In einer Zeit, wo viele in unserer Gesellschaft um Platz und Repräsentation kämpfen, gerät der Begriff der ,,Realität“ zunehmend auf unsicheres Terrain. Weil er einfach nicht gleichzeitig all die Zustände derer aufnehmen kann, die ihn beanspruchen. Vor diesem Hintergrund stoßen sich fotografisch arbeitende Künstler heute daran, die Fotografie weiter unschuldig als Abbildung der sogenannten ,,Realität“ existieren zu lassen. Die amerikanische Künstlerin Eileen Quinlan schafft durch ihren Eingriff in den fotografischen Entwicklungsprozess und einen die Originalität der Aufnahme destabilisierenden seriellen Ansatz einen schmalen Freiraum zwischen abbildendem Apparat und dem Abgebildetem. Durch diese unbestimmbare Leerstelle lässt die Künstlerin verbreitete Annahmen über den Realitätsgehalt der Fotografie prekär erscheinen und stößt zu neuen Überlegungen hinsichtlich der gesellschaftlichen Rolle der Fotografie an.
Das Medium der schwarz-weiß Fotografie ist Quinlans vorgezogenes Ausdrucksmittel. Der Großteil der Bilder ist großformatig auf Silbergelatine entwickelt und zu Serien gruppiert. Die Werke arbeiten in drei Hauptbereichen, welche alle Basissäulen der Fotografie bilden: der Stofflichkeit, dem Material und der Materie. Stoffliches Material bieten einmal gefaltete Yogamatten, an deren skulptural inszenierte Faltungen und geriffelte Oberfläche die Künstlerin ganz nah herangeht und einen Ausschnitt schafft, der das eigentliche Objekt Matte kaum mehr erkennen lässt und sich ganz auf das Hell-Dunkel Schattenspiel der Faltungen konzentriert (,,Christina“, 2012). Der Begriff des ,,Materials“ kennzeichnet alle Bilder gleichermaßen, weil bereits vorhandenes Bildmaterial ,,Stoff“ liefert für die Werke, indem Quinlan die Bilder erneut auf einem Polaroidfilm abfotografiert und so die Idee des ,,Werksarchivs“ neu ausdehnt. Ganz konkret um den Komplex ,,Materie“ zentriert sich ihr Werk, indem Quinlan manuell die Oberfläche der Negative bearbeitet, die Entwicklungsflüssigkeit zerdrückt. Durch diese Sabotage der chemischen Grundbedingungen entstehen das Motiv zerschneidende Risse und malerisch wirkende Verläufe, die als scheinbar eigenständige Abstraktion das Abgebildete völlig verdrängen.
In den Bildern bilden sich so geisterhafte Wolken, Verformungen und Spalten, Ausläufer einer zerstörerischen, anarchischen Kraft, die wie fließende Farbe erscheinen, obwohl man vermutet, dass es sich um den Abdruck einer anderen Flüssigkeit handelt. Die Werke haben die Anmutung abstrakter Fotografien unter den Bedingungen der Malerei, die in einem rätselhaften laboratorischen Prozess entstehen. Die blind-grauen Flächen lassen das Bild manchmal unkenntlich erscheinen, wie ein nur noch in Schemen zu erkennendes Gesicht oder den kopflosen, in der Mitte gespalteten Körper eines sitzenden Mannes (,,Another Failed Portrait“, 2014). Was brutal klingt wirkt seltsamerweise kompositionell ausgewogen. Durch das Spiel der zerstörerischen Abstraktionen kommt eine unbekannte Dimension hinzu, der man ganz neu begegnen muss, was eine reizvolle Erfahrung darstellt.
Quinlans Bilder durchzieht eine persönliche Philosophie, die anknüpfend an die Hinterfragung des Status der Fotografie auch auf Basis eigener Erfahrungen zu politischen und essentiellen Fragen anstößt. In einer Serie, in der sie einen nackten Frauenkörper in ausschnitthaften Aufnahmen gepresst an die nasse Glaswand einer Dusche fotografiert, bearbeitet sie über den abstrakten Körper und das physische Erleben, hinter einer Grenze eingesperrt zu sein, die Erfahrung vieler Frauen, in ihrem beruflichen Weg an eine ,,Glasdecke“ zu stoßen, die sie trotzt aller Kraft nicht durchdringen können (,,Good Enough“, 2015, u.A.). Auch eine Serie von Tierfotografien und Porträtaufnahmen ihrer Zwillingsschwester hat ein bedachtes Dahinter, welches die scheinbar klar zu identifizierenden Motive wieder auf eine andere Ebene bringt – und die künstlerische Praxis der Fotografie mit Ihnen. Das Bild eines stolzen Fuchses führt einmal wieder zurück zu Quinlans Arbeitsfeld der Grundlagen der Fotografie, dem Material, denn das Bild ist wieder in den fotografischen Prozess geleitetes angeeignetes Material aus dem Internet (,,The Fox“, 2016). ,,Was gehört eigentlich authentisch mir“ , ist die Frage, die sich Quinlan hier stellt. Darüberhinaus hat der Fuchs eine persönliche, stellvertretende Funktion, denn er ist so zu sagen das Totem-Tier ihres Sohnes, ein stiller Repräsentant, über den sie ein Familienmitglied abbildet.
Die Vertrautheit aber auch eine leichte Melancholie ausstrahlenden Porträts ihrer Schwester sind wiederum auf Basis archivarischen Materials der Künstlerin entstanden. Eins zeigt ihre Schwester als junges Mädchen vor zwanzig Jahren, das andere Bild der aus einem Fenster heraus lehnenden Schwerster liegt fünf Jahre zurück (,,Open City“, 2013, u.A.). Die Unbeständigkeit des Lebens und letztendlich auch die endgültige Sterblichkeit drückt Quinlan ihren eigenen Worten nach über diese Bilder aus, auf denen auch, ohne dies explizit zum Thema zu machen, der Alterungsprozess der Schwester nach zu verfolgen ist. ,,Das Persönliche wird Politisch“, diese motivistisch heterogene und doch konzeptuell geeinte Serie aus Tierbildern und Personenporträts zeigt einmal den Anspruch der Übersetzbarkeit in Richtung universeller Themen, den die Künstlerin an ihre Werke stellt.
Den Eindruck, dass Quinlan wenig bereit ist, die so genannten ,,Gesetzen“ der Fotografie zu akzeptieren, einen Ansatz, den Sie auf die Frage der künstlerischen Repräsentation überträgt, hat man auch in der Auseinandersetzung mit zwei weiteren Werkskomplexen, den durch einen Scanner entstandenen, optisch wie elektrisch verzerrten Farbbildern (,,I can see it but I can’t feel it“, 2018, u.A) und einer 12-teiligen auf Dibond entwickelten Bildserie (,,Twinned Mitsouku“, 2008-2015). Die aus Farbflächen, -kanten und Rissen bestehenden Werke haben mit ihren wie einem Prisma entnommenen, aber vielfach verstärkten, wie Blitze oder gefaltete Foliensegmente auftauchenden Farben eine bestechende, mitreißende Wirkungskraft, die genauso von Quinlan intendiert ist. Die Bilder sind entstanden durch einen Spiegel, den die Künstlerin über einen Scanner gezogen hat. Bewegt zu diesen Werken hat die Künstlerin die Allgegenwart von Bildschirmen in unserem Alltag und der Einzug künstlerischer Intelligenz in diesen. Sie zeugen ebenso von Quinlans Antrieb, neuartige Ansätze der ,,fotografischen“ Bilderzeugung zu zulassen, in denen sich Agency und Urheber verschieben.
Dieses Urheberthema erweitert Quinlan in den Bereich des Kunstmarktes, indem sie den Wert ihres eigenen Werkes zur Disposition stellt. Eines der Bilder aus der Farbbildserie hat sie auf Grundlage seines Status als Digitaldruck als unlimitierte Edition herausgebracht, was zur Folge hatte, dass es kein Kaufinteresse für dieses Werk gab. Eine automatische Folge auf dem Kunstmarkt, wo der Wert einer Fotografie abhängt von der Begrenzung der Edition, eine für Quinlan künstliche Regel, die sie mit einem anderen Werk ,,zusammenbrechen“ lassen wollte, indem sie alle zwölf Bilder, die zu der Edition eines ihrer Werke gehörten, gemeinsam ausstellte. Genauso sind die an Fotografien metallisch glänzender, gefalteter Folien erinnernden Bilder, teils in umgekehrter Hängung, auch jetzt im Kunstverein zu sehen (,,Twinned Mitsuouko“ 2008-2015).
Was über noch mehrere andere Werke in der Ausstellung hinaus Quinlans Werk so erstaunlich macht, ist ihre Konzentration auf einen bisher kaum erschlossenen Bereich der Fotografie, ihre Stofflichkeit. Wenn sie sich digitales Bildmaterial aneignet, dann auch mit Blick auf die Körnung der Bilddatei, die sie im Bildgenerierungsprozess genauso berücksichtigt wie die Körnung des Polaroid Filmes, mit der sie das digitale Material abfotografiert. Ihr künstlerischer, laboratorischer Ansatz zeigt, dass wir längst nicht alles verstanden haben über Bedingungen, Funktionen und Konsequenzen des Mediums Fotografie, dass bei dem Sprung über die Schwelle zum Digitalen irgendetwas übersehen wurde, wenn auch nicht klar ist, was. ,,What is authentically mine?“, diese Frage, die Quinlan tief bewegt, ist sehr schön aus der Ausstellung mitzunehmen. Sie betrifft nicht nur das Technische, Urheberrechtliche, sondern drückt vielmehr ein grundlegendes Unbehagen in unserer Gesellschaft auf, in der die unzähligen Bilder, die wir selbst rezipieren und produzieren unsere Authentizität nicht stärken, sondern auszulöschen beginnen. Quinlans Untersuchungen von Bildmaterial mit den letzten vorhandenen Polaroidfilmen sind ein stiller Verweis auf unseren tatsächlichen Kontrollverlust über die Fotografie.