In ihrer raumgreifenden Skulptur ,,Continuouslessness“, die im Rahmen der Einzelausstellung ,,Boiling Frogs“ im Kunstverein gezeigt wird, spielt Kasia Fudakowski mit grundlegenden Kategorien der Wahrnehmung. Auf humorvolle Weise, die ihre Kunst kennzeichnet, verdreht sie die Sichtweise, dass sich die Welt in klare Gegensätze einteilen lässt: etwas harmoniert, oder harmonisiert nicht. Etwas knüpft an oder etwas bricht ab. Kasias aus einzelnen Paneelen zusammengesetzte Skulptur. ,,Continuouslessness“ aber zeigt, dass beides möglich ist. In seiner Bildsprache beweist das Werk die Möglichkeit einer Gleichzeitigkeit von Kontinuität und Nicht-Kontinuität. Seine ästhetischen Bedingungen sind weder Freiheiten noch Beschränkungen: einerseits müssen, wie es das begleitende Handbuch selbst konstatiert, die einzelnen Elemente der Skulptur sich verbinden lassen um kontinuierlich zu wachsen. Andererseits besteht jedoch Freiraum für den vielfältigen Einsatz von Materialien, Formen und Ideen.
Das skulpturale Gebilde erscheint zunächst transparent, leicht und in seiner Ästhetik zugänglich. Wir begegnen einer paraventartigen, zum Teil zaunähnlichen und in ihrem Aufbau durchsichtigen Installation, die sich durch den Raum schlängelt und sich von beiden Seiten umgehen lässt. Auch kleinst-Bestandteile sind von beiden Seiten gleich gut ersichtlich. Farblich und in Form erscheint das ganze harmonisch: Pastelltöne dominieren, Formen gehen in den einzelnen Elementen ineinander über und entwickeln sich fortlaufend. Ein geregelter Grundaufbau aus einzelnen Paneelen von ein bis zwei Metern Breite ist erkennbar. Nach diesem ersten Eindruck geht es jedoch andersartig und unbestimmter weiter. Die ersten Elemente wirken noch gegenständlich, wie ein Zaun, aber ein märchenhafter Zaun, relativ unromantisch aus Eisenstangen zusammengeschweißt, aber mit Ornamenten so ausgiebig geschmückt, dass er schon nicht mehr ganz ein Zaun, sondern wie ein Phantasiegebilde erscheint. Ein Phantasiegebilde, das etwas erzählt. Dieses gegenständlich nicht zuordbare Ornamentale übernimmt die Struktur in den folgenden Elementen und wird schließlich von Paneelen abgelöst, die nicht mehr als Form für sich stehen zu scheinen, sondern zu Rahmenstrukturen werden, Bögen, Ränder, ,,Aufhänger“ für rätselhafte, unbestimmbare Objekte bieten.
Alchimistisch anmutende Glasgefäße sind über Kopfhöhe angebracht, ein Karussell aus Besen, Pflanzen aus Papier sind am Boden mit der Skulptur verbunden, ein Gebilde aus Holz, das an eine betende Frau erinnert, ist in ein Panel eingefasst, beiläufig hinzugefügt sind unheimlich wirkende Gegenstände wie aufgehängte Brüste aus Holz, auf einer Platte sind Glasaugen gelegt. In eine Kunststoffplatte sind eine gewaltige Menge blonder Haare eingeschweißt. Irgendwo baumelt ein Fadenbündel, woanders hängt ein Beutel dessen Inhalt an Fäkalien erinnert. In dieser Weiterentwicklung der anfänglichen Zaunstruktur ornamentaler Raster und Gitter kommen Gebilde hinzu, die scheinbar bedeutungshaltige Elemente beherbergen. So entsteht der Eindruck, die Skulptur würde in ihren Subelementen eine Bedeutung suggerieren, eine Geschichte erzählen. Nur entstammen diese Gebilde keiner Alltagswelt. Teils an Konkretes angelehnt sind sie dennoch so märchenhaft inszeniert oder verfremdet, dass sie sich jeder Deutung entziehen. So wird der zunächst befriedigende Eindruck eines erschließbaren ästhetischen Ganzen wieder aufgebrochen. Zusicherungen der Künstlerin, dass das Ganze einem Muster folgt, beruhigen uns nur um uns zu verwirren: ,,Each panel might demonstrate a different idea …as long as it’s able to connect to the previous panel, be that an akward joining of hands“. Es muss nicht passen – aber dann passt es doch? Es erzählt keine Geschichte – aber doch erzählt die Arbeit nicht keine Geschichte. ,,akward yet functioning“, wie die Künstlerin das Konzept ihrer Skulptur beschreibt, ist auch das Gefühl, das bleibt. Wir merken, dass wir mit unseren Wahrnehmungskategorien an unsere Grenzen stoßen. Diese Art von humoristischer Offenlegung und Entlarvung unserer Seh- und Denkgewohnheiten ist ein ganz zentraler Aspekt in Kasias Werk.
Wer die Künstlerin über ihr Werk berichten hört oder die beschreibende Broschüre hinzuzieht, in der Kaisas Ideen in Grundzügen abgedruckt sind, erfährt, dass die Skulptur streng genommen weder Bildrätsel noch Phantasiegebilde ist, sondern als Kasias Archiv des künstlerischen Schaffens, der Projekte, Orte, Begegnungen, Inspirationen und Einflüsse konzipiert ist. Jedes Panel hat einen Titel, der als Anspielung auf das zu verstehen ist, was das Panel als Punkt aus Kasias künstlerischen Erfahrungswelt ,,verkörpert“. Die erste Panel-Gruppe ist 2011 entstanden, die daraus entwickelte Panelgeschichte weiterer Teile zur Skulptur nahm 2017 ihren Anfang und 2018 im Kunstverein ihr vorläufiges Ende. Viele Elemente sind wie Anekdoten, spielerische Hinweise auf die Werksbiografie Kasias und die hinterlegenden Inspirationen zu lesen. So ist das Element ,,The Liquid Host/ess“ eng mit ihrem Entstehungsort Istanbul verbunden, wo Kasia 2017 an der Biennale teilnahm und diese Elemente vor Ort fertigen ließ. Die alchimisitschen Glasgefäße sind in ihrer Form gläsernen Rundungen auf Hammamkuppeln entnommen, die Kasia durch ihre brustartige Form faszinierten. Hier erzählen sie von dem Brauch des immer wieder aufgeführten Getränkeanbietens durch die männlich dominierten Werkstätten, die mit Kasia ins Geschäft kommen wollten. Die unterhalb angebrachte runde kupferne Form ist ein Abdruck des ,,schönsten Bauches“, den sie unter den Handwerkern in den Instanbuler Werkstätteten gecastet hat. Das Panel ,,The Gender Bender“ ist stilistisch angelehnt an Gitter-Rollos vor Geschäften in Istanbul, deren Gittermuster in den Aussparungen Kasia an Brüste oder Penisse erinnerte. Die Skulptur wurde Requisit eines gefakten Art Basel Auftrittes in Manier der versteckten Kamera. Bei einem Besuch des Bewertungskomitees in Kasias Stand sollten im inszenierten Gespräch mit der Künstlerin der frauenfeindlichen Elitismus der Kunstwelt aufgedeckt werden.
,,Turnball’s Gate (Continuity and Change)“, das Tor mit der Drehtür aus Reisigbesen, verweist auf die ,,sweeping changes“ in der Politik, auf Politik als eine Drehtür, die von einem ständigen rein und raus der Personen, Ideologien und Versprechungen geprägt ist. ,,Continuity and Change“ war der Titel einer Sitcom, den ein australischer Politiker für seine Kampagne genutzt hat und auch damit aufflog. Der Fall verweist auf die Sinnentleertheit der Kampangnensprache. Kasia hat einen Sinn für die Absurditäten des Alltäglichen. Haare, Holzbrüste und Augen in den drei Panels ,,Mary Magdalene“, ,,St. Agatha“ und ,,St. Lucia“ verweisen auf die Martyrien dreier weiblichen Heiligen, ein kulturelles Thema, dem sich Kasia durch ihren polnischen kulturellen Hintergrund verbunden sieht. Die Holzbrüste wiederum sind ein Zitat aus Kasias Ausstellung ,,Sexibition“ (2015), die an die Situation des Brexits angelegt den Besucher alternativlos und unwiderruflich wie das ,,yes or no“ zum Brexit, zwei Räume zur Wahl stellte. Viele der Paneele beinhalten solche Werkszitate, so auch ,,A recently Seperated Couple Who Still Share a Sense of Outrage“ das in einem Wandschirm aus zwei Tafeln eingefräst im Kleinformat ein Muster aus Augenbrauen zeigt, ein Körperteil, dass Kasia schon in größeren Skultpuren nachgebildet hat. Deren Bedeutungsüberhöhung als Satzzeichen des Gesichtes inspirieren Kasia zum Spiel mit den Formen. Die jüngste Paneele verweisen auf das Filmprojekt ,,Word-Count“ das ebenfalls in ,,Boiling Frogs“ zu sehen ist und wurden für die Ausstellung in Kunstverein geschaffen. Schaut man sich ,,Your words are only half your own“ genauer an, erkennt man in dem, was zunächst aussieht wie metallerne DNA- Stränge, in den Aussparungen die Konturen von Gesichtern mit geöffneten Mündern, sie scheinbar streiten. Solche Auseinandersetzungen sind wesentlicher Teil des Filmes ,,Word-Count“, in dem den Protagonisten nur eine limitierte Anzahl von Wörtern pro Tag zur Verfügung steht, um sich zu äußern – eine Weiterführung unsers grenzenlosen Sprachdranges würde die Meeresspiegel weiter steigen lassen, so die eigentümliche Ausgangssituation des Filmes.
Folgt man diesen erläuternden Zusätzen, verfällt man in die Haltung, die Skulptur auf einmal in allen Einzelteilen ernst nehmen zu müssen, denn sie ,,verkörpert“ scheinbar zentrale Kategorien der Beziehung Werk-Künstlerinn, nämlich die der ,,Werksbiografie“ und der ,,Inspirationsquellen“. Doch genau in diese Kerbe schlägt Kasia, die beides im Konzept von ,,Continuouslessness“ zwar klar aufführt, doch im gleichen Zug durch ihre humorvolle Art in seiner Fassbarkeit demontiert. Denn es bleibt im Unklaren, ob es sich bei den werksbiographischen und inspirationsandeutenden Aspekten um tatsächliche Referenzen oder spielerisch inszeniert Anekdoten handelt. Der Überfluss an Bezügen, führt den Versuch des Nachvollziehens ad absurdum. Der Aufschlusscharakter der Paneele wird überflutet von der Sprunghaftigkeit der Verknüpfung der durch sie ausgedrückten Ideen, Ansichten, Erfahrungen, Referenzen. die Geschichte zu dieser Skulptur bleibt ein ,,akward shaking of hands“. Kasia hat es einmal wieder geschafft, unsere gewohnten Denk- und Sehgewohnheiten zu drehen und sich dabei selbst in nächster Begegnung der Aufzeichnung eines gesamten Szenarios als die Künstlerin zu entziehen – so trickreich, dass wir es nicht merken.