Konzepte von Geschlecht und Identität lassen sich dann am besten aufgreifen, wenn sie frei verhandelbar sind, niemand sie ganz auf Grund bestimmter vordefinierter Voraussetzungen ganz für sich vereinnahmen kann. Wie gefährlich sich statische Auffassungen von Geschlecht oder Geschlechterverhalten auswirken können, zeigt eine wachsende politische Kultur des Macho-Seins. Vor diesem Hintergrund einer aus einseitigen Vereinnahmungen zu befreiend geltenden Männlichkeit spüren unter dem Titel Maskulinitäten die drei rheinländischen Kunstvereine in Bonn, Köln und Düsseldorf Definitionen des Männlichen in der zeitgenössischen Kunst nach, von dem ersten Höhepunkt der Debatte in den Siebziger Jahren bis in die Werke junger Künstler*innen heute. Unter einem patriarchalische Modelle konfrontierenden, feministischen Blick entwerfen die Ausstellungen ein fluides, offenes Bild des Männlichem, das über Geschlechtergrenzen hinweg angeeignet, modifiziert, bestätigt oder auch destabilisiert werden kann.
In Maskulinitäten begegnen einem Ausprägungen des Maskulinen in einer Bandbreite von Gestalten, mal als nach außen getragene Körperlichkeit, mal in Form von zur Überprüfung stehender gesellschaftlicher Positionseinnahmen und Verhaltensformen, aber auch in der Gestalt von intimen Erfahrungen, (homo)erotischen Begehren und humorvollen Gegenentwürfen. Und immer wieder spielt der Phallus als Symbol der Männlichkeit und der männlichen Dominanz eine Rolle. Zentraler Gegenstand der feministischen Kunst der Sechziger und Siebziger Jahre, ist es dann auch kein Wunder, dass eines der monumentalsten Werke der Ausstellung einem im Bonner Kunstverein in Form einer übermenschlich großen Kohlezeichnung eines die Konturen eines Schraubenziehers aufnehmenden Gebildes begegnet, das stark an einen Penis mit doppelten Enden erinnert. 1976 von der Künstlerin Judith Bernstein als Teil der damals als provokativ geltenden ,,screwdriver-paintings“ geschaffen, meint man in den kraftvoll aufgebrachten Linien förmlich den zeichnerischen Akt der Aneignung dieses Mannes- Symbols durch die Künstlerin nachzuspüren.
Diesen im Künstlerischen formulierten Akt der Aneignung männlicher Symbole findet man auch in Anita Steckels Gemälden wieder. Die Malerei eines prominent im Bildvordergrund platzierten schneckenförmigen Penisses, der sich zwischen karikaturhaft gezeichneten nackten Körper tummelt, die sich lustvoll zwischen der Skyline von New York ergießen, durfte zur Entstehungszeit des Bildes 1971 nicht ausgestellt werden, eine Entscheidung, die die Künstlerin zu genau dieser Darstellung motivierte. Trotzt ihrem politischen Hintergrund sind die Bilder Steckels nicht streng oder bitter, vielmehr führen sie den feministischen Kampf um das Verfügungsrecht über Darstellungen des männlichen Geschlechtes auf eine humorvolle Weise fort. Damit besitzen sie vom Ansatz her große Ähnlichkeit mit jüngeren, die Natur des Maskulinen befragende Werke, wie die farbenfrohen, manieristischen Malereien von Hähnen der jungen Künstlerin Allison Katz. Vordergründig naiv erscheinend, ist es der Titel der Werksreihe ,,Cock-Paintings“ und das darauf repräsentierte Ideal des Hahnes als besonders männliches, ja Macho-Tier an sich, durch das eine subtile Verbindung zu den früheren feministischen Werken entsteht.
So zeichnet sich das Spielerische, Offen-Sichtliche als durchgängige Strategie in der Bearbeitung der Frage nach dem Maskulinen heraus, welches oft ebenfalls als oberflächliche Attitude angesehen wird. Und dass gerade im Maskulinen diese Oberflächlichkeit nicht gehalten werden kann, sich vielmehr in einer ständigen Zerreißprobe befindet, beweisen unter die Haut gehende Werke wie von Hudinilson Jr., der auf unzähligen Din A 4 Blätter Kopiereraufnahmen der eigenen behaarter Körperstellen angefertigt hat. Hudinilsons Werke befinden sich so an einer unklaren Grenze zwischen dem Intimen und dem Exhibitionistischem, ein Standpunkt, den auch Richard Hawkins überbordende Collagen von über ein Jahrzehnt lang gesammeltem Bildmaterial junger schöner Männer aus Magazinen, Modewerbung und Film formulieren. In ihrer Intensität werfen die Collagen einen ausgeprägt homoerotischen Blick auf die Maskulinität und spiegeln dabei auf untrennbare Weise verbreitete männliche Schönheitsideale wie auch Sehnsüchte des Künstlers.
So bedienen viele Werke der im Bonner Kunstverein die nach etwas ,,Männlichem“ suchenden Sehgewohnheiten zunächst, um dann letztendlich zu zeigen, wie bestritten und fragil diese Kategorie tatsächlich ist. Ein in der Mitte zersägtes Motorrad von Alexandra Bircken, für viele ein typisches Macho-Symbol, transportiert die Sektion auf den männlichen Körper zurück, während Hilary Lloyd in einem atmosphärischen Video in Nahaufnahmen gesichtslosen Männern beim Stählen ihres Körpers zeigt und die Kamera sich dabei immer auf den Schritt konzentriert. Und über der Ausstellung thront in einer auf einem Gay-Werbeplakat basierenden überdimensionalen Fotografie von Hal Fischer von 1979 ein nackter Mann wie Aphrodite auf einem Bett, dessen Blick trotz des schwarzen Balkens vor den Augen trifft. Dass Jahrzehnte zwischen vielen der Werke liegen, nimmt man so nebenbei war.
Als bestreitbare Äußerungsform von ,,Männlichkeit“ steht auch im Kölnischem Kunstverein der Körper im Zentrum, wobei solche Studien von Körperlichkeit erweitert werden durch eine Betrachtung von gesellschaftlichen Positionierungen dem Maskulinem gegenüber und der daraus resultierenden Identitätsbilder. Zwei Fotografien des Künstlers Jimmy DeSana von vor einer Toilette oder auf einem Dj-Pult umständliche Körperhaltungen einnehmenden ohne Kopf abgebildetn Männerkörpern thematisieren das mit ,,Männlichkeit“ im Einzelfall verbundenes Gefühl des Aneckens oder Nicht-Reinpassens. In welchem Feld sich das Maskuline bewegt und anhand welcher Gesten oder Körperäußerungen es sich überhaupt erfassen lässt, diese Befragungen führen auch die Werke von Sarah Lucas und Katharina Wulff aus, wobei Erstere sich mit einer zwischen den Beinen umfassten zerquetschten Bierdose fotografiert hat, während Wulff in ihrer Wahlheimat Marokko mit der Malerei eines feisten, vor einem Hoteleingang lungernden Wachmanns Äußerungsformen des vermeintlichen Männlich-Seins in ihrer Wahlheimat Marokko festhält.
Solche ,,männlichen“ Gesten der sozialen Positionierung hat auch Marianne Wex in ihrer Arbeit ,,Let’s take Back Our Space“ erforscht. Auf fünf großen Pappbögen hat die Künstlerin anhand von fotografischem Material aus den Medien als solche verstandene ,,männliche“ und ,,weibliche“ Posen wie in einer kriminalistischen Studie zusammengetragen. Durch die Dichte der Reproduktion von klar auszumachenden, binären Geschlechterklischees des Starken und des Schwachen bekommt die Arbeit eine humorvolle Note, die doch dem Werk die Schärfe der Analyse nicht nimmt. Humorvolle (Gegen)entwürfe des Maskulinen findet man auch in einer skulpturalen Arbeit von Morag Keil, in deren Schaffensprozess zusammen mit weiteren Künstler*innen ein Rechercheprozess nach dem Männlichen im Bau einer Art Fitnessmaschine mündete, als würde das Maskuline eine Leerstelle bilden, die durch einen Akt des Bodybuildings erst geschaffen wird. Eine humorvolle Gegenposition zum Männlichem und dessen Besetzungskraft stellen auch die installativen Malereien von Olga Balema mit ihren auf übermalten und teils eingeritzten alten geographischen Schulkarten montierten gummiartigen Brust-Fortsätzen dar. Angelehnt an den Begriff der ,,Mutter Erde“ wird der hauptsächlich von Männern vorangetriebenen Unterwerfung der Welt eine matriarchalische Eroberung über ein phallusförmiges, weibliches Körperteil symbolhaft etwas entgegengesetzt.
In einem Teil der Werke spielen auch pornografisch wirkende Elemente eine Rolle in der Diskussion des Maskulinen, wobei bei den Künstler*innen die Grenze zwischen dem offen zu zeigendem Maskulin-Erotischen und intimen Einblicken in die eigenen sexuellen Erfahrungen nicht einfach zu ziehen ist. So lässt die Künstlerin Heiji Shin männliche Modelle authentisch pornografische Posen einnehmen, die dadurch bestechen, dass sie als bloßes Mimen von Laien allein vor der Linse und durch die Anweisungen einer Frau entstehen. ,,My Vagina“ betitelt der Transgender Konzeptkünstler Puppies Puppies ein auf eine runde Platte durch die pink-rosa Farben nicht direkt als solches erkennbares gemaltes Abbild eines Anus und hat an einer Wand eine Gruppe von als zur Befriedigung für Trans-Bedürfnisse konzipierten, erschreckend unnatürlich wirkenden Sexpuppen platziert. Mit der Installation präsentiert der Künstler die Kommerzialisierung der eigenen Sexualität, innerhalb derer Entwürfe des für viele sensiblen Maskulinen grob ausgeschlachtet werden. Auch Juliette Blightman eröffnet mit ihren großflächigen, im Riphahnsaal aufgestellten zeichnerischen Malereien von stark vergrößerten Ausschnitten aus dem männlichen Intimbereich, in denen nicht immer sicher ist, was genau zusehen ist, einen persönlichen Einblick in ihre Auffassung des Maskulinen.
Carrie Mae Weems Werke der ,,Kitchen Table Series“ spielen sich ebenfalls im Intimen ab, indem die Künstlerin anhand immer neuer Platzierungen eines Mannes und einer Frau um einen Küchentisch herum, dem amerikanischen symbolischen Urort für den Mittelpunkt des Ehelebens, die alltäglichen Verhandlungen der männlichen (und auch weiblichen)Rolle im Partnerleben spiegelt. Zwei filmische Arbeiten, zum einen die auf einem Paneel gezeigte Arbeit von Sharyar Nashat, in der eine Kamera in Überblendungen und Schnitten die entzündete Haut eines anonymen Mannes entlangfährt, und zum anderen ein im Kinosaal gezeigtes Werk von Jonathas de Andrade, in dem der Künstler einsamen Fischern im brasilianischem Urwald und ihren eigentümlichen, die Fische im Tod umarmenden Ritualen folgt, werfen einen sensiblen, in der Begegnung zwischen Spezies Mann/Mensch und Tier bisherige Kategorien sprengenden Blick auf die Männlichkeit. Als Weiterführung des im Bonner Kunstverein ausgehandelten Konzeptes der Volatilität des Maskulinen wird im Kölnischen Kunstverein deutlich, dass ,,Maskulinität“ nichts Absolutes ist. In unterschiedlichen Situationen verschiedenen Personen immer anders begegnend und vielfache, individuelle Bedeutungen tragend, muss sie ständig neu ausgehandelt werden.
Anhand einer dynamischen, durch die Fülle der Werke und Zeitkontexte auch mal sprunghaften und trotzdem höchst prägnanten Werksgegenüberstellung setzt sich auch die Ausstellung im Kunstverein Düsseldorf mit dem Männlichen als Ausprägung von Identität auseinander. Anhand der im zeitüberbrückenden Dialog ästhetisch reizvoll gegenübergestellten, das volle Spektrum sämtlicher künstlerischen Äußerungsformen deckenden Werke wird auch hier schließlich auf die Unmöglichkeit einer endgültigen Definition des Maskulinen hingewiesen. Viele dieser Destabilisierungen stellen Meilensteine der zeitgenössischen Geschlechterdebatten aufgreifenden Kunst dar, wie im Fall der als Videoaufzeichnung zu sehenden Performance ,,Men on the Line“ der feministischen Künstlerin Andrea Fraser, in der sie in die Rollen aller männlichen Diskussionsteilnehmer einer 1971 ausgestrahlten Sendung über den Feminismus schlüpft und so das Haltung-Einnehmen des anderen Geschlechts gegenüber feministischen Anliegen nachspielt. Manifestationen dieser frühen Diskussionen von Formen des Männlichen erkennt man auch im Werk des japanischen Nachkriegs Avantgarde-Künstlers Tetsumi Kudo wieder, der für seinen Entwurf einer anti-phallozentrischen und anti-patriacharlichen, neuen friedlichen Lebensform 1969 einen riesigen Phallus in einen Fels gefräst hat. Eine Reihe von Zeichnungsentwürfen für ein nie realisiertes Theaterstück zeigen eine Fantasiegestalt im aufreißenden Kampf mit der eigenen Geschlechtsidentität.
In diesen Kreis früher Erprobungen des Maskulinen fällt auch eine Video-Arbeit des bekannten Performancekünstlers Vito Acconi, der schmerzhafte, seine männliche Biologie strapazierende Testungen an seinem Körper durchführt. In ähnlich puristischer schwarz-weiß Ästhetik sind neben Acconi neun fast identische Fotografien von Petrischalen der Künstlerin Josephine Pryde von 2008 zu sehen, in denen, was man aus den Bildern nicht erkennt, sich absterbendes Sperma befindet. Solche Momente, in denen das Männliche eine zunehmend Groteske Gestalt annimmt, findet man auch in den Zeichnungen der jungen Künstlerin Agnes Scherer, in denen junge, fast bübchenhafte und von scheinbar ständiger Umsorgung abhängige nackte Männer in rätselhaften Szenerien gezeigt werden. Eigentümlich-phantasievolle Standpunkte zum Maskulinen nehmen auch die Malereien von Evelyn Taocheng Wang ein, in denen eingerahmt von in den Bildraum verschwimmenden, raumlosen Interieurs Masseurinnen mit ihren männlichen Kunden zu sehen sind, mystisches Szenarien, über die die Künstlerin Erfahrungen aus ihrer Arbeit als Masseuse verarbeitet.
Den Blick auf das Männliche als Teil der Auseinandersetzung mit breiteren persönlichen Erfahrungen oder Interessen begegnet man in der Installation des jungen Künstlers Philipp Gufler, der mit Quilts ein eigenes Medium entwickelt hat, um aufgefundenes dokumentarisches Material, hier über zurückliegende Initiativen zur Erinnerung an AIDS-Tote oder andere tragische Schicksale, in ein installatives Werk zu überführen. In einer monumentalen Videoarbeit von Klara Lidén hingegen verfolgt der Betrachter die Künstlerin wie sie zu rhythmischen Beats entschlossen durch das Finanzzentrum New Yorks, als Ort Inbegriff männlicher Dominanz, schreitet und dabei immer wieder zu Boden stürzt. Keren Cytter wiederum lässt in einer Videoarbeit drei junge Darsteller*innen in Form von Beziehungsgesprächen und sexuellen Handlungen Mechanismen globaler Machtstrukturen aushandeln. Mit der von Katharina Sieverding konzipierten Wandarbeit aus hunderten von schwarz-weiß Fotografien, von ihr als junge Frau getätigte Schnappschüsse ihres damaligen Künstler*innen Umfelds, schließt Maskulinitäten im Düsseldorfer Kunstverein mit einem prominenten, an die Rheinländische lokale Szene geknüpftem weiblichen Blick auf die damalige Männerdomäne Kunst, innerhalb derer man Größen wie Beuys oder Polke, aber auch feministische Aktivistinnen wiederkennt.
Was sich über die einzelnen Kapitel der Ausstellungen hinaus zeigt, ist, dass das Maskuline keine singuläre, an vordefinierte Bedingungen gebundene Erscheinungsform ist, sondern beliebig angeeignet und modifiziert werden kann. Dies beweisen die feministischen, homo- und heterosexuellen, transgender und queeren Blicke auf dieses Thema, die sich in ihrer teils drastischen Unterschiedlichkeit in Ausdruck und Ansatz – humoristisch, biografisch, gesellschaftskritisch, politisch – erstaunlicherweise ergänzen. Das Maskuline ist kein geschlossenes System, das Feld ist weit genug, als das man sich hier in die Quere kommen könnte – so lange man nicht mit sexistischen/absoluten/ausgrenzenden Definitionen hantiert, die die beschränkte Variante ,,männlichen“ Verhaltens in der politischen Landschaft heute hervorbringt. ,,Redifining masculinities“ ist der Slogan für ambigue Kleidungstrends in der Mode zur Zeit. Nun, ich finde es braucht etwas mehr um mit dem Begriff der absoluten, einseitigen Männlichkeit zu brechen als ein stylisches Statement. Dass man aber auch nicht ganz oben und abstrakt in der Neudefinition des Maskulinen anfangen muss, zeigt auf spritzige, wenn auch manchmal verquere und anstößige Weise Maskulinitäten im Bonner, Kölnischen und Düsseldorfer Kunstverein.