Sammlungspräsentationen bestehen häufig aus Werken, die entweder besonders imposant oder wertvoll sind. Das mag beeindrucken, doch so eine Strategie bietet wenig für die Besucher*innen. Die neue Direktorin der Sammlung Philara Julika Bosch hat einen anderen Weg gewählt und eine Ausstellung aus den Beständen des Düsseldorfer Sammlers Gil Bronner gestaltet, welche die Sensibilität der Betrachter*innen miteinbezieht. Aus dieser Intention heraus ist eine Präsentation entstanden, die sich so fließend und leicht entwickelt wie ihr Titel: BREATHING WATER, DRINKING AIR. Die Ausstellung nimmt das Verhältnis zwischen dem Menschen und der Natur als Ausgangspunkt, um innerhalb einer ausgewählten Gruppe von künstlerischen Positionen dem interaktiven Potential der uns umgebenden Umwelt mit ihren Elemente nachzuspüren. Dabei zählt weniger die große Geste als die feinen Relationen zwischen den Werken, mit denen die Kuratorin Julika Bosch ein vielfältiges Spektrum an Positionen verschiedener künstlerischer Gattungen zusammenbringt.
BREATHING WATER, DRINKING AIR eröffnet nicht nur neue Perspektiven auf die Elemente der natürlichen Umgebung wie Wasser oder Luft. Mit ihrer Umkehrung üblicher Schemata nimmt sich die Ausstellung gleichzeitig auch vor, die Räume der Sammlung in der ehemaligen Glasfabrik Lennarz auf eine andere Weise erfahrbar zu machen. So changiert die Farbe der Wände im Parcours zwischen Blau-, Rosa- und Grüntönen. Alle diese Farbtöne sind einer Arbeit von Per Kirkeby entnommen, die eine abstrakte Landschaft zeigt und von Kirkebys Ausbildung als Arktis-Geologe beeinflusst wurde, die seinen Blick für das Farb- und Lichtspiel des Nordens sensibilisierte. Die Ausstellungsarchitektur strebt somit dahin, eine gewisse Ganzheitlichkeit in der Erfahrung der Räume und der Werke zu erzeugen. Dies lässt sich direkt an einer der ersten Arbeiten erkennen, die in der Ausstellung in der großen Halle zu sehnen sind. Es handelt sich um eine Malerei der Künstlerin Kinke Kooi, deren monumental gewählte Hängung, die dem Bild viel Raum lässt, mit seiner unglaublichen Detailliertheit spielt. Aus der Ferne meint man darauf riesige, aufgespaltene grüne Erbsenhülsen zu erkennen, die in ein dichteres Gebilde aus organischen Fantasieformen eingewoben sind. Mit ihrer lustvollen Erkundung naturwissenschaftlicher Strukturen hat die 1961 geborene niederländische Künstlerin erst vor kurzem Aufmerksamkeit in der Kunstwelt erhalten.
In weiteren Räumen, die von dieser Position abzweigen, sind ein Video und eine Soundinstallation zu sehnen, die beide sehr eng mit dem Thema des Wassers, beziehungsweise dem Wasser als „Denkfigur“ zusammenhängen und in beiden Fällen die Sinne ansprechen. In Julius von Bismarcks Videoarbeit „Den Himmel muss man sich wegdenken“ (2014) trifft man auf eine dunkle, bedrohliche Sturmwelle, die, in extremer Slow-Motion wiedergegeben, sich in Zeitlupe zu einer Wand aufbaut. Besondere Aufmerksamkeit erfordert auch Susan Phillipsz‘ Soundarbeit „Seven Tears“ (2016). Auf sieben im Raum verteilten Plattenspielern wird jeweils ein Klang abgespielt, der durch das musizieren mit unterschiedlich gefüllten Wassergläsern produziert wurde, wobei die Klänge sich auf verschiedene Gemütszustände beziehen. Das Bild der Tränen, die sich hier durch Schwingungen verbreiten, erinnert an der Auffassung von uns Menschen als „Bodies of Waters“. Sich basierend auf die Idee des Wassers als Element, das alle Seinsformen durchdringt, geht das Konzept der „Bodies of Waters“ von einer Interkonnektivität sowohl aller Menschen untereinander als auch zwischen den Spezies aus und erweitert so Denk- und Handlungsmöglichkeiten.
Ausgehend von dem Gedanken der inneren Verbundenheit rücken auch die Werke der Ausstellung in der großen Halle näher. Ihnen gemeinsam sind mythische Darstellung von Menschen und Tieren, die manchmal in enger gemeinsamer Relation erscheinen, wie in Rosilene Luduvicos großflächiger Malerei „Source“ (2014), in der sich großzügig über die Bildfläche verteilt, liegende nackte Frauenkörper tummeln, die mit übergroßen exotischen Früchten spielen. Vom Weiten ist das Ganze nur als abstraktes Muster auf beigem Hintergrund zu erkennen. Ein parkähnliches Ambiente in Pastellfarben, vor der eine halb sitzende Skulptur platziert ist, die in ihrer eingesunkenen Haltung sehr menschlich wirkt, zeigt ein mit Lack auf weiße Aluminiumplatten gemaltes Werk von Maximiliane Baumgartner („Die vierte Wand der dritten Pädagogin“, 2019). Die Künstlerin, die sich mit der Handlungsfähigkeit von Kunst beschäftigt, thematisiert hier die vorgefertigten Denkmuster, die in Bezug auf die Natur verbreitet sind. Als abstraktes Wesen, das noch nicht vollständig herausgeformt wurde, erscheint der Mensch wiederum in Katinka Bocks Holzskuptur „Personne“ (2012). Viele der in der Halle zu sehnenden Arbeiten befinden sich somit in eine Art Zwischen- oder Transformationszustand, wie die übergroße Motte von Petrit Halilaj aus traditionellen Stoffen aus dem Kosovo, die in einer oberen Ecke des Raumes lauert.
Alle diese Werke scheinen eine Art Auftakt zu bilden zu einer tieferen und magischeren Beschäftigung mit den natürlichen Elementen und der Relation des Menschen zu diesen. Diese findet in den eher versteckt gelegenen, unteren Räumlichkeiten der Sammlung Philara statt. Zauberhaft wirkt bereits eine kleine Fotografie von Anna Vogel, die einen etwas verträumten Blick auf eine Wasseroberfläche zeigt, die zusätzlich mit feinen Strichen bearbeitet wurde. Wie ein Stück Treibholz ruht vor der Fotografie ein bearbeitetes Holzstück von David Nash („Drift“, 2012). Die feinen Spalten, die in den Holzkörper eingefräst sind, wirken naturbelassen und unterstreichen die Beseeltheit, die man mit angeschwemmten Holz verbindet. Im Anschluss setzt eine Folge von niedrigen Räumen mit changierenden Wandfarben, in denen einzelne Werke platziert sind, abwechslungsreiche Akzente. Die bereits erwähnte Arbeit Per Kirkebys, auf die man hier direkt zugeht und deren Farben einen überall umgeben, löst ein Gefühl von Familiarität aus.
Ähnlich transluszent wie die sanften Farben Kirkebys wirkt eine Videoarbeit von Nathalie Djurberg und Hans Berg. „Waterfall Variation (Choir)“ (2015) zeigt einen Wasserfall aus Kohlestrichen, der sich in einer Holzschnitt-ähnlichen Landschaft vertikal ergießt und immer wieder, zusammengesetzt aus zig analogen gezeichneten Tropfen, an seinen Ursprung zurückfließt. Transluzenz ist auch das Thema einer filmischen Installation von Alex Grein. In einem durchsichtigen, mit Wasser gefüllten Glaskastens sieht man die Aufnahme einer Wasseroberfläche, auf der sich das Sonnenlicht spiegelt. Das Wasser, durch das die Projektion durchscheint, verleiht der Filmaufnahme eine magische Plastizität und macht das gefilmte Lichtspiel fast greifbar. Unter die Wasseroberfläche geht es in der Videoarbeit von Hicham Berradas, die großflächig auf jeweils zwei gegenüberliegende Seiten eines Raumes gestrahlt wird und so den Effekt des Abtauchens in ein Aquarium simuliert. Im Zeitraffer bilden sich bunte fadenförmige Strukturen vom Sediment her auf, die im Wasser schweben und an primitive Lebensformen erinnern. Was so fremdartig und bezaubern erscheint, sind tatsächlich anorganische Verbindungen, die durch chemische Prozesse entstehen, die der Künstler durch die Hinzugabe bestimmter Stoffe wie Eisen und Natrium steuert. Das Konzept der Durchlässigkeit und fließenden Grenzen findet sich schließlich auch in der Skulptur „Inititation“ (2018) von Zsófia Keresztes wieder. Zwei identische, gesichtslose und geschlechtsneutrale Figuren begegnen sich hier Angesicht zu Angesicht in einem Moment zwischen Sehnsucht und Konfrontation. Die Figuren sind komplett mit rosa-schimmernden Mosaiksteinen bedeckt und durch rote Kordeln verbunden, was ihnen eine Sinnlichkeit verleiht, die in ihrer Intention jedoch unklar bleibt.
In den oberen Räumen der Sammlung verlagert sich das Thema BREATHING WATER, DRINKING AIR von bisher Wasser-gelagerten Arbeiten in den Bereich der Luft. Ein einfaches Gebilde aus Eisenstangen, über dem ein schwarz bemalter Stoff hängt, erinnert hier an die Performance-Oper von Anne Imhof „Angst I–III“. In dieser kam das Gestell als Falkensitz zum Einsatz, auf dem tatsächlich einer der Falken der Aufführung saß. Über das Motiv des Vogels ist die Auseinandersetzung mit Luft als Element interessanterweise so mehr mit Gefangenschaft als mit Fliegen und Freiheit verbunden. So lässt sich in einer Medienskulptur von Raphaela Vogel auf einem Bildschirm, der in die Kopfstütze eines Autositzes eingelassen ist, ein Video eines Vogels verfolgen, der fast verzweifelt in seinem Käfig herumflattert (Ohne Titel, 2016). Die Kombination eines technischen Entertainment-Reliktes mit dem schwarz-weißen Video thematisiert auf beklemmende Weise Überwachung und Blickhierarchien.
Durch die Vorsensibilisierung der Wahrnehmung für Vogelgestalten meint man in einer großen Malerei von Thomas Scheibitz, in der sich ein storchenförmiger Kopf über eine Art Kasten mit Vorhängen erhebt, direkt ein Vogelwesen zu erkennen (Ohne Titel, 2003). Geometrische Formen in grellen Farben, die sich aus dem Farbspektrum von Glanzlacken speisen, gehen der Frage nach, auf welche Systeme außerhalb des Bildes die Malerei verweisen kann. Zum Fantasieren regen sie weniger an. Starke Assoziationen wiederum löst die Skulptur eines eisernen Vogels „Bondage Bird“ (2017) von Camille Henrot aus, die an Ketten in der Luft gehalten wird. Der Zustand zwischen Schweben und Gefangensein, den die Arbeit beschreibt, wirkt sowohl reizvoll als auch beschwerend. Nahe an der Geschmacksgrenze ist eine Serie von Präparaten von Thomas Grünfeld angesiedelt, die jeweils aus einem weißen Taubenkopf und einem Rattenkörper bestehen („White Vector“, 2013). Die hybriden Wesen, mit denen Grünfeld in den Achtzigern begann, greifen die mittlerweile versickerte Diskussion um die Gentechnik auf. Beiläufig auf Simsen und Kanten überall in der Ausstellung platziert, reihen sie sich in ihrer Widersprüchlichkeit und ihrem grenzüberschreitenden Charakter in das ebenfalls fließende Konzept von BREATHING WATER, DRINKING AIR ein.
Die Mehrzahl der Positionen versucht zu einem Gedankenspiel anzuregen, dass die Eigenschaften des Wassers auf den Menschen überträgt um so neue gedankliche Räume zu eröffnen. In einer beeindruckenden Videoarbeit von Ursula Biemann sieht die Ausstellung aber auch eine tatsächliche Reise in das Reich des Ozeans und seiner Lebewesen und Schwingungen vor. In der felsigen Wasserlandschaft der Inseln der norwegischen Lofoten folgt Acoustic Ocean (2018) den Tätigkeiten einer Forscher-Performerin im Taucheranzug, die hochsensible Mikrofone, die unter Wasser Tonsequenzen aufnehmen, die ausserhalb der menschlichen Reichweite liegen, wie Bojen ins Wasser legt. Innerhalb dieses Settings, das neben den Klängen des Ozeans auch wunderschöne Bilder der rauen Wasserkante im magischen Licht sowie unter Wasser liefert, fließen verschiedene Erzählstränge ineinander. Eines dieser Narrative ist dabei die Performerin selbst, die dem Volk der nomadischen Sami angehört, dass seit Jahrtausenden von der Rentierzucht lebt und nun massiv von den Folgen des Klimawandels betroffen ist. Dieses Hineintasten an einer Schwelle zwischen zwei Welten, das Acoustic Ocean in betörenden Bildern simuliert, ist schließlich auch eine schöne Metapher für die Ausstellung BREATHING WATER, DRINKING AIR selbst, die eine Tür zu einer verborgenen und unbekannten Sphäre, den Entscheidungen und Präferenzen des Sammlers, öffnet.