Evelyn Taocheng Wang - Reflection Paper —Kunstverein Düsseldorf

Evelyn Taocheng Wang ist eine meisterhafte Erzählerin. In ihrem stark sprachlich und szenisch geprägtem Werk mischen sich  Bild- und Textzitate aus Literatur und Populärkultur mit eigenen und angeeigneten Erfahrungen und Gedanken. In den pudernen Farben und weichen Linien ihrer mit fantasievollen Figuren und allerlei Dingen bevölkerten Malereien und Zeichnungen baut die Künstlerin eine Art fortlaufendes Epos auf, indem sie persönliche Themen wie Identität, Geschlechterrollen, Migration und das Gelingen wie Scheitern in diesen Lebensbereichen anspricht. Begleitet von einem oft unbemerkt vom Komischen ins Bittere wechselndem Humor tuen sich hinter der zuckersüßen Ästhetik  jedoch Risse und Abgründe auf, in denen inmitten eines Kosmos fröhlicher Gestalten und überspitzer Tragik essentielle Kämpfe des Selbst hervortreten.

In ,,Reflection Paper“ im Kunstverein Düsseldorf öffnet sich nun mit den vielen eigens für die Ausstellung entstandenen Arbeiten, die ein breites Spektrum von Medien miteinschließen, ein neues Kapitel in Wangs Werk. Im Raum fügen sich die Werke zu einer ,,Klinik“ zur offenen Reflektion pauschaler Denkweisen und Wahrnehmungsmustern zusammen. Anhand mehrerer reizvoller installativer Elemente hat Wang eine intime Atmosphäre geschaffen, die den/die Betrachter*in dazu anstößt, sich auf ihre Empfindungsweise und ihre Welt aus anekdotischer Referenzen einzulassen. Die mit undurchsichtigem Papier verhängte Glasfront lässt nur ein gedämpftes Licht in das Foyer. Dominiert wird der Raum von zwei entlang einer Wand angebrachten, farbig gestreiften Marquisen, welche jeweils eine mit schmucken Schirmlampen beleuchtete Vitrine schützen, in der mehrere Meter laufende, mit Zeichnungen versehene Rollbilder ausgelegt sind. In der sanften Pastell-Ästhetik erinnert das ganze Ambiente an einen Ladurée-Shop. Ein nicht ganz so abwegiger Eindruck, wenn man mit einbezieht, dass Wang hier in der Absicht, einen ,,femininen“ Raum zu schaffen, regelmäßig mit einem von ihr nahezu karikierten romantischen Ideal von Weiblichkeit spielt, als letztlich untrennbares Cross-over von asiatischen und europäischen Vorstellungen, wie so Vieles in ihrem Werk.

Wie auch die beiden formal stark an chinesische klassische Malerei (ein Medium, in dem Wang ausgebildet ist) angelehnten Rollbilder in den Vitrinen erzählen ihre Werke Geschichten, die immer wieder ausgehen von Textfragmenten, die von anderen Literat*innen angeeigneten sind und anhand von durch Wang hinzugefügten Folgen von Zeichnungen sowie malerischen Elementen weitergesponnen werden. Die Bildrolle ,,Oh you were also here!“ (2020) etwa beginnt mit einem Textausschnitt aus der Prosa der chinesischen Autorin Eileen Chang, eine schillernde und teils umstrittene Figur der Oberklasse, die in Shanghai der 30er und 40er romantische Romane verfasste. Das tragische Schicksal dieser Autorin und ihre eigene entrückte literarische Welt bilden für Wang eine zentrale Inspiration in ihrem Werk, welche eine erste große Manifestation in der 2013 entstandenen Serie von surreal anmutenden Kurzvideos ,,Reflection Paper“ annimmt, vertont mit persönlich rezitierten Auszügen aus Changs Werk. In der Bildrolle handelt der mit Tuschefeder abgeschriebene Text von einer flüchtigen Begegnung zwischen einem voneinander angezogenem Mädchen und einem jungen Mann, die das Schicksal jedoch auseinander reißen wird. Die sich von da aus entfaltende Bildgeschichte, die unter dem Motto einer verpassten Chance steht, das fatalste Hindernis der Liebe, zeigt dann vor allem eine muntere Gruppe von Muslima in einem einheitlichen Kopftuch-Look beim posieren für Selfies. Die Frauen sind Wang in ihrer niederländischen Nachbarschaft begegnet und verkörpern hier einen Moment der vollen Selbsterfüllung.

Die zweite Bildrolle ,,Hana no Ko LunLun“ (2020) – auch hier muss man sich wieder unter die gestreifte Marquise ducken, um die Vitrine einsehen zu können, was  ein wenig kurios ist und wirklich an eine stylische Boutique erinnert – referiert auf eine in den 90ern im japanischen Fernsehen ausgestrahlte Anime-Serie. Die Story der gleichnamige Protagonistin, die aus einer Art Blumenwelt stammend mit einer Zauberpuderdose ausgestattet unter die Menschen kommt, überträgt Wang um auf ihre eigenen Erfahrungen mit Fremdsein in der europäischen Kultur und den stetigen Druck dort, sich beweisen zu müssen. Die mit einem Zitat aus Oscar Wildes ,,The Importance of Being Earnest“ eingeleitete Bahngeschichte findet ein vorläufiges Ende in der Anfertigung von in leichten Linien skizzierten ,,Zertifikaten“ zur Bezeugung von Authentizität und Herkunft. Wang übernimmt meisterhaft die Eigenschaft historischer chinesischer Rollbilder, immer nur einen Ausschnitt einer sich weit und in beide Richtungen entfaltenden Erzählung zu zeigen, indem sie mit der Weite und potentiellen Leere der Bildfläche spielt, während die Augen von einem Bildelement zum nächsten springen, die wie Schlösser aus dem Nebel auftauchen und wieder verschwinden.

Wang gibt offen ihre Affinität für Mode zu, die sie mit der Identitätsthematik in ihrem Werk verknüpft und auch in ,,Reflection Paper“ eine Rolle spielt, nämlich in Form von einerseits in Hommage an die amerikanische Künstlerin Georgia O’Keefe entstandener ,,modernistischer“ wie ,,schicker“ blaugrauer Overalls für das Team des Kunstvereins als auch in Gestalt übergroßer und unförmiger, den Körper bis zur Nase bedeckender ,,Grandmother-Pant-Dresses“ (2020). Während diese auf Wäscheständern ausliegen, hat die Künstlerin die Trageweise schon einmal an zwei Zeichnungen von etwas ungelenk in die Oma-Unterwäschekleider gesteckten Männern illustriert. Mit den Unterhosen schafft Wang ihrer Idee nach einen geschützten Raum, erzählt von ihrer Großmutter und den warmherzigen Komfort, die diese eigentlich verbrämten Kleidungsstücke für sie als Kind ausgestrahlt haben. Wangs Werke sind im Kern also oft sehr persönlich, auch wenn diese Ebene häufig überspielt erscheint durch die zahlreichen künstlerischen und literarischen Aneignungen. Der Ausdruck über andere Stimmen stellt sich jedoch paradoxerweise bei der Künstlerin als ein Mittel heraus, um authentische Empfindungen mitzuteilen. Autobiografisches und Kollektives stehen für Wang dabei offensichtlich nicht im Widerspruch.

Dieses Prinzip der Aneignung als Mittel gegen Entfremdung findet sich wieder im Herz der ,,Klinik“, dem ,,Thoghtless Garden“ aus fünf schlichten weißen architektonischen Elementen mit kreisrunden Durchblicken, wie man sie in einem chinesischen Garten findet. An diese angelehnt und um diese herum sind gleichformatige, von Wang abgezeichnete Bildkopien von Werken der amerikanischen Pionierin des Minimalismus Agnes Martin platziert (,,Clinic Agnes Martin“, 2020). Der mit Teppichboden versehene Platz zwischen den Kreiselementen ist vorgesehen als Therapieort für Wang und das Publikum, was eine Verbindung aufbaut zu Martin, welche einen Teil ihres Lebens in psychiatrischen Kliniken verbrachte. Durch das minuziöse und sehr gelungene Abmalen der Malereien Martins (es handelt sich um Kopien von Postern der Gemälde) begibt sich Wang in die Sensibilität der Künstlerin, schafft aber auch ein weiteres, mit aufgenähten Anfertigungssiegeln redundante wie einzigartige ,,Dokumente“ von Martins Werken, die methodisch angelehnt sind an die Malerei der Song-Dynastie, in der die intellektuelle Kritik ein selbstverständlicher Teil der Kunst war und nicht auf heutige Weise zwischen Künstler und Rezipienten unterschieden wurde.

In der Zusammenbringung von Text und Bild als eine Ebene der künstlerischen Botschaft entlehnen sich auch die von Wang als ,,fake movie posters“ bezeichneten hohen Zeichnungen auf Reispapier Mitteln der chinesischen Bildtradition. In einer spontanen, kalligraphisch wirkenden Technik hält die Künstlerin in diesen ,,Postern“ Ausschnitte aus einem breiten Pool aus Referenzen wie Film, Literatur, Malerei und Philosophie mit Tusche fest. Mit einem Supermann, der in einer von der opulenten Malerei James Tissot’s Szenerie eine mit Flaggen bekleidete ,,Geisha“ mit Schnurrbart im Arm hält, erzählerisch eingeleitet von einem Zitat aus Jane Austen’s ,,Gosford Park“; einer karikaturhaften Abbildung der Protagonisten aus dem David Cronenberg Film ,,M. Butterfly“; und ein als ,,Puzzle“ gedachtes Poster über Nietzsche und Schopenhauer, auf denen Fantasiecharaktere flanieren – regieren neben kuriosen Details stets eine skurrile Mischung aus popkulturellen, historischen sowie aus dem Erfahrungsschatz von Wang geliehenen persönlichen Zitaten.

,,Seductive, simple and precice“ möchte Wang in den ,,False Posters“ eine Beziehung zum/r Betrachter*in aufbauen, die über oberflächlich zunächst leicht (bzw. scheinbar leicht) dechiffrierbare visuelle Codes kommuniziert. Dieses Prinzip findet sich wieder in den zentral im Raum platzierten und wie im Foyer mit Schirmlampen beleuchteten in Vitrinen liegenden beiden weiteren Rollbildern. Im Vergleich zu den schon bekannten Rollbildern wirken diese dramatischer, arbeiten mit mehr Farbe, mehr Text, mehr Bildern – aber auch deutlich drastischeren Darstellungen. ,,Booklet of Bachmann_Lost Leather Shoulder Bag Refund“ (2020) kombiniert, wie der Titel andeutet, einen polizeilichen Fall einer verlorenen Handtasche, festgehalten durch ein kriminalistisches Foto und das polizeiliche Dokument, mit abgeschriebenen und teils mit chinesischen Schriftzeichen anotierten Gedichten der österreichischen Schriftstellerin und Lyrikerin von Ingeborg Bachman, deren schwermütig-mysteriöser Klang das Papier besetzt. ,,Withes are Flower Sis“ (2020) besticht durch sich über die ganze Bildrolle erstreckende reiche graphische und florale Ornamente, die sich jedoch rasch als Darstellungen von Gewalt entpuppen, in denen herrenlose Penisse zerschnitten und Pistolen in frauenlose Uteri eingeführt werden. Auch hierfür gibt es eine literarische Referenz, die sich auf die Thematik der ,,Hexenjagd“ bezieht, während stetig das Auge über die Bilder huscht in dem Versuch, der ständigen Transformation der von Wang abgebildeten Geschehnisse hinterherzukommen.

Als eine Person, die ungezwungen mit den Ansprüchen des Künstlerdaseins umgeht, verschärft durch einen in Europa fremden Herkunftshintergrund und dem stetigem Scheitern in diesem Prozess der Assimilierung, erscheinen viele der Werke missglückt. Jedoch nicht im Sinne von misslungen, sondern, dass es diesen nicht gelingt, ihre plakativ affirmative und selbstbewusste Ausstrahlung, sei es durch die Kombination bunter Farben und Muster, dem Einsatz von Stoffen und Nähten, die Beschriftung mit fangenden Sprüchen oder der Inkorporierung von Zitaten von Ikonen Wangs wie Virginia Woolf auf Dauer aufrecht zu erhalten. Prangern diese kleinen roten Siegelstempel überall, weil die Autorschaft wenigsten etwas ist, das sich zweifelsfrei belegen lässt, wenn der Kampf um Authentizität in der Gesellschaft doch so schwer ist? Zum Ende der Ausstellung begegnen mir zwei Werke vom Typ ,,False Poster“, die diese mit sanften Mitteln ausgemalte Zerrissenheit in Wangs Werk besonders markant an die Oberfläche bringen. Das eine zeigt, als persönliches Fashion-Ideal von Wang (,,Paris/Old England look with Adidas Shirt“), eine schick gekleidete Frau, die auf offener Straße von einer Pistole zerschossen wird. Getrocknete Streifen von Tee, Wein und anderen Materialien breiten sich auf der Leinwand aus, an der die Künstlerin lange und energisch gearbeitet hat. Das andere Bild, eine gräuliche mit Blumen verzierte Tuschezeichnung auf Reispapier, trägt den Schriftzug: ,,If you kno(e)w my past you may forgive me today“.  Und dieses Mal meine ich tatsächlich, Wang darin zu erkennen.

 

Installation view Evelyn Taocheng Wang – Reflection Paper, Kunstverein für die Rheinlande und Westfalen, Düsseldorf, 2020  |  Photo: Katja Illner

Installation view Evelyn Taocheng Wang – Reflection Paper, Kunstverein für die Rheinlande und Westfalen, Düsseldorf, 2020  |  Photo: Katja Illner

Installation view Evelyn Taocheng Wang – Reflection Paper, Kunstverein für die Rheinlande und Westfalen, Düsseldorf, 2020  |  Photo: Katja Illner

Installation view Evelyn Taocheng Wang – Reflection Paper, Kunstverein für die Rheinlande und Westfalen, Düsseldorf, 2020  |  Photo: Katja Illner