Phantom Kino Ballett —Kunstverein Düsseldorf

Künstlerische Kollaborationen sind dann besonders erfolgreich, wenn die Partner untereinander sich helfen, ihre eigenen kreativen Grenzen zu überwinden, um die gegenseitige Mitte zu finden, aus der etwas Neuartiges entsteht. Interessant wird es dann, wenn die eingebrachten Medien keine Schnittflächen besitzen und die Grundlage des Zusammenkommens erst völlig neu und ohne Vorlage definiert werden muss. Ein Beispiel für die Erarbeitung einer solchen völlig neuen Logik innerhalb der Medien ist das zur Zeit im Kunstverein der Rheinlande zu sehende Sound, Video, Malerei und Performance integrierende Projekt ,,Phantom Kino Ballett“ der DJane Lena Willikens und der bildenden Künstlerin Sarah Szczesny. Die Räumlichkeiten des Kunstvereines haben die Künstlerinnen als Installation zur Bühne und Projektionsfläche umgewandelt und so in Synthese ihrer künstlerischen Eigenarten Sound (Lena) und Bildgestaltung (Sarah) eine Art Parcours designed, in dem der Besucher eingeladen ist, dem in die verschiedenen Erfahrungseinheiten Raum, Soundtrack und Video fragmentiertem Gesamtwerk nachzuspüren.

Die Begegnung mit dem ,,Phantom Kino Ballett“ beginnt mit dem Eintauchen in eine verdunkelte Welt, in der aus verschiedenen Winkeln diffuse, sich überlagernde Klänge und Geräusche hallen, begleitet vom Flimmern einer Hand voll teils wandfüllend, teils versteckt installierter Videoarbeiten. Als erlebter Raum besticht die Arbeit durch ihre klare graphische Natur. Die Raumelemente, ein weißer weicher Teppich und schwarze, zeichenhaft mit weißem Strich bemalte Stoffwände und -bahnen, letztere deckenhoch, zeigen einen starken schwarz-weiß Kontrast. Die sich aus mehreren Geräuschquellen zusammensetzende Soundinstallation erscheint im Raum als Ganzes wie eine wirre, aber doch entschlossen scharf gezeichnete Skizze. Als Teilelemente erscheinen unbekannte Stimmen wie aus einem Film, Interviewausschnitte, aber auch diffuseres akustisches Material, wie ein stetiges Kettenrasseln als wäre eine Maschine im Gang, bedrohliches, sich ausweitendes elektronisches Rauschen und Rezitationsgesänge. Die einzelnen akustischen Elemente verdichten sich, wandern und zerfallen wieder, wie man sich durch den Raum bewegt und kombinatorisch nachzuhorchen versucht.

Auch die Videoarbeiten wirken durch das Einhalten einer schwarz-weiß Ästhetik graphisch. Manche von ihnen sind Stills, die nicht viel mehr als Linien oder ein stark reduziertes, beinahe statisches Bild wiedergeben. Manche sind in einer Bewegung eingefroren, wie eine Kettenrauchende Ente aus einem japanischen 20er Jahre Cartoon oder Bildmaterial aus Vintage-Filmen. Dann gibt es zwei großformatige Videoprojektionen, die aus einer Abfolge oft nur wenige Sekunden gezeigter Bilder bestehen. In einer vom visuellen Sinn kaum greifbaren Weise ist ein Mix aus selbstgeneriertem und angeeignetem Material zusammengeschnitten, darunter unscharf abgefilmte Fotografien, Cartoon-Elemente, überzeichnete Filmaufnahmen, nicht zu erkennende Personen. Das Ganze erscheint in seiner verwirrend-flackernden Zusammenstellung anarchisch, aber doch nicht ganz intentionslos. Denn das Collagenhafte, leicht Dilettantische dieser Arbeiten, Sound und Video gemeinsam, ist nicht willkürlich, sondern deren begründendes Prinzip, die Grundlage, von der die Künstlerinnen aus die sich wandelnde Erscheinungsform des ,,Phantom Kino Balletts“ immer weiter entwickeln können.

Was diese Arbeit als in der Sprache der Künstlerinnen sich ewig morphendes, anti-narratives Kuriositätenkabinett auszeichnet, ist, dass sich keines der heterogenen Bestandteile des ,,Phantom Kino Balletts“ ausschließlich Lena oder Sarah zuordnen lässt. Ein Blick in die Entstehungsgeschichte der Kooperation liefert Erklärungshinweise, wie es zu der ungewöhnlichen, wie das Phantom selbst aus der Reihe tanzenden, die Arbeitsformen Malerei und Musikkomposition gleichwegs überschreitenden Werks-Installation kam. Tatsächlich sind Lena und Sarah bereits lange befreundet und verbandelt durch ein gemeinsames Interesse an subkulturellen Strömungen in Musik, Kunst und Clubkultur. Von dieser Grundlage aus entstand 2015 die erste Zeile des künstlerischen Dialogs der Beiden durch die gemeinsame Produktion des Musikvideos zu Lenas EP ,,Phantom Delia“. Der Zusammenschluss gab den Künstlerinnen die Möglichkeit, aus dem einer breiten Menge von Einflüssen entspringendem künstlerischem Empfinden der eigenen Generation zu schöpfen. Wiedergegeben in Form von popkulturellen und modernistischen Zitaten in Bild, Video, Sound und Performance entsteht in ,,Phantom Kino Ballett“ ein surreales, schwer greifbares Zwitterwesen aus Kunst- und Subkultur, welches das Rauschen der Szene wiedergibt, in der sich Sarah und Lena zu Hause fühlen, einer Avantgarde, deren Ausdrucksform noch fremd ist.

Die popkulturelle, avantgardistische Platzierung von ,,Phantom Kino Ballett“, dessen Titel auf das choreographische, sich im Raum entwickelnde ,,Kino“ verweist, zeigt sich in den bisherigen Aufführungsorten, unter denen Clubs, Theater, Kinos und Off-Spaces in Szene-Metropolen wie Tokyo, New York, San Francisco und Montreal zählen. Nah an einem synthetisch-neuartigen Mischort aus Club, Kino und Theater ist auch die Raumgestaltung selbst, die linke B-Seite (die Bezeichnung A und B entstammt von Schallplatten) erinnert durch die elektrische Dichte von Licht und Sound irgendwie an einen Elektro-Club, die rechte A-Seite ist mit der riesigen Leinwand den davor gestaffelten, zu Sitzflächen arrangierten schwarzen Stoffbahnen klar in der Struktur eines Theaters oder Kinos aufgebaut. Das ganze Interieur spricht von den hier angelegten Performances, wie die mit skizzenhaften Zeichnungen der Performerkostüme bemalten schwarzen Stoffen, die sowohl als Bühnenbild als auch Sitzflächen fungieren und den Raum zu der performativ bespielbaren Bühne machen, auf dem das Phantom in Erscheinung treten kann.

Wer selbst einmal an einer solchen ,,Aktivierung“ teilgenommen hat, erfährt, wie subversiv-tief die performativ übertragene Sound-Bild-Collage ,,Phantom Kino Ballett“ angelegt ist. Man begegnet hier mehr, als dem avantgardistischem Experimentieren mit einem bisher unerprobten Medienmix. Folgt man mit den Sinnen den in rituell-minimalistischen Bewegungen und Gesten Soundboxen durch durch den Raum tragenden Performern und den Klängen, Tönen und Stimmen, die fragmentiert und für jede Box einzeln sich zusammen mit ihren Trägern im dunklen, nur von Lichterblitzen erhelltem Raum verteilen, dann versteht man, dass es hier nicht um ,,Soundtrack“ geht, vielleicht nicht einmal ,,Vertonung“ , etwas komplett Neuartiges geschieht hier, für das es noch gar keinen Begriff gibt. Die Soundkulisse aus den einzelnen Geräuschen baut sich schrittweise auf, immer mehr vereinnahmt sie die Wahrnehmung, die diese teils beunruhigend konkret, teils verstörend abstrakten Fragmente nicht zusammenbringen kann und stattdessen versucht, sich an den rituell-ruhigen Bewegungen der Performer, ihrem stoischen Schreiten, Stehen und Niederknien, festzuhalten. Die Performance gipfelt in einem ekstatischen Höhepunkt, auf dem Elektromusik-Legende und Haus-DJ des Düsseldorfer Salon des Amateurs Detlef die Klangkomposition durch elektronische Töne erweitert, bis ein Beat den ganzen Raum einnimmt, der mit mystischen Vokals begleitet wird. Alles und Alle, Performer und Publikum, scheinen vom Treiben des Phantoms  und dessen übersphärischen Sprache durchdrungen zu sein.

In der Performance wird schließlich die hohe kompositorische Komplexität des ,,Soundtracks“ des Projektes und dessen Vorführung deutlich. Gerade in der diffus erscheinenden Ausstrahlung sticht der dem Eindruck der Verwirrung hinterliegende minuziöse Zusammenschnitt der akustischen Elemente und deren mobiler Koordination heraus. Und auch wenn Sarah und Lena selbst ihre offen-experimentelle Arbeitsweise bestätigen und sich als Teil einer jungen Künstlergeneration sehen, die aus der Dynamik einer gemeinsam geteilten Subkultur heraus schafft, hat das ,,Phantom Kino Ballett“ diese Schwelle längst überschritten. So scheint es für mich, dass mit dem Auftritt der lokal verwurzelten, mittlerweile international anerkannten Größe der elektronischen Musik Detlef der Meister noch einmal gekommen ist, um seinen Schülern Tribut zu zahlen, Sarah und Lena, welche die nie als solche gedachte Schule des Salon des Amateurs verlassen haben, um ihre Botschaft hinaus in die Welt zu tragen. Graphotronic Masterclass.

 

Phantom Kino Ballett – Lena Willikens & Sarah Szczesny, Installationsansicht  |  ©Kunstverein für die Rheinlande und Westfalen, Düsseldorf, 2019, Foto: Katja Illner.

Phantom Kino Ballett – Lena Willikens & Sarah Szczesny, Installationsansicht  |  © Kunstverein für die Rheinlande und Westfalen, Düsseldorf, 2019, Foto: Katja Illner.

Phantom Kino Ballett – Lena Willikens & Sarah Szczesny  |  Foto: Benedict Lohnert