Für Bettina Marxs fabelhafte, in Pastellnuancen mit sanfter Stärke zu uns sprechenden Bilder ist das Atelier der Künstlerin in der Bonner Südstadt das perfekte Zuhause. Eingerichtet in der ersten Etage eines klassizistischen Altbaus, der wie die meisten Gebäude in der Nachbarschaft eine leichte Patina angenommen hat, durchquert man erst einen schmalen, etwas zugestellten Flur, bis man in das Herz ihres Ateliers, einen hohen und weiten Raum gelangt. Mit seinen Nischen und Stuckbögen, unverputzten Wänden und ausgestattet mit einem kleinen Holzofen, berührt einen sofort der Charme dieses kleinen palastartigen Kabinetts. Zwei nebeneinander an die Wände angelehnte Werke, die sich ganz natürlich in dieses heimelige Ambiente einfügen, geraten rasch ins Blickfeld. Realisiert in einem nahe quadratischen Großformat besticht das eine durch ein sattes Grün, das sich transparent vor einem gräulich-rosa Hintergrund auf der Bildfläche ausbreitet. Leicht schillernd wie Lack und durchzogen von feinen Maserungen, meint man eine Anhäufung tausender zerborstener Schmetterlingsflügel zu erkennen. Daneben ein gleichformatiges Bild, welches durch seine im Bildvordergrund sich unendlich windenden Schlaufen und Schlingen in Abstufungen von Grau über Rosa bis Gelb eine fröhliche Dynamik ausstrahlt. Und doch schimmert im Hintergrund dieser das Bild beinahe ausfüllenden Gewinde eine andere Welt durch: Man erkennt bisweilen das changierende smaragdfarbene Grün aus dem ersten Bild wieder. Obwohl sie in ihrer spielerischen Ästhetik mit uns anheimeln, beherbergen Marxs Bilder stets ein stilles Geheimnis.
Der Besuch bei Bettina soll Gelegenheit bieten, von ihrem Konzept zu erfahren, das sie im Bonner Raum des Kunstmuseums Bonn realisieren möchte und die von ihr dafür ausgewählten Werke in Augenschein zu nehmen. Im Gespräch entstehen viele Anknüpfpunkte, an denen es Möglich ist, mehr über ihre künstlerische Herangehensweise an ihr Werk, die unterliegenden Impulse und Inspirationen zu erfahren. Marx ist eine natürliche Erzählerin, der man gerne lauscht, Neugier weckt und offen auf allerlei einfallende Fragen eingeht. Alle meinen am Ende einen geschlossenen Kreis durch Marxs Werks-Kosmos gegangen zu haben.
Wie die Künstlerin berichtet, ist Grundlage ihres Schaffens das Experiment. Die Möglichkeiten des Mediums Malerei möchte Marx auf spielerische Weise ausloten, es geht ihr um grundsätzliche Fragen, wie was Farbe als Materie kann und wie diese sich im Lauf der Arbeit am Werk verhält und verändert. Die Künstlerin gibt hier bewusst einen Teil der Kontrolle ab und lässt den Verlauf des Materials über das Werk entscheiden. Das Kunstwerk beherbergt so immer etwas Unperfektes. Der Schaffensprozess ist gekennzeichnet durch den Dialog mit der stofflichen Entwicklung des intuitiv Angebrachten, Marx lässt sich von den Reaktionen der Farbe überraschen. ,,Ich lasse das Bild zwei Schritte weiter gehen, bevor ich wieder interveniere“, so beschreibt die Künstlerin ihre Herangehensweise. So etwas wie die Assoziationen von gebrochenen Schmetterlingsflügeln oder aus anderem Augenwinkel einer gewaltigen mäandernden Flusslandschaft entstehen durch das Verhalten des Mediums und sind nicht streng geplant. Was wir sehen, ist ein zügig in einer speziellen Faltung angebrachter Abdruck von mit Farbe versehen Stoff- oder Folienbahnen. Aus diesem Prozess der ungesteuerten Ausbreitung der Farbe entsteht ein autonomes künstlerisches Gestaltungselement. Die Künstlerin arbeitet mit der Verzögerung, also der eigenen Entwicklung der Farbe im Prozess der Trocknung, inklusive möglicher weiterer Veränderungen in Farbverlauf und Oberfläche. Nach diesen Prinzipien gibt Marx dem Zulassen Raum. Marx benutzt MDF Holzplatten als Bildträger, da das feuchtigkeitsempfindliche Material ein Reaktionspotential besitzt, welches zur Veränderung der Struktur der Oberfläche beim Anbringen von Farben führt, eine Eigenschaft, die der Künstlerin sehr willkommen ist. Die Maße der Platten stellen für Marx den Raum da, den sie mit ihren Körpermaßen vollständig bearbeiten kann – ein physisches Gleichgewicht zwischen der Künstlerin und dem ihr Schaffen aufnehmenden Träger.
Marxs Werk entwickelt sich in Zusammenspiel mit Eindrücken, die sie auf Reisen sammelt. So naheliegend es scheint, wäre der alltägliche Begriff ,,Inspirationsquelle“ hier fehl am Platz. Denn Marx begibt sich während und auch in Folge des Reisens in einen vielschichtigen, gleichzeitig auf die eigene Wahrnehmung vertrauenden wie auch wissenschaftlich recherchierten Prozess, in dem sie ganze Räume, extern in Form von Landschaft wie auch intern in Gestalt von Interieurs, durch ihren Blick als Künstlerin erfasst. Ein so ein Raum, in dessen Zusammenhang die Arbeiten für den Bonner Raum entstanden sind, ist Südengland. Die Künstlerin bereiste die Region um ,,dieses besondere Grün“ zu finden, das oft als besonderer Zauber dieser Gegend beschrieben wird. Diese Suche setzte sie auch im Innenraum, nämlich in der Betrachtung der Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts von der Arts and Crafts Bewegung gestalteten Interieurs englischer Landhäuser fort. Durch diese fabelhafte Erzählung – die Suche nach der Essenz des Raumes – baut sich direkt ein Bezug zu dem Bild mit den mäandernden transparenten tiefgrünen Flächen wie ein Flussdelta auf. Doch die Künstlerin möchte ihre Werke gar nicht in ein übergeordnetes Narrativ einbinden. Der Betrachter soll seinen persönlichen Assoziationen folgen. In Marx geheimnisvoller, sich dem Konkreten entziehenden Bildsprache, bleibt Südengland stets im Verborgenen.
Marxs Arbeiten eröffnen uns eine fremdartige Welt, wie man sie ebenso durch eine Satellitenaufnahme wie durch die Linse eines Mikroskops betrachten könnte. Beispiel für letzteres sind die in England entstandenen Papierarbeiten, feine Zeichnungen mit Tusche, die die Künstlerin auf einem eigens angefertigten Display, einer Leinwand mit einer weißen, wiederum aus einer Folienauflegung entstandenen Oberflächenstruktur zeigen möchte. Was hier in angeschnittenen Ansichten in sanften Tönen von Rosa und Grün zu sehen ist, erinnert an Einzeller, Amöben, Pflanzenzellen, die bunte Welt einer Petrischale. Die Zeichnungen erscheinen wie Observationen einer eigenen, rätselhaften Wissenschaft, dabei jede von Ihnen ein Ausschnitt aus einem ganz eigenen Universum. Wieder entsteht der Eindruck, dass Marx Werk einen eigenen Kosmos beschreibt, den die Künstlerin stetig erweitert und vertieft, wie eine fremde Sprache, deren Logik offensichtlich zu sein scheint, sich dem Betrachter als Entzifferer eines nur begrenzten Wortschatzes jedoch nie vollständig erschließt.
Die Räume, die die Künstlerin auf Grundlage einer bedachten Auseinandersetzung mit deren Gesetzen und Dimensionen bespielt, wirken wie betretbare Momentaufnahmen aus ihrer Vorstellungswelt, die durch die Werke hindurch zu erahnen ist. Marx eignet sich den Raum an, indem sie materielle Veränderungen schafft, oft in der Form von flüchtigen Installationen. Im Bonner Raum etwa soll ein weit verlaufendes malerisches Werk an einer den Zugang regulierenden abtrennenden Wand den Übergang bilden zwischen dem physischen Innenraum und dem Ort, den die Künstlerin mit der Komposition der Werke erdacht hat. Ein Prototyp für die Installation ist an einer Wand des Ateliers zu sehen. Das Gebilde wirkt wie ein dramatisch arrangierter Vorhang, der an der Wand den Regeln seines Faltenwurfs nach helle bis ausgelassene, wie auch dunkle Stellen offenbart. Realisiert in dem gleichen, transparenten tiefen Grün wie es eines der Gemälde trägt, wirkt die Form wie aus den Bildern herausgemalt. Irgendetwas, was als Bewegung in den Bildern veranlagt ist, scheint sich im Raum ausbreiten zu wollen. Obwohl hier wieder mit dünner Farbe benetzte Malerfolie zum Einsatz kommt, ist die Färbung an der Wand weder ganz Abdruck noch Malerei. Sobald die Folie an die Wand angebracht ist, lässt die Künstlerin hinter der Folie mit einem feinen Pinsel Farbe einfließen, die sich in die durch die Faltung geschaffene Struktur einarbeitet. Es ist eine liebevolle Hinwendung zu den Möglichkeiten und Zufällen, die das Material in einem einmal im Gang gesetzten Prozess anbietet, die man hier wie in Marxs gesamtem Werk wiederfindet.
Und wie ist es nun mit Südengland, der ästhetischen Sprache der Arts and Crafts Bewegung und diesem ungreifbaren Grün? Auch wenn die im Atelier präsentierten Werke einem klaren Entstehungskontext zuzuordnen sind, möchte Marx keine Lesweise vorschreiben. Die Werke dienen als Träger der Assoziationen, die jeder Betrachter für sich selbst mit ihnen aushandelt. Es ist nicht nur das milde Herbstwetter, das lockere Gespräch oder die romantische Atmosphäre des Palais-ähnlichen Atelierraumes, die einen beschwingt auf die Straße zurücktreten lassen. Da ist noch etwas, das dieses Gefühl ausmacht. Es sind Marx Bilder, die uns so wohl bewegen; diese eigenen Welten, in denen sich Farbe und Formen ausbreiten wie Wogen weicher Gewitterstürme, durchzogen von Linien, die den Blick weder hinein noch heraus führen – die immer wieder auftauchenden Guckfenster in der Oberfläche, die erkennen lassen, dass das dynamische Schwingen auf der Bildfläche ein feinst ausgearbeitetes Dahinter hat, als würden sich verschiedene Erzählungen überlagern. Marxs Bilder bestechen, da sie etwas zulassen, das wir uns im Alltag oft absprechen oder nicht zugestehen: es ist der ästhetische Eindruck von Phantasie.