Das offene Spiel mit dem Verlangen des Betrachters nach Eindeutigkeit zählt zu den wesentlichen Eigenschaften zeitgenössischer Kunst. Die in New York lebende österreichische Künstlerin Ulrike Müller lotet in ihrer Ausstellung im Kunstverein Düsseldorf mit ihren kessen Arbeiten suggerierter Gegenständlichkeit im gleichen Zug noch die Möglichkeiten und Grenzen der modernistischen Abstraktion aus. Mit ihren an den Randbereichen der Malerei operierenden Werken (Monotypen, Emaillearbeiten, Zeichnungen und Webteppichen) stellt sie die klassifizierenden Ordnungsbedingungen von Systemen jeder Art zur Disposition.
Der weitläufige Raum des Kunstvereines ist mit insgesamt 53 Arbeiten bestückt, was viel klingen mag, doch die Werkspräsentation ist wohl dosiert. Der Besucher ist immer nur mit einzelnen Gruppen augenscheinlich verwandter Werke konfrontiert, das Ganze tritt schrittweise ins Blickfeld, der Dialog zwischen den Werken baut sich behutsam auf, der Betrachter wird durch die installierte Architektur des Raumes geleitet. In dem von ihr untersuchten Bereich der modernistischen Abstraktion bedient sich Müller einer variationsreichen und dennoch klaren Bildsprache. Sie besteht aus einem konsequent weitergeführten Formenvokabular und einem mit Bedacht eingesetzten, sinnlich ansprechenden Farbspektrum, in dem jede Farbe in großer Stärke auftritt, ohne das eine je zu laut wird. Charaktervolle, tiefe Farben, Petrol-Blau, Tiefgün, Koralle, in mehreren Schichten übereinander gelegt, treffen auf ihre helleren Varianten in Lila und Blattgrün. Mal werden sie kontrastierend ergänzt mit Einschnitten kräftiger Primärfarben Gelb, Rot und Blau. In den Emaillearbeiten begegnen glänzende Töne von Türkis, Ocker und Hellblau kompromisslosen Schwarz und Weiß, als wollten die Farben ihren Platz untereinander aushandeln.
Müllers Arbeiten als Ganzes lassen sich weder als eindeutig abstrakt noch als gegenständlich einstufen. Da sind tanzende Krüge, Pflanzenzweige, Schuhe auf der einen Seite, Ensembles geometrische Formen wie Kreise, Dreiecke und Rechtecke, mal leichthändig, mal streng komponiert, wie sie in den Emaillearbeiten vertreten sind, auf der anderen Seite. Formen und Farben werden von Bild zu Bild derartig weitergeführt, dass eine Art Verwandtschaftseindruck entsteht. Und gerade durch diese Regelmäßigkeit im Bildausdruck entwickelt sich innerhalb der Werke eine spielerische Dynamik, die dahin strebt, sich zu emanzipieren und unterbrochen zu werden und die oberflächliche Eindeutigkeit wieder zu abzustreifen.
Schaut man sich die Bildkompositionen in der prominentesten Werkgruppe, den Monotypen-Drucken an, merkt man, dass die hervorstechende Form oft als solche gar nicht existiert, was wir sehen, ist ein Produkt sich überlagernder Druckschichten, kein Körper, sondern das Resultat gestaffelter Schablonen. Obwohl das Bild strikt flächig ist, entsteht, während man versucht in das Bild hineinzuschauen, um die Entstehungsbedingungen des täuschend definierten Gegenstandes zu verstehen, ein Eindruck von Tiefe. Die Bildeindrücke von Überlagerung, Dichte und Transparenz, Flächigkeit und Tiefe sind durch das von der Künstlerin verwendete Druckverfahren des Chine-Collé bedingt. In diesem Verfahren werden feine zugeschnittene Papiere auf einer Druckplatte platziert, die zusammen mit der auf die Platte gestrichenen Farbe dann auf den Bildträger gedruckt werden. Das dünne Papier verbindet sich fest mit dem Träger, so dass im fertigen Druck nur die Farbform deutlich ersichtlich, das Papier aber kaum mehr erkennbar ist. Müller wiederholt diesen Vorgang mehrmals und konstruiert so Werke, in denen die einzelnen Schichten sich so dicht überlagern, dass sie optisch nicht mehr voneinander zu trennen sind.
Die Gegenständlichkeit in Müller Bildern ist nie abgeschlossen. Erscheint eine Form als eigenständiges Objekt, scheint die Zuordbarkeit des abgebildeten Dinges über die Bilder hinweg wieder zu verfließen, was eben noch als ,,Krug“ erkennbar war, ist nun so gedreht, dass es wie ein Fisch anmutet. Einer der ,,Krüge“ scheint zu tanzen, mit feinen Bleistiftstrichen versehen hat das Objekt die Anmutung eines frechen Wesens. Die Objekte in Müllers Werken befinden sich gerade auf der Grenze zwischen Gegenstand und Abstraktion, sie sind, wie eine gebogene runde Form mit einem Loch, die eine Malerpalette sein könnte, aber auch ein lustigen Irgendwas, niemals ganz bestimmbar. Beinahe kindlich erscheint dieses Spiel mit der Betrachtung, dennoch trifft diese Erprobung einer am Gegenstand orientierten Un-Gegenständlichkeit ins Herz der Debatte um die Definition von Abstraktion und die Frage nach deren Überführung in die Gegenwartskunst. Was ist ein Motiv? Darf abstrakte Kunst Motive haben? Wann bildet die Malerei etwas ab? Im Spel des Erkennens und Wiedererkennens zwischen den Werken lädt die Künstlerin uns dazu ein, diese Fragen mal selbst zu überdenken.
Allmählich lässt die Wiederkehr der Formen in den unterschiedlichen Werks-Formaten den Eindruck der Existenz einer Sprache in Müllers‘ Werken entstehen. Die abgebildeten Gegenstände nehmen die Gestalt von Typen an, das einzelne Werk erscheint als Zeichen. Manche Werksgruppen, wie die um einen Säule angebrachten kleinformatigen Drucke und Zeichnungen, erscheinen mit der sich in diesen Bildern abspielenden zurückhaltenden Verteilung sich langsam von der Geometrie wegentwickelnder Formen wie die ersten Erprobungen eines Alphabets, das seine Logik durch Wiederholung und Bruch in Motiv und Medium generiert. Nach diesen Prinzipien entwickelt sich in den anderen Werken diese ,,Sprache“: zweimal der selbe Gegenstand, ein roter Zweig, dann eine Gitterzeichnung daneben. Farbflächen als Teppich geknüpft, Farbflächen in Emaille, beides konstruiert um geometrische Achsen. Ein ganzer Kosmos wird angeboten, ohne dass sich ein einzelnes Fragment als Zeichen eindeutig klassifizieren lässt.
Das Prinzip der Mehrdeutigkeit hinterliegt Müllers Werk nicht allein auf der Ebene der Ästhetik. Sich Mitten in den Debatten des Feminismus und der Genderqueer-Bewegung bewegend, geht es der Künstlerin auch darum, über ihr Werk einen Kontext zu schaffen, in dem die endgültige Festschreibung von Identitäten immer wieder unterwandert wird. Muster erscheinen starr konstruiert zu sein, doch in Wahrheit sind sie unstetig. Bilder und Werksgruppen können polysem gelesen werden, jede Äußerung ist sinnmäßig niemals abgeschlossen. Container ist wie eine Aufforderung für mehr Fluidität in unserer Gesellschaft zu lesen, ein Hinweis auf unser stetiges Bedürfnis nach Klassifikation und ein Vorschlag, die Erfahrung von Unstetigkeit und entweichender Dechiffrierbarkeit nicht als Störfaktor, sondern als Chance aufzufassen. Auf Grundlage des referenziellen Werkssystems der Ausstellung entwirft Müller eine Sprache, mit der sich fließende Identitäten beschreiben lassen.