Mit dem Konzept des ,,Partizipativen“ sind Performances mittlerweile auf der Ebene des Betrachters angekommen. Doch trotzt des beteiligenden Charakters kommt auch diese neuere Form nicht ohne eine festgeschriebene Rollenverteilung zwischen dem Performer und dem Besucher aus, der sich in einen für ihn vorgesehen Part einfügen muss. Geht das auch anders? In einer Ausstellung des KIT in Düsseldorf (,,SOMMER“) zeigt eine Reihe junger Künstlerinnen, dass es für die Einbindung des Betrachters in Performances weder Skripte noch Rollen braucht. Anstatt dessen entwerfen sie offene Situationen, die sich wie Filmsets begehen lassen und in denen die individuelle Erfahrung des Betrachters im Zentrum steht. In ihren Arbeiten bieten Maïly Beyrens, Verena Buttmann, Signe Raunkjær Holm und Ji Hyung Song eine Begegnung lediglich an. So kann am Ende auch allein die Erkundung der im Raum aufgebauten Szenerie das Erlebnis darstellen.
Die Ausstellung ,,SOMMER“, begrifflich angelehnt an den flüchtigen und transitorischen Moment, reagiert mit den unterschiedlichen Raumentwürfen jeder Performance auf die Räumlichkeiten des KIT. Die mal atemberaubend weiten, mal klamm beengenden Decken und Wände des KIT aus dem warm wie kalt wirkenden hellgrauen Beton bilden gleichzeitig die Begrenzungen der Situationen, die sich in die Begebenheiten einfügen ohne sich jedoch davon einschränken zu lassen. Den Raum, den man in ,,SOMMER“dann begeht, ist auf der einen Seite die räumlich bespielte Tunnelarchitektur des KIT, auf der anderen Seite eine über die einzelnen Performance – Plätze hinausgehende szenische Intention. Wie Raum und Intention miteinander agieren und dabei auch Gegensätzlichkeiten aufbauen, über die sich der Besucher als Teil der Performance dann eingeladen ist hinwegzusetzen, zeigt sehr schön die Arbeit ,,Die Kammer“ von Verena Buttmann. Als physische Situation begegnet sie einem als eine weite, mitten im Raum von Wand zu Wand reichenden, schwarz lackierten, flache Holzbühne, in deren Kreis man aus umgebenden Lautsprechern die Stimme der Künstlerin hört, die einen Text rezitiert. Ein bewusst angelegter Moment des Zögerns die Plattform zu betreten, entsteht unweigerlich und besonders dann, wenn Künstlerin und Performer auf der Bühne anwesend sind, die, so will es die Künstlerin, jedoch den Besucher gar nicht an der Überquerung hindern sollen und auch nicht können, denn um die nächste künstlerische Position zu erreichen, muss diese Bühne, die vielleicht gar nicht als eine solche gemeint ist, zwangsläufig überquert werden.
Um das performative Werk zu begreifen, muss man sich auf die Worte von Buttmann einlassen, denn die Sprache und das Gesprochene als bedeutendes Zeichen oder auch nur Klang stellt die Grundlage ihres künstlerischen Arbeitens dar. Buttmann testet Wortwahlen und Formulierungen und spielt sie dann, soweit sie für sie einen Rhythmus ergeben, in den Raum. Die von ihr in ,,Die Kammer“ aneinandergereihten Sätzen tragen, obwohl sie untereinander keinen Sinn ergeben, alle eine gewisse Bedeutungsschwere, ein Potential, dass sich mit ihnen etwas ändert. Sie sind wie aus verschiedenen literarischen Quellen, Filmen oder dem Alltag zusammengeschnitten, mal im heute zu hause, mal entstammen sie der Vergangenheit. Manches davon klingt schwülstig oder altertümlich, wie aus einem Roman oder einem Liebesgedicht, eine dramatische Handlung deutet sich an, man hält die Luft an, doch dann bricht dieser Strang wieder ab – ,,Das wirst Du dann schon sehen“. Buttmann gibt der Sprache ihre Magie zurück, macht das Gefühl deutlich, welches manches Gesagte begleitet, aber in der Flut der Äußerungen und der ständig geforderten unmittelbaren Deutung untergeht. Die Performer verstärken den Zauber des Gesagten, indem sie wie ferngesteuert mit leisen Bewegungen und Gesten auf die Worte Buttmanns reagieren. Während man versucht, im Schreiten über die Bühne der stetig sich steigernden wie abbremsenden Erzählung der Künstlerin zu folgen, entsteht die Frage, ob wir, wenn wir uns wie Buttmann einmal unsere Worte auf der Zunge zergehen lassen, nicht jeden Tag Theater spielen.
Das Prinzip der Performance als offene Zirkulation, das Setting als Möglichkeitspotential, in dem sich der Betrachter seinen Entscheidungen nach bewegen kann, wird auch in Signe Raunkjær Holm’s Arbeit. ,,Wie es euch gefällt“ aufgegriffen. Die Künstlerin sieht den Menschen im Alltag stetig durch Handlungsnormen gesteuert, so dass wir den Regeln der umgebenden sozialen Räume nach ständig zu Performern werden, ohne uns dessen bewusst zu sein. Ihre Arbeit aus einem Raumkonzept aus antiken städtischen Parkbänken, Rosenbögen, Scheinwerfern und Fotostudioleinwänden, zurückhaltend in schwarzen Metallkonstruktionen gehalten, entwirft so eine Modell-Umgebung für Handlungspotentiale, die auf der Idee des Gartens als Ort für Begegnungen mit seinen dezent angelegten Weglenkungen aufbaut. Ein im Raum gespielter Soundtrack aus Filmmusik untermalt den szenischen Charakter des Ortes, über Kopfhörer ist eine von Holm’s eingespielte fragmentarische Narration verfolgbar, die wie eine leitende Stimme aus dem Off fungiert, insofern sich der Begeher der Installation darauf einlassen möchte.
Diesem Prinzip, sich in einem bestimmten Umfeld den eigenen Handlungsentscheidungen bewusst zu werden, sei es Ausübung oder Überlassung, folgen auch die sich in dem Setting aufhaltenden Performer, die frei von Holm entworfene Anweisungen ausführen, die alltäglich erscheinen und Begegnungen schaffen, in denen von Außen nicht sicher ist, wer Besucher ist und wer Performer. Das Interessante an Holms Performancekonzept ist, dass selbst der sich aus Allem raushaltende Besucher, der nicht mit den Performern interagiert, nicht vor einer Fotowand posiert oder nicht ihrer Stimme über die Kopfhörer lauscht, durch die Umgebung in seinen Handlungen gesteuert wird – auch der Handlungsverzicht stellt eine aktive Entscheidung dar, zu der einen der Gartenparcours verleitet. Warum setze ich mich auf eine Bank oder nicht? Was passiert, wenn ich mich darauf einlasse? Macht es einen Unterschied, wenn ich es nicht tue? Holm entwirft mit ihrem szenischem Setting einen Spielplatz, auf dem mittels der Dynamik des Ausprobieren und Einlassens die subtilen sozialen Manipulationen erfahrbar werden, denen unsere Handlungen im Alltag ausgesetzt sind.
An dieses Prinzip der Performance als Einladung zum Teilnehmen nicht als Handlungsvorgabe, sondern eher als Assistenz, Möglichkeit, Unterstützung, wenn man möchte und Freude an der Interaktion findet, ist ebenfalls Ji hyung Songs Arbeit ,,Do you Feel me“ angelehnt. Die Arbeit kreist um die Tätigkeit des Angelns und besticht allein durch die Ästhetik ihrer räumlichen Konstruktion. Denn Song hat in der Ecke ganz vorne im Ausstellungsraum, wo die Wände spitz zusammenlaufen, von allen Seiten blau ausgeleuchtet eine Angelplattform aufgebaut, nach deren Logik man sich nun unter der Wasseroberfläche befindet. An zwei Wänden werden in weißen Vitrinen schillernde Schätze aufbewahrt, die von Song selbst aufwendig aus Kunststoff gegossenen in ihrer Farbigkeit an Angelköder erinnern und in dieser Situation (man fühlt sich geneigt zu sagen ,,Spiel“ und daran hätte die Künstlerin gar nichts auszusetzen) die ,,Fische“ sind. Wie es als Anleitung an die Wand gedruckt ist, baut ,,Do you feel me“ auf dem Prinzip des Geben und Nehmens auf und setzt so eine Rollenverteilung zwischen den Besuchern voraus, die sich jedoch zufällig ergibt und nicht der Steuerung der Performance unterliegt.
Song möchte in dem Angelspiel, das einiges an Geschick, Geduld, aber auch Selbstlosigkeit erfordert das zentrale gesellschaftliches Prinzip des Altruismus simulieren, indem die eine Partei die Platform als Angler erklimmt, während die andere Partei sich dazu bereit erklärt, aus den Vitrinen Fische an die unter der Plattform herabhängenden Angelhaken zu hängen, die die erfolgreichen Angler dann als Geschenk mitnehmen dürfen. In dem aufregenden Wasserwelt – Setting, was genauso in einer Spieleshow aufgebaut sein könnte, sind so Interaktionen zwischen Unbekannten angelegt, deren Ergebnis völlig offen ist. Behält der oder die Anglerin ihren Schatz oder sucht diese nicht doch die Person, die den Fisch für sie ausgesucht und angehängt hat und erwägt, dieses Geschenk zurückzugeben? ,,Do you feel me“, im Titel anspielend sowohl auf das mitfühlende Zuhören und Verstehen untereinander, als auch das durch das Anhängen ausgelöste Gefühl der Präsenz einer anderen Person, ist eine dieser typischen performerischen Gesten der Künstlerin, wo der Betrachter sanft eingeladen wird in einen minuziös von Song vorbereiteten Prozess, der ganz angenehm und spielerisch erscheint, dabei gleichzeitig uns über unser menschliches Miteinander im Kern zusammenhaltende Prinzipien nachdenken lässt.
Performances arbeiten, auch wenn sie ganz klar kein Theaterstück darstellen, immer zu einem gewissen Grad mit den Regeln einer Aufführung. Maïly Beyrens performative Arbeit ,,Transit“ bricht mit diesem grundlegendem Prinzip, indem dieses im niedrigen Eingangsbereich des KIT in Form eines aus niedrigen Regalen, Schränken, Schreibtischen und sämtlichen Arbeitsmitteln eines Büro-Lagers realisiertes Raumkonzept keine Handlungen simuliert, sondern den Ort bildet, an dem mit Hilfe von drei Mitarbeitern eine für den Zeitraum der Ausstellung gegründete Gegenstände sammelnden und lagernden Transport- und Verkaufsfirma betrieben wird. Diese Firma, die samt Logo und Internetauftritt unter dem Namen ,,VBD Transit Co.“ agiert, ist offen für den Betrachter, man kann sie betreten, beim Empfang Platz nehmen, die MitarbeiterInnen sind jederzeit für Fragen offen und können einem das Betriebsystem oder den aktuellen Stand der Geschäfte erklären.
Es ist diese Transparenz, die das Ganze seltsam macht, denn als Betrachter kommt man nicht umhin, das installierte Geschehen als Performance aufzunehmen. So scheint die umständliche Praxis des Katalogisierens von gefundenen oder entgegengenommenen Gegenständen durch das Anlegen von Akten und das Hinterlegen dieser Mappen in den vielen beschrifteten Plastikboxen näher an einer geskripteten Handlung als am Betrieb einer echten Firma. Und trotzdem ist ,,Transit“, wenn auch in etwas improvisierter Form, eine vollumfänglich arbeitende, bei eBay eingetragene Firma, die im Außen unter ihrem Firmennamen ,,VBD Transit Co.“ ihre Geschäftstätigkeiten ausführen wird. So wird mit diesem konsequentem und doch irgendwie humorvoll angelegtem Unterfangen von Beyrens deutlich, dass der Definitionsbereich von ,,Performance“ viel schwieriger zu ziehen ist, als man aus der Erfahrung meint. ,,Transit“ ist ein Appell daran, dass das Potential der performativen Kunst auch weiter flexibler Betrachtungen bedarf, welche diese spannende Uneinordbarkeit des Performativen in der Kunst gerade zulassen, die die schon mehrere Zenits erreichte ,,Performance“ weiter lebendig hält.
Ganz selbstverständlich, als wäre es eine Leichtigkeit haben die jungen Künstlerinnen mit ,,SOMMER“, versammelt von Ji hyung Song, einen neuen Typus Performance hervorgebracht. In diesem müssen Personen, Räume und Handlungen nicht performativ ,,aktiviert“ werden – alles ist bereits lebendig, weil es die Wahrnehmung des Betrachters ist, in der und durch die bestimmte Dinge geschehen oder nicht. Nicht die von Außen aufgetragene Botschaft des Künstlers, sondern die individuelle innere Erfahrung einer spezifischen Situation und das Umgehen damit stehen im Zentrum der Arbeiten. ,,SOMMER“ spielt, wie der Titel sagt, durch seine inszenierten Begegnungen auf die Romantik des Vergänglichen an. Doch vielleicht ist dieser beinahe cineastische, simulierte eine Augenblick genau die momenthafte Essenz, auf die es ankommt, ein Wert, auf den wir uns hier und dort in unserem Leben mehr konzentrieren sollten.