Die Collagen-Serie ,,The World We Live In“, komponiert aus gefundenen, farbigen Papierbögen und Seiten von Landschaftsaufnahmen aus ehemaligen Ausgaben des LIFE MAGAZIN’s, ist ein kontinuierlicher Bestandteil von Matthew Northridge’s Werk. Entstehend aus der Kombination von nur zwei Grundmaterialien folgt die Serie rahmenlos hinter Glas eingefasster Blätter einem zunächst schlichtem Prinzip. In dieser sich beständig fortsetzenden Zusammenlegung aus farbigen gestaffelten Flächen im Vordergrund und dem nur noch in Randzonen hervorstechendem Landschaftshintergrund entwickeln die Arbeiten eine unglaubliche Vielfalt an Kompositionen, die durch ihre explosive Ausdruckskraft begeistern.
Auf ästhetischer Ebene ist es der Gegensatz zwischen den matten, ausbleichenden Landschaftsaufnahmen im Hintergrund und den nahtlos davor gesetzten kräftigen, sich an ein Grundspektrum von Blau, Rot, Gelb, Grün und Orange haltenden Farben der Papierbögen, welcher die Arbeiten so reizvoll macht. Die mit dreidimensionaler Perspektive spielende, ausgeklügelte Zusammenlegung der Papierstreifen und Flächen schafft die Illusion von Körperlichkeit in den Werken. Vom Aufbau aufwendige, in ihrer Struktur durchaus komplexe Skulpturen heben sich von den verblichenen Naturaufnahmen ab, als wollten sie mit der illusorischen Tiefe der Fotografien konkurrieren. Mit ihren Schleifen, Bögen und einer grafischen Anmutung erinnern die Gebilde an das Stilvokabular der 60er und 70er Jahre. Durch die Widersprüchlichkeit ihrer zusammengefügten Elemente eine ständige Spannung aufrechterhaltend, lädt ,,The World We Live In“ den Betrachter in ein reizvolles Sehspiel ein, in dem sich genaues Erkennen mit dem Einnehmen einer weiteren Perspektive vereint.
Nachdem bisher die Eigenheiten der Vintage-Landschaftsaufnahmen im Mittelpunkt der Collagen standen, konzentriert sich Northridge in den neusten Werken ganz auf die Flächengestaltung im Vordergrund. Die Papierkörper scheinen sich von den Bedingungen des Hintergrundes vollkommen befreit zu haben, und zeigen eine starke Virtuosität, strotzen vor Selbstbewusstsein. Die Körper sind aus einem regelmäßigen Vokabular aus Farben und Formen nahtlos zusammengesetzt, das Erkennen der einzelnen, aneinander gefügten Papierflächen erfordert ein enges Betrachten. Dieser Tiefe und Körperlichkeit vortäuschende Effekt ist äußerst trickreich angelegt. Die Einfachheit der Kompositionstricks, mit der diese Wirkung erzielt wird, schlägt einen immer wieder in den Bann.
In den Bildern stapeln sich Quader übereinander, zwischen denen schmale Streifen ,,Rillen“ bilden. Gelbe, versetzte Rechtecke springen mit einem blauen Schweif aus der Tiefe hervor, ein großer rechteckiger gelb-oranger, in Schrägansicht ins Bild gesetzter Block spaltet sich auf und zeigt eine hellgrüne Fläche in seiner Mitte. Andere Kompositionen erinnern an Bücherregale, Gebäude oder Buchstaben, von denen manche etwa als Mauer aus Röhrenelementen oder Quadern eine Durchsicht zulassen. Jede Collage schafft so etwas wie einen eigenen, autonomen Charakter. Obwohl sich die Regeln der Zusammensetzung und das Material wiederholt, gibt es so gut wie keine Ähnlichkeiten zwischen den Flächenkompositionen.
Immer wieder verleiten die wiederkehrenden Prinzipien der Komposition zu einer Suche nach der Zeichenhaftigkeit in den Arbeiten. Beständig versucht man nicht nur das optische Spiel zu entdecken, sondern auch eine Korrelation zwischen den Arbeiten zu finden. In ,,The World We Live In“ gelingt es Northridge, den Betrachter auf zwei Ebenen des Sehens zu treffen, einmal der des spielerischen Entdeckens und zum zweiten der des dechiffrierenden Erkundens. Als Sehspiel schärft Northrige’s Collagen-Serie so die Aufmerksamkeit für die Vordergrund, Hintergrund und Perspektive ins Verhältnis setzenden Grundprinzipien unserer Wahrnehmung, welche die ,,Welt, in der wir leben“ im Wesentlichen ausmachen.
Noa Yekutieli – Holding Space
Die Welt ist zerbrechlich. Dieses Gefühl der Instabilität, Zersplitterung, aber, als mit diesen Zuständen immer schon verbunden, auch Neuanfang und Heilung sind allgegenwärtig im von der jungen israelisch-japanischen Künstlerin Noa Yekutieli gestaltetem Raum, ,,Holding Space“. Ein von der aus Los Angeles nach Bonn gekommenen Künstlerin vor Ort angefertigter Boden aus lose aneinander gelegten, gegossenen Zementplatten, der unter den Füßen des Besuchers knackt und zerbricht, schärft die Sinne für den hier von den Arbeiten, mehrheitlich Installationen, bildhauerische Arbeiten und Collagen, eröffneten Zustand der Fragmentierung. Die ganze Fläche einer Wand einnehmende, aus schwarzem Papier geschnittene kahle Baumstämme mit ihren sich an beiden Enden wie die Fäden eines Schals ausbreitenden Ästen und Wurzeln, in denen sich die widersprüchlichen Motive von Verwurzelung oder auch Wurzellosigkeit vereinen, bilden zusammen mit dem fragilem Boden den atmosphärischen Ausgangspunkt der Beschäftigung mit den Werken des von Yekutieli gestalteten Raumes.
Yekutieli’s Werk ist in seinen Grundelementen bestechend klar gehalten. Die eng miteinander Bezug nehmenden Arbeiten entstehen alle aus einer schlichten Palette von Materialien, wie gegossenem Zement, Papierbögen und Klebeband, alles spielt sich dabei in einem nüchternem Farbspektrum von Beige, Schwarz und Grau ab. Der über die Kombination dieser Mittel erreichte Gegensatz aus Schwere und Fragilität, Manifestem und Zerbrechlichem, bringt bereits das Thema der Identität und Herkunft mit, welches im Zentrum des Werkes der Künstlerin steht. So wie viele der zu sehenden Arbeiten sich nur lose und lückenhaft zu einem ganzem Bild zusammenfügen, bleiben diese Themenaspekte bei Yekutieli jedoch in einem Schwebezustand, der eine offene Stelle lässt für die Aufnahme verschiedener Erfahrungen und Geschichten.
Formen, fixieren, zerbrechen und neu zusammenfügen: der Prozess der Entstehung von Yekutieli’s Werken erinnert an eine Archäologie, die ihre Artefakte selbst schafft. Der körperliche Umgang mit dem Stoff Zement, die Überführung von flüssigem Material in eine feste Form, die dann in Fragmenten wieder neu arrangiert wird, erinnert an den seelischen Vorgang der Bewältigung und Sortierung von Gedanken oder Erinnerungen. Ähnlich verhält es sich mit den Scherenschnitten: erst durch das Ausschneiden entsteht ein ganzes Bild, in dem die Lücken die eigentliche Geschichte tragen. Die wiederkehrenden Elemente in den Werken von ,,Holding Space“ entziehen sich so der üblichen Zuschreibung: Brüche und Lücken sind nicht unbedingt negativ konotiert, sondern bringen Potentiale der Heilung mit.
Ein entsprechender Reparaturvorgang scheint den an einer Wand montierten, aus Zement gegossenen Felsbrocken vorauszugehen, in deren Oberfläche die Künstlerin Fotografien eingelassen hat und diese Montage dann zusätzlich mit Klebeband umwickelt hat. Die eingelassenen Bilder, angeeignetes Vintage-Material von Panzern und Soldaten, sowie Satellitenaufnahmen von Gebäudekomplexen, scheinen auf eine ganz spezifische Geschichte hinzuweisen. Die auf Leinwänden montierten Installationen von Scherenschnitten und dünnen, in einzelne Stücke zerbrochenen und teils wieder zusammengefügten Zementplatten, erinnern in ihrer Gestalt an Teile von Landkarten. In die Scherenschnitte sind so feine Muster eingeschnitten, dass sie sich ausweiten hin zu ganzen Erzählungen, Erinnerungen oder in Ornament verarbeiteten Sinneseindrücken. Die Gebiete und Bereiche, die Yekutieli hier in scharfen Linien mit Papier und Zement zeichnet, bleiben jedoch unbestimmt.
Der Unbestimmtheit der Archäologie der Fragmente setzt die Künstlerin jedoch auch sehr konkrete Momente entgegen, indem sie in zwei Arbeiten Einblicke in ihr Atelier in Los Angeles gewährt. Jeweils gerahmt zusammen mit Papierfragmente tragenden Zementstücken, zeigt das eine Werk eine Fotografie einer Atelierwand mit der Baumstamm-Arbeit aus der Galerie, vor denen sich am Boden Teile der Zementwerkstatt ausbreiten, und das andere einen Scherenschnitt, in dem sich ein Ausschnitt der daneben gehängten Atelier-Fotografie wiederholt. Anhand dieser dokumentarisch anmutenden Arbeiten erodiert die Künstlerin die Grenzen zwischen Atelier und Ausstellungsraum und fügt den Arbeiten zusammen mit dem Prozess ihrer Herstellung eine sehr persönliche Note hinzu, die wieder starke biografische Aspekte in ihren Werken vermuten lässt. Bei allen möglichen persönlichen Referenzen liegt die Stärke von Yekutieli’s Werk nun gerade darin, eine universelle Sprache für Herkunft, Identitäts- und Erinnerungskultur zu schaffen, einen ,,Holding Space“, in dem die Lücke und der Bruch zur Fülle wird.