MASKE - Kunst der Verwandlung —Kunstmuseum Bonn

Masken haben viele Gesichter. Sie können Kultobjekt, Scherzartikel, die Persönlichkeit verwandelndes Mittel, changierende Membran sowie undurchdringbare Barriere sein. Begegnen wir einer bekannten Person maskiert, können wir uns das Schmunzeln oft nicht verkneifen. Was ist aber, wenn uns eine völlig unbekannte Person mit einer Maske vor dem Gesicht erscheint? An diesen kritischen Moment der Verwandlung des Trägers, der Begegnung eines anderen Ichs, ununterscheidbar zusammengesetzt aus Maske und Individuum setzt eine Themenausstellung im Kunstmuseum Bonn an. In einem von der modernen Kunst bis zur jüngsten zeitgenössischen Kunst reichenden Bogen betrachtet die Ausstellung MASKE vor allem das transformierende Potential von Masken und kreuzt dabei unterschiedliche kulturelle wie politische Themenfelder. In einer großen Bandbreite künstlerischer Ausdrucksformen steht die Vielfalt der Rollen, die Masken in der Kunst spielen können im Fokus des Projektes. Dabei wird auch auch der Blick auf die ethnische Faszination gerichtet, die Masken Anfang des 20. Jahrhunderts auf die Künstler der Moderne ausübten und mit der sie heute noch verbunden sind. Durch assoziative Werksgegenüberstellungen ist MASKE als eine spannende Entdeckungsreise angelegt, die den Betrachter über all die Maskierungen nachdenken lässt die er schon aus eigener Erfahrung begegnet ist.

In sieben Räumen entwickelt sich die Ausstellung von der Auseinandersetzung mit Werken, in denen das greifbare Objekt Maske und der menschliche Träger im Zentrum stehen, über Positionen, in der die Grenze zwischen Träger und Maske zunehmend verwischt, hin zu Werken, in denen das verwandelnde Potential der Maske bedrohlich oder sogar zerstörerisch erscheint. Von einem reizvolle performative Möglichkeiten bietendem Gegenstand aus entwickelt sich die Maske zu einem gesellschaftskritischen Mittel, das paradoxerweise als verdeckender Gegenstand gerade zur Aufdeckung sozialkritischer Fragestellungen dient. So spricht der erste Raum, erfüllt von Lichtpunkten, die von dem spiegelbesetzten Maskenobjekt Kader Attias reflektiert werden, gesäumt von einer fotografischen Reihe Edson Chagas von ,,Passfotos“ rituelle afrikanische Holzmasken tragender Personen sowie einem in einer kantigen Ästhetik ,,maskenhaften“ Selbstportrait von Karl Schmidt-Rottluff ganz klar von der Faszination und dem üblichen, durch die Bindung an die afrikanische Kultur als exotisch empfundenen Bild, das wir von Masken haben. Die Präsentation der Werke in diesem Raum fängt den Betrachter zwar auf gewohnter Ebene ein, bricht jedoch gleichzeitig mit einer klischeehafte Erwartungen bedienenden Wiedergabe und schafft wie mit einem Trick neuartige Bezüge, wie es noch oft in der Ausstellung der Fall sein wird. So spielt Chagas Serie mit den eingesetzten Mitteln der afrikanischen Maske und der strengen Pose im Anzug mit dem Gegensatz zwischen fremder Besonderheit und normiertem Format, während Kader Attias auf der Grundlage geflickter afrikanischer Masken entstandene Spiegelmasken insbesondere durch die Anwendung der in vielen Kulturen geläufigen, in der westlichen Kunst jedoch völlig verworfenen  Methode der Erhaltung von Brüchen und Defekten in Kunstwerken einen anderen Blick auf die gängige Dichotomie zwischen ,,westlicher“ und ,,afrikanischer“ Kunst werfen.

Mit dem gleichen Mittel des Einsatzes zugänglicher Ästhetik und gewohnter Formen, die dann doch langsam unbequem werden, arbeitet auch die Präsentation von Wiebke Siems übermenschlich großen Maskenkostümen, die als Gruppe in einem eigenen Raum installiert sind und den Betrachter zum entdeckendem Umschreiten einladen. Zunächst scheint man es eindeutig mit Verkleidungen zu tun haben, die gleichförmigen, übergroßen Holzmasken mit Spaltmündern, runden Augen und einer ausgeprägten Stirnpartie, teils mit Haaren aus Kordeln versehen, sowie die Unförmigkeit mancher der Kostüme erinnern an die bei süddeutscher Faschingszügen eingesetzten Verkleidungen von Berggeistern. Die Botschaft, die so eine unbestimmbar zwischen archaischem und zeitgenössischem Ausdruck sich befindende Kostümierung mit karikaturhaft herausgearbeiteten Geschlechtsmerkmalen und dem starren Anlitz  kommunizieren will, bleibt rätselhaft. Schon ungetragen als Skulpturen montiert erscheinen die Maskenkostüme gespenstisch und jederzeit fähig, zu handeln.

Im nächsten Raum geben Werke der Moderne und zeitgenössische Kunst gemeinsam den Ton an. Ziel der Präsentation sind zeitübergreifende Gegenüberstellungen, die auf Ähnlichkeiten in der Verwendung von Masken setzten oder auf den ersten Blick spielerisch erscheinende Verwendungen darstellen. Claude Cahun und Lavinia Schulz führen als Pionierkünstlerinnen der Moderne den Einsatz von Masken an, in denen die Rollenverteilung zwischen Träger und Getragenem noch klar unterscheidbar ist. Claude Cahun stellt sich durch ihre maskierten Selbstporträts, die mal mehr und mal weniger noch sie als Person erkennen lassen, Fragen nach der Transfomierbarkeit des eigenen Ichs besonders in Bezug auf Geschlechterrollen, deren Überquerung die die lesbische Künstlern zum durchgängigem Gegenstand ihrer Kunst machte. Die dadaesquen, phantasievollen und grotesken Maskenkostüme von Lavinia Schulz, die den Träger in eine komplett neue Figur verwandeln, experimentieren mit neuen Ausdrucksformen die, performt als Theaterstück, ästhetische und gesellschaftliche Normen ihrer Zeit völlig übergehen.

Das Theater oder die Aufführung ist auch zentraler Gegenstand von Gauri Gills Fotoserie ,,Acts of Appearances“, die formell mit den farbenfrohen, lustigen Masken von Menschengesichtern oder Tieren, die die Bewohner eines indischen Dorfes in verschiedenen Alltagssituationen vorführen, an die spielerische Maskerade von Cahun und Schulz anzuschließen scheint. Doch das sorglose Volk, das die Bewohner in selbstgewählten Szenerien durch das Tragen für Gills Projekt hergestellter traditioneller Masken darstellen, existiert nur an der Oberfläche. Die Vehemenz in den Gesten, die die Maskierungen und die dazu eingenommenen Posen den einzelnen Personen verleihen, wirken wie ein stummer Schrei gegen die allgemeine gesellschaftliche Ausgrenzung der Dorfbevölkerung, deren Identität und Kultur in Indien.

Die kritische Schwellenzone, in denen die Maske vom spielerisch eingesetztem Objekt zum transformierendem Mittel mit eigenem Handlungspotential übergeht, markieren ein Werk der Sammlung von Campendonk ,,Mann mit Maske“ und, auf eigene Weise teils kritisch mit dem verwendeten Material afrikanischen Ursprungs umgehend, die Collagen von Hanna Höch. Bei Campendonk wiederholen sich die melancholisch-starren Gesichtszüge der dargestellten Person in den Zügen der gespenstischen Maske, die hier als mehr als nur dekoratives Objekt erscheint und wie eine, man weiß es nicht, gute oder schlechte Option zur Milderung eines im Gesicht des Mannes ausgedrückten Schmerzes erscheint. Hanna Höchs Zusammenstellungen aus fragmentierten Zeitungsbildern oder Katalogmaterial schaffen entpersonalisierte Wesen und Gesichter deren Charakterzüge völlig unbestimmbar bleiben. Die Fragmente von katalogisierten Abbildungen afrikanischer Masken und Statuen werden als relativ kulturell autonomes, den Wesen ihre Kraft verleihendes Material verwendet. In beiden Werken erscheint das Potential der Maske bedrohlich und gibt zersplitterte Persönlichkeitserfahrungen und Umwürfe wieder, wie sie dem gesellschaftlichem Kontext der 20er Jahren entspringen.

In Eli Cortnias Videoarbeit ,,The Excitement of Ownership“ zeigt sich die Maske nicht mehr als abnehmbares Objekt, sondern, konzentriert auf die weibliche Person, als untrennbarer Teil der Erscheinung einer Persönlichkeit, als schmerzhafte Erfahrung in einem Kampf der Anpassung und des angepasst-Werdens. In der eigens für die Ausstellung entwickelten Filmcollage mischen sich Filmschnitte von Gesichtsoperationen, Sequenzen mit Auftritten von Politikerinnen, die, als wäre es notwendig für ihre Rolle, ein maskenhaft geschminktes oder von Botox gestrafftes Gesicht haben, schrille Ausschnitte aus Animes, Aufnahmen von Gesichtern von weiblichen Robotern, die eine minimale, gespenstische Fähigkeit der Mimik besitzen sowie Straßenaufnahmen von Selfies tätigenden Mädchen. Immer wieder gerät das Antlitz der Frau in den Mittelpunkt, das hier einem verzerrtem, beinahe perversem Idealismus ausgesetzt ist, in dem die Transformation, das Aufsetzen einer Maske als Zwang des gesellschaftlichen Erfolgs dargestellt wird. Cortinas Arbeit liest sich wie ein drastischer Fingerzeig auf  die Tatsache, dass, gerade vor dem Hintergrund Schönheitsideale zuspitzender Digitaler Medien, an der so genannten ,,Maske des Weiblichen“ wirklich nichts Romantisches ist.

Die fulminanten fotografischen Arbeiten von Thorsten Brinckmann und Martine Gutierrez fallen beim Eintritt in den nächsten großen Ausstellungsraum direkt ins Auge. Bei den farbenfrohen Maskierungen beider Positionen verschmelzen Maske und Person zu einer untrennbaren Einheit, die eine neue Person hervorbringt. Im Fall von Brinckmanns Fotografien, die Vollmaskierungen aus prachtvollen Stoffen und das Antlitz verdeckenden antiquarischen Gegenständen zeigen, ist gar nicht mehr zu erkennen, ob hinter der Maskierung noch eine Person steckt. Gutierrez schrille Gesichtsmaskeraden aus Früchten, Muscheln oder Blumen sollen ein Modell für ein nicht nach binären Geschlechtsmerkmalen kategorisierbaren Gesichts schaffen. Der Eindruck einer farbenfrohen und spielerischen Maskerade setzt sich zunächst bis zu den Werken von Gillian Wearing fort. Wearing erscheint hier verborgen hinter einer exakt auf sie angepassten und dem Gesicht realer Personen ihrer Familie nachmodellierten Gesichtsmaskierung als ihr jüngeres Selbst sowie als ihre eigene Mutter und ihr Vater in jüngeren Jahren. Die Akribie und die Ernsthaftigkeit dieses Projektes, die Maske ist für die Künstlern hier ein Mittel ,,Echtheit“, eine ,,Augentäuschung“ zu erzielen, und die Idee, quasi in die Haut eines Familienmitgliedes zu schlüpfen, lassen die Bilder ungeheuer erscheinen. Die unheimliche Wirkung wird durch die unter der Maske sich abzeichnenden Augenpartie untermalt.

Bei der franzöischen Medienkünstlerin Orlan scheint das Thema Maske zur Obsession geworden zu sein. So ließ sie sich in den 1990ern bei Schönheitsoperationen filmen, die ihr Gesicht nach bestimmten Schönheitsidealen aus der Kunst formen sollten. Die Eingriffe, von denen Fotografien neben einer Videoarbeit von Ed Atkins gezeigt werden, stellen der Künstlerin nach eine Performance nach einem ganz eigenem Konzept der Maske dar. Laut Orlan ist die Maske das von Geburt an ,,auferlegte“ menschliche Gesicht, das es abzulegen gilt. Die Maske als Käfig aus Fleisch und Blut der an uns klebt? Die die Brutalität des Eingriffs zeigenden Aufnahmen verdeutlichen, was es bedeutet, diese Idee von ,,Maske“ anzunehmen, ein abstoßend erscheinender Gedanke, der jedoch für Viele heute die Basis ihres Identitätsgefühls darstellt. Dieser fleischliche Aspekt des künstlerischen Konzeptes ,,Maske“ wird aufgenommen in Atkins Videoarbeit, in der neben allerlei anderen Dingen und Körperteilen wie vom Gesicht abgeschnittene Hautmasken als ,,Belag“ auf ein Sandwich klatschen.

Das Thema Masken und öffentlicher Raum greift die Installation von einer Gruppe mit Sicherheitshelmen maskierter, lebensechter Polizisten von Julius von Bismarck auf. Der Staat ist, abgesehen von Ausnahmen wie Karneval, Maskierungen gegenüber avers eingestellt. Wer eine Maske trägt, so scheint die Regel, will bei kriminellen Aktionen nicht entdeckt werden oder  strahlt zumindest Bedrohung aus. Erkenntlichkeit ist ein gesellschaftliches Grundprinzip. Der Staat, wie Bismarck zeigt, behält sich jedoch das Privileg vor, in Persona maskiert zu erscheinen, um etwa die Persönlichkeit von Sicherheitskräften zu schützen, aber auch in der Lage sein durch die fehlende Begegnungsfähigkeit, die Entmenschlichung der Einsatzkräfte, sein Gewaltmonopol durchsetzen zu können. Diese Tatsache wird einem erstmals klar, wenn man sich in das Spalier der sich minimal bewegenden, scheinbar jederzeit zur Aktion übergehen könnenden Puppen begibt.

Nach all den unter die Haut gehenden, auch zu unbequemen Gedanken anstoßenden Begegnungen mit Masken erscheint der finale Raum der Ausstellung, dem die gewaltige Videoarbeit ,,Atlas fractured“ von Theo Eshetu gewidmet ist, durch die Rückkehr zu den tiefen kulturvereinigenden Grundprinzipien der Maske, der Menschlichkeit und des Respekts vor der Vielfalt, wie eine Heilung. Die Videoarbeit lässt Masken und Gesichter aller Kulturen und Ethnien verschmelzen. Durch den Einblick in eine verschwindende mystische Welt aussterbendem Brauchtums, dessen Masken wir heute nicht mehr tragen können, meint man doch die Hoffnung zu verspüren, dass irgendwo im menschlichem Wesen die Fähigkeit veranlagt ist, in aller Unterschiedlichkeit zusammenbringende Facetten zu entwickeln. Das Potential der Maske ist und bleibt der Mensch.

 

Wiebke Siem, ohne Titel, 2001, Schaumstoff, Stoff, Abachiholz, Leinengarn  |  Sammlung Kerstin Hiller und Helmut Schmelzer, Leihgabe im Neuen Museum Nürnberg, Foto: Stefan Alber

Minya Diez-Dührkoop, Tanzmaske Insektentänzer von Lavinia Schulz, 1924, Silbergelatineabzug  |  Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg

Thorsten Brinkmann, Van Berre, 2018, Pigmentdruck  |  Courtesy Galerie FeldbuschWiesnerRudolph, © Thorsten Brinkmann und VG Bild-Kunst, Bonn 2019

Gauri Gill, Untitled (32), from Acts of Appearance, 2015 – heute, Pigmentdruck  |  © die Künstlerin

Cindy Sherman, ohne Titel #472, 2008, Farbfotografie  |  Courtesy die Künstlerin, Sprüth Magers & Metro Pictures, New York, © Cindy Sherman