Arbeitswelten und Wertschöpfungsketten sind heute der globalen Ökonomie des „Mining“ unterworfen. Rohstoffe, Daten, Bitcoin – alles wird von globalen Konzernen geschürft, als befänden wir uns in einem neuen Goldrausch. Das Ganze bekommt jedoch eine andere, beunruhigende Note, wenn man bedenkt, wie eng all diese Komponenten des „Abbaus“ auf ökologisch und sozial teils fatale Weise miteinander verbunden sind. Denn sowohl die menschliche Arbeitskraft als auch die Konsument*innen sind in die Logik des Mining eingebunden, die einem Kapitalismus folgt, der sich immer weniger regulieren lässt. LANDSCAPES OF LABOUR, eine Ausstellung der KAI 10 | ARTHENA FOUNDATION, untersucht anhand von 11 internationalen Künstler*innen diese neuen Topografien der globalen Ökonomie und wirft ein Licht auf die Arbeitsrealitäten, die damit verbunden sind. Die von der künstlerischen Direktorin Julia Höner kuratierte Ausstellung verdeutlicht so, dass sich die Grenze zwischen Wertschöpfung und Ausbeutung zunehmend schwerer bestimmen lässt. Und macht so auf die Gefahren aufmerksam, welche die Idee der endlosen Verfügbarkeit von Ressourcen jeder Art mit sich bringt.
Dieses Gefühl, dass in der derzeitigen Ökonomie grundlegend etwas nicht stimmt, wird auf sehr plastische Weise von einer der ersten Positionen der Ausstellung vermittelt, einer Rauminstallation der venezolanischen Künstlerin Ana Alenso, „Mad Rush Extended“ (2022). Alenso, die sich wissenschaftlich mit dem Goldbergbau beschäftigt, hat eine Gegend in Ghana besucht, in der Gold geschürft wird. Die tonfarbene, leicht orange Erde, aus der das Gold gesiebt wird, hat sie mit in die Ausstellung gebracht, wo sie mit Wasser verdünnt in Schlieren die Wände herunterläuft, durch Schläuche fließt, in Schüsseln aufgefangen wird und in einer Betonmischmaschine schwappt. Anhand von Fotografien, welche die katastrophalen Arbeitsbedingungen in der Mine andeuten, sowie verrosteten Gerätschaften, die an die primitiven Förderwerkzeuge erinnern, verknüpft die Künstlerin die vermeintlich „saubere“ Smartphone-Technologie, deren Platinen Unmengen von Gold brauchen, mit dem Dreck, aus dem das Edelmetall gewonnen wird. Alenso ruft ins Gedächtnis, dass sie Herstellung dieser glänzenden Geräte eben nicht von Zauberhand erfolgt, wie man sich das gerne vorstellen würde, sondern dass die Gewinnung der Rohstoffe den Einsatz von Chemikalien und das Abpumpen von Grundwasser erfordert, was die Zerstörung ganzer Gegenden sowie die gesundheitliche Gefährdung der Arbeiter*innen mit sich zieht.
Die Videoarbeit „15 hours“ (2017) des chinesischen Künstler Wang Bing desillusioniert ebenfalls diesen „von-Zauberhand“-Anspruch, an den Konsument*innen westlicher Wohlstandsgesellschaften so gerne glauben und der insbesondere von der Fast-Fashion Industrie, welche die Herstellungsbedingungen ihrer Produkte drastisch verschweigt, propagiert wird. Bing, der in seinen oft epischen Filmarbeiten schonungslos die Abgründe des wirtschaftlichen Aufstiegsdiktats in China dokumentiert, zeigt in „15 hours“ Einblicke aus Huzhou, einem von Chinas industriellen Distrikten. Als Produktionsstandort bildet Huzhou eine ganze, in sich abgeschlossene Stadt, in deren 18.000 Fabriken Arbeiter*innen rund um die Uhr hauptsächlich für den Export bestimmte Kinderkleidung fertigen. Als stummer Zeuge, der die Kamera einfach auf die Arbeiter*innen an ihrem Arbeitsplatz richtet, ihre Tätigkeiten festhält und ihnen kommentarlos vom Aufbruch aus ihren Baracken früh morgens bis zur Rückkehr folgt, hat Bing einen kompletten Arbeitstag auf dem Fabrikgelände aufgenommen. Das unablässige Rattern der Nähmaschinen, die triste Umgebung, das unerbärmlich getaktete Arbeitstempo sowie die Monotonie der Tätigkeiten erzeugen ein bedrückendes Bild der Verhältnisse, die in Kauf genommen werden, damit anderorts Kleidung günstig erworben werden kann. Obwohl die Arbeiter*innen, die Wang Bing begleitet hat, noch gar nicht zu denen zählen, die in der Textilindustrie am schlechtesten behandelt werden, hat die Realität, die er hier zeigt, dennoch so eine politisch brisante Seite, dass seine Filme in China nicht öffentlich gezeigt werden dürfen.
Die Tatsache, dass auch die menschliche Arbeitskraft in Wertschöpfungsprozesse mit eingeplant wird, sollte eigentlich gar nicht überraschen in einer Zeit, wo offen von „Human Ressources“ (HR) gesprochen wird. Durch die Erzeugung irritierender Narrative deutet die französische Künstlerin Céline Berger im Rahmen medialer Installationen an, wie prekär der Status jeder/s Einzelnen als Individuum in den Unternehmensorganisationen, die sich durch die Deindustrialisierung in westlichen Ländern entwickelt haben, tatsächlich ist. In der Videoarbeit „La Ronde“ (2013) gibt eine adrett gekleidete Frau als Businesscoach vier Persönlichkeitsporträts von fiktiven Angestellten wieder, die jeweils darauf ausgelegt sind, Verbesserungsansätze für das Verhalten der Personen im Geschäftsumfeld zu finden. Was anfangs als gut gemeinte Ratschläge zur besseren Präsentation unter Kolleg*innen rüberkommt, entpuppt sich mit der Zeit als Anleitung zur rigorosen Anpassung der eigenen Persönlichkeit in die Kultur des Unternehmens, dessen Ziele gegenüber den eigenen Bedürfnisse Priorität haben. Dass ein völliges Einfügen schließlich auch kein Garant für nichts ist, thematisiert Céline Berger in der Soundinstallation „Release“ (2010). Aus dutzenden Lautsprechern schallen hier, teils zur unverständlichen Sprechwolke verdichtet, die Stimmen von 24 Angestellten, die von ihren Erfahrungen nach der Entlassung aus einem insolventen Tech-Unternehmen des sogenannten „Silicon Saxony“ berichten. Die bruchstückhaften Berichte gehen der Frage nach, inwiefern sich das kalifornische Modell mit seiner Arbeitsmentalität auch auf die Selbstwahrnehmung der Entlassenen ausgewirkt hat.
In einem Flur zwischen den Ausstellungsräumen reist man durch die schwarz-weiß Fotografien der amerikanischen Künstlerin LaToya Ruby Frazier in eine Welt, in der es Arbeit fast gar nicht mehr gibt, deren Spuren dennoch weiterhin deutlich zu sehen sind. Die Fotografien stammen aus ihrer Heimatstadt Braddock (Pennsylvania), einem ehemaligen Zentrum der amerikanischen Stahlindustrie, dessen Niedergang sie anhand von Porträts aus ihrem familiären Umfeld dokumentiert. Die Aufnahmen, wie etwa eine Fotografie ihres schwer erkrankten Großvaters, der Stahlarbeiter war, in einem einfachen, heruntergekommenen Ambiente, sind intim. Zugleich spiegeln sie aber die kollektive Geschichte der schwarzen Bewohner*innen und Arbeiter*innen, die nicht vor der Verödung ihrer Stadt und dem Wegbrechen der Infrastruktur fliehen konnten. „Self Portrait in the Bathroom“ (2002), das LaToya in einem Unterhemd und mit Haarnetz zeigt, wie sie mit den Händen auf ein Waschbecken gestützt in einen Spiegel schaut und das von ihrer Mutter aufgenommen wurde, gibt anhand von Details, wie einem zerbrochenen Regal, sehr gut diese Atmosphäre eines leisen Elends wieder, das sich durch ihre Familie zieht und von dem auch sie gesundheitlich betroffen ist.
Der Amerikaner Allan Sekula (verstorben 2013) porträtiert fotografisch anhand der interkontinentalen Containerschifffahrt einen Bereich der globalen Wirtschaft, mit dessen Prozessen man als Endverbraucher*in kaum Berührungspunkte hat. Anhand einzelner Momentaufnahmen aus Häfen, Containerterminals, Schiffen und Maschinenräumen samt Mannschaftsmitgliedern, über und unter Deck, bringen Sekulas kaleidoskopische Aufnahmen, die er während seiner Expeditionen gesammelt hat, die Containerschifffahrt als Transportform und Arbeitsumfeld näher. Kombiniert zu assoziativen Studien aus lose arrangierten Bildern, demonstriert der Künstler, wie komplex dieses gesamte logistische Feld der globalisierten Wirtschaft ist, das als „Seehandel“ historisch verankert ist, sich jedoch gleichzeitig im schwindelerregenden Tempo wandelt. In einer seiner früheren Arbeiten „Untitled Slide Sequence“ (1972) begab sich der Künstler mitten in die Menge der Arbeiter*innen eines Industriewerkes für Luftfahrt in San Diego, die zum Ende des Arbeitstages aus der Betriebsstätte heraus in Scharen über einen Fußgängerübergang strömten. Die Beobachtung, dass in den meisten Fällen die Menschen dieser relativ homogenen Masse einfach an dem Fotografen vorbeiziehen, als hätten sie ein festes Ziel, das, befreit vom Arbeitsplatz, unbedingt so schnell wie möglich erreicht werden müsste, verleiht der vor fünfzig Jahren entstandenen Serie etwas Zeitloses.
Fragmentierte Eindrücke bilden ebenfalls die stilistische Basis der Videoinstallation „Parts-wholes“ (2016) der kanadischen Künstlerin Melanie Gilligan. Gilligan hat zwei Amerikanerinnen, eine schwarze Uber-Fahrerin in einer Kleinstadt im Bundesstaat New York und eine weiße Verlagsangestellte aus San Francisco in ihrem Arbeitsalltag gefilmt. Das jeweils sehr unterschiedliche Material präsentiert sie in Kurzsequenzen auf zwei Würfeln, die aus jeweils zwölf Bildschirmen bestehen und von Stahlstreben gehalten werden. Die zersplitterte Präsentationsform der Videos, aus denen sich nur mühsam ein ganzheitliches Bild vom Arbeitstag der Frauen gewinnen lässt, entspricht der Komplexität der Tätigkeiten der Frauen, die sich ständig neuen Herausforderungen und Situationen stellen müssen. Obwohl es vom Gehalt und Arbeitsstatus her wirtschaftliche Unterschiede zwischen der Uber-Fahrerin und der Redakteurin gibt, zeichnet Gilligan Parallelen zwischen den Mühen auf, die beide Personen für ihren Job täglich auf sich nehmen müssen. So spielt der Faktor der Mobilität eine große Rolle, der sich bei der Verlagsarbeiterin anhand langer Pendelstrecken zeigt und bei der Uber-Fahrerin durch ein durchgängiges Abfahren von Wegen gekennzeichnet ist, das sie selbst finanzieren muss. Die Künstlerin verdeutlicht somit, dass ständige Verfügbarkeit und Monotonie einen omnipräsenten Zustand der Arbeitswelt im postindustriellen Zeitalter darstellen.
Simon Denny und das Künstler*innen-Duo Kate Crawford & Vladan Joler erkunden die für Konsument*innen größtenteils unsichtbare Welt des Tech-Konzerns Amazon, seiner Geräte und Applikationen. In „Anatomy of an AI“ (2018) einer riesigen, schematischen Karte gliedern Crawford & Joler in mehreren Zweigen die Prozesse auf, die auf verschiedenen Ebenen zur Entwicklung und Produktion von Amazons Echo beitragen, das als technisches Gerät Alexa mit der künstlichen Intelligenz ausstattet. In kunstvoll-minimalen Diagrammen in Weiß auf schwarzen Grund verbindet das Schaubild disparate Bestandteile der Herstellung von Echo, wie die Gewinnung von Rohstoffen und den Vertrieb mit der Programmierung und dem Management von Daten, zu dem auch die Endverbraucher*innen selbst beitragen, indem sie Alexa durch ihre Befehle kostenlos trainieren. Die Karte macht anschaulich, dass wir uns der Komplexität und der Ausmaße der Prozesse, die sich im Hintergrund gängiger Applikationen befinden, gar nicht bewusst sind.
Der in Neuseeland geborene Künstler Simon Denny verfolgt diesen Gedanken ebenfalls, indem er in Form einer weißen Skulptur ein Modell einer Transportdrohne präsentiert, das auf einem Patent von Amazone basiert und erneut sehr reduziert und schematisch gehalten ist. Der bisher von Amazon noch nicht hergestellte Prototyp erscheint geisterhaft und utopisch, genauso wie Drohnenkörper, die der Künstler mit einem 3D-Drucker aus unzähligen Patentschriften herausgeschnitten hat. Mittels einer Augmented Reality App erscheint an der Stelle des Ballons der Drohne eine unförmige Erdkugel, die nur noch aus Rohstofffeldern besteht und die Denny nach Informationen des Bergbaukonzerns Rio Tinto modelliert hat. Beide künstlerische Positionen evozieren damit den oft verdrängten Fakt, dass digitale Technologie nur durch die ökologisch und sozial höchst problematische Ausbeutung von Rohstoffen möglich ist.
Zwei weitere Videoarbeiten untersuchen die Kehrseiten kapitalistischer Systeme und zeigen, wie deren Dynamiken völlig unerkannt die demokratische Gesellschaft erodieren. Die New Yorkerin Ericka Beckman zeichnet in ihrem an das Spiel Monopoly angelehnten Film-Musical die Austriebe des Baubooms nach, der in New York mit dem Wiederaufbau nach dem 11. September 2001 einsetzte und in dessem Zuge alte Wohn- und Geschäftsviertel für die Erweiterung der Wall-Street abgerissen wurden. Überdrehte Investor*innen und Bauarbeiter*innen agieren in einer virtuellen Welt aus leuchtenden Spielsteinen und Hochhaus-Animationen, denen die Künstlerin Archiv-Aufnahmen der Stadt New York und dokumentarische Bilder aus Gegenden beimischt, die aus dem Immobilienfieber abgestürzt sind. Die überzeichnete Darstellung des Bauwahns ist auf einer bestimmten Ebene jedoch wieder sehr real. Solche Tendenzen entsprechen dem diktatorischem neoliberalistischem Wachstumsdiktat, dem die aus Gran Canaria stammende Eli Cortiñas in ihrer Videoarbeit „Walls Have Feelings“ (2019) nachspürt. In einem überwältigendem Panorama von selbst produzierten und angeeigneten Filmsequenzen zeichnet die Künstlerin eine schmerzhafte Verbindung zwischen der Ausschöpfung von Arbeitskraft und diktatorischen und nationalistischen Systemen des 20. und 21. Jahrhundert auf, die ihre Macht stets durch die Mobilisierung von Arbeit und Produktivitätserhöhung begründeten. Cortiñas weist somit darauf hin, dass die fortschreitende Steigerung von Effizienz und der technologische Wandel, die von einem weiterhin ungesunden Bündnis von globalen Konzernen und Regierungen gefördert werden, möglicherweise in eine Richtung führen, die wir als Bürger*innen gar nicht wollen.
Als Ausstellung legt LANDSCAPES OF LABOUR die Verflechtungen offen, die zwischen uns als Konsument*innen, Arbeiter*innen und Bürger*innen einerseits und der globalen Wirtschaft mit ihren Wertschöpfungsketten und Akteuren andererseits bestehen. Damit schafft die Ausstellung erstaunlich klare Einblicke in einen oft als verworren oder überwältigend empfundenen Bereich. Anstatt den Zeigefinger zu erheben, stoßen präzise aufgearbeitete Zusammenhänge einen dazu an, selbst moralisch zu den dargestellten Sachverhalten Stellung zu nehmen. Indem LANDSCAPES OF LABOUR zeigt, wo wir heute in der globalen Arbeitswelt ungefähr stehen, weist sie auch auf den wenigen Spielraum hin, den wir in der Gestaltung einer anderen Zukunft noch haben.