Siebenundzwanzig Ausstellungen in drei Jahren. Diese beeindruckende Bilanz hat der Nails projectroom aufzuweisen, der im Dezember 2020 auf Initiative der Kunsthistorikerin Maren Knapp Voith zusammen mit kunstsinnigen Mitstreiter*innen als Verein gegründet wurde. Während des Projektes Campus Beautiful an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf ist Maren Knapp Voith aufgefallen, dass Absolvent*innen der Kunstakademie mehr Plattformen brauchen, wo sie ihre Kunst ohne kommerziellen Druck zeigen können. Der Nails projectroom war ihre Antwort, um diesen Bedarf zu decken. In der Zeit seines Bestehens blieben die Wände des ehemaligen Ladengeschäftes (vormals ein Nagelstudio) auf der Birkenstraße selten weiß. Die eingeladenen Künstler*innen nutzten die mehrwöchige Verfügbarkeit des Raumes häufig, um das gesamte Nails durch raumgreifende Installationen vollständig zu transformieren. Die exponierte Lage, die der Projektraum durch seine großzügige Schaufenstervitrine und die Lage an einer belebten Einkaufsstraße mitbrachte, bot den Künstler*innen gleichzeitig die Möglichkeit, ihren Werken eine größere Sichtbarkeit zu verschaffen, die sich nicht nur an das Insider-Publikum richtete.
Durch sein besonderes Setting war das Nails daher nicht einfach nur ein beliebiger Ausstellungs- oder Projektraum, sondern gleichzeitig eine Bühne, auf der junge Künstler*innen, die gerade erst ihr Studium abgeschlossen hatten bzw. sich kurz vor Abschluss befanden, ausprobieren konnten, wie sich das Präsenzwerden ihrer Werke für sie anfühlt und gestalten lässt. Und das sowohl gegenüber der Kunstwelt als auch den vorbeiziehenden Passant*innen. Auf diese Weise bot das Nails eine wichtige und essenzielle Plattform für Künstler*innen, indem der Ort eine Überbrückung in der schwierigen Phase nach Beendigung des Studiums bot. Zu diesem Zeitpunkt haben Künstler*innen möglicherweise schon Aufmerksamkeit erhalten, aber sie werden häufig noch von keiner Galerie vertreten. Mit ihrer Initiative sendeten Maren Knapp Voith und ihre Kolleg*innen vom Nails Verein damit auch einen deutlichen Appell an die lokale Kulturpolitik aus, dass für Absolvent*innen der Kunstakademie mehr getan muss. Der Erfolg auf dem Kunstmarkt vieler ehemaliger Ausstellender unterstreicht, wie unterstützend und bestärkend die Bereitstellung eines Raumes für wenige Wochen sein kann, der freie Entfaltungsmöglichkeiten bietet.
Zu den Projekten, die zuletzt im Nails projectroom zu sehen waren, zählen unter anderem die performative Installation Disgusted but still very hungry, in der Cristiana Cott Negoescu zusammen mit Performer*innen anhand der Simulation einer Fischfabrik die desaströsen Auswirkungen unser Essgewohnheiten illustrierte, und das transmediale optische Raumexperiment DIOPTER von Sabrina Podemski & Dylan Maquet, welches die Bedingungen der Bildproduktion im Schwellenbereich digital/analog betrachtete. Im November folgte dann das Projekt RESONANZ/ RESONANZBÜHNE, eine ortsspezifische und interaktive Installation von Nils Levin Sehnert, der durch den Auftrag berührungsreaktiver thermochromer Farbe auf sämtliche Wände das Nails in ein taktiles Gesamtkunstwerk verwandelte. Abgeschlossen wurde das Jahr mit einer Performance von senzenberger|rieck (Imminence), während der sich die Tänzerinnen in fließenden slow-motion Bewegungen in eine hypnotisierende Erkundung von Raum und Körpernähe begaben.
Überhaupt gibt es innerhalb der siebenundzwanzig Projekte kaum ein Thema aus den aktuellen Kunstdiskursen, das im Nails nicht angesprochen wurde. Das gesamte Spektrum reicht von Auseinandersetzungen mit Feminismus und postkolonialen Fragestellungen (BEUYS & GIRLS, Magdalena Kita, Johanna Reich and Marleen Rothaus /SHOWDOWN, Catherina Cramer & Giulietta Ockenfuß) bis zu gesellschaftspolitischen Themen (NACHT IM SCHACHT, JP Langer & Eliza Ballesteros) und der Überprüfung von ästhetischen Idealen (Kosmetik, Denise Werth & Hidetoshi Mitsuzaki). Regelmäßig beschäftigten sich die Künstler*innen auch mit medienspezifischen Problemen, indem sie etwa die schöpferische Rolle von künstlicher Intelligenz untersuchten (Creeping Patterns, Malte Urban) oder durch Entlarvung von Sehgewohnheiten und epistemologischen Hierarchien den Kunst- und Werksbegriff hinterfragten (Operationen (wer ist am Apparat), Johannes Raimann & Stefan Bauer). Insgesamt fanden im Nails häufig kooperative Kollaborationen zwischen Künstler*innen statt. Damit förderte der Projektraum eine kollektive künstlerische Zusammenarbeit, anhand derer die Ausstellenden über das individuelle Werk hinaus gemeinsam neue Kontexte erschlossen.
Besonders erstaunlich ist rückblickend das Engagement des Vereins in Zeiten der ersten beiden Lockdowns 2020 und 2021. Denn während die meisten Kulturinstitutionen schließen mussten, tat Maren Knapp Voith mit ihrem Team alles dafür, ihre Künstler*innen nicht fallen zu lassen und hielt das monatlich wechselnde Ausstellungsprogramm aufrecht. Von den widrigen Umständen, durch die Ausstellungen gar nicht beziehungsweise nur eingeschränkt für das Publikum zugänglich waren, ließen sich Maren und die kooperierenden Künstler*innen nicht einschüchtern. Ganz im Gegenteil wurden die Einschränkungen klug umschifft, indem die Künstler*innen beispielsweise Projekte für die großflächige Vitrine entwarfen, die vollständig vom Bürgersteig aus einsehbar waren.
So konzipierten Kai Werner Schmidt & Stefan Bauer für das Schaufenster eine aus Scannern eine „Lichtmaschine“ (Generator III), deren phosphoreszierende Leuchtschienen in einer poetischen Choreographie hin- und hersummten. Eine weitere Reaktion auf das zeitweise komplette Verbot von Veranstaltungen bestand in der Konzipierung von Projekten, deren Präsentation digital stattfand. Ivana Kleinertz audio-visuelle Installation CRYSTALLIZE – how things appear to us beispielsweise, die Erfahrungen von Distanz und Nähe vor dem Hintergrund der krassen Einschnitte in menschliche Begegnungen durch die Corona-Pandemie verhandelte, war von Anfang an als online rezipierbares Projekt gestaltet.
Auf diese Weise entstanden während der Lockdowns im Nails Projekte, die sich anhand eigener Strategien, Sichtbarkeit zu erlangen, erfolgreich in einem gerade für junge Künstler*innen katastrophalen Umfeld behaupteten. Diese Vorhaben setzten sich zum Teil auf innovative Art mit den Themen und Ängsten auseinander, welche die Lockdowns mit sich brachten, wie etwa dem Gefühl von Isolation. Die äußerlich ein Büdchen nachempfindende Videoinstallation Takeaway von Daria Nazarenko & Kati Masami Menze griff dieses Empfinden gezielt auf, indem die Künstlerinnen in ihrer Videoarbeit mit einer tänzerischen kontaktintensiven Performance auf die grassierende anonyme To-go-Kultur reagierten. Da diese Arbeit in der Vitrine zu sehen war, entwarfen die Künstlerinnen somit eine Art Takeaway-Kunst, die perfekt an die Umstände angepasst war.
Maren Knapp Voith gründete den Nails projectroom nur wenige Wochen vor dem Einbruch der Corona-Pandemie. Unter solchen erschwerten Bedingungen, die einen leicht hätten aufgeben lassen können, jungen Künstler*innen trotzt aller Widrigkeiten eine Plattform zu bieten und diese unter oft völlig unklaren Signalen der Politik aufrechtzuerhalten, ist eine monumentale Leistung, für welche Maren, dem Vereinsvorstand des Nails und den beteiligten helfenden Händen größtes Lob zusteht. In 2023 wird der Verein Nails projectroom nun ohne festen Ausstellungsraum weiterarbeiten. Maren Knapp Voith gibt das Ladengeschäft als Projektraum auf. Viele bedauern diese Entscheidung. Schließlich hat es in den vergangenen Jahren kaum einen Ort gegeben, der so sehr die Sichtbarkeit junger Absolvent*innen der Kunstakademie in Düsseldorf gefördert hat wie das Nails.
Warum also muss der Nails projectroom nun schließen? „Ich höre immer wieder vom Kulturamt und anderen kulturellen Trägern, wie schade es ist, dass der projectroom schließt. Dieses Bedauern empfinde ich ebenfalls“, erzählt mir Maren im Dezember 2022. „Doch ungeachtet der großen Wertschätzung, die mir seitens der Stadtverwaltung – und vielen weiteren Förderern wie der Kunststiftung der Sparkasse Düsseldorf oder der Kunststiftung NRW – entgegengebracht wurde, musste ich am Ende immer persönlich für die Miete des Ladengeschäftes aufkommen. Denn abgesehen von der Erstattung der jeweiligen Projektkosten habe ich trotzt mehrfacher Anträge nie eine Förderung für die Betriebskosten des Nails projectroom erhalten“, erklärt Maren als Grund für die Schließung.
Aus Marens Schilderungen lässt sich schnell folgern, dass man für die Betreibung eines Off-Spaces ein dickeres Fell brauch, als es von Außen oft erscheint. Der persönliche Arbeitseinsatz für die Projekte bleibt in der Regel unbezahlt und ist darüberhinaus für die meisten unsichtbar. Ausstellungsaufsicht, Beschaffung von Materialien, Auf- und Abbau, Verköstigung, renovieren und putzen – all diese Aufgaben wurden immer wieder von Maren selbst übernommen. Auch wenn sie in der Betreuung des Raumes und im Social-Media Management tatkräftig von der Master-Studentin Lisa Mayer unterstützt wurde. Zusätzlich zu der ausbleibenden Förderung der Raumkosten hat auch dieses mangelnde externe Bewusstsein für ihre Arbeit hinter den Kulissen eine Rolle in Marens Entscheidung gespielt, den Projektraum zu schließen.
Als Verein wird der Nails projectroom e.V. weiterhin bestehen und junge Künstler*innen von der Akademie sichtbar machen und begleiten. Maren Knapp Voith hat sich entschlossen, offen über die Gründe der Aufgabe des Raumes auf der Birkenstraße zu sprechen. Denn was sie antreibt, ist nicht die Beschwerde an die Kulturförderung. Maren, die als Mitglied der Gesellschaft von Freunden und Förderer der Kunstakademie Düsseldorf in der lokalen Kunstwelt vernetzt ist, möchte ihre Erfahrungen teilen, um den Trialog zwischen privaten Projekten im Kunstbereich, der Kunstakademie und fördernden Stellen und Stiftungen andererseits zu verbessern. Denn wie der Fall des Nails projectroom zeigt, ist hinsichtlich der Herausforderungen, mit der sich Betreiber*innen von Off-Spaces konfrontiert und manchmal auch alleine gelassen fühlen, viel mehr gegenseitiges Bewusstsein und Transparenz nötig. Maren Knapp Voith engagiert sich leidenschaftlich gerne für junge Künstler*innen. Doch um diese Leidenschaft in konkrete Projekte umzusetzen, braucht es einen langen Weg, der nicht komplizierter sein sollte, als er ohnehin schon ist. „Um ein solches positives und bestärkendes Umfeld für Initiativen im Bereich junge Kunst zu schaffen, stehe ich gerne beratend zur Seite“ . Diese Botschaft ist es, die Maren wirklich am Herzen liegt.