Natur entsteht aus dem Unterschied zum Menschen. Das große Andere da draußen existiert erst aus der Differenz, die ihm gegenüber eingenommen wird. Dennoch dramatisieren wir beständig unser ,,gegensätzliches“ Verhältnis zur Umwelt der anderen Lebewesen, meistens in Form einer ,,Trennung“. Im Werk der Künstlerin Ulrike Rosenbach, berühmt für die Erkundungen weiblicher Subjektivität und ihrer kulturellen und gesellschaftlichen Bedingungen, spielt diese Perspektive auf das Verhältnis zwischen Menschen und Natur als Auseinandersetzung mit dem eigenem Selbst eine gewichtige Rolle. Obwohl Aspekte ganzheitlicher, Kreisläufe bildender Philosophien und Mythen seit den Anfängen von Rosenbach als Beuys-Schülerin und Performance-Künstlerin ihr Schaffen antreiben, ist bis jetzt überraschenderweise wenig über diese aus der Selbst-Begegnung mit der Natur schöpfenden Antriebsquelle bekannt. Eine Ausstellung in der Galerie Gisela Clement, ,,AMA-Zonas“, benannt nach einer 1987 entstandenen gleichnamigen fotografischen Werksserie und Videoinstallation, hat sich vorgenommen anhand eines Spektrums von Videoarbeiten, Fotografien, Zeichnungen und Malereien aus verschiedenen Werksepochen den für Rosenbachs künstlerischen Ansatz zentralen Aspekt der Annäherung von Mensch und Natur wieder ins Bewusstsein zu rücken. ,,AMA-Zonas“ rundet das oft hastig zitierte Bild von Rosenbach als Videokunst-Pionierin und feministische Künstlerin ab, indem sie eine tieferliegende Verbindung mit einer in das ,,Außen“ des Menschen hineinreichende Spiritualität aufdeckt.
Während die werkszentralen, üblicherweise zu sehenden Videoarbeiten einen großen Schwerpunkt in ,,AMA-Zonas“ einnehmen, sind Zeichnungen und Malereien sowie malerisch anmutende fotografische Arbeiten eine der überraschendsten Entdeckungen in der Ausstellung. In einer abwechselnden, schaffensübergreifenden Präsentation beider Medienformen, Video und Zeichnung, gelingt es der Ausstellung unter dem Thema des Differenz-Verhältnis Mensch-Natur, neue Werksbestandteile ins Zentrum zu rücken und einen konzentrierten Blick auf Rosenbach als mit Mitteln der zeichnerischen und malerischen Gestaltung arbeitende Künstlerin zu werfen. Als Besucher stößt man zunächst auf vier schwarz-weiß Dokumentarfotografien, welche Ausschnitte der zwei Performances der Künstlerin ,,ANA’I HAG – Der Wind meiner Träume“ (1986) und ,,Begegnung mit Ewa und Adam“ (1983) in der Neuen Galerie Aachen und später in Boston zeigen. Durch den Einsatz von Ästen und der Überblendung des Körpers der Künstlerin mit Aufnahmen von Baumkronen, arbeiten beide Performances bildlich sehr stark mit Naturmotiven und -symbolik. Die Fotografie einer in einer versunkenen, meditativen Haltung einen Ast vor dem Körper haltenden Rosenbach wird zum Leitmotiv der Ausstellung, in der Naturelemente als Mittel der Introspektion eingesetzt werden.
In der durch ein Video und gerahmte Videostills repräsentierten Performance ,,Tanz um einen Baum“, welche die Künstlerin 1979 anlässlich der Sydney Biennale in einem Park durchführte, wird erneut deutlich, dass Rosenbachs Auseinandersetzung mit der Natur von üblichen klischeehaften Vorstellungen von Nostalgie oder Romantik befreit ist. Wie es sich in ,,Tanz um einen Baum“ zeigt, während der sich Rosenbach auf der Erde rollend in einem definierten Kreis auf der Wiese um einen Baum bewegte und dabei am Kreisrand aufgestellte Spiegelplatten mit einem Schwert zerschlug, sind Elemente der Natur und schamanistischer Mythologie vorhanden, doch gibt es keinen einfachen Weg zurück in eine immer verfügbare ,,Harmonie“. Viel mehr scheint es, als müsste diese Einheit im Durchgehen von Ritualen mental und körperlich erkämpft werden. Mit der Kreisbewegung, der rituellen Handlung sowie der Lokalisierung einer Naturkraft im Zentrum, lassen sich in Rosenbachs Performance in Sidney wesentliche Bestandteile ihrer Erkundung des Mensch-Natur Verhältnisses entdecken. Bereits in ihrer frühesten zeitbasierten Aktion als Beuys-Schülerin in der Düsseldorfer Kunsthalle trat Rosenbach als ,,lebendige Skulptur“ mit einem den gesamten Körper bedeckenden, mit Margeriten gespickten Reifrock auf, unter dem zur Freilassung auserkorene Tauben verborgen waren. Die Aspekte einer spirituellen Logik prägen das Außen des Menschen erkundende Werk Rosenbachs von Beginn an.
Die Auseinandersetzung mit Bäumen beziehungsweise Baumstrukturen, Kraftzentren und Energien findet sich als bildendes Element in den zeichnerischen Werken wieder. In dem imposanten, in Mischtechnik gezeichneten Bild ,, Ekstatischer Baumspringer“ (1986) steht eine an einen Baumstamm erinnernde, aus kraftvollen, mit leuchtende Kontrasten arbeitenden Linien, der ,,Baumrinde“, zusammengesetzte Struktur im Zentrum. Über dieser erhebt sich springend ein Energie funkendes, an eine mythologische Figur erinnerndes androgynes Wesen. In einer Zeichnung von 2011 (Ohne Titel) wiederholen sich mit einer grünen, einem Baumstamm ähnlichen, die zentrale Bildachse bildenden Flächenformation und einer in Collage-Technik davor gesetzten, einem Engel gleichenden, abstrakt gehaltenen und in Körperformen nur angedeutetem Wesen diese Aspekte einer freien, den Kräften der Natur entstammenden, zwischen den Menschen und außer-menschlichen Lebensformen zirkulierenden spirituellen Energie.
Die intime Erforschung des Verhältnisses zwischen Mensch und Natur zeigt sich in weiteren Zeichen- und Collage-Technik vereinenden Werken, mit denen die Präsentation im Obergeschoss beginnt. In Werken wie ,,Schwebender Tantrapilz“ (1998), ,,Mallorca-Olivenhain“ (1992) oder ,,Collage mit Palmblatt“ (2019) deuten die sensiblen, aber auch stark akzentuierte Linien und der mit Symbolik spielenden Ausdruck auf die Existenz eines Bewusstseins für eine ganz bestimmte Energie und geistige Tiefe hin. Diese und weitere im großen Raum links zu sehende Zeichnungen und Zeichnungsserien zeugen von einem seit langem erforschten und thematisierten Verhältnis zur Natur. Rosenbach scheint eine sehr klare Linie in ihrem persönlichen Naturverständnis zu verfolgen, die eine Beseelung erkennen lässt, die selbst den berührt, für den dieses Thema schwer verständlich oder erreichbar ist. Das Motiv sich aus einer mittigen, baumähnlichen Kraft ausstrahlenden transformierenden Energie, aus der mythische Figuren oder Engelswesen hervorgehen, prägt sehr stark sechs verschiedene an zwei Wänden gehängte, großformatige Zeichnungen aus den 1980er Jahren und 2010 und 2013. Das Bild ,,Daphne bricht aus“ (1984), in dem angelehnt an die griechische Sage eine weibliche Gestalt in einer funkenden dynamischen Einheit mit einem Baum erscheint, bildet so etwas wie das Urschema für die Mensch-Baum Verwandlungen und Begegnungen im hier zu sehendem zeichnerischen Werk.
Der verbreiteten Wahrnehmung von Bäumen als imposante, eine eigene Energie ausstrahlende Wesen spürt Rosenbach mit einer tiefen Disziplin nach. So erinnert das großflächige, aus achtundzwanzig einzelnen Blättern bestehende Tableau ,,Die Schlacht der Bäume aus dem Buch der Bäume“ (2020) mit der Wiederkehr in der Mittelachse der Einzelblätter mit entschlossenen Pinselstrichen gesetzter abstrakter, baumähnlicher Strukturen an eine klösterliche kaligrafische Übung, deren Ziel ist, über das konkrete Zeichen nicht das Ding an sich, sondern sein Wesen zu erfassen. Tatsächlich sind die einzelnen Werke spontan wie in eine Art Tagebuch entstanden und befinden sich üblicherweise in gebundener Form. Die dynamischen Haltungen der Baumstrukturen und ihre Energiefeldern gleichenden Sphären bringen einen tänzerischen Aspekt mit, der an eine Anleitung oder schematischen Abzeichnung einer Performance denken lässt. Das Bedürfnis, eine Verbindung zwischen den zeichnerischen Arbeiten und jenem im Profil von Rosenbachs Werk so herausragenden Anteil der Performance- und Videokunst zu finden, begleitet einen stetig.
Die kreisförmig mit Baumrinde umlegte, zusammen mit den Zeichnungen und dem Tableau der aus dem ,,Buch der Bäume“ präsentierte Medieninstallation ,,Isabel im Wald“ (1990) gibt anhand der zentralen Bedeutung des Naturmaterials Rinde und seiner Kreisstruktur sowie Aufnahmen eines vorbei rauschenden Waldes Hinweise auf etwaige Bezüge zu den zeichnerischen Arbeiten. Zu sehen in dem Video ist das immer wieder vorbeiziehende, silbrige Profil eines Frauengesichts, das als Bildmontage vor dunklen Baumspitzen erscheint. Begleitet von einem durchgehenden, wehenden Windgeräusch erscheint die Arbeit durch das Element der ständigen Bewegung und der Wiederkehr wie eine Art Ritual. Und gerade diese sich wiederholende ritualisierte Konzipierung vieler Videoarbeiten aber auch Performances lässt einen erkennen, dass Rosenbach über die Gattungsgrenzen hinaus in ihren Werken etwas beschreibt, das eine sehr grundlegende Erfahrung mit ihrer Umwelt über den Menschen hinaus wiederzugeben scheint.
Umgeben von einer Schicht aus Salz und bedeckt von Zweigen aus dem nahen Wald, bildet wie im Raum zuvor eine ähnlich über einen kreisförmig umgebenden Naturstoff mit dem Raum verbundene Medieninstallation das Zentrum der Werkspräsentation. Die Videoarbeit ,,AMA-Zonas – Seelenzone“ (1987) zeigt in langsamer Folge Bilder aus dem Amazonas Regenwald, welche von Fotografien angefertigt wurden, die Rosenbach dort während eines Aufenthaltes aufgenommen hatte. Zu dem Video ist ein stetiger, subtiler hölzerner Klang wie von einem Stockinstrument zu hören, der geisterhaft klingt und das Fallen geschlagener Bäume signalisiert. Die Fotos aus dem Regenwald, geschossen von einem Flusslauf aus, sind in zwei Sets an einer der umliegenden Wände zu sehen. Mit den sich um die Wasserfläche erhebenden reichen, unendlich erscheinenden Urwaldvegetation vermitteln sie dieses erhabene Gefühl, mitten in einem anderen Reich zu sein, in dem andere Kräfte und Gesetze herrschen. Der um den Monitor gelegte Salzkreis weist auf die Kindheit der Künstlerin in einem Salzabbau Ort hin, die Verbindung von Salz als essentieller und oft auch magisch oder religiös besetzter Naturrohstoff spielt jedoch auch eine Rolle.
Das in den Werken der Ausstellung durchscheinende meditative Element in Rosenbachs Erkundung des Mensch-Natur Verhältnisses kommt erneut in einer Serie aus fünf hohen, großflächige, monochrome Aquarellmalerei mit lichtdurchfluteten Fotografien von Blattwerk kombinierenden Bildern ,,ZENGARTEN“ (1998) zum Ausdruck. Die Werke erscheinen wie Studien zu den Farbtönen Anthrazit, Blau, Grün, Malvenpink und einem Seetangton-ähnlichem Gelbgrün, wobei die Aquarellmalereien jeweils einen Farbton aufzugreifen zu scheinen, der in dem Lichtspiel der Fotografien angelegt ist. Mit der Verarbeitung einer Farbessenz aus einer realen Waldumgebung erscheinen sie wie ein Versuch, ephemere Augenblicke in der Begegnung mit der Natur festzuhalten. Die Idee einer Beseelung des Menschen durch die Natur und ihre Kräfte erreicht eine besonders starke künstlerische Umsetzung in den Werken der als ,,Baumgeister“ bezeichnenden Fotografien und einem in Mischtechnik entstandenen, fotografischen Werk (1994, 1996). Vermutlich zusammengesetzt aus einzelnen Videostills, erscheint jeweils ein einer Erleuchtung gleichendes zentrales Licht in der Silhouette eines Baumes auf der Stirn und zwischen den Augen eines nur schemenhaft erkennbaren, abgeschnittenen Gesichtes. Die Umgebung ist in ein undurchdringliches, tiefes schwarz-grün getaucht, was einen eindringlichen Kontrast bildet zu der Person. Ähnlich Rätselhaftes, von Geistern und Beseelung Erzählendes spielt sich ab in den drei Videostills von ,,Die Schlacht der Bäume (Die Zauberin)“ (1991, 1992), bläulich schimmernde in Bildtechnik abstrakt verzerrte Szenen, die eine Art Ritual und ein Bild von einer mythische Figur zeigen.
,,Natur bedeutet also individuelle geistige Selbsterschließung“, schlussfolgert Mona Stocka* anlässlich der letzten großen Ausstellung der im Kontext mit dem Mensch-Natur Verhältnis stehenden Werke im Saarlandmuseum 2007 über die Auseinandersetzung Rosenbachs mit der Beziehung zwischen dem Menschen und seiner Umwelt, eine Beziehung, die heute kränker und gefährdeter denn je ist. Stockas Feststellung gefällt mir so gut, da sie auf ein ganz wesentliches Element in der für einen noch viel weiteren Bereich einstehenden Werksauswahl in ,,AMA-Zonas“ in der Galerie Gisela Clement aufmerksam macht: Die beständige Arbeit Rosenbachs an der Lokalisierung des Selbst durch eine neue Verbindung zu dem, was wir als das außenliegende ,,Andere“ betrachten. Mit dieser neuen Perspektive auf mit der Natur geteilter und aus ihr bezogener Momente, erscheinen all die symbolischen Handlungen und das Prozesshafte, auf eine neue Ganzheitlichkeit zielende der performancebasierten Arbeiten in einem klareren Licht. Das Licht einer verloren gegangenen oder verloren geglaubten Einheit, auf die sich Rosenbach als Performerin, Videokünstlerin, Zeichnerin, politisch motivierte Künstlerin und Mensch, stetig zubewegt.
*Das weibliche Prinzip des Universums. Zur Natur der Papier- und Videoarbeiten von Ulrike Rosenbach. In: Ulrike Rosenbach: figur/natur. Saarlandmuseum Saarbrücken. 17. Februar bis 15. April 2007.