Judith Röder - A ROCK FORMATION, A STREAM, A WOOD, A CLOUD—Temporary Gallery Köln

Das Verhältnis zwischen der Natur und uns ist gestaltet als das eines schauenden Subjektes und eines betrachteten Objektes, welches erst unter unserem Blick entsteht. Die romantische Landschaft, die karge Wildnis, all das sind Zuschreibungen einer oppositionellen Beziehung zu einer Umwelt, von welcher der Mensch sich abgekoppelt sieht. Die Künstlerin Judith Röder erforscht in ihren Werken der Ausstellung „A ROCK FORMATION, A STREAM, A WOOD, A CLOUD“ die Möglichkeit einer Kunst, die versucht, die Subjektivität ihre/s Erschaffer*in abzuwerfen und stattdessen in ephemeren wie eindringlichen Bildern von Natur und Naturphänomenen aus sich heraus eine neue, auf die Betrachter*innen zukommende Art des Sehens und Erfahren zu vermitteln. Konzeptuell angelehnt an den Ansatz der transhumanen Haltung des Philosophen Wolfgang Welsch, welcher Künstler identifiziert hat, die in ihren Werken ein partizipatives Verhältnis zur Welt artikulieren,  zielen Judith Röders in ihrer Heimat der Vulkaneifel aufgenommene Videoarbeiten sowie Glasskulpturen und weiteren Lichtbasierten Arbeiten auf eine symbiotische Beziehung zwischen dem Menschen und seiner Umgebung hin, innerhalb derer dieser von seinem Standpunkt als äußerer Beobachter abrückt und sich mehr und mehr als inhärenter Teil der Welt erfährt.

Die raumgreifenden Videoinstallation „Vulkaneifel“ ist das größte und in seiner Stimmung am stärksten einnehmende Werk der Ausstellung. Gezeigt auf einer großen Leinwand, die an einer der in einem eisgrauem Hellblau gestrichenen Wände montiert ist, deren Farbe gemeinsam mit den nackten rauen schwarzen Fließen des Fußbodens mit den matten Schwarz-Weiß Tönen der Aufnahmen harmonieren, ist der gesamte Raum auf diese Arbeit konzentriert. Von der Künstlerin hergestellte Gefäße aus dickem Glas in der Mitte des Raumes schaffen einen interessanten Gegenpol und in durch ihre sakrale, an die Form tatsächlicher antiker Ausgrabungsstücke angelehnte Aura, eine meditative Stimmung. Aufgenommen mit einer analogen 16-mm Bolex-Kamera, einem wuchtigem Retro-Gerät, das genaue Handhabung erfordert, offenbart sich den Betrachter*innen in ohne ein erkenntliches Narrativ aneinandergereihten Filmsequenzen ein ganz eigener, reduzierter Kosmos an Naturaufnahmen. In einem Wechsel von Nah- und Weitwinkel-Perspektive folgen Bilder von Bachläufen, Gras, Hausdächern, Wiesen, Blicke auf Hügellandschaften und Täler, kahle Waldhänge im Schnee und die Sicht vergitternde Baumstämme. In ihrer nüchternen, analytischen Konzeption wirken die Aufnahmen auffallend emotionslos. Der romantisierenden Perspektive des Menschen beraubt, bestechen die Bilder mehr durch ihre grafische Anmutung. Die Natur der Vulkaneifel wird zur Struktur, zum Relief, das ohne jeden vorgeschalteten Wahrnehmungsfilter der „schönen“ oder „kargen“ Landschaft auf uns wirkt, heißt, autonom ist.

Einmal mit der Nebel-Ästhetik dieser langsamen, grau-matten Bilder vertraut, wird man als Betrachter*in nahezu in die minimalistischen Aufnahmen eingesogen, deren innere Seele man versucht zu verstehen. Für dieses Erlebnis zitiert der begleitende Ausstellungstext die bei Welsch auftauchende chinesische Anekdote eines Malers, der schließlich eins mit dem Bild einer einsamen Hütte in einer Landschaft wurde, an dem er ein Leben lang gearbeitet hatte und dieses unter den staunenden Augen seiner Freunde bewohnte. Diese Erfahrung, sich nicht als Beobachter*in, sondern als Teil der Landschaft zu verstehen, sieht die Kuratorin der Ausstellung und Direktorin der Temporary Gallery Aneta Rostkowska neben Judith Röders Videoinstallation „Vulkaneifel“, auch in ihrem Ansatz, „Entgangene Filmbilder“, welche die Kamera trotzt eingeschalteten Modus auf Grund der physikalischen Beschaffenheit der Filmspule nicht aufgenommen hat, durch eine sprachliche Beschreibung dennoch in einem Bildband neben anderen Aufnahmen „abzubilden“. Momenthafte Textpassagen wie „Die Schar Vögel fliegt in Bahnen. Mein Blick folgt ihnen. Ich muss mich beeilen. Sie verlassen uns bald“ sprechen von einem Verhältnis, in dem die Künstlerin versucht, der Natur zu folgen.

Diese Herangehensweise, der Natur und nicht dem menschlichem Blick zu folgen, wird weiter erfahrbar in der in einem eigenen kleineren Raum zu sehenden Videoarbeit „Hohes Venn“, welche auf eine von der Decke hängenden Glasplatte projiziert wird und ebenfalls mit einer Bolex-Kamera, jedoch dieses Mal in Farbe, aufgenommen wurde. Das Hohe Venn ist eine geschützte Moorlandschaft im Nationalpark Eifel an der belgischen Grenze, ein nur zum Teil zugängliches, unwirkliches Niemandsland, das  bereits 95% seiner ursprünglichen Größe verloren hat. Von der ästhetischen Bildwirkung und inhaltlichen Sequenzierung ähnlich mit der Installation „Vulkaneifel“, sind eine große Menge von Nah- und Fernaufnahmen der Moorlandschaft zu sehen, die sich jedoch nie zu einem linearen Rundgang durch das Naturschutzgebiet zusammenfügen. Immer wieder konzentriert sich die Kamera auf den mit Wasserläufen durchzogenen, mit braunem Gras bewachsenen Boden, schwenkt dann zu Sträuchern oder Birkenstämmen, bietet selten Ansichten der bis zum Horizont sich erstreckenden Graslandschaft und geht von da aus zurück zum Boden. Was sich so ergibt, begleitet von einer subtile, dokumentarische Eindrücke der Künstlerin wiedergebenden Stimme, ist weniger der typische naturdokumentarische oder touristische Eindruck einer Moorlandschaft, als ein Gespür für das Wesen dieses Gebiets, welches den/die Betrachter*innen unbewusst in seinen Bann zieht.

Judith Röders Werken ist somit eine symbiotische Beziehung zur Welt inhärent, indem diese mit bestimmten Mechanismen der menschlichen Wahrnehmung arbeiten und diese aufdecken. Der kuratorische Ansatz der Ausstellung sieht hier gewisse Parallelen zu der Philosophie des 1961 verstorbenen Maurice Merleau-Ponty, welcher argumentiert, dass wir im Wahrnehmungsakt eine wechselseitige Beziehung zum Wahrgenommenem eingehen. Der Außenwelt gegenüber geöffnet, empfangen wir etwas von dieser, organisieren diese aber auch aktiv mit unter dem Regime unseres eigenen Blicks. Merleau-Ponty differenzierte zudem zwischen dem Feld der sinnlichen, uns mit den Dingen der Welt verbindenden, so zusagen ursprünglichen Erfahrung und der konzeptuellen Erfahrung, durch welche Phänomene fixiert und aus ihrem eigenem Wesen heraus entfernt und objektiviert werden. Es sind Künstler wie der Maler Cézanne, denen es seiner Überzeugung nach gelungen ist, diese vorkonzeptuelle Erfahrungseben zu erreichen und sich in den Bereich der „flüssigen und mehrdeutigen“ Erscheinungen zu begeben. Diese besondere Qualität, dass ein Werk erst durch die Auseinandersetzung entsteht und sich bis dahin, aber auch darüber hinaus, in einem nie ganz fixbierbarem Fluss befindet, sieht Aneta Rostkowska auch als wesentlichen Bestandteil der Wirkung von Judith Röders sich mit Glas und Licht beschäftigenden Arbeiten.

In den drei Werken des ersten Ausstellungsraumes verschiebt sich der Fokus von der Verfolgung der Natur zu dem Nachspüren der Wege, die das Licht geht. Die nach dem Betreten der Fläche zuerst sichtbare Arbeit „Lichtpunkte“ vereint als Fixierung in Glas und Papier von ellipsenförmigen Lichtpunkten, welche die Künstlerin versucht hat graphisch in ihrem Atelier festzuhalten, auf sehr prägnante Weise diese Philosophie der wahrnehmungsbasierten Auseinandersetzung mit den Phänomenen der unmittelbaren Umwelt. Eine in gewisser Weise zu den reduzierten Filmen aus der Vulkaneifel und dem Hohen Venn nicht unähnliche Seherfahrung vermitteln mittels surrender Overheadprojektoren an die Wand angestrahlte Ausschnitte aus Glasreliefs, die „Projektoren VII“. Ebenso wie bei den Filmen liegt hier der Schwerpunkt ganz auf der Wirkung der Struktur. In ihrer ungewohnten wie auch unerschließlichen Perspektive entführt die Lichtinstallation in meditative, fast mystische Tiefen, in denen organische Gewebe wie Baumrinde, Gefäßkanäle, Zellgitter und Pilzgeflechte aus den in einem breitem farblichem Spektrum von Grau, silbrigem Gold, Beige-Gelb und Blau angeleuchteten Glasplatten aus industrieller Fertigung entstehen, wie sie vor langer Zeit Mal modisch waren als Einlagen für Eingangstüren oder Durchgänge im Innenraum.

Glas ist für Judith Röder ein besonderes Material, da es selbst aus einem flüssigen Zustand entsteht und sich so in seinem Wesen in einer engen Verbindung zu ihrem Ansatz der fließenden Wahrnehmung befindet. Diese verschiedenen Ebenen treffen gemeinsam mit der Aufhebung des oppositionellen Verhältnisses zwischen Mensch und Natur in einer weitern Installation zusammen, der „Projektion VI“, in der auf mehreren hintereinander gestaffelten Glasplatten eine neblige Ansicht der Wasseroberfläche des Rheins gezeigt wird. Konzentriert auf das stetige auf- und ab Schwanken der Wellen und das sich kräuselnde grün-gräuliche Wasser, gibt das Video keine konkreten Anhaltspunkte über den spezifischen Ort dieser Bilder des allseits bekannten, durchkartierten Wasserlaufs. Stattdessen offenbart es dem/der Betrachter*in so etwas wie die noch völlig unbekannte Seele des Flusses, welche die menschliche Logik wohlmöglich nie erfassen wird.

Blickt man zurück auf die majestätischen wie stillen Glasgefäße, deren in einem langem und komplexem Verfahren hergestellte Wände so dick, rau und milchig sind, das sie mehr an gegossenes Epoxidharz oder durchsichtiges Alabaster erinnern, dann zeigt sich auch in Judith Röders Umgang mit dem Material Glas ein Ansatz der Beschäftigung mit den Dingen, der erst durch Entfremdung die Annäherung zu Gebieten oder Materie erlaubt. Mit der Zeit reinigt einen die besonders pure Perspektive von gewohnten Wahrnehmungsmustern und lässt uns erkennen, dass die Erschafferin der Aufnahmen bereits mit uns in diesen Bildern lebt. Denn symbiotisch bedeutet auch, dass wir von diesen Bildern und der darin sprechenden Natur nicht nehmen, sondern etwas empfangen von einem Standpunkt aus, der gänzlich unvoreingenommen und intentionslos ist. Eine Message, welche sich auf so vieles Andere übertragen lässt.

 

Judith Röder: A Rock Formation, A Stream, A Wood, A Cloud, 2021. Installationsansichten  |  Fotos: Articus & Roettgen Fotografie

Judith Röder: A Rock Formation, A Stream, A Wood, A Cloud, 2021. Installationsansichten  |  Fotos: Articus & Roettgen Fotografie

Judith Röder: A Rock Formation, A Stream, A Wood, A Cloud, 2021. Installationsansichten  |  Fotos: Articus & Roettgen Fotografie

Judith Röder: A Rock Formation, A Stream, A Wood, A Cloud, 2021. Installationsansichten  |  Fotos: Articus & Roettgen Fotografie

Judith Röder: A Rock Formation, A Stream, A Wood, A Cloud, 2021. Installationsansichten  |  Fotos: Articus & Roettgen Fotografie