Wir leben heute in einer Welt, in der die Fotografie beliebig und entzaubert ist. Aber es gab mal eine Zeit, da hatten Fotografien etwas Rätselhaftes. Ein wenig davon verspürt man noch, wenn man in alten Bildbänden blättert. Und manchmal zeigen sich in der Betrachtung dieser jahrzehntealten Bilder nachträglich Muster, die auf seltsame Weise den Blick fangen. Ein Meister der Entdeckung solcher fremdartigen Strukturen, die weit über das Abgelichtete hinausgehen, ist der Künstler und Professor an der Kunstakademie Düsseldorf Peter Piller.
Peter Piller (*1968 in Fritzlar), dessen umfassendes fotografisches Werk das erste Mal auf umfangreiche Weise in der Kunsthalle Düsseldorf in einer Überblicksstellung zu sehen ist, hat sein Leben lang der Magie hinterher gespürt, welche, der Allgemeinheit meist verborgen, existierendem Bildmaterial anhaftet. Längst im Archiv versunkene Fotografien löst Piller aus ihrer Stasis und verleiht ihnen, als Scans in Größe und Auflösung modifiziert und zu Serien rekombiniert, ein Eigenleben. In ihrer neuartigen Erscheinungsform eröffnen sich auf einmal Bedeutungsebenen außerhalb des eigentlichen Bildgegenstandes. Das Signifikat löst sich vom Signifikanten und eine eigene Bildsprache entsteht – humorvoll aber auch gesellschaftskritisch.
In den Sälen der Kunsthalle begegnet man Serien mit sehr unterschiedlichen Inhalten. Naturbilder und Kriegsaufnahmen, Dokumentationen von Versicherungen oder auch Fotografien aus Unternehmensarchiven und Bildmaterial aus der Presse. Doch Peter Piller geht es nicht um Repräsentation, vielmehr versucht er aus der vermeintlichen Bedeutungsschwere des fotografischen Bildes die Banalitäten unseres Alltags herauszulesen. Langweile, Leere und Überflüssigkeit, vor der wir täglich fliehen. Das authentische Festhalten des Momentes, was die Fotografie verspricht, enttarnt Peter Piller durch seine zig-fachen Reproduktionen und Re-Konstellationen von Nebensächlichkeiten als Täuschung. Anstatt zu desillusionieren, lehrt uns Piller vielmehr den Zauber des Banalen, der alles durchdringt, sobald wir das Triviale akzeptiert haben.
Die Wandinstallation Immer noch Sturm (2011), eine Konstellation aus 30 Schwarz-Weiß-Abzügen von Schlachtfeldern des Ersten Weltkrieges sowie Bildern von Meeresoberflächen, ist ein gutes Lehrstück, um Peter Pillers Blick zu verstehen. Trotzt der thematischen Divergenz der Fotografien, ergeben sich bei genauerem Hinsehen dennoch optisch Parallelen zwischen den körnigen Aufnahmen von kargen, zerstörten Landschaften und den hell-dunkel changierenden Wellenbewegungen, die ihre eigene Topografie bilden. In der Kraft der berstenden Wellen spiegelt sich in gewisser Weise die der Explosionen, die in der Ödnis der Kriegsschauplätze noch nachhallen.
In Pillers Werken treten so stets zwei gegensätzliche Aspekte gegeneinander an. Die Wiederkehr des Immergleichen in Form von Mustern trifft auf die Frage nach der inhaltlichen Relevanz des reproduzierten Materials. Deutlich wird dies in der Serie Nachkriegsordnung (2003), eine 35-fache Konstellation aus exakt dem gleichen Pressefoto, mit dem Tageszeitungen auf ihrer Titelseite über die Bombardierung Bagdads durch die amerikanischen Streitkräfte berichteten. Eine riesige Rauchwolke vor der nächtlichen Stadtkulisse, deren Lichter sich im Fluss spiegeln – in seiner Wiederholung in abweichender Bildqualität hebt sich das Bild in seiner Wirkung von den eigentlichen Geschehnissen ab. Peter Piller hat das Bildmaterial ausgeschnitten und auf Papierbögen geklebt, eine Umrandung aus aufgedruckten schwarzen Zahlen verweist auf seine Unfähigkeit hin, die Ausschnitte mittig zu platzieren.
Laut Begleittext weisen diese Zahlen auf die mangelnde Präzision amerikanischer Waffensysteme hin. Doch vielleicht geht es Piller auch nur um die Atmosphäre des Bildes, dessen ästhetischem Reiz man sich nicht entziehen kann, sowie die letztendliche Redundanz, die seine Omnipräsenz in den Medien auslöste. Für diese Eigenschaft der Fotografie, Dinge oder Ereignisse unendlich reproduzieren zu können, scheint Peter Piller ein besonders Faible zu haben. Den spezifischen Wert solcher Aufnahmen sieht er dabei gerade in solchem Material, was als entbehrlich empfunden wird. Entweder, weil es nicht mehr genutzt wird, veraltet ist oder – und dies scheint ein wichtiger Punkt zu sein – für die Allgemeinheit als unbedeutend eingeschätzt wird.
So rekombiniert Peter Piller in der Serie Dauerhaftigkeit (2006) Aufnahmen aus dem fotografischen Ausschussmaterial eines niederländischen Unternehmens-Archivs der 1950er bis 1970er zu einem völlig neuem Porträt, das unter Ausgrenzung jeder Repräsentativität beiläufige Geschehnisse aus dem Alltag der Angestellten in den Vordergrund rückt. Diesen Reiz des Nebensächlichen, das in sich dennoch Geheimnisse birgt, treibt die Bildfolge Nimmt Schaden (2007) anhand einer Auswahl nüchterner Fotografien aus dem Archiv einer schweizer Versicherung auf die Spitze. Die Dokumentationen von Schadensfällen aus dem Innen- und Außenbereich von Gebäuden sind zugleich erstaunlich nichts-sagend wie kurios und besitzen damit genau die Qualität, die Peter Piller in Bildern sucht.
Von Serie zu Serie übernimmt Piller somit die Rolle eines mäandernden Beobachters, der sich Elemente, welche der allgemeinen Überzeugung nach die Realität konstituieren, von Außen über das Medium der Fotografie aneignet. Diese sehr persönliche, etwas umständlich erscheinende Herangehensweise an essentielle Wahrheiten entwickelt er auf zeichnerische Weise in seinen Peripheriewanderungen (seit 1994) weiter. Von den experimentellen Spaziergängen an den Rändern von Großstädten wie Hamburg bleiben am Ende nur vage und dennoch minuziös dokumentierte Umgebungsskizzen, die Piller im Nachhinein aus dem Gedächtnis mit Tusche und Bleistift anfertigt und deren diffuser Detailreichtum fasziniert.
Dieser Spürsinn, der Peter Piller dazu antreibt, hinter dem eigentlichen Thema noch etwas ganz Anderes zu finden, prägt auch seine jüngste Auseinandersetzung mit prähistorischer Höhlenmalerei. In 40 unterschiedlich dimensionierten Bildern, die assoziativ in eigenen Räumlichkeiten gehängt sind, beschäftigt er sich in ständig wechselnder Perspektive mit den Kunstwerken der Eiszeitmenschen. Selektiert ist dieses eigenartige wie faszinierende Diorama aus einem breiten Spektrum von Bildquellen, darunter Fachpublikationen, durch Piller selbst im Umkreis der Höhlen getätigten Aufnahmen sowie mit Zeichnungen versehene Fotos. Letztendlich bleibt das auf Meta-Ebene thematisierte Forschungsfeld, welches immer wieder auf die sogenannten „unbestimmten Linien“ auf den Felswänden zurückkehrt, abgerückt und rätselhaft.
Dieser Eindruck, dass man am Ende wenig über die eigentlichen Themen in den von Piller angeeigneten, rekombinierten oder selbst angefertigten Bildern erfährt, ist typisch für die gesamte Ausstellung. Denn Peter Piller umgeht das Dokumentarische gänzlich und schickt die Betrachter*innen anstatt dessen auf eine freie Suche nach den ästhetischen Zusammenhängen zwischen den Bildern. Abgedroschene Fragen nach den Hinter- und Beweggründen seiner Serien nach dem Muster „wie, wo, was, warum“ umschifft der Akademieprofessor daher. „There are a couple of things that bother me“ – was Peter Piller in seinem Bildkosmos beschäftigt, irritiert oder besorgt, bleibt gänzlich offen. Dieses Abstreifen jeglicher Eindeutigkeit betrifft aber nicht nur Pillers Werk allein. Es ist auch ein Anstoß zum kritischen Nachdenken über unser kollektives Bedürfnis nach Wahrheit, das die Fotografie niemals erfüllen wird.
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