Wie vielleicht kein anderer ist der Körper ein Ort der Gegensätze. Freiheit und Begrenzung treffen auf Ekstase und Depression, Bestätigung und Zweifel. Der Zustand, in physische Gegebenheiten eingesperrt zu sein, wird jedoch immer weniger akzeptiert. Als Reaktion wurde in den letzten Jahren der Begriff der „Körperlichkeit“ entwickelt. Dieses neue Konzept sieht vor, dass sich Körpererfahrung individuell verhandeln lässt. Diese offene Haltung hat jedoch ein neues Dilemma zur Folge. Denn die grenzenlose Möglichkeiten der Artikulation schwächen die eigene Identität zum selben Grad wie sie diese stärken. Unter dem Titel Es liebt Dich und Deine Körperlichkeit ein Verwirrter zeigt die Kunsthalle Düsseldorf drei in den Achtzigerjahren geborene Künstler*innen, Carina Brandes, Florian Krewer und Raphaela Simon, die dem Thema Körperlichkeit aus jeweils eigener und sehr persönlicher Perspektive nachspüren. Da sie sich der Konflikte und Kontroversen bewusst sind, die der Begriff mitbringt, bietet keine/r der Künstler*innen eine endgültige Definition. Vielmehr zeichnen die Drei Möglichkeitsräume auf, in denen sich die Erfahrung von Körperlichkeit ausdehnen, finden aber auch verlieren kann.
Als Kinder der Achtziger verbindet alle Künstler*innen ein gemeinsames Erlebnis: Der plötzliche Aufstieg des Internets in den Teenagerjahren und der eine weitere Dekade später einsetzende Eroberungszug der Social Media. Beide Phänomene gingen mit einer exponentiellen Vervielfältigung der Möglichkeiten von Selbstdarstellung und -wahrnehmung einher. Jedoch wurden die Social Media von den Künstler*innen, die zum Zeitpunkt ihres Aufstiegs bereits erwachsen waren, dabei oft kritischer genutzt, als es etwa bei den Digital-Natives der Generation Y oder Z der Fall ist. In Form eines inneren Zwiespaltes erkennt man diese Prägung in den Kunstwerken von Carina Brandes, Florian Krewer und Raphaela Simon wieder. Während sie Modi der Körperlichkeit auf experimentelle Weise erkunden, fehlt den Arbeiten die Euphorie der endlosen Inszenierungsoptionen, wie sie auf Instagram verfügbar sind. Vielmehr versuchen die Künstler*innen, die Bilderflut zu reduzieren, indem sie einen begrenzten Spielraum für Körperwahrnehmung lassen, der jeweils durch die individuelle künstlerische Strategie vorgegeben wird.
In den Malereien von Raphaela Simon, die bei Peter Doig an der Kunstakademie Düsseldorf studiert hat, scheint dieser Freiraum zur Körpererfahrung maximal eingeschränkt zu sein. Die riesenhaften, fast entmenschlichten Gestalten, die aus einem schwarzen Nichts heraus in ihren Bildern auftauchen, vermitteln ein Gefühl von Seelenlosigkeit, was daran zweifeln lässt, ob die Werke überhaupt irgendetwas Lebendiges transportieren. Raphaela Simons Malereien mögen zwar abwesend erscheinen, doch sie sind nicht stumpf. Indem sie Körper mit Darstellungen von Gittern, Mauern oder Rastern kombinieren und variieren, erzählen sie von Körpererlebnissen, die auf drastische Art von Einschränkungen und Limitation betroffen sind. Diese Grausamkeit macht die Bilder extrem emotional und trotzt ihrer abstrakten Abbildungen nachvollziehbar.
Da gibt es zum Beispiel einen steifen, blaugrauen Oberkörper, dessen Kopf umgedreht und entkoppelt auf dem Rumpf ruht, eingeschlossen in einem Käfig („Séparée“, 2022). Ein zum Betrachter gerichtetes, offenes Auge und ein wie zu einem stummen Schrei geöffneter Mund bringen eine unangenehme Lebendigkeit in diese Figur, die man sonst als charakterlose Statue abtuen könnte. Ein weiteres Bild zeigt eine bis auf Brusthöhe abgebildete Gestalt in Pastellrosa, die in Mauern eingezwängt ist und deren Brust von Löchern durchschossen ist („Fall“, 2022). Aus dem schemenhaften Gesicht sticht einzig ein schwarzer, geschlossener Mund hervor, dessen Winkel leicht nach unten deuten und der die Empfindung eines unangenehmen Gefühls erahnen lässt. Obwohl die Charaktere in den Malereien von Raphaela Simon stets endpersonalisiert dargestellt sind, lassen sich immer wieder Gefühle erahnen. Ein tiefer, stummer und dennoch präsenter Schmerz. Gitter, verschlossene Tore und Mauern, welche die Künstlerin auch zu alleinstehenden Bildgegenständen macht, scheinen die existentielle Wahrnehmung, im eigenen Körper oder Selbst eingesperrt zu sein, wiederzugeben. Anhand bewusst simplifizierter malerischer Strategien erreicht Raphaela Simon somit Körperlichkeit und die damit verbundenen widersprüchlichen Erfahrungen bestechend authentisch anzusprechen.
Im Gegensatz zur Stasis in Raphaela Simons Malereien ist das Thema von Carina Brandes Fotografien die Bewegung. Die Künstlerin fotografiert sich selbst in Posen höchster körperlicher Intensität, die oft fantastisch aber auch zermürbend wirken. In einer malerischen Installation kombiniert Carina Brandes Bilder aus den letzten vierzehn Jahren als lose, narrative Collage. Zusammen bilden die Fotografien, welche wie die umgebende Rauminstallation gänzlich in schwarz-weiß gehalten sind, eine Ode an den weiblichen Körper, in seiner Stärke aber auch Verletzlichkeit, der sich in einer ständigen, transformativen Dynamik zu befinden scheint. Carina Brandes spannt kunstvoll Hilfsmittel wie Masken, Glitzer, oder Spielzeug in ihre Bilder ein, übergießt sich mit Wasser, Schaum oder Farbe. Auf diese Weise kreiert sie mit ihrem Körper Momente, die manchmal banal erscheinen, die jedoch ihre psychologische Tiefe enthüllen, je genauer man sich mit ihnen auseinandersetzt.
Schritt für Schritt enthüllen sich in den Inszenierungen des Körpers der Künstlerin Störmomente, die fast surreal anmuten. Diese übernatürliche Qualität erzielt Carina Brandes vor allem durch die Technik der Langzeitbelichtung, was ihr in der Nachbearbeitung der Fotografien in der Dunkelkammer erlaubt, Bewegungen verschwommen und schemenhaft wiederzugeben oder verschiedene Bilder miteinander zu verblenden. So lässt die Künstlerin einen Löwen aus ihrer Brust springen oder Organe und Lichtstrahlen aus ihrem liegenden Körper hervortreten. Durch diese verschiedenen Strategien der Verfremdung sind die Körpererfahrungen, welche die Fotografien wiedergeben, in ihrer Natur stark ambivalent. Die meisten Posen haben eine spielerische, wenn auch nicht harmlose Anmutung. Doch trotzt des intensiven Körpereinsatzes verschleiert die Künstlerin ihre eigene Persönlichkeit so meisterhaft, dass sich eindeutige Gefühle nicht extrahieren lassen. Was bleibt, ist das Spiel von Licht und Schatten, was Carina Brandes nicht nur in Hinblick auf das Thema der Ausstellung sondern auch in der Fotografie an sich als Künstlerin hervorstechen lässt.
Abzweigend vom minimalistischem Schwarz-Weiß in Corina Brandes fotografischer Installation nimmt die Ausstellung mit Florian Krewers Malereien eine erneute Kehrtwende. In seinen großflächigen Werken setzt der Künstler Personen, Tiere und Figuren auf eine dramatische Weise in Bezug, die sich nicht einfach dechiffrieren lässt. In der Hintergrundgestaltung aus flirrenden Farben und den verloren erscheinenden, konturlosen Figuren meint man den Stil von Peter Doig zu erkennen, bei dem Forian Krewer an der Kunstakademie studierte. Anhand der unterschwelligen und meistens uneindeutigen Mischung von Ekstase, Melancholie und Gewalt in seinen Bildern hebt sich Florian Krewer jedoch deutlich von seinem Lehrer ab. Was man hier vorfindet, ist eher eine Peter „Doig X Dark Circus“ Situation. Ein düstereres Bildvokabular, das mit seinen Tiercharakteren, Cliquen, Tanz und Schauspiel spielerisch sein könnte, anstatt dessen aber in schreienden Farben auf einen zustürzt, als würde man es in einem Drogenrausch sehen, der beginnt, ins Albtraumhafte zu kippen.
Wie die fast gänzlich in Grau gehaltene Darstellung einer ins Bildhintere vordringenden Gang aus Jungs – ein wiederkehrendes Motiv in Florian Krewers Werk – sind viele der Bilder des Künstlers durch solche Kippmomente geprägt, die andeuten, das etwas Ungutes im Gange ist. In „one and only“ (2019) wendet sich aus der Gruppe eine Person, die Hand verschwörerisch vor den Mund platziert, zum Betrachter hin um, während sie in der anderen Hand einen undefinierbaren Gegenstand hält. Dann gibt es diesen riesigen rosa Elefanten mit glühenden Augen, der sich vor einer Straßenkulisse aus pechschwarzen Gebäuden und feuerroten Bäumen aufbäumt („performance II“, 2022). Ein skurriles, wenn auch unheimliches Szenario, das in einem weiteren, ebenfalls in kontrastreichen Schwarz- und Neontönen gehaltenem Bild wieder eine andere Wendung nimmt. Hier führt der rosa Elefant mit einem Alter Ego des Künstlers, der auf dem Rüssel des Tiers tanzt, in freundschaftlicher Verbundenheit eine Art Zirkustrick auf, vor einer Manege aus neongelben, kahlen Platanen, als absolutes Peter Doig-Moment.
Das Thema Körperlichkeit und vor allem die physische wie psychische Macht, mit der sich der Körper anderen gegenüber versucht zu behaupten – sexuell, queer, dominant oder unterwürfig – spielt daher in Florian Krewers Werk eine hervorgehobene Rolle. Die manchmal explizit sexualisierten Szenen und mythischen Mensch-Tier Chimären, platziert vor unwirkliche (Stadt)kulissen, erzählen vom Prozess der Selbstfindung in einer durch Hip-Hop geprägten urbanen Pop-Kultur, die aus einem ganz bestimmten Grund so brutal erscheint. Denn wie bei den anderen Künstlerinnen spielt auch hier wieder der durch Social Media produzierte Überfluss an Bilder und Wahlmöglichkeiten mit hinein. In Florian Krewers Malereien ergießt sich dieser in einem spürbaren Zwang zur Inszenierung, der selbst die alltäglichsten Momente verzerrt, wie ein über die Realität gelegter, omnipräsenter Filter.
In ihrer künstlerischen Auseinandersetzung mit dem Thema Körperlichkeit zeigen Carina Brandes, Florian Krewer und Raphaela Simons das breite Spektrum ästhetischer Strategien auf, mit dem sich Körpererfahrung und Identität in der zeitgenössischen Kunst aktuell verhandeln lassen. In ihren jeweiligen Standpunkten weisen die Künstler*innen aber auch darauf hin, dass der Begriff der Körperlichkeit noch viel zu ungenau gefasst ist. Denn nicht in der Umsetzung in der Kunst liegt der Konflikt. Vielmehr sind es die vielen verschiedenen Gebiete, auf denen Konzepte von Körperlichkeit gebildet werden und die zahlreichen Faktoren, die den Begriff prägen und manipulieren, welche die Beschäftigung mit diesem Thema in der Kunst so tückisch machen. Die Arbeiten von Carina Brandes, Florian Krewer und Raphaela Simons weisen darauf hin, dass die Definition des Begriffskomplexes Körperlichkeit gerade erst begonnen hat. Es ist vermutlich nicht diese Verwirrung, auf den der Titel der Ausstellung anspielt. Aber es könnte ziemlich gut passen.