Die Präsenz mancher zeitgenössischer Künstler*innen nehme ich wie ein Rauschen war. Hier und da treten sie aus dem Hintergrund und machen kraftvolle Statements und treten dann wieder zurück aus der Aufmerksamkeit. Unabhängig davon, dass sie schon lange an den großen Diskursen teilnehmen, nimmt man die Werke zunächst leise war und dies insbesondere dann, wenn sie durch ihre Herkunft an spezifische Kontexte gebunden angesehen werden. Im Rahmen der Einzelausstellung der georgischen Künstlerin Keti Kapanadze (*1962 in Tiflis) in der Galerie Gisela Clement Bonn wird dieses Rauschen anhand von vier Formen konzeptuell in einem Raum verbundener Installationen, Fotografien und Malereien in eine klare Tonform umgewandelt. In Form eines frischen Einblicks lässt sich Kapanadzes Werk befreit von Begrenzungen auf seinen oft zitierten kulturhistorischen Kontext in seiner unmittelbarer Zeitgenossenschaft erfahren.
Kapanadzes zentrales, ihr Werk antreibendes Thema ist der Entwurf von universellen Zeichensystemen. Die bildnerische Umsetzung in vorhandenes, greifbares und für den Gebrauch als Zeichen unbelegtes oder auch bereits vorbesetztes Material ist oft die Grundlage dieser Entwürfe. Schaut man sich nach diesem Werksansatz in der Ausstellung im Projektraum der Galerie Gisela Clement um, fangen die deckenhohen Installationen aus kreisrunden und ellipsenförmigen, vielfarbigen Holzpaneelen (,,Betwixt 2“, ,,Betwixt 3“, 2018), verbunden über Hand- bis Armlange Holzstümpfe, direkt die Aufmerksamkeit des Betrachters. Die ins zweidimensionale übersetzten Skulpturen sind die prominenteste und auch neuste Werkgruppe der Ausstellung. Es handelt sich materiell, was nicht schwer zu erkennen ist, um Bauteile von Vintage-Tischen, den sogenannten ,,Nierentischchen“, ein Modell der 50er Jahre, die damals für das ,,moderne“ Zuhause als Muss galten. Die Anbringung dieser Bauteile erinnert an ein solares oder molekulares System, das eine Art Wissensordnung zu beschreiben scheint, vom philosophischem Zweigschema des Rhizoms herstammend. Von einem kreisrunden Zentrum aus entwickeln sich Verzweigungen, an deren Enden sich jeweils die buntfarbigen Platten befinden. Dabei entstehen ganz unterschiedliche Konstellationen, so dass man tatsächlich anfängt zu überlegen, ob das Ganze einem Ordnungsschema nach folgt und eine festgelegte Aussage trägt. Ästhetisch harmonisieren die Farben und Formen, teils erinnern die Modulgruppen an die heiteren Gesichter der modernistischen Malerei wie man sie bei Sophie Taeuber Arp oder Max Ernst findet. Den Blick durch die scheinbare Ordnung beruhigt, meint man, die vom Weiten auf modulare Formen reduzierte Tischbestandteile wären für nichts anderes bestimmt, als so ein unverständliches aber doch irgendwie überzeugendes System zu bilden. Erst wenn man näher herantritt, die Gebrauchsspuren und Brüche in den Platten erkennt und so an ihre Herkunft als auseinandergenommene Tischchen erinnert wird, entzaubert sich der Eindruck einer harmonischen Entität.
Kapanadze hat sich als Readymade nicht nur Gegenstände, wie jüngst, sondern auch die Sprache angeeignet, die sie, um diese Inbesitznahme und Ausstattung mit eigenen (Be)deutungen zu kommunizieren, in poliertem Nickel, einem glänzendem Metall, materialisiert. Diese sowohl universelle wie auch poetische, streng formale aber dennoch emotionale Werksform verfolgt die Künstlerin seit langem. In der Ausstellung sehen wir an der der Glasfront des streng quadratischen Raumes gegenüberliegenden Wand nur kurz über der Fussleiste angebracht einen die gesamte Breite einnehmenden Satz aus einem dutzend Wörtern, die jedoch nur unvollständig zu entziffern sind. Einzelne Buchstaben sind nach links verkehrt oder Silben ausgetauscht, was diese Wörter selbst zu Kunstwerken macht. We are only voices of our selfs, forever lost in a jam millions of selfs … lautet der Satz tatsächlich, wenn man flunkert mit einem Blick auf den Ausstellungszettel. Die Botschaft des Satzes lässt sich nie eindeutig schließen, auch bleibt der Satz (bzw. die Installation) durch die anfängliche Unendschlüsselbarkeit wie mit einem Zauber behaftet, der sich auch nach der Entzifferung nicht auflöst. Kapanadze zeigt in diesen in die ikonische Materie glänzendes Metall überführten Wort- und Satz-Installationen, wie sehr wir emotional mit Sprache verbunden sind und dass, obwohl die Wörter uns lexikalisch völlig bekannt sind, es doch scheinbar ein Bedürfnis nach Verzauberung gibt, ein beinah religiöses Verlangen, Wörter buchstäblich ,,fassen“ zu können und doch bei offenen Zeichen zu bleiben.
Weiter begegnet man im Projektraum übermenschlich großen Gliederpuppen aus weißen Holzplatten (,,Alien klein“, Alien groß“, 2018). Die mit farbigen Knöpfen als Scharniere versehenen überlangen Glieder sind sehr sparsam ausgearbeitet, ein rudimentäres Körperschema wird hier präsentiert, das etwas von Kinderspielzeug hat, aber dann doch durch ihre Größe und gleichzeitige Wesens-Anonymität Unwohlsein auslöst. Die Puppen sollen Stellvertreter für den Menschen sein, die funktionelle Flexibilität, die sie haben, besitzen sie nicht selbst, sondern dient als Mittel der Inbesitznahme, die Figur soll form- und anpassbar sein. Natürlich steckt in diesen Figuren eine politische Botschaft, die man wieder auf die Erfahrungen Kapanadzes mit den repressiven Seiten des Kommunismus zurückführenden könnte. In der Gesamtinstallation im Raum selber mit der optischen Dominanz der Ready-Made Rhizome auf zwei Wänden entwickeln sie meinem Eindruck nach nicht das Potential, das ihnen inne ist, vielleicht brauchen sie Verstärkung.
Eine zurückhaltende Erscheinung mit großer Markanz ist eine Videoarbeit der Künstlerin, die in der Form eines winzigen Quadrates an die untere Ecke der Wand in der Nähe des Schriftzuges projiziert wird. ,,In a pocket`s wrinkle“ (2009) ist, wie der Titel sagt, nur eine untergeordnete Ergänzung im Raum, eine nebensächlich wirkende, in schwarz weiß flimmernde Daueraufnahme von den Beinen paradierender Dressurpferde, die im stoischen, unnatürlichem Rhythmus auf dem Pflaster hüpfen. Die starke Konzentration auf die Pferde und deren koordinierte Bewegungen vermittelt sofort den Eindruck, dass den Tieren hier etwas aufgezwungen wird, ihr Wille ständig gebrochen werden muss. Die Arbeit lässt sich auch als Hinweis auf den Freiheitsraub durch aufgezwungene und antrainierte Verhaltensweisen lesen, wie wir sie nicht nur aus unterdrückten Systemen, sondern auch aus unserer Gesellschaft kennen.
Ein Ready-made, das angeeignet werden kann, um Bedeutungen zu verschieben, kann für Kapanadze nicht nur ein Wort oder ein Gegenstand, sondern auch Wohnräume sein. Es sind Orte, die über die Platzierung von Gegenständen mit einer persönlichen Bedeutung aufgeladen sind. Keti geht in diese Räume und bittet die Bewohner, sie ihr für ein paar Stunden zu überlassen. Sie gestaltet den Raum mit den vorhandenen Möbeln und Gegenständen so um, dass jegliche Bewohnerbezüge, nun ja sich zwar nicht auflösen, aber verschoben werden. Die so entstehenden Fotografien wirken sortiert und trotzdem verstörend. Dabei tut Keti dem Raum eigentlich nichts an, sie arbeitet mit vorhandenem Material und arrangiert dieses neu im Raum. In einem sich nach hinten zu einem weiteren Raum öffnenden Wohnzimmer, einer Parkettwohnung mit hohen Decken, hat sie alle Stühle zu einem hohen Turm aufgebaut. In einem anderen Interieur begegnet man einem Arrangement aus Krücken, auch dieses mal in einem Wohnzimmer (,,Harmonic Enterprise #14, 2017). Keti nutzt den Raum als Bühne, um bestimmte Dinge ins Zentrum zu rücken, dramatisch in abgedunkelten Licht auftreten zu lassen. Die Fotoserie verweist so auf die hohe Bedeutung von Ordnung in unserer Alltagswelt, nach derer wir uns selbst sortieren. Kapanadze erinnert uns daran, dass nichts im Leben einen Stammplatz platz.
Eine eigene Welt für sich begründen Ketis außerhalb des Projektraumes zu sehenden Malereien. Durchzogen von geheimnisvollen Treiben mythischer Gestalten und Symbole in einer frischen Farbigkeit, wirken sie auffällig jung und spielerisch. So trifft man in dem größten ausgestellten Gemälde ,,Akasha Chronicle 2“ (2017) vor grauem Hintergrund auf eine paradiesische Welt, die dort abgebildeten Wesen und Dinge, Papageien, märchenhafte Charaktere, schwebende Herzen, Monster und andere diamantene Formen und pflanzenartige Reliefstrukturen, tauchen gleichzeitig auf und scheinen doch nicht zu einer Welt zu gehören. In klaren, sich einer breiten Farbpalette von Türkis, Kristallblau bis leuchtendem Rot und Neongelb bedienenden Linien, ist Alles in diesem kosmischen Chaos mehr gezeichnet als gemalt. Keti erzählt, dass die Bilder auf Zeichnungen beruhen, die sie, inspiriert von Abbildungen in okkulten Büchern aus dem 19. Jahrhundert, während eines Künstlerstipendiums 2008 in Paris angefertigt hat. Das in dortigen Antiquariaten gefundene Material regte die Künstlerin zu einem ganzen Kosmos von figurativen Zeichnungen an, ein neuer Schritt in ihrem Werk, die sie in der Fülle, wie sie in ihrem Kopf vorhanden waren, darstellen wollte. Die Limitation des Bildträgers, der nur die Zweidimensionalität erlaubt, wollte die Künstlerin überwinden durch die schichtenweise Anordnung von Fragmenten ihrer zu Papier gebrachten, allumfassenden Bilderwelt. Die Wahl von Holzleim und Pigment erlaubt eine Übereinanderlagerung von Fragmenten und erzeugt eine bestechende Transparenz. Erst wenn man nah an das Bild herantritt, erkennt man, dass sich nicht alle Bestandteile auf der gleichen Ebene befinden.
,,Harmonic Enterprise“ ist nicht nur eine gekonnte Gelegenheit, sich mit der Ausdrucksfülle dieser vielseitigen Künstlerin zu beschäftigen, die wie selbstverständlich schon so viele Kämpfe, politische, feministische und persönliche gekämpft hat und auch hier weiter an der Front bleibt. Daneben gelingt es der Ausstellung auch, den Kern ihres Werkes heraus zu zeichnen. Für Keti Kapanadze sind, wie ich es empfinde, alle Bedeutungen Readymades, die es zu verschieben gilt, um zu einer neuen, universellen Sprache zu gelangen mit der es gelingt, unsere Erfahrungen als etwas vom Innersten Echten wiederzugeben und zu teilen.