Mehr noch als in den Inhalten oder Richtungen ihrer Werke, sind es oft gemeinsam geteilte Erfahrungen, in denen sich Künstlerinnen auf ihren Wegen immer wieder kreuzen und begegnen. Die Künstlerinnen Dorothy Iannone (*1933 in Boston, lebt und arbeitet in Berlin) und Juliette Blightman (*1980 in Großbritannien, lebt und arbeitet in Farnham) hatten ein solches Begegnungsmoment, welches von den widersprüchlichen Erfahrungen von Zensur und Zulassung von Kunst mit sexuell expliziten Darstellungen handelt. Anknüpfend an gemeinsame Erlebnisse der Künstlerinnen mit der Kunsthalle Bern, welche Iannone 1969 ausschloss und 2016 Blightman einlud – die Zensurhistorie ihrer Künstlerkollegin aufgreifend zeigte Blightman sexuell aufgeladene Werke – haben die Künstlerinnen mit ,,The Köln Concert“ im Kölnischen Kunstverein eine Ausstellungskooperation ins Leben gerufen, die einen als erneuter Blick auf die Geschehnisse von damals diesen eine neue, spritzige Pointe verleiht.
Im programmatischen Zentrum des ,,Köln Concert“ steht Iannone’s ikonische und mit Darstellungen sexueller Szenen zwischen ihr und ihrem damaligen Partner Dieter Roth wesentliches Ziel von Zensurmaßnahmen darstellende Zeichnungsserie ,,(Ta)Rot Pack“ (1968-69). Blightman, die mit Iannone einen Ansatz teilt, in dem biografische, eigene Erfahrungen in der Rolle als Frau aber auch intime Alltagsmomente und tiefere Empfindungen in einer symbolischen, Zeitlichkeit auflösenden und universell ansprechenden Bildsprache zum Ausdruck kommen, reagiert mit einem eigenen Set von Zeichnungen und Fotografien auf das ,,Tarot-Deck“ ihrer Kollegin. In Ästhetik und Generation an unterschiedlichen Polen verlagert, treffen in den Räumen des Kölnischen Kunstvereins Zeichnungen, bemalte Figuren, Wandmalereien, Skulpturen und Videoarbeiten aufeinander, welche diesen gleichklingend energischen, strahlend-bunten Ruf nach weiblicher Autonomie, der Bejahung von (sexueller) Energie und Befreiung aus Geschlechterklischees mittels deren frecher Parodie aussenden.
Schauplatz dieses symphonische Dialoges zwischen Iannone und Blightman ist die große, lichtdurchflutete Ausstellungshalle im Erdgeschoss, in der ein recht offen konzipierter Parcours zwischen den Werken der Künstlerinnen angelegt ist. Dieser beginnt mit Werken Blightmans – den knallgrünen, solarbetriebenen Planschbecken-Brunnen mit Kaktusphalli (,,Jouissance #1-#2“, 2020), einem pinken Transparent bemalt mit der ,,Pussy-Flower“ (2020) und der Bleistift und Gouachearbeiten-Serie ,,Stages of Seed Development“ (2020). Allmählich treten mit heroisch-appolonisch anmutende Aufstell-Figuren und auf eingezogenen Ausstellungswänden präsentierten, von der Freiheitsstatue inspirierten Wandmalereien der ,,My Liberties“ Serie (2019) auch Werke von Iannone dazu. In ihrer selbstbewussten, spielerischen Ästhetik so wie einer direkten, durch Geschlechtsmerkmale (oder deren Mimesis) und intime Tabus spielerisch kommunizierende Symbolsprache, harmonisieren die Werke der Künstlerinnen miteinander. Mit dem Ansatz eines universellen, mal offensichtlichen, mal feinfühligen, poetischen bis rätselhaften künstlerischen Ausdrucks, der sich dennoch sehr individuell und unverkennbar unterschiedlich in den Werken niederschlägt, scheinen beide Künstlerinnen den gleichen Ton zu treffen: eine Kunst, die mittels Humor und Gefühl ein Stück aus sich selbst heraustretend, anspricht.
Dem Schlüsselwerk der Ausstellung ,,(Ta)Rot Pack“ (1968-69) begegnet man erst recht spät, während Blightmans Reaktion ,,Stages of Seed Development“, durch die einem Kartdendeck ähnliche Anbringung aus mehreren einzelnen gleichformatigen zeichnerischen Arbeiten formal sehr eng auf das Beispiel von Iannone antwortend, gleich zu Beginn zu sehen ist. Diese Hängung erlaubt jedoch unter einem frischen Eindruck – den eigenen und doch leicht subtiler klingenden künstlerischen Ansatz von Blightman – dem bereits durch seine ganz eigene Skandalgeschichte gekennzeichnet Werk ,,(Ta)Rot Pack“ zu begegnen. Die verschiedene sexuelle Handlungen zwischen dem Paar Iannone und Roth aber auch andere Alltagshandlungen und erzählerische Motive abbildenden siebenundzwanzig Filzstift-Zeichnungen des ,,Tarots“ bestechen durch kontrastreiche Farben und eine Comic-artige, durch Ornamentik verschnörkelte Ästhetik. Schmale Augen, runde Gesichter und Münder sowie schwarze Haare geben den Figuren, hauptsächlich Dieter Roth und der sich in den Mitt-Dreißigern befindenden Iannone, aber auch anderen bisweilen weiteren auftauchenden Personen einen märchenhaften, fast orientalischen Look. Besonders ihrem Alter-ego, wie Roth meistens nackt dargestellt, hat die Künstlerin durch voluminöse Haare und erotischem Körperschmuck ein fast Göttinnen-gleiches Aussehen verliehen. Sex, ebenso detailliert wie auch komisch vereinfacht dargestellt, ist ein unverkennbares Element. Die harmonische und symbolisch dekorierte Einheit, in der die Figuren dargestellt sind, erzählt jedoch auch von einem spirituellen Zusammenkommen – Sex als eine Art Kraftquelle. Was hier thematisiert wird ist letztendlich das Leben und eine Art Ode auf die Beziehung eines Paares.
Mit feinen Zeichnungen von Alltagsmomenten und rätselhaften Auftritten von Pflanzen in einer spezifischen wie auch unbestimmten inneren und äußeren städtischen Umgebung und verfasst in einem etwas zurückhaltender gehaltenen Farbklang, erscheint Blightmans Bilderdeck ,,Stages of Seed Development“ thematisch und stilistisch zunächst sehr verschieden von seinem knalligen Inspirationswerk aus den Sechziger Jahren. In den achtundzwanzig einzelnen Werken, Fotos und Zeichnungen, scheint eine Art Geschichte erzählt zu werden. In dieser tauchen als Protagonisten Pflanzen auf, real und als Fantasiewesen, Orte aus dem Stadtraum und dem Wohnumfeld, aber auch Klos scheinen als symbolische Orte ein Rolle zu spielen. Pflanzen wuchern in viele dieser Szenen hinein, Zeichnungen intimer Momente, häufig als Bleistiftzeichnung belassen oder nur zum Teil ausgemalt, wechseln sich ab mit Fotografien aus dem Privatleben. Ein Foto von Samen der ,,Pussy Flower“ und des Kaktus Brunnens formuliert eine Verbindung zu anderen Werken der Ausstellung. ,,Stages of Seed Development“ deutet eine Art Verwandlung des Alltags an, von dem unklar ist, inwiefern er Erfahrungen der Künstlerin wiedergibt oder mehr als metaphorische Montage gemeint ist für ein bestimmtes Gefühl, Erwachen oder Entdecken einer mystischen Kraft. Mit diesem Prinzip Blightmans, häufig über solche auffällig zufälligen Bilder und Momente aus dem Persönlichem Universelles zu kommunizieren, erscheint wieder eine große Ähnlichkeit zu Iannones Lebenswelten sexueller Energie beschwörendem ,,(Ta)Rot Pack“ (1968-69).
Eine Art Ungezwungenheit im Ausdruck, man könnte es Humor oder Wagemut nennen, sticht so mehr und mehr als gemeinsame Ebene der Künstlerinnen hervor. Die installativen Arbeiten begegnen sich als gewollt farbenfrohe und fröhliche, den freien naiven Ausdruck feiernde Objekte, die als Kulissen miteinander die Atmosphäre eines Jahrmarktes kreieren. Auf diesem Jahrmarkt, dessen Attraktionen aus der Nachahmung und plakativen Auftritt von Geschlechtsmerkmalen und einer zugleich tief amerikanischen wie mythologischen Superhelden-Symbolik bestehen, wird eine lebensbejahende, sexuelle Energie zelebriert. Während Blightman’s ,,Pussy Flower“ Malerei (2020) einer floral anmutenden Vulva und die über Solarbetrieb ,,eruptierenden“ knallgrünen Kaktus-Phalli ,,Jouissance“ (2020) sexuelle Energie über eine Pflanzen-Mimesis eine karikaturistische Note verleihen, kommunizieren Iannone’s barbusigen Freiheitsstatuen ,,My Liberties“ (2019) und das ihr Geschlecht wie eine spirituelle Quelle offen präsentierendes Figurenpaar ,,Lady Liberty“ und ,,Lord-Liberty“ (2019) eine Kraft, die aus der einfachen, emanzipierten Geste der Nacktheit als Position-Einnehmen für die Freiheit entsteht.
Im zweiten Obergeschoss des Kunstvereins gehen Blightman und Iannone ein weiteres Duett ein. Blightman hat dem Raum eine ander-örtliche Atmosphäre hinzugefügt durch das Anlegen eine Art äußeren Wohnzimmers im für den Besucher nicht zugänglichen Terrassenbereich mit Kunstrasen, einem Kaminsims und barocken Gartenmöbeln, in dem man wie in ein Aquarium schaut. In den Ausstellungsraum geholt durch einen gegenüber angebrachten, mit einem antiken Stuhl dekorierten Spiegel, bietet dieses Arrangement den Rahmen für eine weitere zeichnerisch-szenische Arbeit von Iannone, ,,The Story Of Bern“ (Or) Showing Colours“ (1970). In dem auf einem Bildschirm in Dias gezeigtes Künstlerbuch, erzählt die Künstlerin wie in einem Comic und ausgeschmückt durch unzählige Haupt- und Nebencharaktere von dem damaligen Erlebnis der Zurückweisung der Ausstellung der eigenen Arbeiten durch die Kunsthalle Bern beziehungsweise das diese repräsentierende konservative männliche Establishment. Erneut besticht eine fröhliche, ornamentale und selbstbewusste Ästhetik, hier ganz in schwarz-weiß ausgeschmückt, die inhaltlich ein wenig Iannone und ihren Kreis zu Superhelden stilisiert. Trotzt dieser leichten Oberflächlichkeit werden in ,,The Story Of Bern“ (Or) Showing Colours“ präzise die Machtverhältnisse in einer zermürbenden Auseinandersetzung um die Freiheit der Kunst und ihrer Schaffer*innen nachgezeichnet, wie man sie heute vielleicht nur meint nicht mehr führen zu müssen.
,,The Köln Concert“ ist so etwas wie die verpasste Zugabe der beiden zurücklegenden Ausstellungen der Künstlerinnen in Bern, als sich ihre Wege für einen Moment gekreuzt haben. Mit ,,The Köln Concert“ scheinen Blightman und Iannone etwas auszuarbeiten, was sie damals gerne in gegenseitiger Bestärkung der eigenen Erfahrungen laut hinausgerufen hätten: Die Bejahung der eigenen Ästhetik, der eigenen Position, der eigenen Sexualität. Im Kölnischen Kunstverein ist nun endlich einmal alles möglich, in einer Version, die ebenso auf den vergangenen Werks-Kontext referiert, wie neue Einsichten für die Gegenwart entwirft. Es ist erstaunlich, wie die Werke dieser beiden sehr unterschiedlich gelagerten Künstlerinnen nicht nur ästhetisch und inhaltlich sich miteinander anfreunden, sondern auch im gegenseitigen Kontakt den Geltungskreis der Arbeiten der jeweils anderen erweitern. ,,The Köln Concert“ ist ein Lobgesang auf eine neue Idee von Freiheit und Selbstbestimmung, persönlich wie universell, die aus diesem Duett zwischen zweier Generationen von Künstlerinnen entsteht von dem man hofft, dass es ein Beispiel für viele Weitere sein wird.