I ♥ CUSTOMERS Jessica Vaughn —Kunstverein Düsseldorf

Gleichheit, Solidarität, Gerechtigkeit – moderne Arbeitsumgebungen geben oft vor, durch ihre standarisierte Architektur demokratische Strukturen des sozialen Miteinanders nachzuempfinden. Vom Schreibtisch bis zum Papier ist alles einem gleichmäßigen Raster untergeordnet, das Eskapaden auf jegliche Weise verhindert und somit eine vermeintliche Sicherheit für die Angestellten schafft. Aber ist das wirklich so? Die US-amerikanische Künstlerin Jessica Vaughn blickt in ihrer grafischen und skulpturalen Arbeit, die Elemente aus existierenden Arbeitsräumen aufgreift, hinter die Fassade solcher Gleichheitsversprechen, wie sie im Westen in der modernen Büroarchitektur sowie in Produktionsabläufen etabliert wurden. In ihrer ersten europäischen Einzelausstellung I ♥ CUSTOMERS im Kunstverein für Rheinlande und Westfalen Düsseldorf zitiert die Künstlerin anhand von Readymades wie Bürotrennwänden, Deckenleuchten oder Dokumentfarben aus dem Programm einer Infrastruktur, die nur in einer Hinsicht neutral ist: sie macht den Menschen als Individuum unsichtbar und austauschbar.

Übriggebliebene und überschüssigen Materialien aus Kontexten von industrieller sowie administrativer und wissensbasierter Arbeit dienen Jessica Vaughn als Quellen, aus der sie ein Netz von Beziehungen zwischen Arbeit, Race und Raum herausliest, das sich um einiges komplexer und widersprüchlicher darstellt, als es die Equality-Philosophie, die in diesen genormten Modulen und Teilen steckt, behauptet. Basierend auf ihren eigenen Erfahrungen als Afro-Amerikanerin, legt die Künstlerin vor allem die  Unterschiede in der Arbeitsrealität verschiedener Personengruppen offen, wo von Herkunft bzw. Race abgeleitete Segregationen weiterhin bestehen. Während diese Trennungen aus Sicht der (weißen) Mehrheit heute als subtil und höchstens nur noch unterschwellig vorhanden empfunden werden, zeigt Jessica Vaughn anhand von Leerstellen und blinden Arealen, die regelmäßig in ihren Arbeiten wiederkehren, wie täuschend und realitätsfern diese Wahrnehmung ist.

In diesem Sinne verweisen die klaffenden Lücken in bunt gemusterten Textilstücken Boomer Gray #341, South Beach Blue No.036 und Dark Blue (2021), aus denen Stoffbezüge für Sitze in Straßenbahnen und Busses herausgeschnitten wurden, als angeeignete Readymades nicht nur auf den Produktionsprozess, sondern auf die Unsichtbarkeit der manuellen Arbeit und des persönlichen Hintergrundes der Arbeiter*innen. Die standarisierten Arbeitsschritte, von denen die schablonenförmigen Schnitte in den Stoffresten zeugen, lassen leicht auf die soziale Situierung der Personen schließen, die sie ausführten. Wie in vielen weiteren im Kunstverein Düsseldorf präsentierten Arbeiten besitzt Jessica Vaughn die besondere Fähigkeit, durch die Kontextualisierung und Gegenüberstellung verschiedener Materialien diese Zusammenhänge ohne ein Wort aufzudecken.

Sanfte Farben und Formen sowie gedämpftes Licht dienen der Künstlerin als Mittel, um harte Strukturen und Realitäten zu thematisieren, die, anders als ihr ästhetischer Anschein, in Hinblick auf die vorhergesehene Rolle des Menschen unerbittlich sind. Im linken Teil des Ausstellungsraumes betritt man einen Parcours aus zu Stelen aufgebauten stoffbezogenen Arbeitsplatz-Trennwänden in Taupe-Lila aus amerikanischen Großraumbüros (Depreciating Assets: Avenir Series, 2019), zwischen denen LED-Lichtmodule aufgebaut sind, welche die künstlichen Lichtverhältnisse in verschiedenen Arbeitsumgebungen nachempfinden. Als architektonische Elemente stehen die Trennwände symbolisch für ein geregeltes und ruhiges Arbeitsumfeld, das unter dem Deckmantel der Diskretion die maximale Einschränkung (unproduktiver) sozialer Interaktionen durchsetzt. Eine ähnliche Camouflage vollführen die Lichtelemente, welche durch die Erzeugung von Helligkeit einerseits ein grundlegendes menschliches Bedürfnis sicherstellen, anhand der ausgeklügelten Simulation von Lichttemperaturen eines bestimmten Spektrums Arbeit aber auch dann möglich machen, wenn die natürlichen Lichtverhältnisse und der daran geknüpfte Biorhythmus es eigentlich nicht vorsehen.

Allgemein betrachtet betreffen die aus dem Arbeitsumfeld extrahierten Objekte in I ♥ CUSTOMERS und die physischen Situierungen, die sie auf bestärkende und wohlwollende oder auf abweisende und feindliche Art und Weise vornehmen, den menschlichen Körper generell. Doch immer wieder erscheint es so, dass Jessica Vaughn in ihren Rekonstruktionen normierender Strategien in konzentrierter Form Aspekte von Race, Herkunft und Gleichstellung einwebt. Wie die Künstlerin erzählt, stammen die Trennwände nicht zufällig aus dem Department of Education in Austin, Texas, eine der Behörden, die im öffentlichen Sektor am meisten mit Fragen von Gleichstellung beschäftigt ist. Architektonisch einschränkende Strukturen und die administrative Absicht, Gerechtigkeit innerhalb von Normen zu schaffen, welche dieser eigentlich im Weg stehen, prallen hier aufeinander.

Auch die Lichtmodule verweisen in erster Linie auf Arbeit in Fabriken, Baustellen und im Transportbereich, die hochgradig nach Herkunft segregieret ist. Der Punkt, den Jessica Vaughn hier macht, ist, dass die moderne Infrastruktur unserer Arbeitsumgebung unter dem Vorsatz vermeintlich demokratischer Ordnungsprinzipien nicht nur den menschlichen Körper generell unterwirft, sondern dass sie, von Top to Bottom, einen internen, rassistischen Hang hat, bestimmte Bevölkerungsgruppen in Bereiche schlecht bezahlter Tätigkeiten abzudrängen und den Aufstieg in andere Bereiche zu verhindern. Ob sich diese Strukturen in (bauliche) Organisationsprinzipen soweit eingeschrieben haben, dass sie zu wiederholten Automatismen führen – oder ob sie gewollt sind – dies ist die ganz und gar nicht triviale Frage, welche Jessica Vaughn in ihren Werken stellt.

In einer Nachempfindung modularer Ordungssysteme sieht die Ausstellungsarchitektur zwischen den bereits erwähnten Werken im jeweils linken und rechten Teil des Raumes einen durchgängigen, nach oben hin geöffneten Kubus vor, der mit einer Decke aus Metallleisten abgehängt ist. Ein weiteres normiertes Bauelement von Büros und Produktionsstätten, mit denen sich Arbeitsumgebungen vereinheitlichen lassen. Das durchsichtige Gitter ruft die Metapher der „gläsernen Decke“ ins Gedächtnis, unsichtbare Strukturen, die bestimmte Personengruppen am Aufstieg hindern. Solche nur zum Schein durchlässige Barrieren sind sowohl das Thema der umgebenden Wände, die in den blinden Grüntönen offizieller US-Dokumente gestrichen sind, als auch der Wandmalereien in schwarzer Farbe (Problem Sets (5–7), 2023).

Die Malereien basieren auf Illustrationen und Fotografien von Angestellten und Führungskräften, deren Beziehungen und Rollen stilisiert wiedergegeben werden und welche die Künstlerin in einem Bericht der Gleichstellungsbehörde des US-amerikanischen Rechnungshofes von 1981 und in Diversitätsschulungen von Großkonzernen aus den Siebziger- und Achtzigerjahren gefunden hat. Durch das Abmalen solcher klischeehaften Darstellungen, in denen, verursacht durch das Schwärzen im Kopiervorgang, die Identität der fotografierten Personen teils komplett ausradiert ist, macht Jessica Vaughn auf die zweifelhafte Mission solcher Kampagnen aufmerksam. Denn diese scheitern letztendlich daran, dass sie Chancengleichheit als weiteren Baustein zur Effizienzsteigerung betrachten – als Teil eines übergeordneten, neo-kapitalistischen Plans, dem es gerade nicht um die Emanzipation der Arbeitskräfte geht.

An einer Wand des Kubus und verteilt innerhalb der Trennwände-Installation verweisen Fotografien von leeren, weißen Plastikboxen vor privaten und öffentlichen Gebäuden, die gar nicht achtlos abgestellt sind, sondern als Glied eines systematischen Prozesses der Verteilung von Post in den USA erneut auf die Unsichtbarkeit von Arbeit und Arbeitskräften verweisen. Zugunsten einer Infrastruktur aus Materie, die vorgibt, alles und jeden aufzufangen (Empties (1–5), 2019). Neben dinglichen Strukturen fängt Jessica Vaughn auch sprachliche Raster ein, anhand derer Menschen durch eine elegante und vermeintlich wohlgesinnte Wortwahl ökonomischen Zielen unterworfen werden. Das von ihr gewählte Medium hier ist dunkles Transferpapier mit seiner typischen Graphit-Färbung, in das sie Textzeilen einprägt, die sich beige vom Papier abheben.

In der Serie Plant Drawings (2021–2023) hat sie botanische und medizinische Angaben zu verschiedenen Pflanzen zu fragmentarischen Textcollagen kombiniert. Die ganzheitliche Perspektive der Alternativmedizin auf den menschlichen Körper ist in den Zeichnungen nicht von ökonomischen Interessen zu trennen, denen es nicht um Heilung, sondern um die zu antizipierende Funktionalität und Rentabilität von Pflanzenwirkstoffen geht. Außerhalb des Ausstellungsraumes setzt die Künstlerin diese Technik in Form mehrerer, kleiner dimensionierten Textarbeiten fort, die auf den ersten Blick motivierende, bei genauerem Lesen jedoch ziemlich abgedroschene Slogans der neo-kapitalistischen Arbeitsethik wiedergeben. In ihrer Dichte dekuvrieren Losungen wie „You Have To Enjoy Yourself In The Workplace“ oder „Diverse People Are Performing“ die Absurdität des Vorhabens, Personal durch hohle Worte zu lenken und decken erneut auf, wie eng Diversitätsziele und Produktivitätsansprüche in diesem Denken miteinander verschränkt sind.

Gegenüber der postmodernen Arbeitsrealität, in der wir heute angekommen sind – insulare Bürostrukturen ohne feste Arbeitsplätze, gestaltet als freie Archipele aus gemütlichen Sitzmöbeln, in denen sich Hierarchien scheinbar auflösen – wirken Jessica Vaughns materielle Zitate schon fast wie überkommene Relikte. Doch blickt man noch einmal zurück auf die strukturelle Verfasstheit neoliberaler Arbeitsethik, auf welche die Künstlerin hinweist, stellt sich heraus, dass auch in der schönen neuen Arbeitswelt der Leistungszwang lediglich eine andere Maske trägt. Der Zwang zu arbeiten wird ersetzt durch den Drang, seine Arbeit als spielerisch und bestärkend zu empfinden –  ein Anspruch, von dem man sich viel schwieriger abgrenzen kann. Anhand eines vermeintlichen Elysiums soll eine (größtenteils weiße) Minderheit davon überzeugt werden, wie privilegiert sie gegenüber der im manuellen Sektor arbeitenden Mehrheit ist. Jessica Vaughns Gedanken nach verstärken futuristische Arbeitsplatzdesigns und fortschrittliche Rekrutierungskonzepte von Tech-Giganten wie Amazon und Google daher nur die Segregation. Empowerment, Diversity, Equality – Jessica Vaughns Werk konfrontiert uns mit der ernüchternden Wahrheit, was tatsächlich passiert, wenn wir die Umsetzung solcher gesellschaftlichen Ziele den Konzernen überlassen.

Kuratiert von Kathrin Bentele 

https://kunstverein-duesseldorf.de/ausstellungen/i-customers/

Jessica Vaughn, I ♥ CUSTOMERS, installation view, Kunstverein für die Rheinlande und Westfalen, Düsseldorf, 2023  |  Photo: Cedric Mussano

Jessica Vaughn, I ♥ CUSTOMERS, installation view, Kunstverein für die Rheinlande und Westfalen, Düsseldorf, 2023  |  Photo: Cedric Mussano

Jessica Vaughn, I ♥ CUSTOMERS, installation view, Kunstverein für die Rheinlande und Westfalen, Düsseldorf, 2023  |  Photo: Cedric Mussano

Jessica Vaughn, I ♥ CUSTOMERS, installation view, Kunstverein für die Rheinlande und Westfalen, Düsseldorf, 2023  |  Photo: Marina Sammeck

Jessica Vaughn, I ♥ CUSTOMERS, installation view, Kunstverein für die Rheinlande und Westfalen, Düsseldorf, 2023  |  Photo: Cedric Mussano