Julian Charrière – Controlled Burn —Langen Foundation Neuss

Das Feuer. Niemand kann den Moment bezeugen, als der frühe Mensch sich dieses Element zu eigen gemacht hat. Und doch steht außer Frage, dass die Beherrschung des Feuers am Anfang aller Entwicklungen stand, aus denen die ersten Zivilisationen hervorgingen. Heute ist der Anblick von Feuer zur Nostalgie verkommen, während der Planet durch unseren unstillbaren Hunger nach Energie in Flammen steht. Der Künstler Julian Charrière hat sich zur Mission gemacht, in seinen Werken ein Gefühl von dieser Konfusion zu vermitteln, die uns durch die Kraft der Ausblendung beständig dazu antreibt, die drastischen Folgen unseres ressourcenintensiven Lebensstils zu ignorieren.

Julian Charrière unternimmt Expeditionen zu den entlegensten Orten der Erde, den Eisgletschern von Grönland und brodelnden Vulkanlandschaften, aber auch zu unwirtlichen Schauplätzen der Gewinnung und Extraktion von Rohstoffen wie Kohlemienen und Ölplattformen. Ausgehend von der vor Ort extrahierten Materie, den gesammelten Bildern, Relikten und Eindrücken, kommuniziert uns Charrière in ästhetisch atemberaubenden Bildern, dass noch immer das Feuer im Zentrum der Energiegewinnung steht. Für die Ausstellung Controlled Burn in der Langen Foundation, welche die bisher umfangreichste Präsentation darstellt, entwickelte der Künstler einen Erfahrungsraum, in dem die Betrachter*innen über im kollektiven Bewusstsein verankerte Bilder, die mit diesem zugleich lebensspendendem wie -vernichtendem Element verbunden sind, an die bloße Tatsache der Gewinnung und Verbrennung von Rohstoffen sowie deren katastrophale Folgen herangeführt wurden.

Julian Charrières Arbeiten, die ein breites Spektrum von Medien wie Fotografie und Film aber auch komplexe Installationen und Skulpturen aus gefunden Objekten und Gesteinen umfassen, haben die Besonderheit, dass sie als unmittelbare Bausteine der Klimakatastrophe zunächst nicht bedrohlich wirken. Vielmehr strahlen sei eine unerklärliche, beinahe erhabene Faszination aus. Mit der Perspektive eines passionierten Geologen nimmt der Künstler die Betrachter*innen in die Welt tief unter der Erde mit, fördert glänzende Felsen aus Steinkohle zu Tage ebenso wie erkaltete Lava oder lässt mit den Pflanzen, die im Erdzeitalter des Karbon wuchsen, einen Kohleflöz wiederaufleben.

Der Begriff „Controlled Burn“ bezeichnet das Anlegen kontrollierter Feuer, um durch das Abbrennen von Totholz Waldgebiete vor kommenden Bränden zu schützen. Bezogen auf die Ausstellung signifiziert der Titel eine Art künstliche Zone, in der man sich ganz in den Eindruck wütender Flammen und glühender Hitze vertiefen kann, ohne dabei Schaden zu nehmen. Damit steht der Ausstellungstitel Controlled Burn, der gleichzeitig der Titel der imposantesten Videoarbeit ist, im Gegensatz zu der völlig außer Kontrolle geratenen Situation des Weltklimas und der Ökosysteme im Zeitalter des Extraktivismus.

Die grundsätzliche Entfremdung, die zwischen der Materie, den Infrastrukturen und den Prozessen der Energiegewinnung einerseits und ihren Konsument*innen andererseits besteht, nimmt Julian Charrière zum Ausgangspunkt, um diesen dunklen Bereich durch den Zauber aber auch Schrecken, der seiner Existenz immanent ist, zu beleuchten. Gleich am Anfang des Rundgangs durch die Langen Foundation lädt die Installation Panchronic Garden (2022) die Besucher*innen zur Erkundung eines Gartens aus Farnen und Palmen ein, der in vollständige Dunkelheit getaucht ist. Im blitzenden Infrarotlicht begegnet man in dem verspiegelten Raum in völliger Desorientierung der Flora des Karbon vor etwa dreißig Millionen Jahren dessen organische Materialien innerhalb von Jahrmillionen zu Steinkohle verpresst wurden.

Ein stetiges Rauschen und Knistern, eine Vertonung der Wachstumsaktivitäten der Pflanzen, lässt die einstige Vitalität der in zigtausend Tonnen geförderten und verfeuerten fossilen Brennstoffe wiederaufleben. In diesem plötzlichen Clash von Jahrmillionen auseinander liegenden Epochen der Erdgeschichte fühlt man sich als Mensch plötzlich sehr klein. Und doch vermittelt der Panchronic Garden allmählich eine Idee davon, wie fatal sich die Verbrennung von gigantischen Mengen des Kohlenstoffs, der einst genau von diesen Pflanzen gespeichert wurde, auf das Gleichgewicht der Atmosphäre auswirkt.

Immer wieder erscheint es so, als würden in Julian Charrières Werken zwei Arten von Urkräften gegeneinander antreten. Die geologischen Kräfte der Erde, die Lava, Eis, Mineralien und Gesteine formen, treffen auf die mechanische Gewalt des Menschen, der mit Maschinen zu den Rohstoffen vorstoßt. Auch die Erfindung der Atomenergie und die atomare Verseuchung im Zuge der ersten militärischen Tests bezieht der Künstler in den Drang der Erschließung von Energiequellen mit ein. Einen riesigen durchbohrten Kohlebrocken, der in einem Gitter aus Metallstreben zu schweben scheint, oder einen polierten, schwarzglänzenden Obsidian-Felsen, der aus erkalteter Lava besteht, setzt der Künstler dabei auf eine Weise in Szene, der kaum an den natürlichen Ursprung dieser Materie denken lässt.

Riesige Bohrer, mit denen nach Erdöl gebohrt wird, verkörpern wiederum diese andere, vom Menschen dirigierte Gewalt. Man trifft auf sie in beinahe fragiler Form aus glänzendem Edelstahl aber auch als brachiale, verrostete Säule mit einem Fortsatz aus groben Zähen, welche den meterhohen Abstand von Decke bis zum Boden im höchsten Raum der Langen Foundation abmisst. Als Artefakt eines Systems der Brennstoffförderung durchschneidet Mining the Sky (2022) wie ein Mahnmal symbolisch einen atmosphärischen Raum, der immer weiter mit klima-aufheizendem Kohlenstoffdioxid angereichert wird.

Mithilfe neuster Technologie, die von Wissenschaftler*innen des ETH Zürich entwickelt wurde, extrahiert Julian Charrière  solchen Kohlenstoff und lässt ihn im Labor zu künstlichen Diamanten pressen. Über einem solchen winzigen Diamanten schwebt wie ein Damoklesschwert ein Bohrer aus Edelstahl (Touching the Void, 2021). Dieser preziöse Moment lässt sich auch als ein Verweis auf die Prekarität unserer Situation lesen, denn natürlich lässt sich nur ein trivialer Anteil des Kohlenstoffs, der in gefährlich hoher Konzentration in der Atmosphäre vorhanden ist, auf diese Weise komprimieren. Ein feines Glitzern durchbricht auch die Oberfläche von Rugby-großen Gesteinsbrocken, die an Meteoriten erinnern (Metamorphism, 2016). Die Adern im Gestein sind jedoch keine unbekannten Elemente aus fernen Winkeln des Weltalls, sondern Metallkomponenten von Computerschrott, die Charrière in Lava eingeschmolzen hat.

Was Julian Charrières Vorgehen so besonders macht, ist, dass er es folglich nicht bei einer reinen Konfrontation mit mysteriösen Kohlefelsen, gigantischen Bohrkernen, verklumpten Digitalschrott und unauslöschbaren Bränden belässt. Vielmehr webt er alle diese Elemente in einen ästhetischen Kosmos ein, in dem alle Zeitalter der Entstehung, der Entdeckung und des Verbrauchs fossiler, atomarer und erneuerbarer Energieträger miteinander verbunden sind. Die Beherrschung des Feuers ist für den Künstler vor diesem Hintergrund kein archaisches Bild oder eine bloße Metapher. Es ist ein Kampf eben dieser zweier Urkräfte, der bis heute die Menschheit bestimmt.

Die Begegnung mit dem Feuer findet auf ästhetisierte Weise und manchmal auch gar nicht auf direkte Weise statt, wie etwa in einer Rauminstallation aus beleuchteten, mit Flüssigkeit gefüllten Glasröhren, die vor Stills aus dem Film An Invitation to Disappear (2018) positioniert sind. Julian Charrière zeigt von Rauch und rötlichem Licht umgebene Palmen, es sind Bilder aus einer Palmölplantage in Indonesien, auf deren Gelände er einen Rave mit Lichtern und Technomusik inszeniert hat. Die Beats und Lichter im Film haben wieder diesen urtümlichen Anschein, während der suggerierte Feuerschein eine vage Beunruhigung erzeugt und an den ökologischen Schaden erinnert, welche die Gewinnung von Palmöl als Industriefett erzeugt. In diesem Zusammenhang lösen auch die gelb belichteten Glasröhren, in denen Wolken von Palmöl dem gleichen Konzept wie in einer Lavalampe nach auf- und absteigen, ein leichtes Unbehagen darüber aus, was wir dem Planeten mit unseren Konsumgewohnheiten tatsächlich zumuten.

Im Auftritt des Feuers in Julian Charrières Werk offenbart sich schließlich die vollständige Schizophrenie im kollektiven Verhältnis mit diesem Element. Einen barocken Brunnen aus Lugano, in dem anstatt plätscherndem Wasser züngelnde Flammen lodern, taucht der Künstler in eine fasst religiöse Anmutung, gleichzeitig zerstören an anderer Stelle all jene Feuer, die im Prozess der fossilen Energiegewinnung brennen, die Atmosphäre des Planeten (And Beneath It All Flows Liquid Fire, 2019). In Controlled Burn werden solche Eindrücke mit Bildern vom schmelzenden Eis des polaren Eisschildes in Nordgrönland kontrastiert. In einem stillen Höhepunkt des Films Pure Waste (2021) sieht man die Hand des Künstlers, welche die aus Kohlenstoff im Labor hergestellten Diamanten in einen Gletscherschlund mit tosendem Schmelzwasser gleiten lässt, als verneigende, versöhnende Geste an die verschwindende Natur.

Unter all den faszinierenden Begegnungen hat jedoch kein Werk eine derart einnehmende Kraft wie das titelgebende Video Controlled Burn, 2022. Gestrahlt auf eine Fläche in den Maßen einer Kinoleinwand, spielt sich ein Ballett von rötlich leuchtenden, implodierenden Feuerwerkskörpern ab, das, begleitet von sphärischen Klängen und wummerndem Schall, in seiner erhabenen Theatralik Wagners Opern, die Epen der Menschheit nachzuerzählen scheint. Anstatt zu explodieren, läuft die Zündung eines Feuerwerkskörpers hier rückwärts ab, unendliche Mal und von einer Drohne gefilmt in den verlassenen Landschaften von Ölplattformen, Kühltürmen und offenen Kohlemienen, die unter dem Feuerschein schemenhaft aufleuchten.

Abspielen tut sich das Spektakeln in einem koordinatenlosen Himmel, der, dem Weltall gleich, durch kein Oben und Unten begrenzt ist und in dem man völlig die Orientierung verliert, von dem man sich aber auch auf fast auf spirituelle Weise einnehmen lässt. In Controlled Burn verleiht Julian Charrière damit jenem zeitlosen Raum ein Gesicht, in dem alle seine Werke eingefasst sind und der von jener Millionen Jahren alten Geschichte des Planeten erzählt, deren Teil wir immer noch sind. Die innerhalb von Sekunden aufflammenden und erlöschenden Lichter lassen daran denken, dass es größere Kräfte im Kosmos gibt als uns Menschen. Und bilden einen Hoffnungsschimmer, dass der Planet irgendwann wieder zu einem Gleichgewicht gelangt, sei es mit oder ohne uns.

Prozesse wie die Förderung von Kohle oder Erdöl und die Emission gigantischer Mengen an Kohlenstoffdioxid durch die Verbrennung fossiler Energieträger lassen sich oft so schwer realisieren, weil sie so gewaltig sind. Julian Charrière macht das Unbegreifliche fassbar, indem er mehrere Millionen Jahre alte Erdepochen ins Jetzt holt, unmittelbar vergangenen Ereignisse verewigt oder mit einem zurückgespulten Feuerwerk in die Zukunft blickt. In seinen Werken vereinen sich die Geschichte der Erde und die Geschichte der Menschheit in einzelnen, konzentrierten Augenblicken, in denen die ganze Tragweite der Extraktion von Materie aus den Tiefen der Erde nachvollziehbar wird.

Situiert in einem Gebiet mit den größten Braunkohle-Tagebaumienen Europas, bildete die Langen Foundation, deren Gelände ein ehemaliger Lagerort von NATO Raketen ist, nicht allein wegen ihrer Lage einen Ausstellungsort für Julian Charrière, der viele Anknüpfungspunkte lieferte. Der labyrinthartige Bau aus Beton und Glas von Tadao Ando bot mit seinen Glashausähnlichen Aussichten, Abstiegen und von der Außenwelt abgeschlossenen Sälen und Emporen eine nahezu perfekte Kulisse für eine breite Auswahl von Arbeiten aus Julian Charrières jüngstem Werk, die sich wie in einem abgekapselten Mikrokosmos stets an der richtigen Stelle befanden. Als Ausstellung war Controlled Burn eine zutiefst bewegende Erfahrung; während der Regen auf die Glasfassaden prasselte, standen Ferienparadiese überall auf der Welt in Flammen. Zurückbleiben erschreckend schöne Abbilder jener gewaltigen Kräfte, die unbegreiflich und doch, auf fatale Weise, Teil unseres Lebens sind.

Die Ausstellung wurde kuratiert von Dehlia Hannah und Nadim Samman.

https://langenfoundation.de/

 

Julian Charrière – Tropisme, 2015 Julian Charrière – Ivy King - First Light, 2016 Installation view, Controlled Burn, Langen Foundation, Neuss, Germany 2022  |  (copyright the artist; VG Bild-Kunst, Bonn, Germany) Photo by Jens Ziehe

Julian Charrière – Panchronic Garden, 2022 Installation view, Controlled Burn, Langen Foundation, Neuss, Germany, 2022  |  (copyright the artist; VG Bild-Kunst, Bonn, Germany) Photo by Jens Ziehe

Julian Charrière – Pacific Fiction, 2016 Installation view, Controlled Burn, Langen Foundation, Neuss, Germany, 2022  |  (copyright the artist; VG Bild-Kunst, Bonn, Germany) Photo by Jens Ziehe

Julian Charrière – Mining the Sky, 2022 Julian Charrière – And Beneath It All Flows Liquid Fire, 2019 Julian Charrière – Pure Waste, 2021 Installation view, Controlled Burn, Langen Foundation, Neuss, Germany, 2022  |  (copyright the artist; VG Bild-Kunst, Bonn, Germany) Photo by Jens Ziehe

(copyright the artist; VG Bild-Kunst, Bonn, Germany) Photo by Jens Ziehe

Bildschirmfoto 2023-08-17 um 14.27.52  |  Julian Charrière – Metamorphism, 2016 Julian Charrière – Thickens, pools, flows, rushes, slows, 2020 Julian Charrière – Controlled Burn, 2022 Installation view, Controlled Burn, Langen Foundation, Neuss, Germany 2022