Es ist ein noch kaum bemerkbarer Bruch, doch ein neues Zeitalter hat angebrochen. Im Anthropozän ist der Mensch die bestimmende geophysikalische Kraft, die auf die Zukunft der Erde einwirkt. Das Übertreten dieser Schwelle tangiert im Alltag bisher niemanden und dennoch ist es augenscheinlich, das etwas nicht stimmt. Dieser Herbst ist wieder viel zu warm. Im Ausstellungsraum the pool in Düsseldorf Golzheim haben sich die jungen Künstler*innen Viktoria Feierabend, Fabian Sokolowski und Julius Golderer vorgenommen, künstlerisch die neue Umwelt des Anthropozän zu thematisieren. Durch sanfte Gesten und subtile Irritationsmomente versetzen die Arbeiten die Besucher*innen an jene Bruchkante zurück, ab der sich unsere Welt für immer verändert hat. Ohne klare Antworten zu geben, lassen die eng mit der besonderen Raumsituation korrespondierenden Werke – es handelt sich um ein unterirdisches, ehemaliges Schwimmbad, das sich wie ein gestrandetes Ufo in die Erde eingegraben hat – alle die Frage anklingen: was hat sich eigentlich verändert?
Stealing from Unmapped Skies nimmt eine utopische, in ihrer Zeitlichkeit abgerückte Erzählung zum Ausgangspunkt, um auf die besondere Rolle der Kunst in einer Menschheitslage mit einer ungewissen Zukunft hinzuweisen. Gegenüber den realen Herausforderungen, wie den zerstörten Ökosystemen und dem Klimawandel, bleibt die Kunst eine Parallelwelt. Und dennoch kann Kunst einen Faktor ansprechen, der ganz entscheidend unsere Fähigkeit zur Bewältigung von Krisen beeinflusst: die individuelle Wahrnehmung. Nicht umsonst adressieren daher alle Künstler*innen mit den Setzungen ihrer Werke den speziellen Zustand des Off-Spaces als ehemaliges Schwimmbad, dessen Zeit längst und unwiederkehrbar vorbei ist – ein wenig wie die Erdepochen, in denen noch natürliche geologische und klimatische Parameter das Schicksal der Menschen bestimmten.
Der Zugang zu the pool verläuft durch eine offene Treppe, die in ein mit Pflanzen überranktes Atrium führt, das von drei Seiten mit Glasfronten umgeben ist. Durch die Glasfronten gelangt man in verschiedene Räume, zur Rechten liegt die mit einer weißen Bodenkonstruktion überbaute, tiefer gelegene Schwimmbadfläche. Zur Linken schließen sich weitere, niedrige Räumlichkeiten an. Die markante Transparenz zwischen Innen und Außenraum aber auch Absenzen – das fehlende Wasser, die ausbleibende Nutzung, die untergegangene Vision eines Architekten – an deren Stelle nun das Skelett eines Ortes mit seltsamen Bullaugen in der Decke rückt, durch die sich Efeu den Weg bahnt, bildet für alle Künstlerinnen die unterliegende Thematik, vor deren Hintergrund sie ihre Werke formulieren.
An der Stelle zweier Bodenfliesen hat Viktoria Feierabend im Atrium zerklüftete Platten aus Kalkstein platziert (Wet and Hard, 2023). Es muss schon ein Hagelsturm gewesen sein, der die mächtigen Ausbuchtungen im Gestein hinterlassen hat. Die Künstlerin weist mit ihrem Werk auf die Unmöglichkeit hin, Spuren von Wasser, die den Stein sonst natürlich formen, auf handwerkliche Weise in das Material zu bringen. Die Widersprüche organischer Strukturen und die Grenzen, an welche der künstlerische Prozess aufgrund verschiedener natürlicher Beschaffenheiten stößt, bilden ein wiederkehrendes Motiv in Viktorias Werk. In Kooperation mit dem Steinmetz Julius Golderer hat sie aus Carrara Marmor eine wie Bambus geformte Steinröhre geschliffen (Born between two lines, 2023), die wie ein Abflussrohr auf der Abdeckung des Pools lagert. Die Eigenschaft des Bambus als billige, schnell heranwachsende Ressource, dessen Biegsamkeit die Pflanze für die Verwendung als Baugerüst qualifiziert, wird hier mit der hohen Wertigkeit und Langlebigkeit des Marmors kontrastiert. Die Herausformung einer Bambusstruktur aus einem Gestein, das am wenigsten für eine solche hohle Struktur geeignet ist, bringt eine gewisse Mühsal in Form fast vergeblicher Anstrengungen mit.
An anderen Stellen der Poolabdeckung begegnet man schimmernden Brocken aus Steatit, einem gesteinsähnlichen, keramischen Werkstoff, der auf der Basis von Magnesiumsilikat aus Speckstein, Ton und Feldspat hergestellt wird (Attempt to turn stone into watter (III+V), 2023).Versehen mit Kettenschnüren mimen die ambiguen Objekte die Funktion von Stöpseln, entwickeln für die Künstlerin als Schnecken, die eine Schleimspur hinter sich herziehen, aber auch eine Art Eigenleben. Die Plastiken verweisen damit wieder auf die charakteristische Situation des Ortes als ehemaliges Schwimmbad, auf eine imaginäre Wasserlinie unter der Abdeckung ebenso wie auf das zunehmende Eindringen von Leben in Form von Pflanzen, Spinnen und Feuchtigkeit in den unterirdischen Raum, dem sich langfristig kaum etwas entgegensetzen lässt. Die tempelartige Architektur des Einganges hat die Künstlerin anhand grünlicher, ausgeblichener Vorhänge nachempfunden, die von der Decke bis auf Kniehöhe herabhängen und in der rechten hinteren Ecke der Poolfläche so etwas wie einen Schrein bilden. Die abgesonderte Fläche aus Gardinen von einem „in meiner Kindheit wichtigen Ort“ beherbergt am Boden liegende zerbrochene Steine, in denen der Erzählung nach Geister wohnen und Mundspiegel-Besteck als Verweis auf Intimität.
Versetzt an der Wand hinter der Installation hängt eine Malerei von Fabian Sokolowski, in der sich in Form einer zerfließenden, vorhangähnlichen himmelblauen Fläche das Motiv des Stoffes wiederholt. „This is water“ (2022) behauptet das Bild von sich, in dem Wasser wie ein Reliquienstoff zentral im beigen Bildraum auftaucht, der sonst nur pastellfarbene Farbspuren trägt. Und obwohl Religion in Fabian Sokolowskis Malereien kein übliches Motiv ist, greift die wie eine Ikone anmutende blaue Fläche wieder das Konzept des Kindheitsheiligtum von Viktoria Feierabend auf, genauso wie beide Künstler*innen durch solche mystischen Elemente wieder auf die Geschichte des Ortes als Stätte von Freizeit- und Körperkult für Privilegierte verweisen.
Fabian Sokolowski erforscht und kommentiert den Ort durch eine Reihe von Werken in unterschiedlichen Medien, die auf die gesamten, die zentrale Schwimmbadhalle umgebenden Räumlichkeiten verteilt sind. Der Künstler, der sich intensiv mit dem Einfluss des Menschen auf die Ökologie und Atmosphäre des Planeten und dessen Verortung in einer anthropozänen Umgebung beschäftigt, greift in den hier gezeigten Werken insbesondere die Idee des Wasser als Ressource auf. In Fading away (2023) hat er im Waschgang grau verfärbte, handelsübliche Farbfänger aus eigenem Gebrauch wie Farbproben akkurat auf eine Leinwand aufgebracht. Es fällt schwer, bei den in unterschiedlichen Graustufen fasziniert melierten Farbfeldern, die sich optisch kaum vom Bildgrund abheben, auf ihre industrielle Herkunft zu schließen. Anhand dieses Zitates aus unserer verschwenderischen Konsumwelt macht Fabian Sokolowski auf den gedankenlosen Umgang mit Ressourcen wie auch den stetigen Kampf gegen Abnutzung und Vergänglichkeit aufmerksam.
Reinigung und Reinlichkeit, menschliche Zwänge hochindustrieller Gesellschaften, welche an dem Ort des ehemaligen Schwimmbades nicht mehr durchgesetzt werden können, spricht Fabian Sokolowskis in Malereien an, die er auf einem blauen Mikrofasertuch und Fussmatten von Autos realisiert hat. Die Werke befinden sich jeweils dort, wo sie die ursprünglichen Örtlichkeiten ergänzen, nämlich in einem Duschraum und nahe des Zugangs zu einem verlassenen Parkhaus, über das man früher zum Schwimmbad gelangte. Der Künstler erzählt, es habe ihn gereizt, die Leinwand zu verlassen und profane, als Malgrund widerspenstige Materialien zu erkunden. Beinahe verdächtigt idyllisch geht es auf den Kunststofftextilien zu, Landschaften, Sonnenuntergänge, blauer Himmel und einem Edelweiß begegnen einem dort. In sich verkörpern die Werke den eklatanten Kontrast zwischen kollektiven Sehnsüchten nach einem authentischen, naturnahen Leben und der Realität der künstlichen, ressourcenintensiven Materie, mit der wir uns umgeben und deren Herstellung die Zerstörung der Erde weiter vorantreibt.
Wasser als Träger zivilisatorischer Entwicklung, aber auch gnadenlose Naturgewalt, gegen die ein sich weltweit immer mehr zuspitzender Kampf geführt wird, ist das Motiv der Videoarbeit Collapsing flor by filling room with water (2022). Fabian Sokolowski kombiniert eigene Aufnahmen von Orten wie der Uferpromenade in New York oder einem rieselndem Pissoir an der Königlichen Akademie der Künste in Kopenhagen mit found footage Material kleinerer Katastrophen rund um überfüllte Straßengullis oder Wasserstrudel in Parkseen. Wasser erhält hier die Gestalt einer Ressource, die gänzlich technologischen Vorstellungen unterworfen ist und es doch nie ganz sein wird. In entfernter Weise vereint sich in der Arbeit zugleich Vergangenheit und Zukunft des Ausstellungsortes, in dem Wasser die große Absenz bildet, der aber auch dafür prädestiniert ist, dass Wasser irgendwann wieder in ihn eindringen wird.
Julius Golderer thematisiert die fragile Monumentalität des tempelähnlichen Baus, indem er in kleinformatigen Steinobjekten aus Carra Marmor und Nero Belgio den minimalistischen, zeitlosen Anspruch der Architektur aufgreift, die dennoch vergehen wird. Unter einer der Luken in einem Vorraum, aus der Efeu hinabwächst, hat der Künstler einen quadratischen Block aus weißem Marmor platziert, auf dessen abgesenkter Oberfläche ein Relief hervorragt, das an ein Architekturmodell erinnert. Zwischen den Fensterfronten, welche das Atrium vom Poolraum trennen, hat Julius Golderer einen kleinen, an seinen Seiten nur 6cm abmessenden Quader aus Nero Belgio angebracht, einem feinkörniger und sehr homogenen, tiefschwarzen Kalkstein, dessen eine Oberfläche wie ein Spiegel glatt geschliffen ist. Der heute nur noch in Belgien abgebaute Stein ist extrem wertvoll und wurde seit jeher für seine glänzend schwarze Natur geschätzt. Als winziger Kontrastpunkt zu der sonst weißgetünchten Umgebung erscheint das Objekt wie ein Meteoritensplitter, der hier zufällig eingeschlagen ist, bringt aber auch etwas Sakrales mit.
In der gescheiterten Überhöhung des Ortes als stilvolles Refugium, wie sie Viktoria Feierabend, Fabian Sokolowski und Julius Golderer ansprechen, spiegelt sich somit auch die Situation der Menschheit. Denn auch wir leben in den Ruinen einer als beständig empfundenen Umgebung, die sich längst im Zerfallsprozess befindet. Ein Hinweis auf diesen schleichenden Untergang sind zwei wie Grabsteine anmutende, massive Stelen aus grauem Recyclingkunststoff, in den Fabian Sokolowski die lateinischen zoologischen Namen von Tierarten eingraviert hat, die seit dem 19. Jahrhundert durch menschliches Handeln ausgestorben sind (The cost of the game, 2021). Indem die Positionen in Stealing from Unmapped Skies die Chronik des Ortes mit der Chronik unserer Zivilisation verknüpfen, wird der Bruch zwischen zwei Erdzeitaltern – der Übergang von einer Umwelt, die durch natürliche Kräfte der Erde beeinflusst ist, zu einer Umgebung, die durch den Menschen bestimmt wird – nachvollziehbar. In der dystopischen Situation des Ausstellungsraumes the pool wird so vor allem eines klar: wir steuern in vollem Bewusstsein in die Katastrophe.