Eine strukturelle Leere empfängt die Besucher*innen in der Ausstellung Drawing something under itself der neuseeländischen, in Los Angeles lebenden Künstlerin Fiona Connor im Kunstverein für die Rheinlande und Westfalen Düsseldorf. Fünf Displays, auf denen identische viereckige Mauerfundamente aus Kalkstein platziert sind, reihen sich wie archäologische Relikte entlang einer Wand auf. Ergänzt wird die Konstellation von einem relativ losen Ballett aus Stühlen, auf denen auf Klemmbrettern fixierte Zeichnungen lagern, sowie durch abgestellte Sockel und Schuhrepliken aus Bronze in verschiedenen Raumecken. Ich hatte Schwierigkeiten, mich auf diese reduzierte Präsentation einzulassen, bis ich Bilder davon gesehen habe, wie Fiona Connor diesen Sommer auf dem Boden des Chateau Shatto (LA) Abschnitte betonierter Fußwege ihrer Heimatstadt Los Angeles in exakter Form repliziert hat (Continuous Sidewalk, 2021-23). Die Nachempfindung scheinbar banaler, architektonischer Strukturen und gebrauchter Objekte außerhalb des Kunstumfeldes ist ein prägendes Element im Schaffen der Künstlerin.
Was als eigentliches Kunstwerk hervortritt, ist jedoch nicht das sichtbare Ergebnis allein, sondern der verborgene Lernprozess, der im Akt der Wiederholung stattfindet; die Grenze zwischen handwerklicher und künstlerischer Produktion erodiert. Indem Fiona Connor den Akt der Imitation als offenen Lernprozess auffasst, bringt sie die Kriterien, nach denen manchen Objekten eine bestimmte Wertigkeit als Kunstwerk zugeschrieben wird und anderen nicht, ins Wanken. Hinter einer sehr klaren, nahezu nüchternen Erscheinung von Materie im Ausstellungsraum verbirgt sich so ein dichtes Geflecht von archivierten Informationen und gesellschaftlichen Praxen, durch welche Umgebung definiert, besetzt und mit Sinn ausgestattet wird.
In der Nutzung des Ausstellungsraumes als Stadion zur Begegnung mit den materiellen und ideellen Parametern, die den Kunstverein als Institution überhaupt funktionieren lassen, lebt Fiona Connors eigener Ansatz von Konzeptkunst auf. Die konzeptkünstlerische Losung „idea first“ steht auch im Zentrum ihres Werkes, denn Connor lässt sich nicht durch Fragen nach der künstlerischen Authentizität oder der Urheberschaft ihrer Arbeiten beschränken. Vielmehr eignet sie sich aktiv bereits benutzte, erschaffene oder konzeptionierte Objekte und Strukturen an. Im Fokus dieser replizierenden Handlungen steht nicht die Beschaffenheit der wiederentstehenden oder in neue Konstellationen gesetzten Materie an sich, sondern die Erschaffung einer neuen Perspektive auf das Gegebene.
Für Fiona Connor ist die intensive Beobachtung ein wesentliches schöpferisches Werkzeug. Anstatt abgeschlossener Werke erschafft sie Beobachtungsräume, in welche sie die Betrachter*innen einlädt. Wesentliche Elemente dieser Räume sind Replikationen, wie die Fundamente aus Kalksteinziegeln sowie Neusetzungen von vorhandener Materie, welche die Künstlerin hier in Form von normalerweise im Depot ruhenden Stühlen oder Sockel für Kunstwerke arrangiert. In der Begegnung mit den neu organisierten Strukturen und Gegenständen stellt sich schnell heraus, dass der objektive Blick, den wir aus Gewohnheit auf bereits Vorhandenes richten, nicht unverrückbar ist.
In Drawing something under itself hat sich Fiona Connor sowohl tief in das Archiv des Kunstvereins als auch in die eigene Familiengeschichte begeben, die sich mit dem Rhein-/Ruhrgebiet durch die Biografie ihres Vaters kreuzt, der als Vorarbeiter in den 19050er Jahren Baustellen und Ausbildungszentren in der Region besuchte, um die neusten Prozesse während des Wiederaufbaus zu studieren. Angehende Maurer*innen aus einem solchen, weiterhin existierendem Ausbildungszentrum in Oberhausen haben im Kunstverein die Fundamente errichtet. Dabei folgten sie einer typischen Aufgabe, in der das stabile Konstruieren und Verfugen mit Kalksteinmörtel einer regelmäßigen Struktur erlernt werden soll.
Obwohl es sich hier um das Produkt einer einfachen handwerklichen Übung handelt, strahlen die Fundamente durch die weiß-grau melierte Oberfläche der Ziegel und die reduzierte Form eine Erhabenheit aus, die sie im Kunstverein out of place wirken lässt. Zugleich ist eben dieser institutionelle Rahmen dafür verantwortlich, dass man die Mauerkonstruktionen als Konzeptkunst wahrnimmt – einen Status, den Fiona Connor gar nicht einfordert. Doch es ist eben diese sich unmittelbar einstellende Perspektive, auf welche die Künstlerin hier aufmerksam macht und die sie zur Disposition stellt.
Aufgrund der besonderen Umgebung, in der die Mauer-Übungen der Auszubildenden hinterlassen wurden, entdeckt man auf einmal in den verwischten Spuren von weißem Kalkmörtel, die auf den schwarzen Sperrholzplatten während der Konstruktion hinterlassen wurden, etwas Malerisches. „This is a good question! Yes, maybe“, entgegnet Connor auf die Frage, ob diese Spuren als Zeichnungen zu werten seien. In ihrer Antwort bündelt sich die gesamte Intention einer Installation, in der die Künstlerin selbst lediglich als Auftraggeberin erscheint. Im (konzeptkünstlerischen) Akt der Replikation erodiert schließlich die materielle und symbolische Differenz zwischen handwerklicher und künstlerischer Arbeit.
Fiona Connor lotet das Potential der repetitiven Geste, die Definition von (Kunst-)Fertigkeit in Frage zu stellen, auf unterschiedliche Weise aus. Sie tut dies unter anderem auch anhand von „eigenen“ Arbeiten in Form von Zeichnungen, in denen sie ausnahmslos die Stühle aus dem Depot des Kunstvereines sowie verschiedene Perspektiven auf diese zum Gegenstand macht. Die stapelbaren, unscheinbaren Stühle mit ihrer schwarzen Kunststoffsitzfläche und Metallbeinen, die normalerweise nur bei Veranstaltungen zum Vorschein kommen, erhalten hier auf einmal eine prominente Hauptrolle als Readymades, die sie augenscheinlich nicht sind. Es sind eben einfach normierte, lose aufgestellte Stühle und Fiona Connor nutzt diese als Sitzgelegenheit, während sie Ansichten der anderen Stühle zeichnet.
Das Resultat sind zufällige Detail- und Raumansichten. Als Ganzes geben sie nicht unbedingt die Perspektive wieder, die sich von dem jeweiligen Stuhl aus eröffnet, auf dem jedes der Zeichenbretter mit der fertigen Bleistiftzeichnung wie auf einer Staffelei aufgestellt ist. In Connors Zeichnungen taucht wieder die Methodik einer relativ technisch wirkenden Übung auf, in der die Grenze zwischen autonomen künstlerischem Schaffen und der Anfertigung einer Architektur- oder Bauzeichnung verschwimmt. In der Handlung, auf den Stühlen Platz zu nehmen während die Künstlerin diese zeichnet, vollzieht sich ein paradoxer Zirkel, der sich in dem Ausstellungstitel Drawing something under itself wiederholt. Fiona Connor versteht die Geste des Zeichnens in Situ als Akt der intensiven, reinen Observation, der für sie das Zeichnen als geistige Erfahrung ausmacht. In dem redundantem Versuchsaufbau kumulieren sich somit verschiedene Objektauffassungen. Die Stühle treten als gefundene Objekte einer Installation in Erscheinung, wie sie auch Zeichenobjekte sind. Gleichzeitig stellt die Künstlerin die Frage nach der Objektivität, die durch ihre Zeichnungen erreicht werden kann.
Wie geht die Autonomie des/der Künstler*in aus der kreativen Handlung hervor? Wo verläuft die Grenze zu technischem oder handwerklichem Schaffen und gibt es diese überhaupt? Anhand der Replikation hat Fiona Connor ein Feld für sich erschlossen, in dem bestehende Gewissheiten zunehmend verwischen. Dass sie sich auf diesem Gebiet so sicher bewegen kann, hängt auch damit zusammen, dass sich die Künstlerin lange mit dem Archiv des Kunstvereins, insbesondere baulichen Plänen zu den Räumen und dem Inventar aus sämtlichen Behelfsobjekten und Stützstrukturen beschäftigt hat. Durch ihre starke persönliche Präsenz während der Laufzeit, die aufgrund der fortlaufenden Anfertigung von Zeichnungen erforderlich ist, hat sie sich die Räumlichkeiten nahezu einverleibt.
Ein Klappbett mit Matratze sowie Kleiderhaken, denen man im Foyer des Kunstvereins begegnet, dienen als humorvolle Zeugnisse der Anwesenheit der Künstlerin und ihrer beinahe intime Auseinandersetzung mit dem Ort. Obwohl niemand davon ausgeht, dass die Künstlerin während ihrer Recherchen wirklich in den Kunstverein eingezogen ist, gerät hier die Funktion der Institution als white cube, der unter Ausschluss der menschlichen Präsenz von Künstler*innen lediglich Objekte in Form abgeschlossener Werke zu beherbergen hat, ins Kippen. Fiona Connor entfernt diesen symbolischen Pathos, was bleibt, ist ein Gerippe aus Beton, das sie aber äußerst liebevoll behandelt.
Zu dieser liebevollen Behandlung gehört auch ein Tisch mit Schriftstempeln, deren Anordnung der unterschiedlich großen Griffe aus Holz in Setzkästen an eine Skulptur denken lässt. Die Stempel geben in einzelnen Buchstaben verschiedene Schrifttypen wieder, welche die Künstlerin sowohl von Beschriftungen innerhalb der Kunsthalle, welche den Kunstverein beherbergt, als auch von Laden-, Gastgewerbe- und sonstigen Schildern und Werbetafeln übernommen hat, die sich in der Umgebung des Gebäudes befinden. Lively Visitor Book ist eine interaktive Installation, welche die Besucher*innen dazu einlädt, auf ausliegenden Papierbögen selbst tätig zu werden. Die Bereitstellung der Stempel induziert wieder einen repetitiven Akt, der in Form des Abdrucks der Buchstaben Elemente mit in den Kunstverein hineinbringt, die nur lose mit seiner Funktion als Ausstellungsraum in Verbindung stehen.
Was Fiona Connor anstatt dessen in den Fokus der Betrachtung nimmt, sind die architektonische Struktur der Kunsthalle und die Verortung des Gebäudes in seiner unmittelbaren städtischen Umgebung. Damit wirft sie das Licht auf oft vernachlässigte, aber notwendige Parameter des Existenzanspruches des Kunstvereines als Kunstinstitution. In Drawing something under itself weist Fiona Connor zuletzt auch auf die Prekarität dieses Anspruches hin, denn die fünf Fundamente aus Kalkstein sind zugleich eine Hommage an die Ziegelwände, die man hinter einer Außenwand des Kunstvereines vermutet. In naher Zeit wird dieses bauliche Detail wieder ans Licht kommen, da der Kunsthalle umfangreiche energetische Sanierungen bevorstehen, die mit einer Schließung des Gebäudes über Jahre einhergehen werden. Indem Connor scheinbar banale Behelfsobjekte und Stützstrukturen zum Gegenstand ihrer (konzept)künstlerischen Auseinandersetzung macht, erinnert sie an die Existenzgrenzen von Kunstinstitutionen an sich. Es ist ein stiller Hinweis darauf, dass, wie auch die Diskriminierung zwischen künstlerischer und handwerklicher Arbeit, nichts für die Ewigkeit gemacht ist.
Kuratiert von Kathrin Bentele