Als ich die drei Künstler*innen Teresa Linhard , Marc Nötges und Fabian Sokolowski im Innenhof des FREIRAUM Kollaborativer Konzeptions- und Arbeitsort in Düsseldorf-Flingern treffe, stecken sie noch mitten in den letzten Vorbereitungen für die am nächsten Tag eröffnende Ausstellung „In Samt gegossen“. Vielleicht sollte ich ganz klar sagen Ihre Ausstellung, denn die drei Student*innen der Kunstakademie Düsseldorf leisten hier, wie ich schnell erfahre, etwas ganz Besonderes. Es ist das erste Mal, dass in dem sich wie ein rechteckiger Pavillon in den Innenhof einfügendem Raum, der bisher für Tanz- und Performanceprojekte genutzt wird und früher eine Fliesenfabrik war, bildende Künstler ausstellen. Was mich neben der lockeren und gelösten Atmosphäre, welche die Drei als Freunde und Gesinnungsgenossen ausstrahlen, besonders beeindruckt, ist, wie gut es dem Team gelungen ist, diesen für Kunstausstellungen nicht ganz einfachen Ort, der auf der Hofseite von einer durchgehenden Fensterfront dominierten wird, mit ihren Werken zu gestalten. Man muss dazu sagen, dass alle drei Künstler*innen in völlig unterschiedlichen Medien beheimatet sind. Theresa beschäftigt sich mit Textilien und exploriert Webetechnicken, Marc hat einen Hintergrund im Fach Architektur und arbeitet für die Ausstellung ausschließlich mit Ton und Fabian, von dem ich bisher nur großflächige abstrakte Malereien kannte, stößt hier außerdem in die Bereiche der Skulptur und Medienkunst vor.
Was Teresa, Marc und Fabian mit ihrem Projekt „In Samt gegossen“ anhand ihrer ganz eigene Programme und Stimmungen mitbringenden Werken gelingt, ist mehr als ein Spiel der ästhetischen Platzierung und Gegenüberstellung, sondern eine höchst spannenden Exploration des Raumes, auf dessen architektonische Bedingungen, inklusive eines die lange Raumwand bedeckenden türkisen Fliesenspiegels, die Werke sensibel reagieren. In der Ausstellungen erfährt man so vielschichtige Ebenen der Wahrnehmung: die Werke, den Raum sowie eine komplexe wie simple Werke-Raum Synthese. Der besonderen, offenen Beschaffenheit des FREIRAUMS entsprechend, zeigen sich beim Eintreten alle Werke auf einmal. Zunächst trifft man auf dem Boden ausgelegt eine relativ zentral im Raum platzierte Arbeit aus dünnen Webstücken von Teresa, eine rechteckige, als Präsentationsfläche für Fotografien dienende rechteckige Säule im hinteren linken Teil sowie großformatige beschriftete Platten aus hartem dunklem Kunststoff und eine wandeinnehmende Malerei von Fabian sind in der Nähe der rechten Raumecke zu sehen, während Marcs Tonskulpturen sich an verschiedenen Stellen des Raumes an die Architektur anlehnen.
Marcs abstrakte Objekte aus genormten, ungebrannten Tonplatten, folgen einem bestimmten Prozess, der mit ihrer Platzierung im Ausstellungsraum noch nicht abgeschlossen ist. Die Platten werden vor Ort aus größeren Tonblöcken geschnitten und dann zu architektonisch erscheinenden Gebilden nach den Regeln der Physik, zusammengesetzt welche dieses verformbare Material gerade zulässt. Als Ergebnis entstehen an eine Synthese aus modernistisch und archaisch erinnernde Körper, die etwas Bauliches, Modellhaftes in sich tragen. Eines der Objekte nimmt dabei die Dimensionen einer mit zwei schmalen Durchgucken versehen Wand ein, die ein wenig an Schießscharten in einer Burg erinnern. Die Platten sind dieses Mal mit Nylonfäden miteinander verbunden. Das Kulissenhafte lässt an Konstruktionsstudien denken, was allerdings nicht in der Intention des Künstlers liegt. Denn Marc befindet sich, wie er erzählt, auf einem sehr spannenden Weg, auf dem er versucht, das Architektonische, in dem er ausgebildet ist, gerade zu umgehen. Stattdessen schafft er Strukturen, die nicht dem Diktat der Funktionalität, sondern den Regeln des Materials folgen. Entleert von der Bedeutungsebene, für etwas zu stehen, sind seine auf bauliche Strukturen wie eine Treppe und eine Säule reagierenden Objekte Teil eines Kreisprozesses, indem die verwendeten Tonplatten wieder zusammengepresst und weiterverwendet werden. Es ist diese Methodenverbundenheit und eine subtile Hinterfragung fixer Regeln des architektonischen Denkens, welches heute zu einer geisterhaften Uniformität im Stadtbild führt, die Marcs Tonobjekte für mich so besonders machen.
Mit Blick auf die Bedeutung von Methoden und die Erkundung eines in der einen Richtung fest abgesteckten wie in der anderen unendlich weiten Rahmens, zeigen sich bestimmte Parallelen zwischen der Arbeitsweise und den Werken von Marc und Theresa. Denn Teresa arbeitet mit dem Weben von Matten auf einem Handwebstuhl ebenfalls sehr prozesshaft. Es ist für die Künstlerin noch ein neues Gebiet, auf dem sie sich hier bewegt und in dem sie sowohl eine Reflektion über das Medium der Textilkunst und seiner Technik als auch eigene Impressionen und kulturanthropologische Aspekte zum Ausdruck bringt. Es ist diese noch bestehende Offenheit und die sich gerade in der Erschließung befindenden Potentiale, welche die hier zu einer Fläche ausgelegten, kupfer-braunen Matten in Bastoptik so reizvoll machen. Teresa hat diese Installationen an Eindrücke aus ihrem Alltag während eines Aufenthaltes in Vietnam angelehnt, wo die Mittagspause der Händler und Arbeiter stets durch das auslegen von Matten eingeleutet wurde, auf dem dann die gemeinsame Malzeit verspeist wurde. Dieser vielen Ländern gemeinsame Brauch durch das Auslegen einfacher Tücher, einen eigenen Ort zum Niederlassen zu markieren, ist Teresa im Gedächtnis geblieben und hat sie zu der Simulation eines solchen Platzes inspiriert. Die Verwendung unterschiedlicher Webstoffe, eine zurückhaltende, ein wenig mit Ethno-Optik spielende Ästhetik, sowie ein symbolisch erscheinendes System feiner weißer eingewebter Linien zeigen, dass die Künstlerin sehr bewusst die Möglichkeiten des Textilen untersucht. Als interessantes Gegenspiel ist an der hinterliegenden Wand eine Fotografie eines riesigen Farngewächses aufgehängt, welches oberflächlich das Motiv des Exotischen weiterzuführen scheint, aber tatsächlich aus dem Diafundus der Reisefotos von Teresas Eltern entstammt und hier farblich und thematisch übereinstimmend mit den Matten implizit als Anekdote die Sehsucht nach Reise und Ferne der Künstlerin ausdrückt.
Fabian führt mich zuerst zu der hoch ragenden Steele aus schwarzen und unbelassennen Holzplatten, welche die linke Ecke des Ausstellungsraumes einnimmt. Die Struktur des des Objektes ist an Verschalungen baulicher Elemente angelehnt, die Fabian in einer Bahnhofsunterführung entdeckt hat. Für die Arbeitsweise des Künstlers ist diese Übernahme von strukturellen Bestandteilen und Komponenten aus dem öffentlichen Raum typisch. In der Präsentation dient die Säule als Display für Fotografien des Künstlers, die ebenfalls beiläufig in der städtischen Umgebung entstanden sind und jeweils einen Abfalleimer und einen undefinierbaren Stapel Dinge zeigen, die durch Planen oder Plastikfolien verhüllt sind. Die Objekte haben Fabian durch ihren spannenden, zufälligen Faltenwurf interessiert. Zusammen ergibt sich bei der Steele als einer für bauliche Maßnahmen genutztem Objekt und den Fotografien mit den Planen so eine konzeptuelle Parallel, indem es sich in beiden Fällen um die Ummantelung von Gegenständen und Blickbarrieren handelt. Fabians großflächige Malerei am gegenüberliegendem Ende des Raumes überrascht mich in der Hinsicht, dass es die einzige im Raum darstellt. Doch diese Position ist mit einer mittig die Leinwand scheinbar aufreissenden schwarz umrandeten, grau-bläulichen Kreisstruktur und rechteckigen Farbakzenten in Ziegel- und Bordeauxrot jeweils am oberen und unteren Rand der Bildfläche stark genug, dass sie den Raum atmosphärisch ausfüllen kann. Diese sich von der Mitte sich ausbreitende Seefläche ist inspiriert von gesprungenen defekten Bodenplatten am Düsseldorfer Hauptbahnhof und zeigt damit wieder Referenzen zu Strukturen aus der öffentlichen Umgebung, denen man sich oft völlig unbewusst ist. Auf den Stadtraum scheint auch der sonst fast ausschließlich in unterschiedlichen Nuancen von Grau bedeckte Bildhintergrund zu referieren, welche sich in verschiedenen Schichten gestaffelt um den Platz in der Vorderfläche zu konkurrieren scheinen, und der nur an wenigen Stellen von grünen Akzenten durchbrochen wird.
An die Wand links von der Malerei gelehnt ist ein weiters Werk von Fabian in der Form zweier zunächst wuchtig erscheinender, an Granit erinnernder und mit Inschriften versehener Platten. Tatsächlich handelt es sich hier um einen genormten Rohstoff aus recyceltem Kunststoff, der beispielsweise für Bänke auf Spielplätzen benutzt wird. Die raue dunkle in unterschiedlichen Tonarten von Schwarz gemaserte Oberfläche macht diese Steinoptik aus. Die in einem handwerklich aufwendigen Prozess eingefrästen lateinischen Wörter, welche eine systematische Liste aller seit der Neuzeit ausgestorbenen Säugetierarten aufführen, sind je nach Lichtsituation leichter oder schwerer lesbar. Mit der Entscheidung für diesen Baustoff will Fabian einen Kreis schließen beginnend mit der Förderung von Erdöl, welches für ihn einen „Datenspeicher“ der darin komprimierter Lebewesen darstellt, deren Energie wir letztendlich verbrauchen, und dann wiederum für die Herstellung von Plastik benutzt wird, bis es schließlich durch Recyclingprozesse in solchen Platten landet. An Grabsteine erinnernd, sind in diesen Reliefs ebenfalls als Datenbank nur eine winzige Auswahl der Lebensformen verewigt, die durch diesen Prozess vernichtet werden.
Was mir bei Fabian, aber auch Teresa und Marc auffällt, ist, dass sie alle mit ihrer Arbeitsweise sehr weit und in sehr eigene Richtungen denken, ganze Bereiche explorieren. Besonders Fabian kommt immer wieder mit überraschenden Interpretationen der Werke seiner Mitstreiter*innen. Die Interpretation etwa, dass Theresa sich mit den feinen weißen sich wiederholenden Linien in ihren Webstücken in einem implizitem mathematisch-symbolischem System bewegt, stammt von ihm. Es ist diese gegenseitige Öffnung zu den Positionen der anderen, welche unter der Gewährung der jeweiligen Eigenständigkeit der individuellen Ansätze die Ausstellung so gut funktionieren lässt. Teresa, Marc und Fabian zeigen mir hier in ihrem Pionierprojekt im FREIRAUM, dass sie sich bereits über das Konzept der „harmonischen Gegenüberstellung“, wie es so gerne zitiert wird, hinausbewegt haben. Welcher Begriff hingegen häufig fällt und viel besser zutrifft, ist der der „Setzungen“. Und in diesem Feld sehe ich das Gelingen der Ausstellung: die souveräne Beherrschung des Raumes und seiner Gesetze anhand der Komposition der Werke als Gesamtheit und in ihrem Dialog untereinander. In diesem Sinne ist „In Samt gegossen“, was ich sehr schön finde, ein Spiegel der Freundschaft und des gegenseitigen Unterstützung der Künstler*innen, im Dreiklang untereinander.