Sind Künstler*innen mehr Produkte der Kunstwelt als ihres eigenen Schaffens? Eine spannende These, nur wie diskutiert man diese, wenn Ausstellungen Teil des Dilemmas sind? Im Kunstverein Köln verfolgt das seid 2002 kollaborierende Berliner Künstlerduo Jay Chung und Q Takeki Maeda genau diese Frage nach der Eigenständigkeit eines Künstlers in einem ,,seine“ Narrative ,,Werk“ und ,,Werdegang“ generierendem sozialen Netzwerk – durch eine Ausstellung. Diese Krux, eine Präsentationsform durch sich selbst zu reflektieren, bestimmt ,,The Auratic Narrativ“ und macht die Verfolgung der Ausstellung, in der verschiedene Ebenen – die Werkspräsentation, das Konzept und eine reflektierende Metaebene – ineinander übergehen, nicht immer einfach. Doch die Ausstellung zeugt vom konzeptbasierten Ansatz Chungs und Maedas, über ihre Kunst gängige aber in der Regel unsichtbare Praxen der Positionierung im Kunstfeld und die Rollen der involvierten Akteure zu hinterleuchten. ,,The Auratic Narrative“ nimmt aus dem Gewirr ,,Kunstwelt vs Künstler“ einen Faden auf, den es lohnt, aufzugreifen.
In vier Abschnitten sind insgesamt rund siebzig Werke repräsentiert, den größten Teil nehmen Fotoarbeiten ein, aber auch Film, Audioinstallationen und Materialien aus dem Ausstellungsarchiv sind Teil der sich über die gesamten vier Etagen des Kunstvereins erstreckenden Ausstellung. Allein von der Seite der Werke her beurteilt könnte man ,,The Auratic Narrativ“ als eine Art Überblicksausstellung begreifen, in der Werke des Duos der letzten zwölf Jahre gezeigt werden. Sie stammen mehrheitlich aus den reflektiv–konzeptuell angelehnten Ausstellungsprojekten Cungs und Maedas, in denen die Werke häufig als Teil der hinterliegenden Analyse fungieren, nur fehlt diese kontextuelle Einordnung hier gänzlich. Anstatt dessen erzählt in denen die Abschnitte begleitenden Raumtexten in vier Episoden eine anonyme Person von ihren Schwierigkeiten sich in der Kunstwelt zu behaupten, beziehungsweise von ihrem Umgang mit dem Druck, dieses tun zu müssen. Diese Erzählung erscheint als das Leitmotiv. Die Werke hängen unvorgehoben nebenbei.
Bevor man den großen, durch zwei Glasfronten durchleuchteten Ausstellungssaal betritt, stimmt Teil I der Auratic Narrative den Besucher auf das Kommende durch die Schilderung eines Kunstschaffenden ein, in der er oder sie den Wettbewerbsdruck in der Kunstwelt beschreibt und diesen für sich persönlich ablehnt, aber auch als unvermeidbar beschreibt. In der Halle selber werden in linearer Abfolge gehängt sieben fotografische beziehungsweise grafische Werksgruppen gezeigt, die sich stark voneinander unterscheiden. Besonders herausstechend ist eine der Ausstellung ,,Solutions to Compound Problems“ zugeordnete Gruppe von schwarz-weiß Fotografien, auf denen in unterschiedlichen Räumen in individuellen Positionierungen bürgerlich-antik anmutende Wandschränke vom gleichen Typus zu sehen sind. Sie sind so markant in den Altbauräumen positioniert, dass sie sich in ihrer starken Präsenz beinahe von der Bildfläche abheben, als seien sie nachträglich schattenlos in die Bilder eingefügt. Der Ursprung der Serie geht zurück zu einer Ausstellung in der Galerie Isabella Bortolozzi in Berlin 2009, wo die Künstler im leeren Galerie-Apartment diese Schränke platzierten, die als a-historische Siebziger Jahre Imitate zu klobigen Stellvertretern der Performance der Platzierung wurden und die einzige dem Betrachter zugänglichen Begegnungsform dieses bewusst sonst völlig referenzlosen Konzeptes darstellten.
Durch ihre verspielte Kuriosität fällt auch eine Gruppe von sechs Werken von 2006 (gezeigt 2012 in einer Gruppenausstellung ebenfalls bei Bortolozzi) auf, auf denen winzig gedruckt so etwas wie Wort-Stammbäume zu sehen sind, die sich nach einzelnen Buchstabenkombinationen wie aus einer Tafel chemischer Elemente von oben nach unten in Verzweigungen entwicklen. Ganz unten ist ein rätselhafter Satz zu lesen, der auf eine Ausstellung bei Isabella Bortolozzi verweist und eine poetische Erzählung zwischen den Bildern entwickelt, die irgendetwas zu tun hat mit der Rolle der Ausstellung in der Kreation von Wahrnehmungen. Genauso einprägend ist eine Reihe von acht großformatig ausgedruckten Digitalfarbfotografien, die alle aus einer anonymen Masse herausgenommener, im Vorbeigehen begriffener und wie durch den abgeschweiften Blick vermutlich wohl unbewusst aufgenommener Passanten in einer Großstadt zeigt (,,Outtakes and Excerpts“, 2009) . Chung und Maeda haben über einen automatischen Auslöser, der lächelnde Gesichter ausmacht, die Bilder der Kamera selbst überlassen. Eine eigentlich absurde Reihe zufälliger selig lächelnder Personen in unterschiedlichen Situationen entsteht, die trotzt der Zufälligkeit der Entstehung einen momenthaften, künstlerischen Charme hat.
Man verlässt den ersten Raum, ohne das Gefühl gehabt zu haben, wirklich in einer Ausstellung gewesen zu sein. Irgendwie fehlt in der Werkspräsentation ein übergeordneter Zusammenhang. Nun muss man innerlich zurück zum Konzept der Ausstellung zurückgehen, die ja in ihrem Einführungstext eine Exploration des Konstruktes ,,Künstlerpersönlichkeit“ ankündigt und somit als Teil der Entstehungsbedingungen von Ausstellungen hinterfragenden Praxis von Chung und Maeda zu sehen ist. Man muss sich also ständig das Dispositiv deutlich machen, aus dem man sich bei der Begegnung mit den Objekten heraus bewegt. Anknüpfendes Moment zum zweiten Teil der Ausstellung im 1. OG stellt damit auch wieder der Wandtext dar, der die Erzählung der innerlichen Kunstwelt-Kämpfe des unbekannten Künstlers/ der unbekannten Künstlerin weitererzählt, indem wir dieses mal von seinen/ihren Abwehrversuchen der kalten und gefühllosen Mechanismen des Kunstwelt-Networkings durch den Aufbau eines Sicherheit und Rückzug bietenden Freundeskreises erfahren.
In dem offen an das Treppenhaus angeschlossenen eher kleinen Raum sind ein dutzend auf einen Holzrahmen gespannte, Videokasettengroße schwarz-weiß Fotoabzüge zu sehen. Es ist found-footage Material aus dem Japan der Sechziger Jahre, das dokumentarisch Einblick gibt in die damalige avantgardistische Kunst- und Galerieszene, ,,March 24, 1965 Tsubaki-Kindai Gallery, Shinjuku“, in diesem Datum-Ort, manchmal auch Event-Personen Format informiert das Ausstellungsbooklet recht schlüssig über den Kontext. Irgendwie schaffen die angeeigneten Fotografien einen Eindruck von der im Westen relativ unbekannten Tokyoter Kunstwelt der Sechziger Jahre, aber das künstlerische Motiv dieser Wiedergabe bleibt unklar. Wieder fehlt das einordnende Kommentar – doch auf das Narrativ soll ja gerade verzichtet werden. Es bleibt nur der Blick zurück auf die Bilder aus Tokyo: Schaffen diese als momenthafter Ausschnitt einer größtenteils opaken Kunstwelt vielleicht ihre eigene Erzählung?
Gegenüber der vorigen minimalistischen Bestückung bietet der nahe Riphahnsaal einen sehr verspielten Anblick. An den Wänden des Vortragsraumes sind bis zum Podium hoch in kitschigen Farben Banner montiert, die jeweils mit Zeichnungen zwei ineinander verschränkter schelmisch lächelnder Pferdeköpfe versehenen sind. ,,10 Years of Jay and Q“ , heißt es darauf, als würden die Künstler mit den Bannern ihr Jubiläum feiern, als Pferde mit Partyhütchen. Auf den weitläufigen Raum verteilt wird auf zwei Bildschirmen die erstmals im Rahmen der Ausstellung ,,Dull and Bathos“ 2015 in Zürich gezeigte Videoarbeit ,,Untitled“ ausgestrahlt, ein Kooperationsprojekt von Chung und Maeda mit den Filmemachern Lev Kalman und Whintney Horn. Zu sehen ist ein unterhaltsamer 6:35 Kurzfilm, in dem man vor der Kulisse eines tropischen Gartens mit Pool drei Ping-Pong spielenden Juppies begegnet, die dabei beiläufig und immer gut gelaunt die Oberflächlichkeit in der Kunstwelt kritisieren, wie sie sich der Meinung nach in der leeren Angepasstheit der jungen Generation und deren hohler Wiederbelebung vergangener Kunstströmungen zeigt. Das Wiederkauen dieser tatsächlichem Interviewmaterial entstammenden Kommentare durch die fiktiven Charaktere zeigt jedoch auch, wie jede Vorgängergeneration ihre Nachfolger für ihre angebliche Dekadenz kritisiert – und wie im Kunstfeld schließlich Kritik zu einer Kultur des allgemeinen Nörgeln an der ,,Jugend heute“ verkommt.
Und so entsteht langsam ein roter Faden zwischen den Werken: Verschiedene Aspekte der das Subjekt ,,Künstler“ bildenden, im Feld der Kunstwelt sozial konstruierten Erzählung kommen in der Objektfolge immer wieder ans Licht. Im 3. Teil eine Etage höher verdichtet sich die Auratic Narrative durch eine als retoroperspektives Ausstellungsarchiv angelegte Werkspräsentation. Eingeleitet wird der Raum durch Teil III des Narratives, in dem der Protagonist von seinen Schwierigkeiten mit dem Trend der Übernahme gesellschaftlicher Diskurse durch die Kunst berichtet. Durch diese Aufnahme bietet das Kunstfeld zwar nun eine Platform zur Gegenwehr radikaler Strömungen. Doch in diesem in Hinsicht auf politcal correctness über-sensibilisiertem Klima gerät das Schaffen eines Künstlers ständig unter Verdacht. Mit den drei Publikationen aus der Ausstellungsgeschichte von Chung und Maeda beinhaltenden Glasvitrinen und zwei Audio-Installationen lädt dieser Raum ein wenig zum studieren ein. Zu sehen ist etwa das anlässlich einer Ausstellung bei der Hausgaleristin Isabella Bortolozzi 2014 herausgegebene Booklet ,,Letters“, in dem über Zitationen aus dem Briefwechsel innerhalb der Familie Alfred Schmelas nach seinem Tod ein ganzes Epos des Aufstieges und der Misserfolge einer Galeristen-Familie gesponnen wird. Ein als Dokument alleine kaum dechifrierbarer Raumplan zeigt die Platzierungen der einzigen, ausgestellten Ready-Made Objekte der Ausstellung von 2014, welche die Namen der die Schmela-Familien-Korrespondenz prägenden Frauen tragen.
Hinter einem Vorhang, der ein Separee bildet, welches von einer Seite durch eine Glasscheibe den Blick auf einen Innenhof der Dachfläche zulässt, erzählt offen in den Raum eine mit französischem Dialekt gefärbte Frauenstimme etwas überbetont die Gründungssaga des Modehauses Louis Vuitton nach (,,Audio Program for Louis Vuitton Auditorium“, 2007). Auf der anderen Seite der an das Innere eines Koffers erinnernden Trennung ist auf orangem Hintergrund gezeichnet die Innensicht einer Tasche zu sehen (,,Concept Drawing for Louis Vuitton Auditorium“, 2007). Humoristisch offen bleibt die Frage nach dem tatsächlichen Zusammenhang dieser leicht dilettantisch erscheinenden Werke mit der 2008 eröffneten Louis Vuitton Foundation, einem der großen Kapitalriesen in der zeitgenössischen Kunst. In unmittelbarer inhaltlicher Verbindung zu dem in der Auratic Narrative geschilderten gespaltenen Verhältnis mit der Kunstwelt befindet sich die durch einen alten Tonband-Automaten ausgestrahlte Audioarbeit ,,The Teeth of the Gears“ (2011), in der ein Erzähler vom Fußfassen als junger Mann in der Kunstszene in London berichtet und die Abscheu schildert, die er hinsichtlich der oberflächlichen Zweckgemeinschaften empfand, in der er im Aufbau seiner Karriere zwangsläufig hineingeriet.
Nach Teil III der Auratic Narrative muss für die Erreichung des letzten Teiles im Untergeschoss der bereits zurückgelegte Weg durch das Treppenhaus erneut beschritten werden. An dieser Stelle lässt sich festhalten, dass, wie das Material im eben besuchten Raum, alle gezeigten Objekte eng mit der Ausstellungsbiografie von Chung und Maeda verknüpft sind. Nur sind deren Etappen weder geordnet noch als solche gekennzeichnet. In ,,The Auratic Narrative“ erscheinen die Werke als das, was sie im Naturzustand sind: Fragmente des Kunstschaffens des Duos, nicht mehr und nicht weniger. Und durch diesen Mangel an einordnendem Narrativ wird die effekthaschende Rolle der in Ausstellungen in der Regel angestrebten ,,Erfolgserzählung“ deutlich. Zu dem Preis, dass die Ausstellung chaotisch zusammengewürfelt wirkt, wollen Chung und Maeda einfach mal keinen Erfolg haben. Jedenfalls nich diesen, der werterhöhend ihrem Werk dazugedichtet ist.
Im Untergeschoss findet die Auratic Narrative ihr Ende. Der Erzähler/die Erzählerin hat gelernt den Machtkampf um Anerkennung in der Kunstwelt als bereits durch sich selbst überholtes Schauspiel zu sehen und betrachtet Aufstieg und Fall von Kolleg*innen nun aus Distanz, als nur ein Hype unter vielen. Das Gehabe in der Kunstwelt hat er/ sie sich wie eine Maske, die man bei Zeiten aufsetzten kann, angeeignet, doch die eigene Persönlichkeit ist schon viel weiter. Zu sehen sind in dem niedrigen Raum nur drei Werke, eine recht majestätische Fotografie drei spaßender junger Mädchen vor einer klassizistischen Säulenfront aus der Serie ,,Outtakes and Excerpts“ , ein Bild aus der Serie der Tokyo-Kunstszene und die Edition der Ausstellung. Ein Happy Ending, immerhin.
In ,,The Auratic Narrative“ befinden sich Objekt, Ausstellung und Konzept in einem irritierenden Verhältnis. Versuchen wir, die Idee vom ,,Ausstellungsnarrativ“ als organisches, gegenüber Künstler*innen immer gerechtem System zu verabschieden, klärt sich jedoch der Blick. Die Freiräume, die Chung und Maeda in dieser Ausstellung für sich beanspruchen, erscheinen durch das Verzichten auf eine Einordnung der Werke extrem. Doch gerade durch ihr Abhandensein wird der artifizielle Charakter des Ausstellungs-Leitmodells ,,Werksbiografie“ deutlich und ihr Co-Autor entlarvt sich: die Kunstwelt, mit all ihren merkantilen und sozialen Eigeninteressen. In seinem sozialen Feld wird der Künstler zum Produkt einer Erzählung, deren Erwartungen er fortan erfüllen muss – selbst wenn sie nicht die eigene ist. Chung und Maeda haben einiges gewagt, um dieses Problem über das eigene Werk auszustellen.