„Che cosa sono le nuvole“ – in ihrem Klang beschwört die italienische Sprache immer die große Tragödie und die Suche nach dem Existentiellen herauf. Diese Atmosphäre schwingt mit, wenn man diesen Filmtitel des legendären Regisseurs Pier Paolo Pasolini von 1968 als Überschrift der Präsentation der Klasse Professorin Danica Dakić während des Rundgangs an der Kunstakademie entdeckt. Unter dem Titel „Was sind die Wolken“ soll das literarische, poetische und filmische Werk von Pasolini mit seinen zahlreichen kulturhistorischen und gesellschaftskritischen Referenzen dazu anregen „über Freiheit und Emanzipation, Schönheit und Liebe, sowie die Rolle der Imagination in einer von Krisen erschütterten Welt nachzudenken“.
In sechzehn Positionen, die ein weites Spektrum von Video, Installation, Skulptur, Performance und Fotografie umfassen, greifen die Studierenden den sich an klassischen Themen orientierenden ästhetischen Mikrokosmos und die Dekuvrierung gesellschaftlicher Niedergangsprozesse aus Pasolinis Filmen und Büchern auf. Grundlegende Motive des menschlichen Miteinanders, aber auch das konfliktlösende Potential des Träumerischen lassen das zugleich humanistische wie skandalbehaftete Werk eines Filmemachers neu aufleben, der heute für die Meisten längst in Vergessenheit geraten ist.
Die Auswahl des Werkes von Pasolini ist eng mit der Entwicklung der Klasse innerhalb des letzten Jahres verbunden. Erst im Herbst 2022 begrüßten die Studierenden mit Danica Dakić eine neue Professorin, die von der Bauhaus Universität Weimar an die Kunstakademie Düsseldorf gewechselt war, wo sie die Nachfolge von Marcel Odenbach antrat. Der Vorschlag von Dakić, Pasolini und seine revolutionäre wie auch poetische Auseinandersetzung mit Moral und Aufbegehren in den Fokus zu nehmen, war daher in erster Linie auch eine pragmatische Entscheidung, um ein gemeinsames Thema für eine Klasse zu finden, mit der die Professorin zu diesem Zeitpunkt noch nicht lange zusammengearbeitet hatte.
Danica Dakić, die 1962 im bosnischen Sarajevo geboren wurde, ist eine international profilierte und vielfach ausgestellte Künstlerin, deren Werk zwischen Fotografie, Video, Film und Installation oszilliert und häufig performative und partizipative Prozesse beinhaltet. In ihren Arbeiten entwirft die Künstlerin bühnenhafte, sich häufig an kunsthistorische Vorlagen anlehnende Settings, von denen aus sich persönliche Narrative entfalten, die sich sich aus dem kulturellem Gedächtnis, Identität, Sprache und Rollenbilder speisen. Anhand der Protagonist*innen, die in ihren multimedialen Werken auftreten, untersucht Daniel Dakić die Geschichte in ihrer ständigen Veränderung nach Aspekten, die Menschen und Schicksale über ihre Herkunft hinweg verbinden.
Es erscheint ganz so, als würde die Wahl Pasolinis als Vermittler auf einmal zu einer Annäherung zwischen den persönlichen künstlerischen Ansätzen der Student*innen und der neuen Professorin führen. Wie der Tutor der Klasse Lucien Liebecke erklärt, gab es bei der inhaltlichen Ausrichtung der eigenen Position gestalterische Freiheit. Und dennoch führen die jeweils individuellen Interpretationen von Pasolinis filmischen und literarischen Werken zu einer erstaunlichen Harmonie zwischen den einzelnen Arbeiten. Untereinander bilden sie somit auf völlig unverbindliche Weise eine erstaunlich klare Linie, die auf wundersame Weise wiederum zu Danica Dakićs Schaffen als Künstlerin führt.
Innerhalb des Rundganges vom 8. bis 12. Februar ist die Präsentation der Klasse auf zwei Räume verteilt. Raum 317 fungiert mit seiner Lage im Dachgeschoss und vorgelagerten Empore größtenteils als Kino für den Film Neuland, der von einer Gruppe Studierender unter der Leitung von Lucien Liebecke kollektiv produziert wurde und von weiteren Einzelpositionen flankiert wird. Raum 112 zeigt eine breit aufgefächerte Variation aus filmischen, fotografischen, skulpturalen und installativen Arbeiten, die teils während des Rundganges durch performative Handlungen aktiviert wurden und sich in manchen Fällen auf die gesamte Akademie erstreckten.
Der von Pasolinis Decameron (1971) inspirierte Film Neuland, der in einer gleichnamigen Kneipe in Bochum gedreht wurde, zeichnet in Form eines Spiels die persönlichen Identitätskonflikte und Obsessionen mehrere Protagonist*innen nach, die abgeschlossen von der Außenwelt in ihrer eigenen, inneren Nostalgie eingesperrt sind. Übergossen mit einer zuckersüßen Achtzigerjahre-Ästhetik, greift der Film in seinem Plot damit die Handlung der Mitte des 14. Jahrhunderts erschienenen Novellensammlung Decameron von Giovanni Bocaccio auf, die in Auszügen von Pasolini verfilmt wurde. Im ursprünglichen Werk flieht eine Gruppe junger Frauen und Männer vor der Pest in Florenz 1348 in ein Landgut, wo sie zur Zerstreuung jeden Tag mit der Wahl eines Königs oder einer Königin eine neue Geschichte aufführen. Pasolini erzählt einen Teil dieser satirischen Episoden über Charaktere des Spätmittelalters sketchhaft und mit humoristischen Pointen nach, ein Konzept, das man auch in Neuland wiederfindet.
Weitere Positionen ergänzen den Film ästhetisch und thematisch. So sieht man auf einem Bildschirm von Insa Schülting eine Person, welche die Maske eines Rabens aus dem Film trägt, auf deren Oberfläche vorbeiziehende Wolken projiziert sind. Eine versetzt von der Leinwand an Metallösen von der Decke hängende Säule aus einzelnen identischen quadratischen Kunststoffmasken mit stilisierten silbernen Augen von Hyejin Park wirkt wie ein Kommentar auf die spielerische Maskerade in Neuland, verweist aber auch gleichzeitig auf ein weiteres Werk der Studentin in 112.
In der linken Ecke des Raumes ist ein Kabinett eingebaut, in dem auf einem Röhrenbildschirm eine Videoarbeit von Julia Reisinger zu sehen ist. Die mit einer Super-Acht Kamera gedrehten schwarz-weiß Aufnahmen nehmen einen zu sphärischen Klängen in die düster-brachiale Betonarchitektur eines Plattenbauviertels in Köln mit. Ein Blickfang in diesem Raum ist eine Wand, die vollständig mit gleichformatigen, unterschiedlich gestalteten Plakaten der Klasse tapeziert ist, die in ihrem Design alle das Pasolini-Klassenthema aufgreifen, zugleich durch die Verwendung spezifischer bildlicher und grafischer Elemente aber auf individuelle Projekte verweisen.
Neben Videoarbeiten bestimmen in Raum 112 skulpturale und installative Positionen die Klassenpräsentation etwas stärker. Stilistisch gesehen verbindet die Werke zudem eine eher zurückhaltende, sanfte Ästhetik. Bei allen Positionen schwingt eine gewisse Poetik mit, die sich auf die Herausforderungen des menschlichen Seins bezieht. In Anlehnung an die Handlung des Film Was sind die Wolken lässt Miriam Bornewasser über einen Bildschirm auf dem Fensterbrett einen Email Dialog zwischen dem Publikum und Shakespeares Othello ablaufen, in dem das Publikum gegen den Bösewicht aufbegehrt. Drei große, an der linken Wand montierte Papierrollen, auf denen Sojeong Park Litografien aus der graphischen Sammlung der Kunstakademie in verfremdeter Form abgedruckt hat, lassen eine ganz andere Dramaturgie entstehen. Während des Rundgangs riss die Studentin Streifen von den sich unendlich wiederholenden Motiven ab und verschenkte sie ans Publikum.
Wiederum andere Geschichten entwickeln sich rechts neben der Installation weiter, wo man nur knapp über den Fußboden zwei Fotografien von Paul Derichs sieht. Zufällige Schnappschüsse vor dem Kölner Dom von Priestern, die Weihwasser auskippen oder für Selfies mit Touristen posieren und in deren humoristischen Enthüllung des Heiligen man Pasolini wiedererkennt. Auf einem Bildschirm, der wie ein Porträtbild hochkant aufgestellt ist, stellt Shannon Sinclair in einem eingehenden Videodialog ihrer Mutter Fragen nach ihrer Herkunft und versucht so das schwer zu fassende Verhältnis zwischen einer Mutter und ihrer Tochter zu beschreiben.
Umgeben von einem Metallring schlängelt sich in der rechten hinteren Ecke des Raumes eine an die Decke gespannte schwarze Strickarbeit mit einem gezackten weißen Muster von Sua Kang empor, die eine Erweiterung einer bestehenden Arbeit einer ehemaligen Studentin darstellt. Mio Zajac hat in Beton einen Gullydeckel abgeformt und mit einem Ring aus 24-karätigen Gold umrandet. Anhand einer in den Deckel eingekerbten Wolke verweist das Werk mit dem plakativen Titel „HOLY SHIT“ auf subtile Weise wieder auf das Thema der Klasse. Das Gefühl, nicht weiter zu kommen, greift Kaya Paff metaphorisch anhand von einem Paar Stiefel auf, Abgüsse aus einer transparenten Verbindung aus Wachs und Kunststoff, die ratlos vor der Wand direkt rechts vom Eingang stehen.
In einem Screening auf einem Bildschirm an der rechten Raumwand sind zudem die Videoarbeiten von sieben Student*innen zu sehen. Iezees nimmt die Betrachter*innen in das israelisch-palästinensische Grenzgebiet zu einem lokalen Ausflugsort mit, wo er in Interviews mit Bewohner*innen dem Grenzkonflikt um diesen Ort nachspürt. Ephemere Aufnahmen von Landschaften und Personen bilden bei Ole Dreihaupt eine visuelle Begleitung zu Gedichten von Pasolini, welche die Bilder durch seine aus dem Off hallende Stimme begleiten. In einer Performancedokumentation zerreißt ein Hund das Federkleid der knienden Zoé Marie Roßmanneck, dessen Überbleibsel als stille Skulptur im Raum zu sehen sind.
Eine drastischere, körperliche Bildsprache entwickelt sich in den Videos von Hyejin Park, Qunyuan Wang und Han Seok. In deren Beiträgen sieht man, der Reihenfolge der Namen nach, eine animierte Figur, deren Körper spritzend zerfließt, eine Hand mit Beil, die unermüdlich wie unerbittlich auf ein Stück Hack einschlägt, und Füße, die auf ein Buch springen und schließlich in der Luft baumelnd eine tragische Wendung suggerieren. Als performatives ongoing Projekt hat Lena Maria Hugger mit einer Studentin aus der Klasse Schneider die Armageddon Wrestling Federation (AWE) gegründet, die das Untergeschoss der Kunstakademie temporär zur Wrestling Hölle umfunktionierte. Die über Instagram dokumentierte Aktion, während derer Bodybilder und Chearleader in den Fluren auftraten, mimte, angereichert durch eine gewisse Weltuntergangsstimmung, die überdrehte Ästhetik und Atmosphäre des amerikanischen Wrestlings in Perfektion.
Auf die ein oder andere Weise lässt sich so in allen Positionen der Klasse Dakić eine subtile, unprätentiöse Beschäftigung mit existentiellen Fragen und Herausforderungen des menschlichen Seins beobachten. Auch wenn es gilt, diesen Eindruck nicht überzuinterpretieren, kann man dennoch erkennen, dass hinter jede der Arbeiten eine tiefere Philosophie liegt, der ambivalente Erfahrungen zu Grunde liegen und die weit über äußerliche, ästhetisch-formale Aspekte hinausgeht. Blickt man zurück auf Paolo Pier Pasolini und sein Werk als Inspirationsgrundlage, dann erscheint es so, als hätten die Student*innen vor allem dessen humoristisch-humanistischen Geist in ihre Werke einfließen lassen. Wie im Schaffen des avantgardistischen Regisseurs ist diesen ein innerer Drang nach Freiheit, aber auch die Auseinandersetzung mit den Grenzen der Selbstrealisierung gemeinsam.
Pasolini verarbeitete in seinen Filmen das Verschwinden von Kultur und Werten unter dem Einfluss kleinbürgerlicher Ideologie im Italien der Sechziger- und Siebzigerjahre. Der Funke Hoffnung nach der Existenz eines positiven Wandlungspotentials im Menschen ist wiederum ein essentielles Element in den Werken der Künstlerin und Professorin Danica Dakić. Che cosa sono le nuvole – Was sind die Wolken. Zum Ausgangspunkt des Klassenprojektes wurde in erster Linie eine enigmatische Szene des gleichnamigen Filmes, in denen von Menschen dargestellte Puppen nach einem Angriff durch das entrüstete Publikum von einer Müllkippe aus, auf der sie entsorgt wurden, das erste Mal den Himmel erblicken.
Geändert oder angepasst haben die Student*innen ihre individuelle künstlerische Arbeitsweise durch dieses Thema nicht. Und dennoch meint man, dass die Wahl von Pasolini als thematische Grundlage eine Anregung geliefert hat, den Werken eine größere inhaltliche Tiefe zu verleihen, ohne in die jeweiligen Projekte der Studierenden einzugreifen. Durch die gemeinsame Themenfestlegung auf Pasolini haben Danica Dakić und ihre Klasse damit nicht nur eine in ihrer Vielfalt beeindruckend kohärente Präsentation geschaffen. Im Verborgenen hat hier auch ein gegenseitiges Kennenlernen zwischen der Professorin und den Student*innen stattgefunden, die einen mit Spannung den nächsten Rundgang erwarten lässt.