innen in erster Linie die Kunst kaufen, die ihnen persönlich gefällt. Umso mehr begeistert es daher zu sehen, wie es der Direktorin der Sammlung Philara in Düsseldorf Julika Bosch immer wieder gelingt, aus den Beständen des Gründers und Sammlers Gil Bronner spannende Themenausstellungen zusammenzustellen. Mit ihren Projekten knüpft Julika Bosch nicht nur an aktuelle Diskurse der Gegenwartskunst an, sondern öffnet durch die Einbringung neuster gesellschaftskritischer Standpunkte auch Perspektiven, die über die einzelne Ausstellung hinaus gehen. Die Gruppenpräsentation „I’ve Only Got Eyes for You“, die ausschließlich aus Neuankäufen von Gil Bronner der letzten zwei bis drei Jahre besteht, knüpft konzeptuell an die Linie der vorausgehenden Initiativen an, indem sich die Ausstellung mit den Freiheiten und Grenzen auseinandersetzt, welche die Erfahrung, in einen menschlichen Körper zu leben, mit sich bringt.

Anhand von Werken, die Körper und Körperlichkeit auf die ein oder andere Weise bildlich ansprechen, setzt sich I’ve Only Got Eyes for You mit einem Thema auseinander, das wohl universeller nicht sein könnte, gleichzeitig aber auch extrem gespaltene Erlebnisse mit sich bringt. Denn Körpererfahrungen können je nach Kultur, sexueller Orientierung sowie individueller Identität und Biografie extrem von aneinander abweichen. Und an all diese Aspekte ist der zentrale Faktor geknüpft, inwiefern das Individuum frei ist, ihr/sein empfundenes Körperbild überhaupt auszuleben.

Zur Schau gestellte Körper sind heute omnipräsent wie kein anderes (pop)kulturelles Sujet. Durch dieses mit Sprengstoff beladene Gebiet navigiert uns Julika Bosch sicher anhand neuster Theorie zur Körperlichkeit der Amerikanerin Olivia Laing. In ihrem bahnbrechendem Buch Everybody – A Book about Freedom verfolgt Laing unter Bezug auf den Psychoanalytiker Wilhelm Reich die These, dass der menschliche Körper durch seine unglaubliche Fähigkeit, Unterdrückung standzuhalten, ein starkes Mittel zur Erkämpfung von Freiheit ist. Die widersprüchliche körperliche Erfahrung, sich frei entfalten zu können und gleichzeitig physischen Limitationen zu unterlegen, sieht die Autorin gerade als unerschöpfliche Quelle von Ermutigung und Resistenz gegen oppressive Regimes.

Diesen auf die bisweilen schmerzhaften körperlichen Entfaltungsmöglichkeiten gerichteten Gedanken greift I’ve Only Got Eyes for You auf, um anhand verschiedener thematischer Konstellationen zu diskutieren, wie sich die einzelnen Künstler*innen Aspekten von Körperlichkeit stilistisch und inhaltlich annähern. Die Kombination aus internationalen Künstler*innen, die zum Teil bereits etabliert oder schon länger mit der Sammlung Philara verbunden sind, einerseits, mit Werken junger Künstler*innen aus der Region, die erst frisch auf dem Kunstmarkt sind, andererseits, schafft eine spannende Grundlage, um das komplexe, durchaus paradoxe Thema der körperlichen Freiheit von verschiedenen Standpunkten aus zu beleuchten.

Der physischen Gewalt, die der menschliche Körper ausgesetzt ist, aber auch dessen Resilienz, dieser zu widerstehen, begegnet man gleich am Eingang in Form einer farbkräftigen Malerei von Miriam Cahn, deren Werk oft als Statement gegen systemische patriarchalische Gewalt gelesen wird. Eine stilisiert gemalte Person muss hier eine Pistole aushalten, die von einer körperlosen Hand an ihre Schläfe gehalten wird. Der blau-gelbe Hintergrund lässt einen spekulieren, ob es hier einen Verweis zum Krieg in der Ukraine gibt. Gewalterfahrungen und der körperliche Widerstand gegen diese sind auch das Thema des folgenden Raumes, der von einer geschnitzten Büste aus Holz von Kader Attia dominiert wird, deren Gesicht seltsam roh und entstellt wirkt. In seinem multimedialen Werk geht Kader Attia den Spuren nach, die Geschichte auf Körpern hinterläßt, wie etwa durch Granatsplitter verursachte brutale Verletzungen im Gesicht von Soldaten während des Ersten Weltkriegs, die eine Reintegration der Verletzten in die Gesellschaft verhinderten.

Kader Attia ließ Bildhauer aus dem Kongo und Mali auf Grundlage von historischem Bildmaterial ein solches Gesicht in einen Holzblock schnitzen. Damit schließt der Künstler einen Kreis zu einer weiteren Ebene der weißen Gewalt, nämlich der kolonialen Unterdrückung durch Frankreich in diesen Staaten, deren Bewohner zum Kämpfen im Ersten Weltkrieg gezwungen wurden. An einer der flankierenden Wände bilden in einem Werk von Rashid Johson Schlitze in einer Bronzeplatte, die übertüncht sind mit tintenschwarzer Seife, ein zwischen Überraschung und Schrecken erstarrtes Gesicht. Der US-amerikanische Künstler lässt in dieses Werk die chronische Angst einfließen, die schwarze Personen in den USA durch gewaltvolle Diskriminierung täglich erfahren.

Mit Werken von Kresiah Mukwazhi, Melike Kara und Theresa Weber (u.a.) ergänzt die Präsentation im nächsten Raum den Begriff der körperlichen Gewalt um die Idee vom Körper als machtvollen „Apparat“ oder Werkzeug, das sich modifizieren und erweitern lässt. Schemenhafte, in rohem Farbauftrag gemalte weibliche Figuren, stehen in einer großformatigen Stoffcollage von Kresiah Mukwazhi für die der Sichtbarkeit entzogene Frau in der simbabwischen Gesellschaft, deren Körper durch den Akt des Entkleidens zum „Ort des Protestes“ gegen die Machtungleichgewichte wird. Aus dem größtenteils verschütteten und unterdrückten kurdischen Kulturerbe ihrer Familie extrahiert Melike Kara Strukturen und überführt sie, wie hier in Form geknüpfter Teppichmuster, in abstrakt-figurative Gemälde. Damit vollzieht sie in ihren Malereien eine Transformation, die vom Körper als Hort der Erinnerung ausgeht und tradierte Erfahrungen in materielle Formen übersetzt. Kunstfingernägel, Perlen und Silikon bilden bei Theresa Weber den Grundstoff für gemäldeartige Assemblagen, die scheinbar Landschaften nachempfinden. Die Künstlerin arbeitet in ihren Werken mit dem Image solcher Accessoires der körperlichen Erweiterung, die in Westeuropa oft als billig gelten, je nach kulturellem Kontext (beispielsweise in afrikanischen Ländern) aber auch als Statussymbol wertgeschätzt werden. Mit stylischen Mitteln erinnert Theresa Weber daran, dass Emanzipation ganz unterschiedliche Formen annehmen kann und oft durch den eingeschränkten westlichen Blick verkannt wird.

Die Präsentation führt weiter in einen Raum, dessen Arbeiten queere Identitäten zum Thema haben und in denen immer wieder sexuelles Verlangen sowie die damit verbundenen Freuden wie auch Konflikte eine Rolle spielen. Prominent stehen sich an zwei entgegengesetzten Enden des Raumes zwei Malereien von Murat Önen und Jonathan Lyndon Chase gegenüber, die queere männliche Identität zum Gegenstand haben. Bei Murat Önen, der erst dieses Jahr die Kunstakademie Düsseldorf absolviert hat, stürzen nackte muskulöse männliche Körper in einer Art Choreografie ineinander, die das einzelne Individuum unkenntlich macht und an eine Simulation von Ed Atkins erinnert. Eine nicht ganz einfach zu deutende Intimität bestimmt auch das Bild eines afro-amerikanischen Mannes in Boxershorts von Jonathan Lyndon Chase. In einer lasziven Körperdrehung präsentiert das Subjekt den Betrachter*innen seine reizvolle Körperrückansicht, gleichzeitig hat die Pose aber auch eine abschirmende Funktion.

In diesen beiden wie auch in weiteren Positionen wird somit das Paradox deutlich, das körperliche Nacktheit mit sich bringt. Sexuelle Freiheit und Selbsterfüllung gehen unweigerlich mit Verletzlichkeit und Entblößung einher. Solche Eindrücke kehren auch in einer mittelformatigen Malerei von Ambera Wellmann wieder. Drapiert auf einer Art Bühne vollzieht ein geschlechtsneutraler Körperrumpf hier eine sinnliche Drehung, als wären zwei Körper beim Akt miteinander verschmolzen. Eine auf schwarzem Grund in feinen Linien fixierte Menage à trois scheint sich in der Zeichnung von Halil Balabin und Merav Kamel abzuspielen. Die Art und Weise, wie die Körper von Individuen unterschiedlicher Geschlechter hier ineinander übergehen, lässt sich als (queere) Sexualität eines Paares interpretieren, in die weitere Personen mit involviert sind. In sich bilden die Werke in diesem Raum damit ein starkes Statement für Fluidität. Dieser Appell kommt einerseits spielerisch daher, verweist aber durch subtile Brüche immer wieder auf den Schutz, den queere Sexualität weiterhin braucht.

Die Ausstellung mündet schließlich in einer kabinettähnlichen Raumsituation, in der sich die Präsentation mit dem Blick von Außen beschäftigt, den Körper chronisch ausgesetzt sind. Die Künstler*innen experimentieren mit Strategien, wie dieser Blick durch die Körpersubjekte selbst spielerisch gelenkt und manipuliert werden kann. So entblößt sich die Künstlerin Pipilotti Rist in dem titelgebenden Werk der Ausstellung I’ve Only Got Eyes for You (Pin Down Jump Up Girl) (1996), bestehend aus einem Hologrammfoto, das auf einem Fernseher aufgebracht ist, selbst als glotzende Fernsehzuschauerin, deren Blick durch die Mattscheibe hindurch nun direkt die Betrachter*innen trifft. Das Foto von Leigh Ledare, den man aus einer von oben herab gerichteten Kameraperspektive in einem Frauenkleid auf einem farbbespränkelten Boden liegen sieht, wurde nicht vom Künstler selbst inszeniert, sondern gehört einer Serie an, in der Ledare Frauen, die auf der Partnersuche in einer Zeitung inseriert hatten, aufforderte, ihn zur Projektionsfläche ihrer Vorstellungen zu machen.

Auch Anys Reimanns Malerei einer Frau, die sich auf dem Rücken liegend mit angewinkelten Beinen, deren Fußspitzen sich in der Luft berühren, auf einem grünen Bürostuhl räkelt, und deren funkelnde Augen durch den Kreis ihrer aufgestellten Beine auf die Betrachter*innen gerichtet sind, zeigt ganz klar ein Individuum, das sich der Macht seines Körpers bewusst ist. Die spielerische Beherrschung der Situation in einem Gegensatz aus Zulassen und Abwehr ist beeindruckend, wenn man bedenkt, dass eine mögliche offene Sicht in das Geschlecht der Frau hier nur durch die Stuhllehne abgewehrt sind, die ihre Hände halten. Indem sie Elemente aus der Modefotografie collagiert in ihre Bilder inkorporiert, greift Anys Reimann in ihren Bildern regelmäßig den voyeuristischen, sexistischen und rassistischen Blick auf, dem schwarze Körper ausgesetzt sind.

I’ve Only Got Eyes for You schließt mit Positionen, die Körperutopien zum Gegenstand haben und körperliche Erfahrungen in die Welt des Films und bis in ferne Galaxien transportieren. Dieses letzte Kabinett wird dominiert durch ein gänzlich grün getünchtes Gemälde von Brook Hsu, das in Nahaufnahme von oben das ruhende, aber dennoch emotional angespannte Gesicht einer Figur aus einem Film von Tsai Ming-liang zeigt. Die starke filmische Qualität dieses rätselhaften Bildes setzt sich fort in einer kunstvollen lila Maske eines Gorillas aus geblasenem Murano-Glas von Jean-Marie Appriou. In dieser vom Film Planet der Affen (1968) inspirierten Serie will der Künstler keine spezifischen Charaktere nachempfinden, vielmehr fasziniert ihn die Macht von Masken, Zugang zu anderen imaginäre Welten eröffnen zu können. Die Themen Science Fiction und Utopie finden schließlich ihren Höhepunkt in einer futuristischen Lampe aus Glas von Klára Hosnedlová, einem Werk, das sich von jeglichem organischen Körperbegriff entfernt hat.

Mit Werken, in denen der menschliche Körper kaum noch eine Rolle spielt, endet somit der Rundgang von I’ve Only Got Eyes for You. Aus kuratorischer Sicht ist es eine gute Idee, bei einem Thema, das zugleich extrem heterogen, umstritten wie persönlich ist, ein offenes Ende zu setzen. An diesem Punkt kehrt die Ausstellung zu ihrer Ausgangsgrundlage zurück: eine Auswahl von Werken, die Gil Bronner seinem persönlichen Geschmack folgend in den letzten Jahren gekauft hat. Indem die  Direktorin und Kuratorin der Ausstellung Julika Bosch anhand der Einbringung von Olivia Laings Thesen über den in seiner Verletzlichkeit resilienten menschlichen Körper eine mögliche Lesart dieser Neuankäufe vorschlägt, gelingt es ihr, einen konzeptuellen Rahmen für Gill Bronners Ankäufe zu schaffen, der die Werke dennoch nicht überfrachtet und immer noch andere Interpretationen zulässt. Eine kluge Kombination aus Weitblick und Fokussierung, die, wie der Titel besagt, die Begegnung mit Kunst immer ausmacht.

I’ve Only Got Eyes for You – Neuerwerbungen der Sammlung 

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Ive Only Got Eyes for You Installationsansicht 2023  |  © the artist; Sammlung Philara Düsseldorf. Photo: Kai Werner Schmidt

Murat Önen, Longstack, 2022  |  © the artist; Sammlung Philara Düsseldorf. Photo: Kai Werner Schmidt

Theresa Weber, Dawn, 2020  |  © the artist; Sammlung Philara Düsseldorf. Photo: Kai Werner Schmidt

Jonathan Lyndon Chase, cold roses, 2022  |  © the artist; Sammlung Philara Düsseldorf. Photo: Kai Werner Schmidt

Anys Reimann, peek-a-boo (Guck-Guck), 2022  |  © the artist; Sammlung Philara Düsseldorf. Photo: Kai Werner Schmidt