Ich muss zugeben, dass auch ich mittlerweile den Rundgang der Kunstakademie Düsseldorf mit der Erwartung besuche, eine Ausstellung geboten zu bekommen. Vielmehr als einen Einblick in Arbeiten aus dem Ausbildungsprozess von Student*innen zu erhalten, geht man mit der Haltung heran, ,,fertige“ Kunstwerke von Nachwuchsstars zu sehen, große Professorennamen locken, das Gefühl, diese oder jene Klasse zu betreten, ist beinahe religiös. Kunst, vor allem die von sich entwickelnden jungen Menschen, braucht weder Mythos noch Hype. Und doch tut sich etwas in den Fluren und Sälen, das den Eindruck einer Ausstellung für mich bestätigt: der Rundgang als Gesamtkonzept nimmt mehr und mehr Gesicht an, wird strukturierter, irgendwie erwachsener.
Ein Stichwort, was diesen Eindruck treffend beschreibt, ist das der ,,Ausgewogenheit“. Eva Birkenstock, Direktorin des Kunstvereins Düsseldorf, benutzt diesen Begriff während des Führung-Sprints durch neun ausgewählte Säle immer wieder, wenn sie beschreibt, wie die Werke der einzelnen Künstler in der Präsentation im Raum aufeinander abgestimmt sind und in ihren Aussagen im Dialog stehen. Und dann ist da noch eine Tendenz, die ich während des Besuchs der Auswahl von Klassenpräsentationen und Abschlussarbeiten einzelner Künstler*innen erspüre: die Schaffung von erfahrbaren, betretbaren Sphären. Das Kunstwerks wird auf den gesamten Raum erweitert und häufig zusätzlich durch Performance und Partizipation vermittelt. Die ,,Fertigkeit“ dieser, ganz ehrlich, gewagten Initiativen, die niemals überzogen oder dilettantisch wirken, ist beeindruckend.
Wir beginnen im Erdgeschoss mit der Klasse Rita Mc Bride. Bildhauerische Arbeiten und konzeptuelle Kunst überwiegen in dieser Klasse wie auch noch in den vielen folgenden Räumen, die Eva ausgesucht hat. Beschäftigungsgegenstand der Klasse ist die Kategorie des Prototyps. In der Mitte versperrt ein weißer gemauerter Block die Sicht – Barrieren und Blickparcours werden sich noch fortsetzen als Thema – dahinter ist eine Art Sportgerät auf einem Tisch platziert, an einer Wand hängt eine Plastik, die wie ein Stück glitzernder Meeresboden aussieht und an einer Wand dreht sich sehr markant ein weißer Block mit vier gewinkelten, wie sich im Lauf befindenden Beinen – wie ein Hakenkreuz! Eine Dame aus der Gruppe ist erschreckt. Eva weißt uns auf einen Paravin aus Metall hin, an denen an Haken archaische Gegenstände hängen, ein Fell, ein Netz oder ein wie ein Edelstein aussehendes Gebilde aus Kunstharz. Das Ganze sei eine materielle Umsetzung des imaginären Skizzenbuchs der Künstlerin. Weiter macht Eva uns auf eine weiße Skulptur aufmerksam, die wie eine Bank aussieht und offensichtlich auch als solche genutzt wird. Versehen mit einer sich verändernden Beschichtung, die die ,,Spuren des Rundgangs“ aufnehmen soll, spielt das Kunstwerk mit der ihm anheftenden Ambivalenz.
Als nächstes besichtigen wir die Abschlussarbeit von der Dominique Gonzales-Foerster Schülerin Catherina Cramer. Die Klasse von Gonzales-Foerster hat im Rundgang eine gewisse Omnipräsenz, denn sie ist, wie über ein stylisches Poster kommuniziert, ,,Kooperationen“ mit anderen Klassen eingegangen und tritt auch ausserhalb der Kunstakademie in Erscheinung, wie im FFT. Deswegen also ist die halbe Buchhandlung König pink beleuchtet! Catherina hat sich mit den prekären Wohnverhältnissen in den USA beschäftigt, wo Menschen aus Not in Storage-Container einziehen. Angelehnt an dieses erschütternde Phänomen und die Überlegung, dass wir Menschen auch aus materiellem Überfluss heraus unser gesamtes Leben in diese Miet-Container verlagern, hat die Künstlerin in einer entsprechenden Stätte in Düsseldorf einen surreal-futuristischen Film in einer solchen Box gedreht. In einer metallernen, anorganischen Umgebung spielen sich schrille Szenarios ab, ein Laboratorium wird betrieben, Personen liegen zwischen quietschbuntem Mobiliar gelangweilt herum, untermalt mit dem Geplapper computeranimierte Stimmen. Es ist eine dekadente Endzeitstimmung. Der Betrachter kann sich es sich in Sitzsäcken zwischen Containerplatten selbst (un)bequem machen. Solche cineastischen, interaktiven Momente sind eine weitere Besonderheit dieses Rundganges.
Es folgt eine kurzer Abstecher in die Klasse Hörnschemeyer, eine Bildhauerklasse, und so stehen wieder skulpturale Arbeiten und Rauminstallationen im Fokus. Über die Pelzjacken, die an der hohen Decke an Ketten über zerpflückten Resten von Fell herunterhängen, als wäre sie jemand am Rupfen, erfahren wir nichts weiter, aber den Stahlzaun, der den Eintritt in den Raum beschränkt, erwähnt Eva als besonders mutigen Eingriff eines gerade erst eingestiegenen Künstlers, als kleine Gesten anzusehen wären die Mitten im Raum an Fäden installierten Taschenlampen und ganz oben hat ein Künstler eine verputzte Nische wieder ,,geöffnet“, indem er sie mit einer Jalousie verdeckt hat, zwei Beine schauen heraus. Und auch alle diese Kunstwerke, wie wir lernen, interagieren wieder miteinander in einem geschlossenen Raumkonzept.
Eine Etage höher folgen wir Eva in einen dieser Gonzales-Foerster Kooperationsräume, hier ist es ein Zusammenschluss mit der Fotoklasse von Christopher Williams und der für Szenografie bekannten Künstlerin. Die Kunstwerke in diesem Raum, Fotografien, Videoarbeiten, Malereinen und Skulpturen, stehen über das Thema ,,subversive Körper“ im Dialog. Es geht um die Entwicklung der Gestalt im Raum als künstlerischen Prozess, aber auch um Blicklenkung und Parcours. Deswegen ist von der Empore aus ein grüner Vorhang gehängt. Die fotografische Arbeit des Künstlers, der uns in dem Raum empfängt, soll, wie er erzählt, zunächst von Blicken abgeschirmt sein. Sein Beitrag ist ein milchig weißes Bild mit glänzender Oberfläche, aus dem unscharfe schwarze Stellen hervortreten, Kritzeleien, kopierte Photos oder Bestandteile anderer Werke, das lässt sich kaum erkennen. Manches in dem Bild ist digital gezeichnet, anderes von Hand gedruckt, eine Unruhe bleibt. Diese Arbeit steht thematisch im Zusammenhang mit anderen Werken wie einem überdimensionalen Digitalabzug von einer Frau, der wir in Untersicht auf ihr Höschen schauen, einem Video von einem nackigem Torso eines Mannes, der sich gerade so windet, dass die Kamera nicht sein Geschlecht einfängt und einem Video, wo der Mond am Himmel in Düsseldorf verfolgt wird. Auch formale Elemente bilden Bezüge zwischen den Werken, wie die Form des Mondes die in der Fotoarbeit des Künstlers durch einkopierte runde Befestigungsmagneten aufgegriffen wird.
Raumatmosphären und der Ansatz eines begehbaren Kunstwerkes lassen sich auch wieder erkennen im Saal der Grafikdesign-Klasse John Morton. Wie ein Klassenschüler uns erklärt, hat die Klasse eine eigene Publikation herausgebracht zum Werk ,,Solid Objects“ von Virginia Wolf. Ausdrucks- und Interpretationsexperimente mit dem Werk spielen in der im Saal omnipräsenten Publikation in Form eines Taschenbuches genauso eine Rolle, wie ein Ausloten der Möglichkeiten der Drucktechnik, wie durch verschiedene Setzungen des Buchstaben-Bleisatzes. Am interessantesten ist jedoch, dass sich die Publikation durch die Gestaltung des Raumes selbst inhaltlich erfahren lässt, das Licht ist gedämpft, auf dem Boden ist ein beiger Teppich verlegt, mitten im Raum, beschienen mit tief hängenden Neonröhren, steht ein niedriger Tisch, auf dem die Publikationen ausgelegt sind. Ergänzt wird das Interieur durch ein Regal in der Ecke, der Raum ist sparsam mit Pflanzen ausgeschmückt. Auf den Büchern liegen jeweils mysteriöse, nicht ganz zuordbare Objekte. Die Künstler*innen habe sie hier platziert als einen Hinweis auf ihre Auseinandersetzung mit den fanatischen Projektionen, die den ,,solid objects“ in Woolfs Werk angeheftet wird.
Ein Werk als sich endlos fortsetzender Ausdruck im Raum stellt im buchstäblichen Sinne auch die Abschlusspräsentation von Valerie Buchow und Nina Mick dar. Ausgehend von einem alten Poesiealbum haben sie im ,,Konstitutiv der Möglichkeiten“ eine schier endlose Produktionsreihe von Drucken (,,Visografien“) angefertigt, bei der Druckmaterial immer wieder mit den gleichen Farbvorgaben durch eine Maschine gezogen wird, was in einer immer weiter fortsetzbaren Reihe Unikate produziert. Ein leicht pinkstichiges Rot und Schwarz sind die in den Drucken dominierenden Farben, die schon an der Außenwand zusammengekleistert wie Flugblätter eine Art politisches Programm zu verkünden scheinen. Auf den Papieren sind schemenhaft verschwommene Abbildungen und Textzeilen erkennbar, Fragmente des ursprünglichen Poesiealbums. Im Raum wird der gleiche Ansatz weiterverfolgt mit Kalenderblättern, die als Ganzes eine rot-rosa Tapete bilden. Auf der Empore liegen archivarische Materialien aus, die dem Projekt zu Grunde liegen, wie das Poesiealbum, an den Wänden sind einzelne Drucke gerahmt. Weiter ist der Raum ausgestattet mit humorvollen Skulpturen, die vom Material angelehnt sind an Ständer von Infusionen. ,,Me too dry“ prangert in großer Schrift aus Kupferpapier, die tatsächlich unter Strom steht, an einer Wand und spielt scheinbar unschuldig auf die feministische Debatte an. Das ,,Konstitutiv der Möglichkeiten“ spiegelt auch als Raum die der Arbeit selbst zu Grunde liegende Methode der Collage wieder.
Neben Klassenräumen, in denen die Künstler*innen ihre Werke als ein ganzheitliches Konzept präsentieren, hat Eva auch solche ausgesucht, in denen die Arbeit das Produkt der Kooperation einer ganzen Klasse ist. Dies ist eine weitere Besonderheit dieses Rundganges, die Auszeichnungen gewonnen hat. Gruppenprojekte stimmen mich in der Regel skeptisch. Wie kann aus individuellen künstlerischen Beiträgen tatsächlich ein neues stimmiges Ganzes entstehen? Die folgenden beiden Räume der Klasse Trisha Donnelly und des Gruppenprojektes ,,ONEIRO“ der Klasse Dominique Gonzales-Foerster räumen auf mit meinen Vorurteilen.
Bei Trisha Donnelly betritt man keinen Raum, sondern ein ganzes Konzept, nämlich eine Bar, die eigentliche Theke ist sehr klein, nur wie eine Durchreiche eingerahmt von deckenhohen Stoffbahnen, die jede/r Student*in jeweils angefertigt hat. Der Eindruck dieses riesigen bunten und multimateriellen Vorhanges, dem ein schwarz lackierter Fußboden und eine große Bank gegenüberstehen, dominiert den visuellen Eindruck. Eva hat es schon erwähnt, hier kann man Essen und Lose kaufen, und was für Essen, nämlich grünen Humus in Austernschalen, wie es schon auf dem stylischen Screen vor dem Eingang beworben wurde. Natürlich traut sich keiner und so muss Eva mitmachen, wir können nur Staunen, wie die Bezahlung vom hell hinterschienenen Kassentresen charismatisch entgegengenommen wird und weiter links dann wie von Zauberhand das Austernschalen-Aperitif hindurchgereicht wird. Ich frage mich, ob das Fremdeln mit der Situation dieses doch recht komfortablen Raumes daran liegt, dass wir mit dem Kauf in das Skript eines nicht ganz klaren Szenarios einsteigen. Wie ich später erfahre, ist der Verkauf von proteinhaltigen Speisen eine subtile Geste, die auf den der Menschheit in dreißig Jahren prognostizierten bevorstehenden Proteinmangel verweist. There is a world behind the curtain.
Das Gruppenprojekt ,,ONEIRO“ der Klasse Dominique Gonzales-Foerster zeigt, dass auf dem Rundgang das Thema Partizipation und Atmosphären mit dem Kauf von Speisen an einer ,,Bar“ noch nicht erschöpft ist. Es ist einem, als betrete man ein schrilles Kino, wenn man an einem helllila Tresen vor dem Raum erstmal Eintrittskarten erwerben muss. Hier kann man nicht einfach so rein und raus, denn hinter dem Eingangsforum erwartet einem einen völlig andere Welt, man tritt ein in einen hypnotisch pink ausgeleuchteten Raum, eine Weltraumlounge mit hellem Teppich, Sitzinseln und Vorhängen, alles in weiß. Es ist ein Interieur, das einem in seiner gedämpften Behaglichkeit den Schutz eines Schlaflabors bietet. Das Besondere sind aber die Bewohner dieser, so ist tatsächlich das Konzept dieses Raumes angelegt, sphärischen Traumwelt. Eine junge Frau im Look einer Cyborg-Weltraumprinzessin rezitiert in einer hallenden Siri-App Stimme Posts aus Onlineforen von einem Smartphone, begleitet durch einen Schlafwandelnden. An einem Automaten kann man Sektpiccoloflaschen erwerben. Aber ich habe das Gefühl, dass es dann langsam schwer wird, an die Außenwelt zu treten, wenn ich so tief in dieses Experiment versinke.
Entsprechend des Schwerpunktes der Führung auf Skulptur und Gesamtinstallation besuchen wir zum Abschluss eine weitere Klassenpräsentation der Professorin Rita Mc Bride, und wieder bauen sich die Werke um die Idee des Prototypen auf. Zwei Künstler sind zur Stelle, um uns ihre Werke zu erklären. Einer von ihnen arbeitet mit dem Begriff der Malerei und der seriellen Erweiterung und präsentiert fünf gestaffelt übereinander angeheftete Bilder, die matt blau-silbrig schimmern und ein unperfektes Pflanzenmuster wiedergeben, das jedes mal ein bisschen anders verläuft. Der Künstler hat sich konventioneller Materialien bedient, Ölfarbe und Leinwand, für den Farbauftrag aber eine Silikonrolle mit einem eingestanztem Muster benutzt, die ein Handwerkerwerkzeug ist um möglichst sparsam Farbe aufzutragen. Weißgoldene Ornamentik und der eher prekäre Hintergrund der Technik ist das Spannungsfeld, in dem der Künstler sein Werk sieht.
Ein anderer Student erklärt uns den Hintergrund einer Skulptur, die auf den ersten Blick an eine in einer Zwinge sich befindende mit Rillen versehende Plastiktür erinnert, bis der Blick genauer über die Einbuchtungen der weißen Platte und den Ständer wandert, man versucht Bekanntes darin zu sehen. Denn das ganze strahlt eine futuristische Funktionalität aus, obwohl das Ensemble ganz klar zwecklos konstruiert ist. Denis hat sich mit dem populären Image von Hightech beschäftigt, wie es sich in vielen Produkten und der Architektur heute niederschlägt. Obwohl wir ihre Funktionsweise oft nicht verstehen, umgibt diese Dinge eine futuristische Aura, die unseren kollektiven Glauben an die Technologisierung widerspiegelt. Die Skulptur ist wie ein Modell zu sehen für die Erforschung der Grundzüge dieser Aura an einem zweckbefreiten Gegenstand. Andere Werke wie erneut die sich wandelnde Patina-Bank und die Einnahme der riesigen Fensterfläche durch eine Burgenbogen-Beklebung schaffen auch hier wieder eine stimmige ,,ausgewogene“ Gesamtinstallation.
Was bleibt vom Rundgang 2019? Viele Eindrücke des Rundganges finden nicht am Kunstwerk, sondern im Raum, im Dazwischen statt. Wer weiß, wie minuziös in Ausstellungen an der Gestaltung der Räumen und der Platzierung der Werke im Raum gearbeitet wird, ist erstaunt von der bereits zitierten ,,Fertigkeit“, von der ich in meiner Wahrnehmung die Studierenden des Rundganges, wenn nicht den Rundgang selbst, eigentlich so gerne befreien möchte. Aber sie haben es trotzdem geschafft in ihren Klassenpräsentationen, durch Stimmungen, Sichtlenkungen und Parcours, scheinbar beiläufig diese ganzheitlichen Eindrücken zu erzeugen, an derer wir eine gute Ausstellung messen. Atmospheric enterprise.