„Fernsehen“ – schon der Begriff allein klingt nach Sehnsucht. Und lange Zeit war das analoge Fernsehen, ausgestrahlt über hypnotisch flimmernde Bildschirme, das einzige Fenster in eine andere Welt. Doch was haben wir eigentlich gesehen? Und welche Relevanz haben diese Bilder heute noch? Matthias Groebel hat in seinen Malereien, die in einer ersten umfassenden Ausstellung im Kunstverein für die Rheinlande und Westfalen Düsseldorf zu sehen sind, hunderte Momente aus dem TV-Programm der Neunzigerjahre festgehalten. Anhand einer speziellen Technologie, welche Fernseh-Wellensignale in digitale Pixel übersetzt, übertrug Groebel Fernsehstills per Airbrush auf Leinwand. Auf diese Weise entstehen bestechend lebendige Bilder, welche das blau-grünliche Flimmern des Röhrenfernsehers authentisch wiedergeben. Groebels Serie reproduziert damit Erlebnisse, die bereits mehr als zwanzig Jahre zurückliegen, in der gewählten Form der Wiedergabe mittels digitaler Technik sind sie ihrer Zeit jedoch bereits voraus. Seine Arbeiten in „A Change in Weather (Broadcast Material 1989–2001)“ weisen somit auf einen Übergang hin, den wir in der Schnelle scheinbar verpasst haben: zwischen analog und digital, zwischen einer begrenzten Medienwelt und den endlosen Optionen des Bilderkonsums im Internet, zwischen gelangweiltem, wahllosem Schauen und einem altgorithmisch perfektioniertem Entertainment.
Matthias Groebels Malereien sind damit von Beginn an anarchronistisch. Anhand von angeeigneten Bildern regen sie zu einer Neubewertung des heutigen digitalen Medienkonsums an, der sich verglichen mit dem per Satellit ausgestrahltem, internationalem Open Acess Television der Neunziger in kaum mehr nachvollziehbare Dimensionen erweitert hat. Die Serie des Künstlers setzt damit an einem Punkt an, an dem sich einzelne Bilder aus dem Fernsehprogramm noch herausfiltern ließen. Die Sendungen und Filme, aus denen Groebel Ausschnitte auswählte und die mehrheitlich von amerikanischen Sendern stammen, erweiterten damals radikal den Bereich des Sehbaren. Gleichzeitig blieben viele der Inhalte, die ausserhalb der üblichen Sendezeiten liefen und nicht untertitelt waren, für das deutsche Publikum rätselhaft und unzugänglich.
Diese Eindrücke von Fremdheit, erzeugt durch eine drastisch exponierte Intimität, wie sie in den zu dieser Zeit aufkommenden Real-Life Dokumentationen zu sehen war, gibt Matthias Groebel anhand von Nahaufnahmen zahlreicher Protagonist*innen des US-Fernsehens wieder. Durch eine spezielle Selektion des Bildmaterials schuf der Künstler somit ein Porträt der TV-Welt der Neunzigerjahre, das dennoch mehr als ein bloßes visuelles Archiv ist. Seine Nahaufnahmen anonymer Charaktere sind einerseits generische Massenprodukte, doch gleichzeitig scheinen diese Bilder tief in die Psyche ihrer Subjekte hineinzublicken. Ein Heranzoomen bis zur Schmerzensgrenze, bei der die Betrachter*innen selbst zu Voyeur*innen werden. Dass diese Zurschaustellung der Charaktere so drastisch wirkt, ist angesichts des Transports kompletter (Schein)leben in die digitale Sphäre heute eigentlich paradox.
Matthias Groebel fängt die Gesichter aus dem TV in Augenblicken ein, die in den geäußerten Emotionen höchst ambivalent sind. Blicke, Gesichtszüge, Haltung – in all ihren Aspekten vermitteln die dargestellten Protagonist*innen eine große Rat- und Rastlosigkeit. Die Augen junger Frauen sind gesenkt oder blicken ins Leere, die Mimik ist nahezu eingefroren. Ob sich Wut oder Enttäuschung dahinter verbirgt, bleibt uneindeutig. Auf ähnliche Weise bleiben die tatsächlichen Gefühle auch bei Stills von weiteren Individuen verborgen. Die Situation, die sich hinter einem Mann mit Glatze und geschlossenen Augen verbirgt, der seinen Kopf wie angeekelt mit heruntergezogenen Mundwinkeln abwendet, lässt sich genauso schwer einordnen wie das Bild eines irgendwie bösartig lächelnden männlichen Charakters in frontaler Dreiviertel-Ansicht, dessen Augen irgendetwas außerhalb des Bildraumes wie eine Beute fixieren.
Weitere Bilder scheinen Personen in Momenten sexueller Attraktion oder Sinnlichkeit zu zeigen. Doch auch hier fehlt der Kontext, um diese Aufnahmen eindeutig zuordnen zu können. Und interessanterweise ergeben auch die bisweilen eingeblendeten Subtexte, die zusammen mit den Stills eingefangen wurden, meistens keinen Sinn in Zusammenhang mit den Fernsehbildern. Durch die Präsentation in Episoden im Kunstverein Düsseldorf, realisiert in Zusammenarbeit von Kathrin Bentele (Direktorin) und vom Künstler Andreas Selg, bilden Matthias Groebels Malereien in „A Change in Weather (Broadcast Material 1989–2001)“ eine wiederkehrende Abhandlung über die Conditio Humana, voller zwiespältiger emotionaler Spannungsmomente und dennoch komplett anonym, zusammengesetzt aus Ausschnitten, die das Satellitenfernsehen in Endlosschleifen ausspuckte.
Wiedergegeben in unruhigen Bildpunkten, welche die Konturen verschwimmen lassen, repräsentieren Matthias Groebels Werke nicht das wirkliche Fernseherlebnis der Neunzigerjahre. Vielmehr verkörpern sie den Moment, an dem man schon viel zu lange vor dem Fernseher gesessen hat, die Augen nur noch ein Flirren erkennen und das Gehirn an seltsamen Details haften bleibt. Es ist dieser Überfluss an hochgradig konnotierten und dennoch redundanten Bildern, den der Künstler in den Achtzigerjahren irgendwie festhalten wollte und für dessen Fixierung er eine Technik entwickelt hat, die, bevor das Material maschinell auf die Leinwand gesprayt wurde, bereits analoge Fernsehbilder in ein digitales Format übersetzte. Indem sein Beitrag während der Bildgenerierung vollständig mit den maschinellen Schritten verschmolz, destabilisierte Groebel während dieses Prozesses zudem auf revolutionäre Art und Weise die Rolle des Künstlers als Autor:in.
Anhand seiner Fernsehstills gab Matthias Groebel digitalen Bildern eine visuelle Form noch bevor sie kursierten. Wie weitgreifend dieser Schritt ist, sieht man an einem seltsamen Effekt, den die Handykamera beim Fotografieren der Werke produziert. In den Malereien versucht der Sensor Gesichter zu erkennen, was irgendwie merkwürdig ist, wenn man daran denkt, dass die digitale Linse hier mit Bildern gefüttert wird, die durch ein digitales Verfahren mittels Farbauftrag in eine neue, analoge Form übertragen wurden. Es sind diese mehrstufigen, ineinander verschachtelten Übersetzungen, die Matthias Groebels Werk abseits klassischer Fortschrittsnarrative seine spezifische Aktualität verleihen. Sein Porträt der TV-Welt der Neunziger bringt den Unterschied zwischen analog und digital auf eine wesentliche Formel: Früher waren es die Anderen. Heute sind wir nur noch auf uns Selbst fixiert. In giftigen Grün-, Gelb- und Blautönen fixierte Matthias Groebel die Gefahren des Versinken in eine ausufernde und arbiträre Fernsehwelt. Und lässt damit erahnen, wie toxisch die heutigen Mediengewohnheiten durch diese Perspektive erscheinen.
Kuratiert von Kathrin Bentele und Andreas Selg
https://kunstverein-duesseldorf.de/ausstellungen/a-change-in-weather-broadcast-material-1989-2001/