Eine nebelverhangene, mit niedriger Vegetation bewachsene Hochebene in der Alto Putumayo Region im Südwesten Kolumbiens. Mitglieder einer Expeditionsgruppe reichen im Kreis einen Eisblock mit einem goldenen Objekt im Inneren untereinander weiter. Das Territorium, auf dem sich dieses mythische Ritual abspielt, liegt im Bergland am Rand der Anden und wird als Feuchtigkeit aufnehmendes Biotop „Paramo“ genannt. Es ist der heilige Ort der Ahnen des Volkes der Inga und Kamëntsá und Ursprung der Zuflüsse des Amazonas. Und es zählt zu einer Region, die durch ihren Rohstoffreichtum zunehmend von großen internationalen Konzernen für den Bergbau von Gold, Kupfer und anderen seltenen Metallen wie Koltan vereinnahmt und zerstört wird. Ayenan, Künstler, Aktivist und Oberhaupt der Ethnie der Kamëntsá, und der kolumbianische Künstler Felipe Castelblanco sind in die wildpalms Galerie in Düsseldorf gekommen, um hier in Europa anhand des dokumentarischen Kunstfilms „AYÊNAN TERRITORIOS DE AGUA“ ein größeres Bewusstsein für diese beunruhigenden Prozesse zu schaffen, die sich in diesem geographisch als la laguna de la Cocha bezeichnetem Gebiet sowie dem Tal von Sibundoy, Siedlungsraum der Indigenen, abspielen. Die Filmpräsentation ist eine Kollision gegensätzlicher Welten. Die Kraft der Elemente und die Verbundenheit des Menschen mit seiner Umgebung als Lebewesen im Kosmos stoßen auf unaufhaltsamen Fortschrittsdrang, die Unterordnung der Natur unter Profitinteressen und blinde Ignoranz. Die Vorführung der Filmprojekte wirft vor allem zwei Fragen auf: was kann Kunst als vermittelndes Medium für die Anliegen von Indigenen wie den Inga in Kolumbien leisten? Und wie weit dürfen sich Künstler einmischen, ohne sich selbst die Geschichte derer, die sie unterstützen, anzueignen?
Die Kooperation von Ayenan, Felipe und wildpalms
Felipe Castelblanco und Ayenan treten bei diesem Videoscreening als Kooperationspartner auf, die zu gleichen Teilen in die Projekte involviert sind. Felipe knüpft als international operierender Künstler Kontakte, findet Plattformen, wie an diesem Abend das wildpalms. Zusammen mit jungen indigenen Kolumbianern aus Ayenans Herkunftsland, der Alto Putumayo Region, hat Felipe das Ñambi Rimai Media Collective ins Leben gerufen, welches Filmtechnologie an die Mitglieder vermittelt und sie dazu anleitet, ihre Geschichten mit der Kamera festzuhalten. Diese Art von kooperativer Beziehung zwischen bildenden Künstler*innen und indigenen Aktivist*innen ist ein Arbeitsansatz, den der wildpalms Galerist Jorge Sanguino als einzigartig unter südamerikanischen Künstler*innen betrachtet. Die Kunsthistorikerin Alexandra Meffert und Jorge, der selbst aus Kolumbien stammt, wollen dem Publikum hier in Deutschland, wo südamerikanische zeitgenössische Positionen ohnehin bisher kaum bekannt sind, diesen besondere Form von Zusammenarbeit vorstellen. Die mehrere südamerikanische Künstler*innen in ihrem Portfolio führenden Galeristen stellen den Anwesenden damit eine Herangehensweise vor, welche für die Kunstschaffenden aus Südamerika ein ganz intuitiver Teil ihrer Arbeit ist. Weg von dem eigenem Ego hin zur Gemeinschaft, raus aus der Safezone hin ins Unbekannte. Diese Transformation durchlebt das Publikum während der Präsentation des Filmes AYÊNAN und einem Kurzfilm von Ayenan nun in gewisser Weise selbst. Es ist eine Reise zu den Flüssen, den Bergen Urwäldern, Menschen, Siedlungen, Ahnen und Schicksalen, aus der man mehr mitnimmt als die allseits bekannten beeindruckenden Bilder der überwältigenden Natur und der mit ihr in Einklang lebenden Menschen.
AYÊNAN- TERRITOTIOS DE AGUA
Die in Kooperation mit dem Ñambi Rimai Media Collective entstandene Filmproduktion von Lydia Zimmermann und Felipe Castelblanco zeigt eine rituelle Expedition zum Paramo in der Region la laguna de la Cocha in der Alto Putumayo Region, welche den natürlichen Strom des Wassers rückverfolgt von seiner Mündung in den atlantischen Ozean bis zu seiner Quelle in jenem niederschlagsreichen, wolkenverhangenen, mythischen und heiligen Hochland der Kamëntsá und Inga. Die Erkundungsreise vollzieht dabei die Route nach, die schon im 17. Jahrhundert von spanischen Eroberern auf ihre Suche nach El-Dorado verfolgt wurde. Der Film und die Reise sind gleichzeitig eine spirituelle Reflektion über das Wasser als Quelle des Lebens und unsere enge Verbindung als Lebewesen zu diesem Element. Die Arbeit ist zurzeit als drei-kanaliges Video im Rahmen der Ausstellung „Wohin? Künstlerische Investigationen“ im Helmhaus Museum Zürich zu sehen. Auch in der Präsentation im wildpalms besteht der etwas gekürzte Film so aus zusammengeschnittenen Sequenzen, in denen die Kraft des Wassers beschreibende Bilder beständig präsent ist.
Wie Funken tanzende Partikel vor tiefschwarzen Hintergrund leiten die Erzählung im Film ein, die sich auf das kleinste Teilchen in der Mythologie der Kamëntsá beruft, aus dem alles Leben hervorgeht. Die Aufnahmen aus der Urwald- und Flusslandschaft tasten sich wie aus der Perspektive eines Forschers an dieses neue Gebiet und Territorium des indigenen Volkes im Tal von Sibundoy entlang des Putumayo Flusses an. Das Wissen von der tiefen Verbundenheit zwischen dem Menschen und den ihn umgebenden lebensspendenden Elementen wird durch Erzählstimmen von Angehörigen der Ethnie hinzugeschnitten. Die Wiedergabe dieser Weisheiten stellt die wesentliche Botschaft des Filmes dar. Die Naturaufnahmen sind eindrucksvoll, doch keinesfalls romantisiert und tragen nicht die aufregende Exotik, welche das Sujet „Urwald“ und „Ureinwohner“ üblicherweise mitbringen. Eher verstärken die Bilder eines anziehend schönen, aber ebenso rauen wie undurchdringlichen Ökosystems ein Gefühl von Fremdheit. Als Betrachter dringt man spürbar in ein Territorium ein, dessen Regeln man nicht kennt. Begleitet von der Erzählspur wird deutlich, dass die Mitglieder der indigenen Völker zu denjenigen zählen, welche die Gesetze dieses gewaltigen Lebensraumes kennen. Ein überliefertes Wissen, was Teil ihres Körpers und ihrer Seele ist, während wir Außen bleiben.
Die Rolle eines Zeichens dieser Übermacht der Natur, aber auch Bote für die stetig voranschreitende Bedrohung dieses Lebensraumes, nimmt eine Kamerafahrt über eine gewaltige Straße auf Stahlstelzen, die sich den Hang in den Urwald hochkämpft und dann abrupt in einer Wand aus Vegetation endet. Diese noch unvollendete Straße ist eine der Vorboten der sich ausweitenden Erschließungsbemühungen des Territoriums für den Abbau von Rohstoffen. Sie dringt in ein Land ein, dass für die Kamëntsá nur nach Erlaubnis durch die Ahnen betretbar ist. Dies sind nun die Welten, die im Film aufeinanderprallen. Kann man dieser zerstörerischen Kraft überhaupt noch etwas entgegensetzen? Der in einer Expedition aus Filmemacher*innen und indigenen Mitgliedern vom Putumayo Fluss aus dem unteren Amazonasgebiet bis in die Hochebene in der Nähe der Anden getragene Eisblock ist eine solche Geste, welche nach Versöhnung, Weisheit und Stärke in diesem seit Jahrhunderten sich weiterspinnenden Zirkel der Ausbeutung sucht. In gefrorener Form transportierbar, soll das Wasser in einer entgegengesetzten Folge seines Verlaufes von Mündung zur Quelle an den Ort seines Ursprungs in einem kollektiven Ritual zurückgeschenkt werden. Die mit dem Schmelzen sich freisetzende goldene Folie symbolisiert die Materie vom Ausgangspunkt aller durch Gier angetriebenen Prozesse des Raubbaus: Gold. Diese wird als Akt der Heilung nun ebenfalls rituell der Natur zurückzugeben, wo sie bald nonchalant von einem Ameisenvolk davongetragen wird.
Wie Ayenan es während der an den Film anknüpfenden Diskussion erklärt, ist das Wissen von den Ritualen ihrer Vorfahren schon bei vielen Angehörigen seiner und verwandter indigener Ethnien bereits verloren gegangen. Das mit einem Kreis aus Menschen eine der Urformen des Universums nachzeichnende Ritual auf dem heiligen Territorium der Ahnen zwischen indigenen und nicht-indigenen Teilnehmern soll eine neue und universell geltende Form der Verbindung zwischen den Menschen schaffen. Und es soll den Geist und das Wissen der Vorfahren dahin weitertragen, wo es heute dringend gebraucht wird. Denn es findet nicht zufällig auf einem von Bergbau und Viehzucht bedrohtem Territorium statt, das durch den Wasserkreislauf die Quelle des Lebens der gesamten Region ist. Mit dem Versiegen der wasserzuführenden Funktion könnte der Kollaps dieses Ökosystems in ein paar Jahrzehnten den Untergang von Metropolen wie Bogota und La Paz bedeuten.
Ñambi Rimai Media Collective
Im Einsatz für die Verbreitung eines größeren Bewusstseins gegenüber der Notwendigkeit der Erhaltung der Natur und der Bewahrung des damit verbundenen Wissens ist der Film „AYÊNAN TERRITORIOS DE AGUA“ ein wichtiger Meilenstein in der Vermittlung von Themen, welche die gesamte Menschheit betreffen. Doch das Engagement von Felipe, Ayenan und dem Ñambi Rimai Media Collective endet nicht mit dieser Initiative. Wie ein von Ayenan gedrehter 1-minütiger Kurzfilm zeigt, arbeiten die Mitglieder des Media Collectives beständig mit zahlreichen kleineren Projekten daran, sich durch Einblicke in ihr Denken und ihre Traditionen eine Stimme zu verschaffen. Indem sie ihre Perspektive auf zentrale Themen wie die Bewahrung von Natur und das Leben im Einklang mit dieser mitteilen, setzen die jungen indigenen Filmproduzent*innen der Mariginalisierung der eigenen Interessen durch staatliche wie wirtschaftliche Akteure so etwas entgegen.
Ayenan erzählt in seinem Kurzfilm „Tijuatsjinyê“ (Geburt) die Geschichte seiner Mutter, die in ihrer Gemeinschaft Hebamme war und diese Berufung nach dem überlieferten medizinischen Wissen ihres Volkes ausübte. Familienmitglieder, die sie zur Welt brachte, sind später, inspiriert durch die bedeutende Rolle dieser Frau, Ärzte im Sinne der westlichen modernen Medizin geworden. Ayenan übermittelt in seinem Film so eine positive, zukunftsgewandte Perspektive, welche ausdrückt, dass solche Fähigkeiten oder Bedürfnisse wie Heilkraft über die Grenzen von Kulturen und Zivilisationen hinaus zirkulieren und weiter existieren. Denn Ayenan liegt es wie den anderen Mitgliedern des Ñambi Rimai Media Collective daran, kategorisierende Dichotomien aufzulösen zwischen Tradition und Moderne und damit die üblich gemachten Unterscheidungen zwischen dem westlichen Systems mit Wissenschaft, Technologie und Konsumgesellschaft einerseits und den tradierten Lebensweisen der Indigenen andererseits in Frage zu stellen.
Seine Botschaft ist, dass wir alle als Menschen unabhängig von unserer Kultur oder Herkunft von den gleichen lebensspendenden Elementen abhängig sind. Schon rein daher sind wir dazu verpflichtet, die Natur um uns herum mit Respekt zu behandeln und uns der Beziehung zu ihr bewusst zu werden. Das Ritual im Paramo der kolumbianischen Hochebene setzt hier einen ersten Anstoß, sich dieser Zusammenhänge bewusst zu werden. Diese Botschaft gibt Ayenan uns noch einmal in einer denkwürdigen Anekdote zum Ende mit. „Wie kann man in so kurzer Zeit ein zivilisatorisches System aufbauen, dass die Ressourcen so drastisch ausbeutet und solche unwiederbringliche Zerstörung anrichtet“, fragt er sich, „während meine Vorfahren seit Jahrtausenden mit der Natur in Einklang leben, die Industrienationen aber durch ihren Lebensstil die eigene Lebensgrundlage bereits selbst gefährden? “. Die Zusammenarbeit zwischen Felipe und Ayenan ist damit ein Beispiel für eine außerordentliche wichtige Form der künstlerischen Kooperation, die zeigt, was für uns alle auf dem Spiel steht, wenn die Mechanismen des ressourcendurstigen Kapitalismus so weiterlaufen. In einem Rennen, dass wir als Menschen zum Ende nicht gewinnen können. Ein großes Bravo für diese Initiative und ein Ruf für viel mehr Projekte ihrer Art.