Muss sich Malerei den Themen und Codes der zeitgenössischen Kunst widmen? Anstatt diese Diskussion voranzutreiben, besteht die wirklich spannende Frage doch eigentlich darin zu betrachten, was passiert, wenn sie dies nicht tut. Raffiniert, vielfältig und voller überraschender Pointen beleuchtet die neue Direktorin des Kölnischen Kunstvereins Valérie Knoll (vormals Kunsthalle Bern) diesen Punkt in ihre erste Ausstellung, die sich ausschließlich der Malerei widmet. Im Fokus von HOI KÖLN stehen nicht die hochaktuellen Positionen, die sich gekonnt entlang von Diskursen bewegen, sondern solche Künstler*innen, die eine Weile mit ihrem Malen auch im stilistischen oder thematischen Abseits standen. Anhand einer weit gefächerten Auswahl von Maler*innen, mit denen die Direktorin in vielen Fällen bereits zusammengearbeitet hat, lädt Valérie Knoll die Betrachter*innen zu einer Begegnung mit der Bandbreite des Mediums ein. Damit hinterfragt sie auch die etablierten Kriterien, nach denen bestimmten Richtungen Legitimität verliehen wird – und die schließlich auch von bestimmten Moden abhängig sind.
Eine der ersten Positionen, der man im Ausstellungsraum des Erdgeschosses begegnet, fordert den Malereibegriff gleich heraus. Es handelt sich um einen Vorhang aus rotem italienischem Samt von Emil Michael Klein (*1982 in München, lebt in Zürich), der wie ein Theatervorhang auf einer von der Decke herabhängenden Stange drapiert ist und zunächst den Blick in den Raum versperrt. Klein ist auch Maler, weitere Bilder, auf denen blaue Linien wie Wasseradern den beigen Bildgrund durchtrennen, sind ebenfalls in der Ausstellung präsent. Obwohl sich die Vorhänge eher als Installationen qualifizieren, sind sie doch eng mit der Tradition der Malerei verbunden, wenn man an die Rolle der Darstellung des Faltenwurfs oder der hohen symbolischen Bedeutung von Vorhängen in klassischen Gemälden denkt.
Hinter dem Vorhang beginnt eine Stellwand, die den Raum diagonal in der Mitte durchtrennt und entlang derer die Werke in regelmäßigen Abständen gehängt sind. Unterschiedliche Formate und Stile begegnen sich hier ohne Scheu, sodass eine sehr ungezwungene Atmosphäre entsteht, als würde man eine private Sammlung betreten. Dies ist ganz im Sinne der Kuratorin Valérie Knoll, die offenlegt, dass es sich hier um eine subtile Auswahl an Künstler*innen handelt, die ihrem persönlichen Blick folgt. Bekannte Namen wie Fischli Weiss (Peter Fischli, *1952 in Zürich, David Weiss *1946 in Zürich–2012), die hier mit einem scheinbar nachlässig drapierten Set von bemalten Bildträgern und Malutensilien vertreten sind, die tatsächlich aufwendig aus Polyutheran hergestellt wurden, sind hier rar. Doch gerade diese Ausklammerung des Bekanntheitsfaktors macht den Reiz der Ausstellung aus.
So trifft man am Anfang der Präsentation auf eine kleinformatige Malerei, auf der Dennis Scholl (*1980 in Hünfeld, lebt in Berlin) seine Tochter lebensecht abgebildet hat, die sich Gedankenversunken die Haare kämmt, mit einem ins Unbekannte abschweifenden Blick, der irgendwie seltsam wissend, gar nicht mehr kindlich ist. Das durch seine rätselhafte Dunkelheit an den Maler Balthus erinnernde Bild hat Valérie Knoll ausgewählt, da sie die Entscheidung des Künstlers schätzt, sich konsequent dem Figürlichen hinzuwenden. Ein Parkett, das seit Jahrzehnten einen extrem schwierigen Rang innerhalb des Mediums besetzt. Um ein solches „widerspenstiges Malen“ geht es oft in HOI KÖLN. Einer der unter Insider*innen am meisten gefeierte Vertreter dieser Haltung ist der schweizer Maler Jean-Frédéric Schnyder (*1945 in Zug, lebt in Basel), der sich in seiner Karriere gänzlich aus allen Konventionen herausmalte. Banale, teils kindliche Charaktere wie ein rosa Riesenbaby vor einem Brettspielfeld, ein fröhliches Pony, Fantasiegestalten oder eine doppelte Replik der Moretti-Bierfigur vor einer Alpenlandschaft füllen seinen eigenwilligen Kosmos aus.
Die Art und Weise, wie die einzelnen Positionen den Diskursen der Kunstwelt widerstehen, ist sehr unterschiedlich. Der Hang zum Figürlichen ist ein Kriterium, das auch tiefgründige Künstler*innen schnell unter dem Radar der Öffentlichkeit laufen lässt. Zu diesen zählt Amelie von Wulffen (*1966 in Breitenbrunn, lebt in Berlin), die in ihren realistischen, dennoch recht expressiv und frei gemalten Werken der deutschen Nachkriegsgeschichte und einer weiterhin bestehenden Verdrängung historischer Traumata Ausdruck verleiht. Zu sehen von ihr sind eine Innenansicht eines Hauses aus ihrem Berliner Nachbarschaftsbezirk, in dem ein Klavier von körperlosen Unterarmen bespielt wird sowie eine Szene aus einem Regionalzug mit Vater und Sohn, der vor einer düsteren Landschaft vorbeizieht. Seltsame Details in Form von Bildern im Bild, wie das Muster einer Blumenvase oder die grellen Drucke auf den T-Shirts der Passagiere spielen eine hervorgehoben Rolle in den Werken, die in ihrer bisweilen rohen, naiven Wirkung dennoch unergründlich sind.
Überhaupt stößt man in HOI KÖLN häufig auf Künstler*innen, die sich Stilmitteln und Techniken zuwenden, die schon in der früheren Geschichte der zeitgenössischen Kunst bearbeitet wurden und heute nicht mehr die große Aufmerksamkeit bekommen. Monika Baer (*1964 in Freiburg, lebt in Berlin) ist mit ihren in Serie realisierten, (teil-)abstrakten Farb- und Formstudien, in der sie bestimmte Motive malerisch bis zum Limit ausreizt, sehr erfolgreich. Vera Palme (*1983 in Frankfurt, lebt ebenda) hingegen, die sich in ihren pastösen, strak flächig orientierten Bildern der Tradition der abstrakten Malerei nachspürt, wurde in ihrer Aufarbeitung des Modernismus lange übersehen. Über jegliche Klassifizierungen des Werkes nach Trend oder Diskurs setzt sich die junge Künstlerin Lorenza Longhi (*1991 in Lecco, lebt in Zürich) hinweg, indem sie sich längst durchexerzierten Techniken wie der Collage und Assemblagen zuwendet. Auf eine Leinwand, die in ihrem Zartrosa fast zerbrechlich wirkt, hat sie durch den Abdruck einer Folie ein komplexes Muster angebracht. Beschriftete schwarze Vinylquadrate, die auf einer weißen kreisrunden Fläche haften, verleihen der Komposition das Aussehen einer abgerissenen Plakatwand. Auf mit Stoff und Reste von Tapeten bezogene Holzplatten wiederum trägt Longhi mit Siebdruck stilisierte florale Muster auf. Eine Geste, die ein wenig an Andy Warhol erinnert, in der Kombination aus Popkultur und vergänglichen Materialien aber auch etwas Eigenes schafft.
Werk für Werk tritt in HOI KÖLN so ein diverses Feld zutage, in dem sich Künstler*innen außerhalb aktueller Diskurse behaupten. Dieser Schritt hinaus aus der geschlossenen Diskussion verschafft nicht nur Positionen eine Präsenz, die laut Meinung von Valérie Knoll zu Unrecht bisher keine Aufmerksamkeit erhalten haben. Ihre Werksauswahl macht auch die Fragwürdigkeit bestimmter Kriterien sichtbar, nach der Künstler*innen lange ausgegrenzt wurden. An der Tatsache, dass man in Positionen, die für einen gewissen Zeitraum nicht den Tendenzen der Kunstwelt entsprachen, auf einmal eine neue Relevanz entdeckt, zeigt sich die Schnelllebigkeit von Malereidiskursen, auf die man sich besser nicht immer verlassen sollte.
Die über Siebzigjährige Künstlerin Barbara Zenner (*in Hamburg, lebt ebenda) von der hier klaustrophobisch anmutende, stark graphisch gestaltete Innenräume zu sehen sind, mag eine dieser Übersehenen sein. Die Künstlerin hat mit ihren verzerrten, kulissenhaften Räumen, in denen die Grauen einer gefängnisartigen Häuslichkeit aufleben, nicht nur ein eigenes Genre geschaffen. Auch die augentäuschende Suggestion von bemalter Leinwand, welche sie durch aufgeklebten, mit Graphitzeichnungen versehenen Karton erreicht, in den die Motive teils hineingestickt sind, ist einzigartig. Wie Barbara Zenner widersetzt sich auch der international bekannte britische Künstler und Kippenberger-Assistent Merlin Carpenter (*1967 in Pembury, lebt in Shepperton) dem Wertigkeitsanspruch der Malerei, indem er große Keilrahmen mit Transportdecken bespannt, die für den Transport von Kunstwerken benutzt werden. Während die zahlreichen bunten Recyclingsfasern ihren eigenen malerischen Reiz entfalten, spielt die Arbeit auf die unzähligen, stark marktorientierten und willkürlichen Gesten an, die im Kunstbetrieb notwendig sind, um den Wert eines Kunstwerkes aufrechtzuerhalten.
Durch den Dialog solcher teils etablierter, teils unbekannter, aber stets leicht unkonventioneller Positionen schafft die Ausstellung auch eine Basis, an die sich junge Künstler*innen anschließen können, die selbst neue Wege gehen. Hansi Fuchs (*2000 in Linz, lebt in Hamburg) hat in den Etagen eines Design-Regals verschiedene Miniatur-Kulissen errichtet, die wie in einem Puppenhaus unterschiedliche Modelle verkörpern, wie Erinnerung funktioniert. In ihrem Werk verknüpft die Künstlerin spielerisch verschiedene kunsthistorische Referenzen und Techniken. Im Studio in der 2. Etage des Kunstvereins treffen zwei gleichaltrige Künstler*innen aufeinander, die im Kleinformat arbeiten. In einer 30-teiligen Serie, von der hier knapp die Hälfte zu sehen ist, nimmt Jakob Buchner (*1987, lebt in Paris und Wien) die immer gleiche Silhouette eines Fensters zum Ausgangspunkt, um die Glasflächen mit verschieden Changierungen von Wolken, Himmel, Licht und Spiegelungen zu füllen. Maggie Lees (*1987 Westfield, New Jersey, lebt in New York) feine, collagierte Arbeiten, auf denen sie Fotografien, Sticker und Glitzer anbringt, scheinen mit ihren gefühlvollen, etwas kitschig wie zutiefst persönlichen Bildwelten das Konzept von kawaii zu erfüllen, wenn auch auf melancholische Weise.
Valérie Knoll will eindeutig mehr Farbe in unser Malereiverständnis bringen. Ihre Ausstellung ist auch ein Plädoyer, dass es lustiger und trivialer zugehen sollte, denn das Urteil der Banalität, unter der ein Großteil der Malerei immer wieder subsumiert wurde, ist in sich selbst letztendlich tendenziös und ideologisch. Diesem Gedanken folgend erlaubt HOI KÖLN auch, sich an der Malerei und ihrer mal mehr, mal weniger gelungenen Nachahmung der Realität erfreuen zu dürfen. Der augentäuschende Fotorealismus von zerknüllten, zauberhaft schillernden Party-Folienballons, die Megan Francis Sullivan (*1975 in Conneticut, lebt in Berlin) mit Ölfarbe auf Multiplexplatten mit gemalt hat, begeistert. Milena Büsch (*1980, lebt in Berlin) wiederum, die sich aus künstlerischer Bescheidenheit an Vorlagen orientiert, konfrontiert die Betrachter*innen mit einer Collage aus Dutzenden übermalten Titelseiten von Klatschmagazinen. Die leicht grob nachgemalten Schriftzüge und Gesichter der Persönlichkeiten aus Adel und (C-)Prominenz verleihen den Covern eine plakative Präsenz, der man sich nicht entziehen kann.
Ein Feuerwerk der Farben und einen erweiterten Malereibegriff verkörpert schließlich auch Kaspar Müllers (*1983 in Schaffhausen, Schweiz, lebt in Berlin und Zürich) Installation aus Glühbirnen und Lampen, die zu wilden Ensembles zusammengeschraubt sind. In den psychedelischen, einen kindlichen Zauber ausstrahlenden Readymades fusionieren hochwertige Design-Glaslampen mit Trödel und billiger Online-Ware. „Mehr Licht“ scheint auch das Motto der Antrittsausstellung und Werksauswahl von Valérie Knoll zu sein. Mit der Offenlegung ihrer persönlichen Liebe zur Malerei arbeitet sie damit auch eine verdächtige Tradition des Kölnischen Kunstvereins auf, in dem es in den ersten Jahrzehnten seit der Gründung kaum Malereiausstellungen gegeben hat, obwohl der Kunststandort Köln hier eine starke Geschichte aufweist. Diese Geste ist zugleich ein Rückverweis auf die Historie des Gebäudes, in dem ursprünglich der British Council saß und das nie als Kunstinstitution gebaut wurde. Die heute als Hauptausstellungsraum genutzte Fläche im Erdgeschoss mit ihren Glasfronten zu beiden Seiten und mit starker Lichteinstrahlung ist für Malerei-Ausstellungen eigentlich ungeeignet.
In der Eigenheit der präsentierten Künstler*innen, den Themen und Trends der Gegenwart zu widerstehen, sieht Valérie Knoll somit das Potential eines Malens, als „Handeln gegen den Strich, das mit einem zarten Lächeln aus der gesellschaftlichen Übereinkunft herausschwimmt“. Diese Perspektive lässt Vielversprechendes in den nächsten zwei Episoden Im Bauch der Maschine (ab 1. Dezember) und Albtraum Malerei (ab 2. Februar 2024) der Ausstellung erwarten. Der neuen Direktorin liegt es mit ihrer persönlich gestalteten Präsentation eines der weiterhin zugänglichsten (und daher wohl auch am Meisten zerrissenen) Medien der zeitgenössischen Kunst damit auch um eine Begegnung auf Augenhöhe mit dem rheinischen Publikum. Vor allem eine wichtige Frage gibt Knoll uns mit: passiert nicht ein fundamentaler Fehler, wenn in Zeiten des Umbruchs immer nur nach vorne, aber nie zurückgeschaut wird?